Ein bislang einzigartiger "Tondo" aus Pfeifenton

Begonnen von thovalo, 01. September 2022, 18:38:10

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thovalo


Guten Abend!  :winke:


Mit der Figur der heiligen Barbara fand sich auch dieses stark verrundete Rundbild (in der Kunstgeschichte "Tondo" genannt) mit zwei reliefierten Seiten. Das Stück ist leider gebrochen und deutlich verwittert, sodass es eine Weile gebraucht hatte die Darstellungen einzuordnen und passend anzusprechen.

Auf einer Seite ist das stark verwitterte Dreiviertelportrait einer weiblichen Figur mit langen Haaren zu erkennen. Diese scheint nach links mit einer weiteren Figur verbunden zu sein. Die Darstellung umläuft eine Ranke mit zwei erhalten gebliebenen Blüten.

Es bedurfte viel Auseinandersetzung mit Literatur um diese Dartellung passend anzusprechen. Es ist die Darstellung von Maria mit dem (auf der verlorenen Seite abgebildeten) Jesusknaben im "hortus conclusus". Der "hortus conclusus" symbolisiert die unbefleckte Empfängnis Mariens und ist auch unter der Bezeicnung "Maria im Rosenhaag" bekannt. In dieser Symbolik sind die Blüten als (rote) Rosenblüten zu interpretieren. Zwei sind erhalten geblieben und vom Maß her müssen es bei gleichen Abständen noch drei weitere gewesen sein.

Die fünf roten Rosenblüten stehen für die fünf Wunden Christi. So zeigt die Darstellung Maria im Rosenhaag und bereits den Ausblick auf den Leidensweg Christi, seine Passion. Die Rückseite ist gleichfalls sehr verrundet. Es ist ein Kreuz erkennbar um deren oberen Teil ein kranzartiges Objekt gelegt ist. Dabei handelt es sich um eine Darstellungsform der Dornenkrone Christi. Auf der Spitze des Kreuzes sitzt ein Vogel nach rechts gerichtet und am rechten Balken steigt ein Vogel auf. Christus befindet sich nicht mehr am Kreuz und die weiteren Symbole sind nicht mehr klar zu identifizieren. Darstellungen des leeren Kreuzes mit der Dornenkrone und Beiwerk werden als die Darstellung der "arma Christi" (die Marterwerkzeuge der Passion Christi) bezeichnet.

Somit sind beide Seite Teil eines Themas, nämlich der Passionsgeschichte und in die Darstellungen frepräsentieren deren Anfang und das Ende.

Die Passionsgläubigkeit spielte in der Zeit des späten Mittelalters, aus dem auch dieses Fragment einer Pfeifentondevotionalie stammt (datierbar in die zweite Hälfte des 15. Jhs.) von herausragender Bedeutung für die konfessionelle Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und Martin Luthers Theologie.

Obschon solche Pfeifentondevotinalien als manufakturell hergestellte "Massenware" angesprochen werden, finden sich weder die Pfeifentonfiguren noch solche Sonderformen "massenhaft". Tatsächlich ist diese Form eines Andachtsbildes (als beidseitig reliefierter Tondo mit Lochung) in der Deutschen Archäologie bislang einzigartig.

Was das Stück vollkommen aus der Reihe des üblichen stellt ist das Vorhandensein von zwei vor dem Brand exakt platzierten Löchern. Das bedeutet, dass dieses Rundbild entweder als Anhänger getragen worden ist oder aufgehangen werden konnte und je nach Zeit gewendet wurde.

Geburt und Tod Christi werden hier als die zwei Seiten einer "Medaillie" dargestellt. Der Anhänger ist im Querschnitt außergewöhnlich kräftig ausgebildet. Solche im Durchschnitt kräftigen Pfeifentonstücke werden auch als mögliche "Zwischennegative" angesprochen, die einen Zwischenschritt bei der Herstellung von Modeln (!) darstellen. Auch ein solcher Entstehungshintergrund des Rundbildes wäre möglich. Allerdings wären dafür keine Löcher notwendig gewesen die ganz exakt so gesetzt worden sind, dass sie die Darstellung nicht stören.


Der Fundort hatte bereits einen Jesusknaben mit dem Vogel, den nackten Fuß einer Stautette (mit nackten Füße wurden die Apostel dargestellt), eine "schöne" Madonna mit verloren Kopf von Mutter und Kind, einen wunderbar gestalteten Engel, das Fragment einer Model mit der Darstellung eines liegenden Lammes ("agnus dei") und ein gewundenes Horn aus Pfeifenton überliefert. Mit der heilgen Barbara, dem Kopfteil einer nicht näher bestimmbaren Heiligen und diesem Tondo liegen von der Fundstele inzwischen schon NEUN Devotionalien aus Pfeifenton vor. Das ist für einen Fundpunkt eine außerordentlich hohe Anzahl dieser Fundgattung. Da die Stücke mit vielen Ofenfragmenten gemeinsam vorkommen könnten sie sich z.B. auf dem Sims eines Kachelofens befunden haben.

Jedenfalls spiegeln sie die Traditionen des Gebrauchs der Pfeifentondevotionalien in der Zeit der ausgehenden Spätgotik am Niederrhein wieder. Fundort ist eine historische Stadt, die in einen profanen Bereich und einen geistlichen Immunitätsbezirk aufgeteilt war. Die Pfeifentondevotionalien fanden sich alle im profanen Bezirk und sind Ausdruck der privaten Andacht und Gläubigkeit.


liebe Grüße
Thomas


die Zeichnung war der Entwurf einer ersten Rekonstrurktion

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Mucke

Hallo,

wirklich sehr schöne Funde von dieser aussergewöhnlichen Fundstelle präsentierst du hier  :super:.

Und vorallem deine Erläuterungen und Erklärungen zu deinen Funden sind wirklich sehr informativ und bringen einem die Geschichte näher.

Respekt vor deiner Passion  :winke: :-)


Liebe Grüße
Andreas
" Mit Geduld und Spucke ...."

thovalo




Passion .... da sagst Du was    :zwinker:


Ich finde es immer eine sehr schöne Herausforderung solche unbekannten Funde identifizieren und dann auch in ihrer Bedeutung klären zu können. Denn dann fangen solche Funde auch an ihre eigene Geschichte zu erzählen.



liebe Grüße
Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Hallo Thomas,

sehr eindrucksvoll, schön präsentiert und vor allem toll erläutert. :super: :Danke2:

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

hargo

Jep, lässt sich nicht anders sagen:
Sehr cool!

mfg

Fabulas

Vielen Dank für den tollen Beitrag.
Den Antworten schließe ich mich an. Den Zusammenhang und die Bedeutung herauszufinden halte ich auch für eine der spannendsten Aufgaben - ist aber auch zeitintensiv, wenn man nicht vom Fach ist.  :-D
Andererseits dann doch wieder der eigentliche Gewinn an der Sache.

Liebe Grüße
Anita


thovalo



Danke Euch für das Interesse und die positiven Rückmeldungen.   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.