Artefakt retuschiert

Begonnen von feldspat, 12. Januar 2019, 15:24:30

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feldspat

Servus,
dieses Stück fand ich auf einem bandkeramischen Acker der schwäb. Ostalb,
Die Retuschen scheinen mir intentionell zu sein. Für was könnte man dieses Werkzeug, falls es eines ist, genutzt haben? Ebenfalls zur Knochen oder Holzbearbeitung? Wie könnte man dieses Artefakt am ehesten bezeichnen?
Beste Grüße
Christian

Wiesenläufer

Moin Christian,

wenn es durch die Nutzung so "ausgefranst" ist, dann würde ich ein bisschen in die Richtung "Buchtschaber" gehen.

Gruß
Gabi
Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

feldspat

Servus Gabi,
hab vielen Dank für deine Antwort. Ein Buchtschaber wäre natürlich prima.
Beste Grüße
Christian

hargo

Servus,

schlage vor, erstmal die Grundform zu klären.
Was glaubst du, könnte es sein?

mfg

feldspat

Mhhh...keine Ahnung welche Grundform es sein soll. Eigentlich ist es nur ein großer Abschlag mit halt kleinen Retuschen.
Beste Grüße
Christian

palaeo1

#5
Zitat von: feldspat in 12. Januar 2019, 21:10:08
Mhhh...keine Ahnung welche Grundform es sein soll. Eigentlich ist es nur ein großer Abschlag mit halt kleinen Retuschen.
Beste Grüße Christian
Keine Panik !
Auf erster Ebene gibt es im Grunde genommen nur 5 Grundformen:
Kern, Abschlag, Klinge, Trümmer und Frostscherbe.
In zweiter Ebene dann Absplisse als Untergruppe der Abschläge und Lamellen als Definition schmaler Klingen. Bei den Trümmern kann man entscheiden, ob sie durch Schlag oder thermischen Einfluss entstanden sind usw.
In diesem Fall ein Abschlag.
Gruß
palaeo1

hargo

Also ein Abschlag. In diesem Fall wäre es für den weniger erfahrenen Betrachter von Vorteil, einen Schlagflächenrest (SFR) fotografisch zu dokumentieren.

mfg

hargo

Kommen wir nun zu den vermeintlichen Retuschen.
Greifen sie ineinander über, oder sind sie eher durch den Gebrauch entstanden?

mfg

StoneMan

Zitat von: hargo in 13. Januar 2019, 00:07:02
Also ein Abschlag. In diesem Fall wäre es für den weniger erfahrenen Betrachter von Vorteil, einen Schlagflächenrest (SFR) fotografisch zu dokumentieren.

mfg
Moin,

der weniger erfahrene Sammler muss erst einmal einen Schlagflächenrest (SFR) erkennen.

Vielleicht schaut man bei IMG_9794 auf den SFR? Es sieht so aus, als ob dort ein Bulbus ist?
Die Schlagfläche bzw. der SFR könnte eine Altfläche sein?

Ein Erfahrener würde besser aus den Stück lesen können wenn er es vor Augen hat.

@ hargo, muss ein Abschlag zwingend einen SFR aufweisen?

Gruß

Jürgen

Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

RockandRole

Hallo ihr Nachteulen,

ich halte eine Retusche an dieser Stelle und der mutmaßlich steilen Kannte für wenig sinnvoll. Mit den rostspuren und den tiefen Zacken gehe ich eher von einem Rendezvous mit dem Pflug aus.
Einen Abschlag sehe ich auf aber auch  :glotz:

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Wiesenläufer

Moin,

eine Retusche mag an dieser Stelle vielleicht wenig sinnvoll sein aber ich stelle mir dann oft die Frage, würde ein Pflug/Egge usw. immer wieder nur den "gleichen" Bereich treffen, wenn er doch genug andere Aufschlagsflächen hat ?

Hat zwar nicht direkt was damit zu tun aber mir kommt was in den Sinn, was ich mal gehört habe: "Eine Bombe trifft nie den gleichen Krater". Selbst wenn sie immer wieder etwas daneben treffen würde, wäre es echt schon ein besonderer Zufall.  :schaem:

Gruß
Gabi
Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

hargo

Zitat von: StoneMan in 13. Januar 2019, 00:45:07

@ hargo, muss ein Abschlag zwingend einen SFR aufweisen?


Es wird alles als Abschlag gewertet, was den anderen, weiter oben aufgeführten, Grundformen nicht entspricht. Da kann der SFR auch mal fehlen.

mfg

palaeo1

#12
Jürgen hat es mit dem Bild perfekt dargestellt. Bei solchen Stücken mit eben solchen Retuschen handelt es sich um "ad hoc"-Werkzeuge. Es wurden Grundformen benutzt und gegebenenfalls retuschiert/nachretuschiert, um eine akute, bestimmte Funktion zu erfüllen, z.B. das Entrinden von Zweigen oder das Entfernen von Fleisch und Sehnen an Knochen. Belegen lässt sich die Tätigkeit wiederum nur mit Gebrauchsspurenanalysen. Leider werden in der Fachliteratur derartige Werkzeuge kaum abgebildet und behandelt. Gerade in jüngeren Phasen (spätes Neolithikum, Bronzezeit, Eisenzeit) stellen sie den Hauptanteil der Flintwerkzeuge, weg vom Idealtyp.
Gruß
palaeo1

palaeo1

Zitat von: hargo in 13. Januar 2019, 08:58:46. Da kann der SFR auch mal fehlen.
mfg

Wenn die Schlagfläche z.B. beim Schlag kollabiert ist kann auch mehr als nur die Schlagfläche fehlen.
LG palaeo1

feldspat

Besten Dank an alle :-D
Mit dem jüngeren Datum könnte auch passen, denn auf dem gleichen Acker wurde diese
Pfeilspitze gefunden.
Beste Grüße
Christian

Furchenhäschen

Zitat von: RockandRole in 13. Januar 2019, 01:27:26
Hallo ihr Nachteulen,

ich halte eine Retusche an dieser Stelle und der mutmaßlich steilen Kannte für wenig sinnvoll. Mit den rostspuren und den tiefen Zacken gehe ich eher von einem Rendezvous mit dem Pflug aus.
Einen Abschlag sehe ich auf aber auch  :glotz:

Liebe Grüße Daniel

Hallo miteinander,
der Ansprache von Daniel schließe ich mich weitestgehend an!
Abschlag ist klar und eindeutig aber die vermeintliche Retusche bzw. die Absplitterungen in der vermeintlichen Bucht halte ich für relativ neu
und sollte dem Zufall geschuldet sein. Pflug bzw. diverse Erdbewegungen dürften der Verursacher sein.

Grüße
Peter

palaeo1

Zitat von: Furchenhäschen in 13. Januar 2019, 11:32:20
aber die vermeintliche Retusche bzw. die Absplitterungen in der vermeintlichen Bucht halte ich für relativ neu
und sollte dem Zufall geschuldet sein. Pflug bzw. diverse Erdbewegungen dürften der Verursacher sein.

Peter,
negiert doch solche Stücke nicht immer ! Genau derartige Artefakte habe ich zu hunderten aus Siedlungsgruben der Trichterbecherkultur ausgegraben und da hat kein Metallpflug gewirkt.

Gruß
palaeo1

Furchenhäschen

Hallo,
ich schreibe nur zu einem Abschlag was ich sehe!

1. ich sehe einen Abschlag
2. der Abschlag hat keine typische Werkzeugform was aber nichts bedeuten muss.
3. ich sehe Absplitterungen aber keine angelegten Retuschen, was auch nichts bedeuten muss
4. ich sehe leichte Rostspuren
5. im Bereich der Absplitterungen sieht der Stein frischer aus als auf den Restflächen
6. eine Gebrauchsspurenanalyse liegt nicht vor
Also bleibt das Stück ein Abschlag mit Absplitterungen.


Grüße
Peter

Steinkopf

Hallo,

Für den Sammler, der ja nur die Oberfläche scannt sind solche Erfahrungen wie von Paläo:

    (Zitat)
    "Genau derartige Artefakte habe ich zu hunderten aus Siedlungsgruben der Trichterbecherkultur
     ausgegraben und da hat kein Metallpflug gewirkt."

enorm wichtig!

Es wird oft viel zu sehr herumgekrampft, ob ein Fundstück genau der Typologie entspricht.


Danke für diesen Hinweis!

LG

Jan

Furchenhäschen

Hallo,
es geht hier noch nicht einmal um Typologie!

Man muss lediglich diesen aufgelesenen Abschlag, der über Jahre evtl. mehrere Jahrzehnte jegliche Erdbewegungen durch die Landwirtschaft miterleben durfte objektiv und unvoreingenommen betrachten und dann unter Einbeziehung jeglicher möglicher Umstände das Fundstück analysieren.

Dieser Umstand erfordert meiner Ansicht nach einen etwas kritischeren Umgang als wenn ich das Stück aus einer unbefleckten Grube ergraben würde.
Unterschiedliche Meinungen und Denkansätze dürfen doch an dieser Stelle erlaubt sein!

Grüße
Peter

palaeo1

#20
Zitat von: Furchenhäschen in 13. Januar 2019, 11:32:20
aber die vermeintliche Retusche bzw. die Absplitterungen in der vermeintlichen Bucht halte ich für relativ neu
und sollte dem Zufall geschuldet sein. Pflug bzw. diverse Erdbewegungen dürften der Verursacher sein.

Sorry Peter,
ich erinnere Dich an Dein Zitat oben. Genau diese negative Grundeinstellung solchen Stücken gegenüber ruft ein vollkommen falsches Bild in der Analyse von Artefakten bei Oberflächeninventaren hervor. Sicherlich muss eine genaue Untersuchung eines jeden einzelnen Artefaktes erfolgen, um sichergehen zu können. Ich gehe hier den Weg: Erstmal ist es ein Gerät (auch wenn es nur Gebrauchsretuschen aufweist und keine intentionellen), solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Wir können nicht alles erst einmal in die Tonne treten, weil dann bekommen wir genau das Bild, was wir hier jetzt noch vom Gerätebestand haben, das aber nicht den tatächlichen Inventaren aus Grabungsergebnissen entspricht. Bei dem abgebildeten Artefakt sehe ich keine eindeutigen Merkmale, die auf rezente Beschädigungen hindeuten. Wenn der Finder einverstanden ist, bin ich gerne bereit, das Stück zu untersuchen.
Gruß
palaeo1

feldspat

Servus palaeo,
ich kann dir gern das Stück mal zukommen lassen, wenn du es dir anschauen magst :-)
Evtl. könnte ich dir gleich noch andere zum Anschauen mitschicken, bei denen ich mir nicht sicher bin? :dumdidum:
Beste Grüße
Christian

palaeo1


StoneMan

Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Danske

Zitat von: Furchenhäschen in 13. Januar 2019, 12:06:50
Hallo,
ich schreibe nur zu einem Abschlag was ich sehe!

1. ich sehe einen Abschlag
2. der Abschlag hat keine typische Werkzeugform was aber nichts bedeuten muss.
3. ich sehe Absplitterungen aber keine angelegten Retuschen, was auch nichts bedeuten muss
4. ich sehe leichte Rostspuren
5. im Bereich der Absplitterungen sieht der Stein frischer aus als auf den Restflächen
6. eine Gebrauchsspurenanalyse liegt nicht vor
Also bleibt das Stück ein Abschlag mit Absplitterungen.


Grüße
Peter


Hallo zusammen,

der Aussage, dass der Stein im bereich der "Absplitterungen" frischer aussieht, kann ich mich nicht anschließen. Der Stein scheint ursprünglich recht hell gewesen zu sein, einige wenige Stellen sind zu erkennen, und ist dann dunkel patiniert. Und gerade im Bereich der "Absplitterungen" ist er dunkel.

Ich halte das Stück für einen Abschlag mit einer zum Gebrauch ausreichenden Bedarfsretusche. Zu welchem Zweck er gebraucht wurde, wäre tatsächlich nur mittels einer Gebrauchsspurenanalyse zu klären.
Ich finde es gut, dass palaeo1 sich der Sache annimmt und das Stück begutachten will. Die Vorteile der persönlichen Befassung am Original habe ich gestern erst wieder erlebt.

Liebe Grüße
Holger 
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Kelten111

Hallo  :winke:

Ich sehe es wie Peter und Daniel  :glotz:
Sehe einen Abschlag der aus gestörten Schichten (durch Pflug und Erdbewegungen ) aufgesammelt worden ist !
Was ich auch sehe sind die farblichen Unterschiede in der vermeintlichen Retusche  :glotz:
Der Stein Scheint dunkler gewesen zu sein , doch durch die Witterungseinflüsse ect. ( Patina ) etwas heller geworden .
Genau in der Mittleren Teil der Retusche erkennt man die ursprüngliche Farbe .
Ergo rezent .

Trotzdem weiter schauen , dass Thema Buchten haben wir schon oft durchgekaut und selbst ich habe einige Erfahrungen damit gesammelt .

Mfg Fredi :winke: :winke:

palaeo1

#26
Fredi,
es geht hier um die basalen Retuschen, nicht die flächigen Negative im  medialen distalen Bereich, welche wohl rezenten Ursprungs sind. Im distalen linken Bereich sind auch noch Retuschen zu erkennen, die ich mir im Original anschauen werde, da kann ich im Moment nichts zu sagen. Sorry, aber ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass die flächigen Negative gemeint sein konnten. weil, bis auf die zwei Übersichtsbilder am Anfang, alle anderen die Basiskante mit den Retuschen zeigen.
LG palaeo1

Kelten111

Hallo .

Diese sehe ich auch als rezent an , zu unregelmäßig und grob .
Solche Retuschen entstehen weder im Gebrauch ,und noch weniger gewollt angelegte Retuschen .
Mfg  :winke:

palaeo1

#28
Zitat von: Kelten111 in 13. Januar 2019, 18:10:24
Solche Retuschen entstehen weder im Gebrauch ,und noch weniger gewollt angelegte Retuschen.

Mit solchen Behauptungen wäre ich ganz vorsichtig. Hier mal ein Beispiel (leider schlechte Fotos aus den 90er Jahren, habe im Moment nichts Besseres zur Hand, aber zur Demonstration sollte es reichen). Ein Trümmer mit von der "Ventralseite" angebrachten Kerben. Von der "Dorsalseite" sieht es wie das hier vom User vorgestellte Artefakt aus. Die Gebrauchsspurenanalyse hat eindeutige Merkmale der intentionellen Nutzung ergeben. Danach liegt die Bearbeitung von Knochen/Sehnen vor. Das und zwanzig gleichartige Stücke kamen aus einer neolithischen Abfallgrube. Alle weisen Gebrauchsspuren auf und intentionelle Retuschen, die keine Regelmäßigkeit ergeben, wie man sie sich im klassischen Sinne vorstellt.
Kommt bitte weg von den Lehrbüchern "Floss" , "Hahn" und co. Die zeigen nur die Idealtypen und deren Modifikationen in den paläolitischen, mesolithischen und altneolithischen Bereichen und auch vollkommen angebracht. Ab dem Mittelneolithikum nordischer Therminologie aber dominieren atypische Werkzeugformen in den Flintinventaren, es ist eine "ad hoc" Industrie. Sorry, aber ich habe einige Millionen Artefakte aus Oberflächenfundplätzen und gegrabenen Siedlungen in der Hand gehabt und habe sie verglichen.
MfG

StoneMan

Moin,

mir fehlt die Erfahrung um zu behaupten ob, wie, was genau vorhanden ist. Zudem sehen wir nur Fotos.

Wenn ich mir das Foto 9793 genauer, vergrößert / geschärft, ansehe, "glaube" ich Retuschen/Gebrauchsretuschen(?) zu erkennen,
die zumindest nicht in einem einzigen Vorgang entstanden sind.

Vielleicht liege ich völlig daneben. Vielleicht hilft es ja.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry