Lesefund in Kiesgrube

Begonnen von palaeo1, 18. Januar 2015, 18:50:47

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

palaeo1

Vor kurzem habe ich eine Kiesgrubenerweiterung archäologisch begleiten müssen, bei der zahlreiche Befunde zu Tage kamen. Nach Feierabend bin ich noch einmal zu den Überkornhalden gegangen und habe einen wunderbaren Levallois-Kern entdeckt, der dem älteren Paläolithikum zuzurechnen ist. Die starken Beschädigungen an den Graten zeugen von einem intensiven Transport des Stückes.

LG Klaus

insurgent

Meine Bodenfunde werden gemeldet

Kelten111

Möchte wetten das es keiner ist
Mfg

palaeo1

Um wieviel wollen wir wetten ?
Ein 50 l Fass Bier ?

Gruß
Klaus

Nanoflitter

Zitat von: palaeo1 in 19. Januar 2015, 13:22:07
Um wieviel wollen wir wetten ?
Ein 50 l Fass Bier ?

Gruß
Klaus

Schön, das du gleich mit für dein Grabungsteam sorgst... :-)  :prost:

palaeo1

Jau, genauso habe ich mir das gedacht, günstiger kommt man nicht an so ein Fass ran, das wird ein toller Grabungsabschluss . :smoke:

Kelten111

Anhand von dem einen Foto von einen levallois -kern zu sprechen , noch dazu als lesefund in einer Kiesgrube .
Kann ich nich mehr Bilder haben ?

cylu11

Ich schreibe hier leider mangels eigener Funde selten, aber von meiner spontanen Reaktion "nie und nimmer" hält mich nur Ihre hier immer wieder sichtbare erstklassige fachliche Expertise ab, palaeo1. Levallois-Kerne variieren stark und dieser ist ordentlich verrollt, aber fehlt nicht trotz allem der Eindruck systematischer Vorbereitung? Selbst die "Abschläge" sehen etwas schüsselig aus - oder liegt das am Foto? Wie flach ist das Stück, wie steil die Flanken (leider nur 1 Foto, das macht es schwer)? Wo könnte man hier erfolgte oder geplante Zielabschläge sehen - wo sind die Grate oder Reste davon, denen ein Zielabschlag gefolgt wäre? Würden Sie da zwei Zielabschläge von rechts sehen, in Ihrem Bild, einer oben und einer unten? Es wäre toll, da hilf- und lehrreich, wenn Sie, falls Sie Zeit und Laune dafür hätten, für weniger Versierte wie mich beschreiben könnten, wo Sie die Merkmale für einen Levallois-Kern sehen, bevor wir zur Frage von Wetten für das Team zurückkehren ... (ich genieße Ihre Erläuterungen in anderen threats immer sehr!) Viele Grüße!

palaeo1

#8
Es handelt sich bei dem Stück um einen Levallois-Abschlagkern des klassischen Typs. Die Unterseite ist unbearbeitet. Die Abschläge wurden umlaufend abgetrennt, wobei nur noch an einer Seite eine Schlagplattform erkennbar ist. Dieser umlaufende Abbau ist sytematisch. Der Kern ist ca. 10 x 9,5 x 6 cm groß. Es sind zwei Abbauphasen zu erkennen. Es ist ein Artefakt, dass aus den Kiesen der Saaleeiszeit geborgen wurde. Diese starken Kantenverrundungen sind da signifikant. Es gibt im Bereich der Flüsse Weser und Leine tausende solcher Artefakte, vom Fauskeil bis zum Keilmesser. Das weichselzeitliche Artefaktmaterial, dass im niedersächsischen Tiefland nicht mehr transportiert wurde, ist dagegen kantenscharf. Ich werde morgen noch mal Detailfotos bringen

Gruß
Klaus

Kelten111

Dann her mit den entscheidenden Bildern bitte .
Mfg

palaeo1

Nachtrag !
Die ockergelbe Färbung resultiert aus einer ursprünglichen Lagerung des Artefaktes in einem organogenen Sediment.

palaeo1

So, hier die Detailfotos der einzelnen Negative.

Furchenhäschen

Hallo Klaus,
nach einigen Überlegungen, hin und her, für und wider komme ich zu dem Schluss, dass die genannten Merkmale nicht sehr eindeutig rüberkommen und m. E. nicht ausreichen.
Kritischer als sonst bzw. normal sollte das Stück ohnehin betrachtet werden da es aus dem Kiesabbau stammt. (Das ist Dir aber ohnehin bekannt)
In meiner Suchgegend, Donaugegend-Jura gibt es auf den Feldern ähnliche, zum verwechseln echt aussehende Stücke zu finden, siehe auch die Funde von Pre-art.
Allerdings muss ich Dir dahingehend zustimmen, dass ich das Stück auch aufgenommen hätte, wenngleich meine Ansprache selbstkritischer ausgefallen wäre.

Hier noch ein Beispiel für einen Lev.- Kern
http://www.archaeologie.bl.ch/Pages/Funde/Bilder/K_M_01.html

Grüße
Peter

palaeo1

#13
Peter,
wenn man ein Negativ einzeln betrachtet, kann es durchaus auch einmal auf natürlichem Wege entstanden sein. Die Anordnung der Negative und die Abfolge der Abschläge machen es eindeutig, da gibt es keinerlei Zweifel. Das euer Rohmaterial andere Ausprägungen zeigen kann, als unser nordischer Flint kommt da bei der Erkennung vielleicht erschwerend hinzu.
Ich hab hier noch einmal den Abbau demonstriert, die gestrichelten Negative zeigen die vorherige Abbauphase.


Gruß
Klaus

Furchenhäschen

#14
Hallo Klaus,
vielen Dank für das nachgereichte Foto!
Das neue Foto liefert einen sehr guten und deutlichen 3D Eindruck, es macht Deine Ansprache von dem Stück erklärbar, ich kann Dir jetzt folgen.  :super:

(Da sieht man, wie wichtig aussagekräftige Fotos sind, vergleiche Bild 1 aus dem Eingangsthread mit diesem aktuellen Foto)
Trotzdem stehe ich Artefakten aus dem Kiesabbau sehr kritisch gegenüber, gleichwohl ist Dein Kern jetzt wohl verständlicher.
Die Kiesgrubenallergie bleibt allerdings bestehen.

Allerdings gibt es bei uns im Süden, Stücke, mit Frostausbrüchen, Verrundungen und Bestossungen diesem Stück in nichts nachstehen und einem Lev.-Kern zum verwechseln ähnlich sehen.

Dann taucht auch schon die nächste Frage auf,
-wie groß ist das Stück?
-taugten die produzierten Lev.-Abschläge zur Weiterverarbeitung?

Grüße
Peter

palaeo1

#15
Peter,
die Größe hatte ich oben schon mal genannt. Der Kern ist ca. 10 x 9,5 x 6 cm groß. Bei uns im Norden stammen 95 % der paläolithischen Artefakte aus Kiesgruben. Gerade im Raum Hannover und Nienburg sind mehrere Hundert Werkzeuge gefunden worden, die Abschläge sind unzählig. Darunter sind klasse Faustkeile z.T. weiß durchpatiniert. Ich werde noch mal ein paar Fotos raussuchen. Im Moment laufen umpfangreiche Forschungen zu den Kiesgrubenfunden, insbesondere auch weil zahlreiche Fragmente von Schädelknochen des Neanderthalers gefunden wurden.

Gruß
Klaus

Kelten111

Der Faustkeil ist schön , aber ein Levallois-kern wurde entrindet und seitlich präpariert und dann ein Zielabschlag über die gesammte Fläche abgetrennt !
Dann gilt es noch eine Richtlinie ,dass der Zielabschlag mind. über die Hälfte durchgegangen sein muss um als solcher Eindeutig zu zählen .
Sehe ich da nicht !

Mfg

Furchenhäschen

#17
Lieber Klaus,
In der alten aber immer noch sehr trefflichen Artefaktmorphologie von Hahn findet sich der Levalloiskern und seine Varianten gut beschrieben!
Passt dieser Text denn bei genauer Betrachtung wirklich?

wenn ich an dieser Stelle den Hahn zitieren darf !
Zitat Hahn:

4.3.4 Levallois-Technik
Diese besondere Technik ist nach dem Pariser Vorort Levallois an der Seine benannt, wo diese spezielle Herstellung für Grundformen gegen Ende des letzten Jahrhunderts
festgestellt wurde. Es handelt. sich dabei um sorgfaltig präparierte Kerne, die zur Produktion besonderer Grundformen, z.B. von Abschlägen, dienten. Nach BORDES (1980,45) ist ein Levalloisabschlag wie folgt definiert: Ein Levalloisabschlag ist ein Abschlag, dessen Form durch eine sorgfaltige Präparation des Kernes vor dessen Abschlagen vorbestimmt ist. Diese Definition ist relativ weit gefaßt, so daß recht viele Grundformen, die von den verschiedensten präparierten Kernen stammen, hierunter fallen würden. Wichtig ist, daß die Oberseite des Kernes eine konvexe aufgewölbte Abbaufläche aufweist, die durch umlaufende Negative erzeugt wurde. An einer Seite des Kernes wird eine Schlagfläche angelegt. Der abgetrennte Abschlag folgt dem Kernumriß und den radial zusammenlaufenden Graten. Der Herstellungsprozeß ist in einzelne Stufen und Schritte von BRADLEY (1977) eingeteilt worden:
Knolle Stufe I Stufe II Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Verwerfen < --
Kantenpräparation
Oberflächenzurichtung Schlagflächenpräparation Abschlagen einer standardisierten Grundform
Stufe II nächste Herstellung Schritt 1 usw.
Der Kern ist erschöpft, wenn ein kritischer Längenwert < 6cm erreicht wird. Die Stufe II wird solange wiederholt, bis der kritische Wert von 6 cm Länge der Abbaufläche unterschritten wird. In einem Schlagexperiment stellte BRADLEY 20 Levalloiskerne aus plattigem Rohmaterial von 4 cm Stärke und 15 cm Länge her. Im Mittel ergaben sich 4,35 Levalloisabschläge (Spannweite 3 bis 8) pro Kern, wobei im
Durchschnitt 102 andere Abschläge pro Kern abfielen. Die Levallois-Abschlagtechnik kann angewendet werden, um drei verschiedene Grundformen zu erzeugen (BORDES 1980, 45):

Zitat Hahn Ende:


Grüße
Peter

Edit um 15:20; Schrift farbig hinterlegt

Furchenhäschen

der vorgenannte Mittelwert, in diesem Fall 4 würde aber sogar hinkommen!

:winke:

palaeo1

Es sind alle genannten Merkmale vorhanden: die konvexe Oberseite, der umlaufende Abbau, eine einseitig präparierte Schlagfläche ! Wer den Hahn weiter liest stellt fest, dass es verschiedene Typen von Levallois-Kernen gibt.
Hier bitte Typ D ansehen. Bei diesem Typ kann, muss aber die Unterseite nicht präpariert sein.
Danke !
Gruß
Klaus

Furchenhäschen

Hallo,
so, dann hier zum nachlesen,
Zitat Hahn:

d) Levallois-Spitzenkem
Dieser Kern kann, muß aber auf der Unterseite nicht präpariert sein. Auf der Oberseite wird ein Leitgrat durch Abtrennen von zwei länglichen Abschlägen oder Klingen geschaffen.
Das kann von der späteren Schlagfläche oder vom distalen Kernende aus geschehen. Als erstes wird ein kurzer Abschlag entfernt, der dem Gratmuster der Oberseite eine Art umgekehrte Y -Form gibt. Diese sorgt dafür, daß die Spitze an der Basis auseinandergespreizt wird und somit die typische breitdreieckige Spitzenform erhält. Levalloisspitzen können auch zufallig von anderen Kernformen stammen, vor allem von prismatischen und konischen Klingenkemen.

Zitat Ende:

Ja das trifft zu 100% zu.

In Bayern kann dies manchmal etwas schwierig sein, Frostausbrüche (deren Erscheinungsbild manchmal sehr ähneln) usw. erschweren die eindeutige Ansprache solcher Kerne als Lesefundstück aufgelesen bisweilen.
Grüße
Peter

cylu11


palaeo1,

ich mochte mich ganz herzlich noch für die rasche Antwort und die Erklärungen bedanken und für die Mühe mit den zusätzlichen Fotos! Es freut mich, dass sich daraus eine ganz interessante Diskussion ergeben hat. Wer vor allem bei "jünger als MP" zuhause ist, ist mit Levallois vielleicht nicht so intensiv vertraut, so konnten wir es nochmals ein wenig auffrischen.

Als ich die Erklärung las, leuchtete es mir dann auch schon mehr ein, dass dies ein L-Kern sein könnte, noch bevor das Foto mit den Pfeilen des Abbaus dann kam, welches es dann nochmals erhellte. Danke dafür! Ich muss gestehen, eine gewisse Restskepsis bleibt bei mir, auch wenn's jetzt nachvollziehbar ist und tedenziell sogar überzeugend - ich kann mir gut vorstellen, dass die Restskepsis anhand des Originalsstücks weg wäre.

Anbei rein für die Schönheit und zur Ergänzung nochmal sechs Levallois-Kerne etwa dieser Größe (entschuldigt das nicht optimale Foto) als weitere Beispiele. Der oben rechts ist "bipolar" abgebaut worden für eher klingenartige Levallois-Abschläge. Der große Kern unten links stammt aus einer kommerziell abgebauten Sandgrube.

Herzliche Grüße!

palaeo1

Es ist vollkommen richtig, eine letztendliche Beurteilung geht nur über das Original. So sind auch alleinige Fotos in wissenschaftlichen Publikationen kein Mittel zur Darstellung der Merkmale !

Gruß

Kelten111

Hallo .
Bei mir sind auch noch erhebliche Zweifel.
Wo bitte sind die Zielabschläge ?
Also die mit denen wo Werkzeuge hergestellt wurden .
Sehe da nur kleine willkürliche Abschläge .
Mfg Fredi

whitecrow68

Ich muss gestehen, das ich von dieser Materie nicht die geringste Ahnung habe, und doch lese ich hier mit grossem Interesse mit. Mir drängt sich nun, aufgrund dieser kontroversen Diskussion, folgende Frage auf Was, wenn hier nur geübt wurde. Meisterhaftigkeit erreicht man nur durch ständige Widerholung. Eventuell war dieses nur ein Übungsobjekt.... Nur ein Gedankengang...

LG,

Tom
Geologie ist die Lehre von Zeit und Druck.
Garrett ATX Minelab e-Trac

palaeo1

#25
@ Kelten111
Dies ist ein Kern, der planmäßig abgebaut wurde, da ist nichts willkürlich passiert. Es gibt im Paläolithikum zahlreiche Kerne, die opportunistisch abgebaut wurden. Dieser zählt definitiv nicht dazu. Dieser Kern ist ein Restkern, an dem man die gewollten Abschläge nicht mehr erreichen konnte. Ebenso lassen sich die ehemaligen Zielabschläge auch nicht mehr erkennen.
Sorry, ich bin seid 35 Jahren in der Steinzeitforschung tätig, habe jahrelang paläolithische Fundstellen ausgegraben und ausgewertet. Du kannst meinen Worten Glauben schenken !  --- oder auch nicht!

Gut, dann sage mir doch einmal, wie Du das Objekt ansprechen würdest und begründe es ausführlich und sachlich !

Gruß
Klaus

Kelten111

Habe nicht gesagt es sein kein Kern ( mitlerweile glaube ich auch an einen ) !
Nur mit den Levallois habe ich bedenken  :zwinker:
Wen es so ist dann glaube ich dir , du hast das Stück in Händen und bist damit 100mal in einer besseren Beurteilungssituation .
Mfg  :winke: :winke: :winke: :winke:

Furchenhäschen

@cylu11  :winke:
vielen Dank für die gezeigten Beispiel- Kerne!

Hier, in diesem Thread hatten wir das Thema MP-Kerne auch schon mal leicht angekratzt.
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,50356.msg310782.html#msg310782

Grüße
Peter

Furchenhäschen

Hallo Klaus,

ich habe das Eingangs gezeigte Stück immer und immer wieder betrachtet und ein für und wider abgewogen!
Ich bin jetzt doch ziemlich sicher, dass es sich um keinen "echten" Levalloisekern handelt.
Einige der Schwachstellen, die auf natürliche Bestoßungen hinweisen habe ich rot gepfeilt.
Die vermeintlich gesetzten Schlagpunkte wirken großteils nicht zielgerichtet und können m.E.  ebenso gut im Kies entstanden sein.
Auch die Grate passen irgendwie nicht so recht in das Schema, letztendlich spielen auch meine gefühlten Erfahrungswerte (reichlich unwissenschaftlich) mit hinein.

Grüße
Peter

palaeo1

#29
Hallo Peter,
bei dem Stück liegen absolut keine natürlichen Abschlagnegative vor! Definitiv nicht ! Lediglich die Verrundungen der Grate und Kanten sind im Zuge der Verfrachtung des Objektes erfolgt.
Bitte, ich bin zu sehr in der Materie vertieft, als dass ich nicht natürliche von intentionellen Merkmalen unterscheiden kann. Hier ist nichts, was dem entgegen spricht. Zudem müssten dann jüngere, durch den Transport entstandene Beschädigungen, eine andere Patinierung aufweisen. Die vorhandene Patinierung resultiert aus der Lagerung in einem organogenen Sediment, eine jüngere Beschädigung kann aber nicht in einem solchen Sediment erfolgt sein und müsste dementsprechend andere Merkmale Aufzeigen.