hobelartiges Gerät aus Flint

Begonnen von Wiedehopf, 23. März 2021, 15:58:02

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Wiedehopf

Hallo zusammen,

ein Fund von einem LBK-Fundplatz in Westfalen. Da dort auch sehr viel natürliches Geschiebe (auch Flint) vorkommt bin ich mir noch nicht ganz sicher ob Arte- oder Geofakt. Was meint ihr ?

ca. 8 cm breit, 9cm lang, 1,8 cm dick

Viele Grüße
Michael

Herlitz

Hallo Michael,

das ist doch noch nicht mal aus einem Abschlag, oder? Da war wohl der Pflug der Gestalter dieser vermeintlichen Schaberretusche. Rostspuren sind da doch zu sehen?
Schade, die Retusche ist eigentlich gut gelungen!  :-D
:winke: Sven

Wiedehopf

Hi Sven,

nein, nicht der typische Abschlag.
Aber da sind keine Rostspuren, das täuscht auf dem Bild. Ich reiche hier noch ein Bild der Rückseite nach.

Viele Grüße
Michael

Nanoflitter

Sieht nach einer Frostscherbe aus. Die Retusche find ich ok, wenn es nach Rostspuren ginge, könnte ich 90 Prozent meiner Funde wegschmeißen. Gruss..

hargo

#4
Zitat von: Nanoflitter in 23. März 2021, 20:58:58
Sieht nach einer Frostscherbe aus. ...

Sind die nicht schüsselig?

Die Rückseite, also ventral, gibt m. E. nichts her, weil sie sieht mit den Graten eher wie dorsal aus.
Was ja nicht sein kann.
:kopfkratz:

Obwohl, auf den zweiten Blick, vielleicht doch gewölbt?
Aber, wo kommen dann die schwachen Grate her?


mfg

StoneMan

Zitat von: hargo in 23. März 2021, 23:34:20
...
Aber, wo kommen dann die schwachen Grate her?
...

mfg

... inhomogenes Material?

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

hargo

Sieht nach ziemlich normalem Flint aus.
Was bedeutet in diesem Fall dann inhomogen?

mfg

StoneMan

Moin,

das sieht sehr danach aus, dass die innere Struktur gestört ist.

Da sind nicht einmal die fossilen Einschlüsse verantwortlich, sondern eine Verunreinigung
in dem ehemaligen "Flintbrei" und oder auch Druckstörungen bei Erhärtung.

Für mich ist das ein natürliches Geröll bzw. ein Frostsprung.

Die Retusche mag ich ohne Inaugenscheinnahme nicht beurteilen - Tendenz intentionell.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

hargo


Steinkopf

Moin zusammen,

Michael stellt dieses Fundstück in Zusammenhang mit   'natürlichem Geschiebe' vor.
Es ist kein Abschlag sondern wohl durch Druck, Frost etc. von einem größeren Stück abgetrennt.
Darauf deuten auch die Risse im Material hin. Die Grate etc. sind für Druck von der Seite typisch.
Weil kein Abschlag, gibt es auch kein dorsal und ventral. Allerdings eine Seite mit Cortex.

Iritierend ist die fragliche 'Retusche' an einer Kante, die so recht kein Gerät ergibt.
Wahrscheinlich ein Meisterstück von Mutter Natur - meine ich.

es lohnt sich allemal es zu betrachten und die Merkmale zu lesen.

LG

Jan

ChristianH

#10
Nach meiner Meinung sind die Retuschen menschengemacht und es ergibt sich dem Anschein nach ein benutzbares Tool (*). Auch die Rückseite bestärkt mich darin, dass es sich um ein Artefakt handelt (**). Wir wissen nicht, wer das gemacht hat und unter welchen Umständen. man muss aber immer bedenken, dass er keine Möglichkeit hatte, sein Teil mit unseren heutigen "Stone age tool guides" abzugleichen  :zwinker:

(*)
Zitatdie so recht kein Gerät ergibt
ist das so? Passt vielleicht nicht so ins Schema, aber ich sehe einen robusten Seitenschaber (wahlweise auch eine Schutzretusche) und eine ganz gelungene Hohlbucht, um die es möglicherweise hauptsächlich bei diesem Tool ging.

(**)
ZitatDie Rückseite, also ventral, gibt m. E. nichts her, weil sie sieht mit den Graten eher wie dorsal aus
nicht schlagen, wenn Ihr findet, ich phantasiere hier rum, bin schließlich Steinzeitanfänger, aber ich bilde mir ein, da sind auch noch ein paar Formgebungsretuschen drauf. Kann es i.ü. nicht sein, dass ein durch Frostbruch enstandener "Abschlag" zu einem Ad-Hoc-Tool verarbeitet wurde?

StoneMan

Zitat von: ChristianH in 24. März 2021, 06:02:40
... Kann es i.ü. nicht sein, dass ein durch Frostbruch enstandener "Abschlag" zu einem Ad-Hoc-Tool verarbeitet wurde?
Moin,

ja das kann sein.

J. Hahn, Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten
...

8.2 Grundformklassifikation Seite 159

1 Klinge
2 Abschlag
3 primäre Kernkantenklinge
4 sekundäre Kernkantenklinge
5 primärer Kernkantenabschlag
6 sekundärer Kernkantenabschlag
7 Kernscheibe
8 Präparationsabschlag
9 Kern
10 Stichelabfall
11 Siretbruch
12 Trümmer
13 Hitzetrümmer
14 Frostaussprung

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

ChristianH

#12
Z.B. hatte eine systematische Feldbegehung "auf der Ochsenkoppel" in Dithmarschen ergeben, dass "[...] unter den nunmehr vorliegenden 790 Schabern gut
10 % [aus Frostsprungscherben gefertigte] sind", siehe hier.

hargo

#13
Mal unabhängig davon, ob Schaber auch aus Frostsprungscherben gefertigt wurden.

Auf Hobel4.jpg sehen wir eine Abplatzung, die ich auf eine rezente Beschädigung zurückführen würde.
Siehe den kleinen Einschlag an der Kante.

http://www.sucherforum.de/index.php?action=dlattach;topic=79723.0;attach=386203

mfg

ChristianH

Könnte sein. Ich persönlich sehe eine intentionale Hohlbucht. Müsste es in der Hand halten.

Nanoflitter

Zitat von: hargo in 24. März 2021, 16:26:29
Mal unabhängig davon, ob Schaber auch aus Frostsprungscherben gefertigt wurden.

Auf Hobel4.jpg sehen wir eine Abplatzung, die ich auf eine rezente Beschädigung zurückführen würde.
Siehe den kleinen Einschlag an der Kante.

http://www.sucherforum.de/index.php?action=dlattach;topic=79723.0;attach=386203

Sehe ich auch so, rezent. Gruss..
mfg

Neos

Moin, Michael,

das ist ein durchaus diskussionswürdiges Stück, das du uns hier präsentierst.

Meine Meinung:

Die von Christian angesprochene Hohlbucht halte ich für definitiv rezent (auch wenn ich mir hier etwas anderes gewünscht hätte). Nachdenklich stimmt mich hingegen die vermeintliche Kantenretusche. Ja, es könnte eine sein, aber mein Bauchgefühl und der Gesamteindruck, den ich von dem Stück habe, sagt mir eher, dass sie "Maschinen-gemacht" ist. Aufgehoben hätte ich das Stück definitiv aber auch.

Das Gemeine und Schwierige ist es nicht selten eine vorhandene Retusche, die rezent durch z. B. ein Ackergerät an genau dieser Retusche beschädigt wurde, immer noch klar als Artefakt ansprechen zu können. Es müssen dann ggf. andere Merkmale mehr oder weniger klar erkennbar sein. Genau das fehlt mir hier aber.

Viele Grüße

Frank

Wiedehopf

#17
Hallo zusammen,

vielen Dank für eure Antworten.

Das mit den aus Flint-Trümmern gefertigten Artefakten finde ich sehr bemerkenswert.

Ich habe heute mal zwei Flintknollen aus meinem Garten geholt die von der gleichen Stelle wie der 'Hobel' stammen und denen ich bisher keine große Beachtung geschenkt habe. Bisher war ich immer von Gletscher-Druck ausgegangen was die Absplisse und Beschädigungen angeht. Aber vielleicht waren ja nicht alle Vorzeitler auch Meister im Flint-Knapping sondern haben die Knollen einfach (besonders wenn reichlich Material vorlag) irgendwie zerschmettert und sich dann das für ihren Zweck passende Stück rausgesucht. Ich habe mal irgendwann gelesen, ich glaube bei Alfred Rust, dass eine norddeutsche Rentierjäger-Kultur mühsam mit Sticheln aus Rengeweihen Späne für ihre Spitzen etc. abgetrennt hat, eine ihr nachfolgende Kultur dann einige tausend Jahre später die Geweihe einfach zerschlagen hat um dann die für ihre Zwecke passenden Stücke rauszusuchen. Warum nicht auch beim Flint diese Effektivität (bzw. Faulheit). Siehe z.B. ab Bild 2. Da sitzt noch ein quasi Levallois-Abschlag auf der Knolle, der nur einen kleinen Kick braucht um vom Kern abzuspringen.

(Nur die Gedanken eines Laien der sich auch sehr gerne eines Besseren belehren lässt).

Viele Grüße
Michael

           

hargo

#18
Zitat von: Neos in 24. März 2021, 21:29:34
...Nachdenklich stimmt mich hingegen die vermeintliche Kantenretusche. ...

Würde ich, im Zweifelsfall, als natürliche Bestoßung einordnen.

mfg

Neos

Zitat von: hargo in 25. März 2021, 01:01:33
Würde ich, im Zweifelsfall, als natürliche Bestoßung einordnen.

Das sehe ich auch so.

Steinkopf

#20
Hallo zusammen,

ich hab mir die Fotos nochmal angesehen,
Beim ersten Hinsehen könnte man an Retuschen denken.
Beim zweiten Blick fällt auf, das keine der scheinbaren Retuschen vom Rand her gesetzt wurden.
Einige gehen nicht durch - Steckenbleiber.

Der Bereich nah am Rand ist eher zersplittert und bildet (auf Bild 1) eine exakte Gerade.

Gesetze Retuschen sehen anders aus. Diese Kante ist durch Druck gegen etwas Hartes wie Stein oder Pflug 
gequetscht worden.
Retuschierte Kanten sehen anders aus!

Ein gutes Studienobjekt. Es tauchte im Forum mal das Wort 'Quetscholith' auf

LG
Jan

ChristianH

Aufheben und mal bei Gelegenheit ein paar Koryphäen in die Hand drücken. Das Ergebnis (nach Live-Begutachtung durch Experten) würde mich echt interessieren  :glotz:

hargo

#22
Noch ein Nachtrag zu den beiden Flintknollen, die von der gleichen Stelle wie der 'Hobel' stammen:
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,79723.msg499048.html#msg499048

Zitat von: Wiedehopf in 24. März 2021, 21:48:16

...Bisher war ich immer von Gletscher-Druck ausgegangen was die Absplisse und Beschädigungen angeht. ....
         

Davon kannst du auch weiterhin ausgehen.
Das ist Baltischer Feuerstein, bzw. Geschiebefeuerstein, der auf seinem weiten Weg in den äußersten westlichen Zipfel seines Verbreitungsgebiets schon arg gelitten hat.

mfg

Wiedehopf

o.k, die Tendenz geht dann doch überwiegend zum Naturprodukt. Ich habe auch einen Karton mit Pseudoartefakten aus dem hiesigen Geschiebe (alles vermeintliche Schaber, Faustkeile, Klingen, Kuriositäten) die ich zu Vergleichszwecken verwahrt habe, da wandert er dann erstmal rein. Nach expertlicher Begutachtung teile ich euch gerne hier das Ergebnis mit.

Vielen Dank
Michael