Eine interessante Petschaft aus dem 16. Jhdt.

Begonnen von Bert, 30. Oktober 2013, 22:41:36

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Bert

Hallo Mitsucher,

ich bin vor kurzem über diese kleine Silberpetschaft gestolpert. Der Schildform (tartschenförmig) nach stammt das Teil aus der Zeit um 1600, abgebildet ist ein einfaches adliges Wappen. Auch das verwendete Material weist auf eine höhergestellte Person hin.

Durch einen Zufallstreffer hat sich das Wappen recht schnell als jenes der Familie Lengheim herausgestellt, einer alten österr. Adelsfamilie die besonders in der Südoststeiermark begütert war. Jetzt ergab sich nur ein Problem: Weder passen die Initialien BVK zu dem Nachnamen Lengheim, noch gab es in der Familie überhaupt männliche Vornamen die mit B beginnen.

Es gab jedoch eine Benigna von Lengheim, geb. 1550, gest. ~1620, die um 1576 als "verwitwete Benigna v. Kuenburg, geborene Lengheim" eine Heiratsabrede mit Otto v. Herberstorff einging. In 1. Ehe war sie verheiratet mit Kaspar v. Kuenburg, der 1570 starb. Aus der 2. Ehe mit Otto v. Herberstorff ging u.a. Adam v. Herberstorff hervor, der als General im 30jährigen Krieg und bei der Niederschlagung des oberösterr. Bauernaufstandes (Frankenburger Würfelspiel) eine ziemlich blutige Rolle spielte.

Zeitlich und von den Initialien würde sie perfekt passen. Auch das fehlen von Helm und Helmzier würde gut zu einem Frauensiegel passen. Aber kann es sein, dass verheiratete bzw. verwitwete Frauen den Namen des Mannes zusammen mit dem Wappen des Vaters führten?

Ja, das gab es und war durchaus üblich im niederen Adel (vielen Dank an Simplicus vom Heraldikforum für die Hilfe bei der Recherche).
Aus Zur österreichischen Siegelkunde
ZitatDie österreichischen Frauensiegel theilen sich im Allgemeinen in
1. solche, auf welchen das Wappen des Mannes erscheint;
2. welche das angestammte Wappen führen, und
3. welche Beide vereinigen.

Aus  Die Siegel der österreichischen Fürstinnen im Mittelalter, von Carl von Sava
ZitatBei den Damen des niederen Adels in Österreich findet sich der Gebrauch des väterlichen Stammwappens allein ziemlich häufig, und es erscheint dabei in der Umschrift bald der Geschlechtsname des Vaters, bald jener des Gemahls. Von dem höheren Adel Deutschlands erwähnen wir der Elisabeth von Hohenlohe, gebornen Gräfin von Öttingen (anno 1313—1330), welche in ihrem Siegel den Schild von Ottingen führt, in der Umschrift aber sich Elisabeth von Hohenlohe nennt.

Leider ist das Familienarchiv der Lengheims mit dem Aussterben der Familie 1835 verloren gegangen. Damit gibt es keine Möglichkeit, die Zuordnung anhand einer Originalurkunde eindeutig zu verifizieren. Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch sehr hoch, dass es sich hier um die Petschaft der Benigna v. Lengheim, Mutter des Bauernschlächters Adam v. Herberstorff, handelt. Und dieser persönliche Bezug ist genau der Grund, warum ich Petschaften so mag.  :-D

Adios, Bert

insurgent

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thovalo


Klasse Recherche,
das macht Suchen und Sammeln so wert- und sinnvoll!  :super:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Robert

Servus Bert,

toller Fund und nochdazu, wenn man ihn identifizieren kann. :prost:

Grüße

Robert :winke:
wer alles weiß, bekommt keine Überraschung mehr

mc.leahcim

Hallo Bert
Es ist als ob der Petschaft nach der langen Zeit in der Erde wieder Leben eingehaucht wurde. Die Aura der Geschichte umhüllt sie. Sehr schön. Nur schade das die Familie ausgestorben ist. Das wäre dann der Gipfel gewesen der Familie eine Brücke in die Vergangenheit zu übergeben.
Schön das du es geschafft hast die Petschaft zu identifizieren. Du hast dem Fund einen Ankerplatz auf der Zeitschiene der Geschichte verschafft.

:super: Michael
Gum biodh ràth le do thurus. = Möge deine Suche erfolgreich sein (Keltisch/Gälisch)
Die soziale Kälte hilft nicht die globale Erwärmung aufzuhalten!!

Mario G

Ich weiß gerade nicht was ich besser finde, Petschaft oder die Recherche und entstandene Geschichte dazu  :super: :super: :super:
Nachrichten, Tipps und Infos Facebook für Sondengänger: http://www.facebook.com/sondeln

Übersicht zur Fundrecherche: http://www.sondeln.com/links/

Daniel

Top Fund mit top Recherche! :super:
Ich find diesen Beitrag echt Klasse!
Danke. :super:
Spalttabletten, meine Dame, sind bekömmlich und gesund.
Doch verwirrend ist der Name, sie gehören in den Mund.

DonCordoba

LEGIO I FLAVIA MARTIS

stratocaster

Hallo Bert,

toller Fund  :super:
Ist die Familie "richtig" ausgestorben, oder hat es keine männlichen Erben gegeben ?
Vielleicht geht da noch was; falls Töchter da waren und der Name hat sich geändert.

Bodenfund ? Hat sich ja auch noch niemand über die fehlende Patina beschwert  :dumdidum:

Gruß  :winke:
Das Sucherforum dankt all denen,
die zum Thema nichts beitragen konnten
und dennoch geschwiegen haben !

Bert

@strato: Irgendwo wird es sicher noch ein paar entfernte Nachkommen geben, der Genpool des steirischen Adels war den ganzen Verwandtschafsbeziehungen nach ohnehin ziemlich beschränkt. ;-) Die direkte Linie der Familie ist allerdings komplett ausgestorben, die Tochter des letzten Lengheimer Grafen verstarb kinderlos.

Ich werd schon nochmal mein Glück im Landesarchiv versuchen, die vorhandenen Unterlagen der Lengheims und Herberstorffer sind mit je 1 Karton ohnehin sehr übersichtlich.

Furchenhäschen

Hallo,
eine überaus spannende Recherche zu dem tollen Fundstück!
Das macht richtig Freude ein solches Ergebnis mitzuerleben.
Grüße
Peter

Bert

Ich habe mir jetzt ein Büchlein über die Familie Lengheim gekauft, und da sind glücklicherweise auch einige Siegelabdrücke abgebildet. Unter anderem von Benigna v. Lengheim, die 1575 nach dem Tod ihres 1. Mannes Caspar v. Khünburg mit BVL und dem Lengheimer Wappen siegelte. Daneben das Siegel der Sibilla von Eggenberg, die als Frau Georg v. Lengheims mit SVL und ihrem Eggenberger Stammwappen siegelte.

Man kann also sagen: Frauen siegelten idR mit ihrem Stammwappen und dem Namen des Ehemannes, wenn er noch lebte. Wenn nicht, ging es zurück zum Mädchennamen. Damit kann man die Petschaft hier ziemlich sicher der Benigna von Lengheim zuordnen, als sie mit Caspar v. Khünburg verheiratet war, und damit der Zeit 1568-1570.

Adios, Bert

insurgent

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Signalturm

Mal eine generelle Frage zu Siegeln und Petschaft. Unterscheidet man zwischen solchen mit Spiegelverkehrter Schrift und solchen mit normal lesbaren oder ist dieses Siegel in der Beziehung besonders.? Gibt es die normal lesbaren öfters?  :kopfkratz:
Gruß Signalturm
Finderglück ist Finderlohn genug.

etrusker2

glückwunsch zu der tollen petschaft und zur 1a recherche.

Ein nachvollziehbares stück geschichte mit absoluter gänsehaut-garantie !

stratocaster

Zitat von: Signalturm in 08. Januar 2014, 07:25:02
Mal eine generelle Frage zu Siegeln und Petschaft. Unterscheidet man zwischen solchen mit Spiegelverkehrter Schrift und solchen mit normal lesbaren oder ist dieses Siegel in der Beziehung besonders.? Gibt es die normal lesbaren öfters?  :kopfkratz:
Gruß Signalturm

Wenn ich das richtig verstanden habe, hat Bert das Bild ganz oben bereits digital gespiegelt.
Petschaften sind wohl generell spiegelverkehrt, sodass man das eigentliche Siegel lesen kann.

Gruß  :winke:
Das Sucherforum dankt all denen,
die zum Thema nichts beitragen konnten
und dennoch geschwiegen haben !

Bert

Zitat von: Signalturm in 08. Januar 2014, 07:25:02
Unterscheidet man zwischen solchen mit Spiegelverkehrter Schrift und solchen mit normal lesbaren oder ist dieses Siegel in der Beziehung besonders.?

Das Bild oben ist bereits gespiegelt. Die Schrift auf Siegelstempeln ist immer spiegelverkehrt ausgeführt.

Adios, Bert