Schleswig-Holsteinische Feuerreißer-Dolch-Kombi

Begonnen von Neos, 03. September 2019, 23:02:13

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Neos

Moin, zusammen,

passend zu dem Thread Klinge/Funkenlöser von Gabi möchte ich euch einen Flintdolch aus dem nördlichen Schleswig-Holstein vorstellen, der seinem Besitzer/seiner Besitzerin auch als Feuerreißer diente.

Seine Maße:


  • Länge: 136 mm
  • Breite: max. 22 mm
  • Dicke: 8 mm

Dass Dolch-Griffe nicht selten auch als Feuerreißer verwendet wurden, ist beispielsweise hier dokumentiert:

https://www.academia.edu/16535864/Neue_und_alte_Funde_aus_rotem_Helgol%C3%A4nder_Flint_in_D%C3%A4nemark_und_Schonen_New_and_old_finds_of_red_Heligoland_flint_from_Denmark_and_Scania

sowie hier:

https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/viewFile/23705/17439

Beste Grüße

Neos

StoneMan

Moin Neos,

Danke fürs zeigen. Prächtiges Teil  :Danke2:

Den möchte ich auch mal in der Hand halten  :zwinker:

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Neos

Moin, Jürgen,

Zitat von: StoneMan in 03. September 2019, 23:39:46
Den möchte ich auch mal in der Hand halten  :zwinker:

sei mein Gast beim TdA. Ich bringe das Stück gerne für dich mit.

Beste Grüße

Neos

StoneMan

Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

palaeo1

Zitat von: Neos in 03. September 2019, 23:02:13
Dass Dolch-Griffe nicht selten auch als Feuerreißer verwendet wurden, ist beispielsweise hier dokumentiert:

Sorry, aber das ist eine reine, nicht belegte These und nicht dokumentiert! Die abgebildeten Verrundungen geben da gar keinen Hinweis auf einen solchartigen Gebrauch.
Gruß palaeo1

Neos

Hallo, palaeo1,

Zitat von: palaeo1 in 04. September 2019, 21:28:34
Sorry, aber das ist eine reine, nicht belegte These und nicht dokumentiert! Die abgebildeten Verrundungen geben da gar keinen Hinweis auf einen solchartigen Gebrauch.

da magst du Recht haben. Für Harm Paulsen zumindest war es eindeutig, als ich ihm das Stück vorstellte. Aber ich merke schon, dass dieses Thema offensichtlich eines ist, über das man vortrefflich kontrovers diskutieren kann. Insbesondere weil sich das Thema "Feuerschlagen" in vielen Köpfen über Jahrzehnte festgesetzt hat. Spannend! Und danke für deine Anmerkung.

Beste Grüße

Neos

palaeo1

#6
Dass Dolchfragmente als Feuerschläger genutzt worden sind ist bekannt. Sie zeigen auch entsprechende Merkmale. Bei deinem Dolch, der in der Länge funktionsfähig und unbeschädigt ist, ist eine Sekundärfunktion nicht anzunehmen. Die Griffpartie hat mit Sicherheit eine Schäftung besessen, die Verrundungen hervorgerufen hat. Eine Schäftung lässt eine Sekundärnutzung dieser Partie aber nicht zu. Ich mache zwar manchmal mit einem Zollstock eine Bierflasche auf, was übertragen heißen würde, dass die Merkmale an der Schneide zu sehen sein würden. Ich sehe die Interpretation zum Feuer reissen als sehr fragwürdig an!
Gruß
Palaeo1

Neos

Hallo, paleo1,

was du schreibst, leuchtet zweifelsohne ein. Was nicht bedeutet, dass es keine weiteren Optionen gibt, die ebenso denkbar wären.

Was mich an dieser Stelle interessieren würde: Ist dir eventuell von ausgegrabenen Dolchen inklusive vorhandener Schäftung bekannt, dass deren geschäftetes Ende verrundet ist?

Viele Grüße

Neos

palaeo1

Ja, es gibt da etwas, muss ich raussuchen, dauert aber. Das Problem ist aber, dass kaum Gebrauchsspurenanalysen durchgeführt werden, womit die Ursachen der Verrundungen ansatzweise abgeklärt werden könnten. Die meisten Aussagen beruhen auf Vermutungen.
LG Palaeo1

hargo

#9
Zitat von: palaeo1 in 04. September 2019, 22:31:57
... Ich sehe die Interpretation zum Feuer reissen als sehr fragwürdig an!
...

Nun dachte ich, wir hätten Klarheit.
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,76167.msg477659.html#msg477659

Stellst du das "Feuer reißen" grundsätzlich in Frage?
Ich wünschte wir könnten J. Weiner dazu lesen.

mfg

palaeo1

Nein, ich stelle es nicht grundsätzlich in Frage, nur in diesem Fall. Warum sollte man zum einen den heilen Dolch der Gefahr aussetzen, ihn durch eine Sekundärfunktion als Funkenlöser zu beschädigen. Zum anderen, wie gesagt, wird solch ein kantenscharfer Dolch nicht ohne Schäftung in der Hand geführt worden sein, somit an den besagten Stellen für ein Feuerreissen nicht zur Verfügung gestanden haben.
LG palaeo1

Neos

Moin, paleo1,

Zitat von: palaeo1 in 04. September 2019, 23:16:00
Ja, es gibt da etwas, muss ich raussuchen, dauert aber.

das eilt nicht. Solltest du etwas finden, wäre das natürlich super.

Zitat von: palaeo1 in 04. September 2019, 23:16:00
Das Problem ist aber, dass kaum Gebrauchsspurenanalysen durchgeführt werden, womit die Ursachen der Verrundungen ansatzweise abgeklärt werden könnten. Die meisten Aussagen beruhen auf Vermutungen.

Ist es nicht sehr häufig bei Artefakten so, dass wir vermuten (müssen)? Auch die Experimentelle Archäologie kann selten echte Beweise liefern, sondern nur das Naheliegendste zu Tage fördern. Was für uns - heute - logisch ist, muss es nicht zwangsläufig damals gewesen sein.

Bezogen auf die Verrundungen an steinzeitlichen Artefakten, über die wir gerade diskutieren, verhält es sich nicht anders:

Wenn in zahlreichen Experimenten mittels Pyrit/Markasit und Flint Feuer durch Reißen hergestellt wird und dabei dieselben Spuren am Flint entstehen, wie sie an unzähligen Artefakten vorkommen, die wir finden, dann ist es naheliegend, dass sie zu genau diesem Zweck verwendet wurden. Aber ist das jetzt der Beweis oder schlicht die naheliegendste Vermutung?  :nixweiss:

Beste Grüße

Frank aka Neos

palaeo1

Zitat von: Neos in 05. September 2019, 21:35:27
oder schlicht die naheliegendste Vermutung?  

Ich tue mich da mit Vermutungen anhand von Einzelmerkmalen immer schwer, auch wenn sie naheliegend sind. Ich sammle lieber Indizien und wenn die in der Summe weit überwiegen, äußer ich schon mal eine Annahme, die aber immer zur Diskussion steht.
Mit den Gebrauchsspuren ist es so, dass viel zu wenig gemacht werden, weil es wenige Personen gibt, die die Analysen beherrschen und daher solche Untersuchungen, wenn sie nicht im Rahmen von Forschungsprojekten erfolgen, im Normalfall nicht im Budget liegen. Das Reissen an Markasit ergibt aus eigener Erfahrung eindeutig andere Merkmale am Flint, als Polituren von z. B. Leder oder Holz, die als Schäftungsmaterialien gedient haben.

LG palaeo1

Neos

Zitat von: palaeo1 in 05. September 2019, 21:57:36
Ich sammle lieber Indizien und wenn die in der Summe weit überwiegen, äußer ich schon mal eine Annahme, die aber immer zur Diskussion steht.

DAS macht für mich persönlich einen (wahren) Wissenschaftler aus.

Zitat von: palaeo1 in 05. September 2019, 21:57:36
Das Reissen an Markasit ergibt aus eigener Erfahrung eindeutig andere Merkmale am Flint, als Polituren von z. B. Leder oder Holz, die als Schäftungsmaterialien gedient haben.

Das leuchtet absolut ein. Nichts anderes würde ich erwarten.

Vielleicht klappt es ja noch dieses Jahr mit der Vorführung des Feuerreißens durch Harm Paulsen. Und vielleicht gewinnen wir (auch) auf diese Weise weitere Erkenntnisse. Ich würde mich freuen.

hargo

Alles in mir sagt, die Verrundungen an der Spitze repräsentativer Stücke entstehen durch Bestoßen.
Auch wenn das Feuerreißen sicherlich funktioniert.

Bin gespannt.

mfg

Danske

Moin Neos,

ein feiner Dolch, das sind Meisterwerke der Steinschlagkunst :super: Danke für's Zeigen :Danke2:

@all:
Das Stück ist ja voll funktionsfähig und es ist für mich auch kaum nachvollziehbar, dass sein Besitzer es in diesem Zustand zum Feuerziehen/ Feuerschlagen benutzt haben soll. Da wird er wahrscheinlich eher auf Fragmente von Dolchen oder Sicheln zurückgegriffen haben, um sein gutes Stück nicht zu beschädigen. Allerdings zeigt die Abbildung Nr. 250 bei PVP einen weitgehend intakten Dolch mit einer Verrundung am Griffende durch den Gebrauch als Feuerziehschlagstein. Selbst bei Vorhandensein von Bronzedolchen wäre mir dieses Teil zu schade gewesen zum Feuermachen.

Die Altvorderen haben aber in erster Linie praktisch gedacht. Ich kann mir vorstellen, dass bei einer Schäftung, die das Ende des Dolchgriffs freigelassen hat, dieses auch zum Feuermachen benutzt worden ist, wenn kein spezieller Feuerstein greifbar war. Nur Gedanken eines Laien.

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Neos

Moin, Holger,

Zitat von: Danske in 06. September 2019, 15:03:29
ein feiner Dolch, das sind Meisterwerke der Steinschlagkunst :super: Danke für's Zeigen :Danke2:

sehr gerne! Ich dachte mir, dass er ganz gut zum aktuellen Thema "Feuerreißen" passt.

Zitat von: Danske in 06. September 2019, 15:03:29
Die Altvorderen haben aber in erster Linie praktisch gedacht. Ich kann mir vorstellen, dass bei einer Schäftung, die das Ende des Dolchgriffs freigelassen hat, dieses auch zum Feuermachen benutzt worden ist, wenn kein spezieller Feuerstein greifbar war.

Genau derselbe Gedanke kam mir auch. An der Stelle stellt sich dann die Frage, ob man eventuell schon Dolche mit einer solchen Schäftung ausgegraben hat. Vielleicht gibt es ja jemanden unter uns, der hier Licht ins Dunkel bringen kann?

Viele Grüße

Frank

hargo

Zitat von: Danske in 06. September 2019, 15:03:29

...
Die Altvorderen haben aber in erster Linie praktisch gedacht. Ich kann mir vorstellen, dass bei einer Schäftung, die das Ende des Dolchgriffs freigelassen hat, dieses auch zum Feuermachen benutzt worden ist, wenn kein spezieller Feuerstein greifbar war. Nur Gedanken eines Laien.

...

Ist reine Fantasie!

Andererseits weiß man, dass in einem wackeligen Schaft, mit der Zeit, Verrundungen auftreten können.

mfg

Neos

#18
Moin, hargo,

Zitat von: hargo in 07. September 2019, 00:01:35
Ist reine Fantasie!

richtig! Aber deswegen unmöglich? Und wären wir - ohne Phantasie - da, wo wir heute sind?

Um es einmal ganz deutlich zu sagen:

Ich beharre keinesfalls darauf, dass die Verrundung an dem Dolch durch Feuerreißen entstanden ist. Ich (und nicht nur ich allein) halte es lediglich für sehr wahrscheinlich. Und natürlich sind die Ausführungen von paleo1 hinsichtlich der Schäftung nachvollziehbar und würden - bei einer "gängigen" Schäftung - die Zweitfunktion des Dolches als Feuerreißer ausschließen. Aber muss man immer vom Normalfall, vom Üblichen, ausgehen? Was Holger schreibt hinsichtlich des praktischen Denkens (und Handelns) der damals lebenden Menschen ist doch richtig. Wir finden doch immer wieder genau solche Artefakte mit dem "Aha"-Effekt.

Beste Grüße

Frank

Fischkopp

Guten Tag in die Runde,

für mich ist der Dolch ganz klar auch eine Rohstoffquelle für
den Träger gewesen die man in der Not sicherlich zu nutzen wusste.
Ötzie musste ja auch unter widrigen Bedingungen sein Leben lassen
und hätte wohl nicht lange gefackelt seinen Dolch auch unkonventionell
einzusetzen. Ein spannendes Teil und Ästhetik pur.

LG Fischkopp

palaeo1

#20
---

hargo

#21
Zitat von: Neos in 07. September 2019, 07:52:50
.. Aber muss man immer vom Normalfall, vom Üblichen, ausgehen? Was Holger schreibt hinsichtlich des praktischen Denkens (und Handelns) der damals lebenden Menschen ist doch richtig. Wir finden doch immer wieder genau solche Artefakte mit dem "Aha"-Effekt.
...

Der hier beschriebene "Aha" Effekt ist für mich ein Resultat unserer völligen Entfremdung von der Natur.
Würde ich kritisch betrachten.

mfg

Danske

Hallo zusammen,

wissenschaftlich betrachtet haben palaeo1 und hargo auf jeden Fall Recht. Man sollte mit Vermutungen hinsichtlich des Gebrauchs von Werkzeugen in der prähistorischen Zeit sehr vorsichtig sein. Es fehlen schriftliche Überlieferungen.

Problematisch ist, Lösungsansätze aus heutiger Sicht auf die damalige Zeit zu übertragen. Zum Beispiel sind sichere Fassungen von Scheibenbeilen bis heute nicht bekannt. Aufgrund von Gebrauchssuren an den Klingen geht man davon aus, dass sie quer und wahrscheinlich ähnlich wie Kernbeile geschäftet waren. Aber wissen wir's genau?
Ich kann von mir aus heute sagen: Wenn ich in der Steinzeit gelebt hätte und ein Feuer hätte entzünden müssen, hätte ich in Ermangelung einer Klinge auch meinen guten Dolch benutzt, bevor ich gefroren oder nichts zu essen gehabt hätte. Aber ob der Steinzeitler auch so gedacht hat, kann ich aus heutiger Sicht nicht sagen.

Steinzeit heißt demnach: Da ist einiges, was wir wissen, vieles, was wir nicht wissen und sehr vieles, über das wir nur spekulieren können. Da fällt mir wieder Harm Paulsen ein, der die Steinzeit mit einer dunklen Turnhalle und unser Wissen über die Steinzeit mit dem Schein eines Teelichts in der Dunkelheit verglichen hat.

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

thovalo

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Steinkopf

#24
Nabend Leute,

Hier stellt Neos einen Dolch mit auffälliger Verrundung am Griff vor.

Ob es sich dabei um Spuren vom Funken und Feuermachen handelt wird diskutiert.

Bei diesem Fund aus dem Norden kann man bei Peter Vang Petersen nachsehen.

In seiner Typologie FLINT ... stellt er fünf verschiedene Typen (Klinge/Kern/Dolch/Miniaturdolch) vor.
    Alle haben eine Gemeinsamkeit: sie sind am Ende glatt verrundet.
    Seine Worte: "..naer spitsen en karakteristisk butslidnung". (S. 140)
    Mutig übersetzt: ...an der Spitze  charakteristisch (a....glatt)  poliert. 
    Das dänische 'but' wurde von den Nordmännern nach England exportiert, wo wir es als 'butt' wiederfinden.
    Die deutsche Übersetzung (von butt) bezeichnet ein deutlich verrundetes, prominentes Körperteil.
   
    Eigentlich ein Merkmal bei den 'ildsten' - wie auch immer sie in diesem Forum neuerdings benannt werden.

Ausdrücklich werden auch Miniaturdolche erwähnt, die üblicherweise bis 13 cm lang sind (Nr. 250 Miniaturdolke).
Sogar bei Typ V und VI Dolchen sind solche Gebrauchsspuren am Griff bekannt (Dolke som ildsten, S. 140)

Erwähnt wird ein Fund vom 'Hvidegards'-Grab, bei dem das Dolch-Blatt in Leder  eingenäht war - Abbildung 251
(S.140 unten links und oben rechts).
251 frei übersetzt: "Miniaturdolche sind verbreitet in Gräbern der älteren Bronzezeit zu finden, zusammen
mit Schwefelkies und anderen Feuer(mach)Zubehör in Ledertaschen, die Männer im Gürtel trugen."

LG

Jan


Nanoflitter

Am Rande erwähnt sind solche einfachen Dolche in relativ kurzer Zeit herzustellen und sicher kein schonenswertes Relikt, ein einfaches Taschenmesser muss auch mal als Schraubenzieher oder Flaschenöffner herhalten. Gruss..

Neos

Moin, zusammen,

paleo1 hat mich durch diesen Beitrag daran erinnert, dass ich abschließend noch etwas zum aktuellen Thread schreiben wollte:

Auf dem Tag der Archäologie in SH letztes Jahr hatte ich auch den hier vorgestellten Dolch mit. Als ihn sich ein Archäologe aus Dänemark anschaute meinte dieser, dass der Dolch zweifelsfrei (und ohne einen vorherigen Hinweis meinerseits) auch als Feuerreißer verwendet worden sei. Auf die Schäftung angesprochen erzählte er, dass er selbst in Dänemark einmal einen Dolch ausgegraben hatte, der lediglich mit Leder umwickelt war und dessen Ende frei lag. Auch dieser wurde als Feuerreißer verwendet.  :smoke:

Viele Grüße

Frank