interessanter Daumennagelkratzer

Begonnen von RockandRole, 06. Januar 2021, 13:58:33

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RockandRole

Hallo Leute,

hier noch ein Artefakt von der letzten Begehung unserer Projektfläche. Dieser Teil der FS ist mit Flugsand bedeckt, da kann man dann schon mal Mittelpaläolithikum ausschließen, es handelt sich also nicht um einen Groszak-Kratzer.

Trotzdem weißt der Kleine einige ungewöhnliche typologische Besonderheiten auf. Erst mal ist die Grundform abgestuft. Wäre das nur eine klassische Kratzerkappe, würde ich vielleicht einen Angelbruch nicht ausschließen wollen. Hier ist das Erscheinungsbild wohl einer nicht durchgelaufenen Grundform, welche davor abgebaut wurde, geschuldet.

Dann ist der Rand dieser Abstufung retuschiert. Handelt sich dann also um formgebende Retuschen? Das wirft dann wieder die Frage auf, ob das Teil dann überhaupt verwendet wurde. Oder war der dünnere Teil des Artefakts sogar vorteilhaft. Sieht schon nach Gebrauchsspuren aus.

Weiterhin wechselt die Retusche sogar einmal von Dorsal nach Ventral. Konnte man hier nicht von Dorsal retuschieren und wollte/brauchte man unbedingt diese runde Form?

liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Steinkopf

Sind soo kleine Hände...

fein gearbeitete Kratzer-Kanten.

LG

Jan

thovalo

#2

Guten Abend Daniel!  :winke:


Ein ganz typischer kleiner Kratzer und auch die umlaufende feine Retuschen bildet da keine Ausnahme.
Ein allerdings sehr ausgeprägt umlaufend retuschiertes Belegexemplar mit partieller Wechselretusche..

Geil ist tatsächlich das Negativ auf der Ventralseite. Das ist das Teilstück eines Schlagunfalls.
Es handelt sich um den distalen Teilbeleg einer "fracture en nacelle".

Klassisch ist eine komplette "fracture en nacelle" aus der das "segment en nacelle" ausgebrochen ist.

Der kleine Kratzer wurde aus dem Teilstück einer gebrochenen "fracture ennacelle" gefertigt die vielleicht auch schon im Verlauf der Entstehung  in zwei Teile zerbbrochen war.

Der kleine Katzer wurde dem zufolge aus dem Teilstück (Distalpartie) eines Schlagunfalls gearbeitet, der Beleg einer sehr rationalen Materialnutzung.
Auf meiner Projektfläche am Rhein fanden sich hunderte dieser kleinen Kratzerformen und datieren dort in der Masse in das späte Neolithikum.

Ich hatte sogar ein nahes Vergleichsstück, auch mit dieser Stufung, doch die Sammlungen sind nun alle im Besitz des Landesmuseums, sodass ich nicht mehr darüber verfügen kann.

Die kleinen Kratzer sind typischer Bestandteil eines solchen Inventars in Kombination mit Pfeilschneiden, "ausgesplitterten Stücken", wenig genormten Beilklingen aus Feuer- und Felsgestein vergesellschaftet mit "ad-hoc-Gerätschaften".


lG Thomas  :winke:


Ich hab noch Fotos einer solchen fehlgeschlagenen Form in einer welligen Variante gefunden ......
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

hargo

Zitat von: RockandRole in 06. Januar 2021, 13:58:33
...es handelt sich also nicht um einen Groszak-Kratzer....

Bestätigt.

mfg

RockandRole

Hallo Leute,

ja, Thomas hat es mit seiner Erklärung auf den Punkt gebracht. Richtig toll erklärt, Danke mein Freund. (ich schwöre dir, irgenwann bekomme ich dich an die Strippe  :-) ) meine Erklärung kann man dann getroßt in die Tonne kloppen.

Neolithikum haben wir dort auch schon vereinzelt mit Dechseln und Beil nachweisen können. Vorgeschichtliche Scherben habe ich aber in bestimmt schon 100 Stunden Prospektionszeit nur 2 oder 3. Muss aber ja erstmal nicht viel bedeuten. Ein bisschen was von dem Silex Material sollte auch neolithisch sein. Das wird man ja bald vom Fachman aufgedröselt bekommen  :winke:

liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen