10cm langer Abschlag

Begonnen von Schabersucher, 16. Dezember 2025, 22:34:58

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Schabersucher

Liebe Leute,

hier kommen Fotos von einem ca 10cm langen, 3.5cm breiten und ca. 2mm-7mm dicken Abschlag. Auf der Dorsalseite ist der Abschlag zum großen Teil mit Kortex bedeckt, bis auf einen schmalen Streifen, der ein Teil des Abschlagnegativs des vorherigen Abschlags ist. Auch dieser Stein ein Strandfund aus S-H. Ich zeige ihn, weil er rundherum kantenretuschiert ist. An der Kante zum schmalen kortexfreien Teil der Dorsalseite, ist diese Retusche sehr fein und sehr regelmäßig (Bilder 3 und 4), an der anderen Kante ist die Retusche nur in einem kleinen Bereich sehr fein und regelmäßig (Bild 6), ansonsten sind die Absplisse etwas unregelmäßiger. Aber auch diese würde ich als planvolle Retusche betrachten. Zufälliges Abrollen im Strandgeschehen o.ä. (was einige von euch bei einigen meiner hier gezeigten Steine ja vermuten) kann man meiner Meinung nach mit Sicherheit ausschließen, denn dieser Stein ist vollständig erhalten, und die feine Retusche an der anderen Seite ist überhaupt nicht versehrt. Die Brüche am Proximalende und am Distalende sind geplant gewesen, da sie an beiden Seiten von fein retuschierten Kerben begleitet sind, die da nicht sein könnten, wenn der Stein dort erst später gebrochen wäre.

Was haltet ihr von diesem Stein, und könnt ihr mir einen Tipp geben, in welcher Zeit er bearbeitet worden sein könnte?

Viele Grüße,
Sven

Danske

#1
Hallo Sven,

ich kann mich leider des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich auch bei diesem Stück um ein durch Bewegungen und Bestoßungen im Wellengang entstandenes und geformtes Geofakt, also ein artefaktähnliches Gesteinsstück, handelt. Auch die Retuschen erachte ich nicht als intentionell, sondern durch Bestoßung mit anderen Steinen am Strand entstanden.

Auch sehe ich auf den Fotos weder einen Schlagflächenrest noch einen Bulbus. Und warum sollten Proximal- und Distalende durch den Steinschläger entfernt worden sein?

Für mich nach dem derzeitigen Stand leider kein Artefakt.

LG
Holger
Ignoramus, ignorabimus.

Schabersucher

#2
Hallo Holger,

vielen Dank für Deine Einschätzung!

Meiner Meinung nach handelt es sich hier um eine ganz typische Kantenretusche, siehe zum Beispiel hier: 
https://sucherforum.de/steinartefakte/kennzeichen-eines-flintgerates-!!/
"Viele Geräte aus Klingen, Abschläge und Scheiben sind mit Retuschen versehen.
Man kann sich sehr leicht täuschen, denn das Verschlagen gegen andere Steine, gegen den Pflug u.ä, kann "falsche" Retuschen erzeugen.
Eine Menschengemachte Retusche ist jedoch regelmässig, das ist der wichtigste Unterschied."

Die Retuschen an diesem Abschlag sind tatsächlich sehr regelmäßig (in Bezug auf: regelmäßige Richtung der Retuschen-Abschläge/-Abdrückungen, regelmäßige Winkel der Abschläge, regelmäßige Platzierung der Abschläge entlang der Kante, regelmäßige "Größe" der Abschläge) und ich hätte gedacht, dass das auch zB auf dem Foto 4 gut erkennbar ist. Wären die Hunderte von kleinen Abschlägen der Retusche tatsächlich durch Bewegungen und Bestoßungen im Wellengang entstanden, dann müsste man irgendwelche stochastischen Merkmale sehen, und zwar in Bezug auf alle diese Eigenschaften der Abschläge (Richtung, Platzierung, Winkel, Größe). Ein Geofakt lässt sich meiner Meinung nach deshalb wirklich eindeutig ausschließen.
Auf einem kleinen Bereich an einem der Enden ist die Retusche etwas anders ausgeführt (Foto 5) als im sonstigen gesamten Kantenbereich. Das könnte wohl entsprechend der Definitionen von Der Wikinger, s.o., eine Formgebungsretusche sein.

Zitat von: Danske in 17. Dezember 2025, 10:52:41Auch sehe ich auf den Fotos weder einen Schlagflächenrest noch einen Bulbus. Und warum sollten Proximal- und Distalende durch den Steinschläger entfernt worden sein?
Man erkennt auf der Ventralseite Wallnerlinien, es wurde (im Bild 1,2) von oben geschlagen. Ja, ein Bulbus ist nicht vorhanden, weil er wohl abgetrennt wurde. Die Weiterverarbeitung von Abschlägen und Klingen durch Bruch an Kerben war, wenn ich das richtig verstanden habe, im Mesolithikum üblich, sogenannte Kerbtechnik. Gelesen habe ich, dass diese Technik zur Herstellung von Mikrolithen üblich war. Dieser Stein ist nun aber wegen seiner Abmessungen kein Mikrolith. Aber im Prinzip könnte man das auch an einer Klinge gemacht haben, um sie zB in eine Schäftung einpassen zu können.

Viele Grüße,
Sven

hargo

Zitat von: Schabersucher in 17. Dezember 2025, 11:58:56...
Man erkennt auf der Ventralseite Wallnerlinien, es wurde (im Bild 1,2) von oben geschlagen. Ja, ein Bulbus ist nicht vorhanden, weil er wohl abgetrennt wurde...

Hallo Sven,

kannst du sehen wo ein Stück fehlt?

mfg

Schabersucher

Zitat von: hargo in 17. Dezember 2025, 13:14:07Hallo Sven,
kannst du sehen wo ein Stück fehlt?
mfg
Hallo Hargo,
auf Bild 3 sieht man am oberen Ende, dass sich die Retusche um eine Kurve zieht, und dass dann eine glatte, unretuschierte Fläche folgt. Ich glaube, hier ist der Stein an einer Kerbe (die jetzt natürlich nur noch halb vorhanden ist) gebrochen. Ähnlich sieht das am unteren Ende aus, was man auf Bild 3 aber nur erahnen kann. Man sieht dort, wie sich die Retusche wieder um einen Kurve nach innen zieht, und danach kommt ein gerade gebrochenes (?) Stück. Ich kann auch nochmal Detailbilder schicken, bin jetzt aber nicht beim Fotoapparat und beim Stein...
Viele Grüße,
Sven

Danske

#5
Hallo Sven,

Wallnerlinien entstehen bei der Trennung eines Spaltproduktes durch einen Schlag, wobei Druck erzeugt wird, der sich vom Schlagpunkt aus konzentrisch ausbreitet und auf der Trennfläche ein wellenförmiges Muster bildet.
Die Abspaltprozesse, bei denen sich Schlagwellen bilden können, sind aber nicht nur auf menschliche Aktivität beschränkt sondern können auch natürlichen Ursprungs sein, z.B. durch Kryoturbation oder auch beim Zusammenstoßen von Geröllen in der Brandung. Oder durch unbeabsichtigte menschliche Aktivität, z.B. bei Steinbrucharbeiten.

Retuschen können, auch wenn sie gleichmäßig erscheinen, natürlichen Ursprungs oder unbeabsichtigt durch menschliche Aktivität entstanden sein. Hier das Beispiel eines vermeintlichen "Schabers" von einem AP-/MP-Fundplatz in Rheinhessen. Der Form nach könnte das Stück als bogenförmiger Schaber durchgehen, die Retusche ist gleichmäßig im gesamten Bogen ausgebildet. Das Material ist Basalt, die Oberfläche ist hell verwittert, die Retusche zeigt aber eine andere Färbung. Es handelt sich um eine sog. Pflugretusche, also durch landwirtschaftliches Gerät erzeugt.

Wie kommst du auf Kerbtechnik? Ich sehe bei deinem Stück keinen Hinweis darauf. :glotz:

LG
Holger   
Ignoramus, ignorabimus.

Schabersucher

Zitat von: Danske in 17. Dezember 2025, 18:09:32Retuschen können, auch wenn sie gleichmäßig erscheinen, natürlichen Ursprungs oder unbeabsichtigt durch menschliche Aktivität entstanden sein. Hier das Beispiel eines vermeintlichen "Schabers" von einem AP-/MP-Fundplatz in Rheinhessen. Der Form nach könnte das Stück als bogenförmiger Schaber durchgehen, die Retusche ist gleichmäßig im gesamten Bogen ausgebildet. Das Material ist Basalt, die Oberfläche ist hell verwittert, die Retusche zeigt aber eine andere Färbung. Es handelt sich um eine sog. Pflugretusche, also durch landwirtschaftliches Gerät erzeugt.

Wie kommst du auf Kerbtechnik? Ich sehe bei deinem Stück keinen Hinweis darauf. :glotz:

LG
Holger

Lieber Holger,

vielen Dank für die Hinweise und die schönen Bilder von dem Stein aus Rheinhessen. Da habe ich tatsächlich keine Erfahrung und kann nicht viel dazu sagen, ob hier ein Pflug den Stein berührt hat. Für Pflugretuschen könnten ja auch rote Färbung (Fe) sprechen, die erkenne ich allerdings nicht. Ganz klar kann ich deshalb leider nicht nachvollziehen, wieso hier ein Pflug am Werk gewesen ist und nicht etwas anderes. Die andere Färbung der Retuschen könnte ja auch daran liegen, dass es eine Frostscherbe ist, die schon lange Zeit verwittert ist, und dass die Retuschen später entstanden sind, ob nun durch menschliche Aktivität oder nicht...

Was ich bei meinem Stein für Kerbtechnik halte (vielleicht ist es das aber ja auch gar nicht...): Ich hänge ich hier Bilder von den "glatten" Facetten (markiert mit "G") an, die jeweils von einer Bucht (oder dem Teil einer Kerbe, markiert mit "K") begleitet sind. Da der Stein hier an beiden Seiten nur ca 1-2mm dick ist, braucht die Kerbe nicht besonders weit ins Innere zu gehen, um einen Bruch an der beabsichtigten Stelle zu verursachen, könnte ich mir vorstellen. Jedenfalls ist die Breite des Steins an diesen Stellen durch die Kerbe jeweils um etwa 1/4 bis 1/3 reduziert.

Vielleicht ist das aber natürlich auch nur meine Phantasie, haltet euch nicht mit Kritik zurück  :friede:

Viele Grüße,
Sven
#


Schabersucher

Zitat von: Danske in 17. Dezember 2025, 10:52:41ich kann mich leider des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich auch bei diesem Stück um ein durch Bewegungen und Bestoßungen im Wellengang entstandenes und geformtes Geofakt, also ein artefaktähnliches Gesteinsstück, handelt. Auch die Retuschen erachte ich nicht als intentionell, sondern durch Bestoßung mit anderen Steinen am Strand entstanden.
Liebe Leute,
hier kommen zum Vergleich auch nochmal Fotos von einer auch etwa 10cm langen Klinge, die wohl tatsächlich längere Zeit im Wellengang gelegen hat. Man sieht hier im zoom (Bild 23, 24) deutlich, dass feine Strukturen stark verrundet werden, die Kanten sind alle eher abgeschliffen.
Sie dürfen diesen Dateianhang nicht ansehen.
Sie dürfen diesen Dateianhang nicht ansehen.
Sie dürfen diesen Dateianhang nicht ansehen.
Sie dürfen diesen Dateianhang nicht ansehen.

Den Unterschied zu einem "frischeren", also nicht so abgeschliffenen Kanten fühlt man natürlich auch ganz deutlich, wenn man mit dem Finger an der Kante entlanggeht.

Sie dürfen diesen Dateianhang nicht ansehen.
Sie dürfen diesen Dateianhang nicht ansehen.

Aber ich denke, hier schreibe ich euch sicher nichts Neues... ... jedenfalls: ich denke, am (zumindest an meinem Sand-) Strand resultieren Bewegungen und Kontakte von Steinen im Wellengang nicht in scharfen Absplitterungen und klar lokalisierten Pseudo-Retuschen, sondern in Abrundungen und Abstumpfungen.
 
Viele Grüße,
Sven

Danske

#8
Moin Sven,

auch auf den neuen Fotos kann ich eine Kerbbruchtechnik nicht erkennen. M.E. handelt es sich um eine kantenbestoßene Bruchstelle des Steins. Man kann nicht aus jedem schräg verlaufenden Bruch auf die Anwendung der Kerbtechnik schließen.

Es ist schön, dass du uns deine Funde zeigst, um eine Beurteilung zu erhalten, dafür ist das Forum u.a auch da. Ich empfehle dir aber, pro Thread nur ein Stück zu zeigen. Anderfalls kann beim Betrachter Verwirrung entstehen, vor allem, wenn Ansichten von "Vergleichsstücken" in ungeordneter Folge präsentiert werden.

Im Forum wird keine Kritik geübt. Vielmehr wird versucht, im Interesse aller die gezeigten Fundstücke richtig anzusprechen. Dass sich eine Ansprache nicht immer mit den Ansichten der Finder oder auch anderer Forumsmitglieder deckt, liegt in der Natur der Sache, ist aber nicht weiter schlimm, sondern regt zu ergebnisorientierten oder mitunter auch ergebnisoffenen Diskussionen an, die aber den Wissenshorizont jedes einzelnen erweitern können.

Die Bestätigung, dass es sich bei meinem "Schaber" um eine Pseudoretusche, aufgrund der Fundumstände im Wingert höchstwahrscheinlich um eine sog. Pflugretusche, handelt, erfolgte durch einen Fachmann für die Archäologie der Steinzeit.

Zum Abschluss möchte ich dir daher noch empfehlen, deine Funde, die du für artifiziell hälst, im örtlich zuständigen LDA einem steinzeitversierten Archäologen bzw. einer Archäologin vorzulegen. Die Ansprache anhand des Originals ist logischerweise ungleich genauer als eine Beurteilung anhand von Fotos.

LG
Holger
Ignoramus, ignorabimus.

Schabersucher

Zitat von: Danske in 18. Dezember 2025, 23:35:36Moin Sven,

auch auf den neuen Fotos kann ich eine Kerbbruchtechnik nicht erkennen. M.E. handelt es sich um eine kantenbestoßene Bruchstelle des Steins. Man kann nicht aus jedem schräg verlaufenden Bruch auf die Anwendung der Kerbtechnik schließen.

Es ist schön, dass du uns deine Funde zeigst, um eine Beurteilung zu erhalten, dafür ist das Forum u.a auch da. Ich empfehle dir aber, pro Thread nur ein Stück zu zeigen. Anderfalls kann beim Betrachter Verwirrung entstehen, vor allem, wenn Ansichten von "Vergleichsstücken" in ungeordneter Folge präsentiert werden.

Im Forum wird keine Kritik geübt. Vielmehr wird versucht, im Interesse aller die gezeigten Fundstücke richtig anzusprechen. Dass sich eine Ansprache nicht immer mit den Ansichten der Finder oder auch anderer Forumsmitglieder deckt, liegt in der Natur der Sache, ist aber nicht weiter schlimm, sondern regt zu ergebnisorientierten oder mitunter auch ergebnisoffenen Diskussionen an, die aber den Wissenshorizont jedes einzelnen erweitern können.

Die Bestätigung, dass es sich bei meinem "Schaber" um eine Pseudoretusche, aufgrund der Fundumstände im Wingert höchstwahrscheinlich um eine sog. Pflugretusche, handelt, erfolgte durch einen Fachmann für die Archäologie der Steinzeit.

Zum Abschluss möchte ich dir daher noch empfehlen, deine Funde, die du für artifiziell hälst, im örtlich zuständigen LDA einem steinzeitversierten Archäologen bzw. einer Archäologin vorzulegen. Die Ansprache anhand des Originals ist logischerweise ungleich genauer als eine Beurteilung anhand von Fotos.

LG
Holger

Lieber Holger und liebe Alle,
vielen Dank für deine Tipps und für die Infos zu deinem Vergleichsstück, Holger!
Und allen vielen Dank für die Diskussionen im Forum - mir bringt es jedenfalls viel Spaß, meine Steine zu fotografieren und hier vorzustellen und euer kritisches Feedback zu bekommen! Meine Highlights 2025 (und so lange bin ich ja noch gar nicht dabei...) waren ein Querverweis:
Zitat von: Fischkopp in 07. Dezember 2025, 16:00:28... hier mal ein Link zu einem ähnlichen Fund...
und die Erkenntnis, dass es auch andere Leute gibt, die sehr sehr viele Steine aufheben um sie mit nach Hause zu nehmen:
Zitat von: Merle2 in 14. Dezember 2025, 12:40:01... ich hab am Anfang ein Stück gefunden,  das für mich eindeutig war und danach sehr viele Steine aufgehoben... sehr, sehr viele Steine. ... vieles mitnehmen zu Hause gut gucken ...
Ich wünsche euch allen Frohe Weihnachten und schöne Funde zwischen den Jahren!