Eine Notbergung am Niederrhein

Begonnen von thovalo, 17. Juli 2025, 13:06:59

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thovalo


Moin!

Vorgestern konnte ein großes hochmittelalterliches Keramikfragment nicht aus seiner Fundlage gelöst werden. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Amt für Denkmalpflege, wurde es dann am Tag danach aus dem Boden gelöst, was recht mühsam gewesen ist, da sich das Fragment zwischen Steinen eingekeilt hatte und vollständig mit Kies und Steinen angefüllt gewesen war. Zudem musste auch das Umfeld mit beachtet werden. Dabei fand sich unweit davon noch das Bruchstück einer überdurchschnittlich gein gearbeiteten großen Siegburger Schnelle aus Steinzeug (etwa 1570 bis 1580), sowie das reliefdekorierte Fragment eines kleinen Trichterhalsbechers.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#1


Bei dem Beleg der Schnelle handelt es sich um das Bruchstück eines Steinzeuggefäßes mit zwei überdurchschnittlich fein ausgeprägten Darstellungen der Wappen von Schweden und Dänemark. Schnellen waren meist repräsentativ dekorierte Trinkgefäße. Sie waren sehr geschätzt und im Gebrauch der höheren sozialen Schichten. Die Gefäße wurden, je nach Vermögen, nach dem Erwerb noch zusätzlich mit Deckeln aus Zinn oder Silber versehen. An diesem Fundbeleg ist die Qalität in der Auführung des Reliefs außerordentlich detailreich und handwerklich exellent gearbeitet.



Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#2


Das mit gefundene Fragment eines sehr kleinformatigen Trichterhalsbechers trägt eine gleichfalls sehr kleinformatige Rundauflage mit einer figürlichen Darstellung vor einem reich staffierten Architekturhintergrund. Es ist die Darstellung des einem Stuhl sitzen den und schreibenden Evangelisten Matthäus. Vor ihm kniet ein Engel, der sein Attribut ist.

Die Auflage ist wenig sorfältig ausgeformt, aufgelegt und gebrannt worden. Die Auflage durchziehen Trocknungsrisse und der Kopf des Evangelisten ist nicht mit ausgeprägt worden. Der Engel wirkt zudem wie eine Karrikatur oder einer Comicfigur.


Dennoch finde ich solche kleinen "erzählenden" Bilddarstellungen auf dieser besonderen Keramik des 16. Jhs. immer auch unterhaltsam.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#3

Hier noch das Bild zur Auflage. Bei der Bergung fand sich im Sediment zudem eine Musketenkulgel mit noch gut erkennbaren Ansatz des Gußkanals und einem Durchmesser knapp unter 2 cm. Der Ort hat eine sehr langen Geschichte mit vielen kleineren und größeren kriegerische Konflikten und Zerstörungen, sodaß diese Kugel auch ein entsprechendes Zeitdokument darstellt.


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

ZitatBei dem Beleg der Schnelle handelt es sich um das Bruchstück eines Steinzeuggefäßes mit zwei überdurchschnittlich fein ausgeprägten Darstellungen der Wappen von Schweden und Dänemark.

Guten Abend,

schau mal, ich habe mal auf einem Antikmarkt ein ganz ähnliches Fragment gefunden.
Hier wird sogar der Name Dänemarks (Denemerc) explizit unter dem Wappen genannt.

Vermutlich wurden diese Gefäße doch extra für den Export in die nordischen Länder angefertigt ?

Viele Grüße
Michael 

thovalo


Moin!

Das ist ein Bruchstück einer weitere Variante einer solchen Wappenchnelle. Tatsächlich gab es einen intensiven Handel von Wein aus dem Rheinland in Richtung Dänemark. Der tägliche Konsum dort belief sich in den gehobenen kreisen auf mehrere Liter TÄGLICH. In die Gegenrichtung wurden von Dänemark, in einer gleichfalls erstaunlich hohen Anzahl, Schlachtochsen ins Rheinland verfrachtet.

Es ist aber nicht so, dass die Schnellen nausschließlich in die Länder gingen deren Wappen sie trugen. Man zeigte mit solchen Schnellen auch seine Weltläufigkeit oder auch welcher "Partei" man nahe stand oder zuneigte. Das kann ich auch auf die religiöse Ausrichtung bezogen haben.


lG Thomas

Tatsächlich für Besteller mit Fernbeziehungen wurden zunftgefäße bestellt und geleifert, so an die Stadt Münster und an die "Enlandfahrer" in Hamburg, deren Schnellen dann auch das Englische Wappen trugen.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

ZitatMan zeigte mit solchen Schnellen auch seine Weltläufigkeit oder auch welcher "Partei" man nahe stand oder zuneigte. Das kann ich auch auf die religiöse Ausrichtung bezogen haben.

Ein interessanter Aspekt, vielen Dank. Aber klar, man befand sich zeitlich zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Da wird das schon seine Bedeutung gehabt haben.

Viele Grüße
Michael

thovalo


Genau!

Tatsächlich verfügt der konkrete Fundort auch über ein Stift und Kloster. Es ist gerade die Steinzeugkeramik die hier nach und nach den Hinweis gibt, dass man sich auch in diesem Stifsort mit Fragen der Relifion auseinander gesetzt hatte.

So führte Heinrich IV von Sayn, dessen Wappenauflage in Blaufärbung auch hier gefunden worden war, in seinem Herrschaftsgiet die Reformation ein. Die Wappen von Schweden und Dänemark verweisen auf protestantische Staaten. Das konnte man dann still für sich interpretieren.

Leider ist selbst die Fachliteratur zu renaissancezeitlichen Steingezgkeramik noch recht blind auf dem Auge, dass so manche unscheinbar wirkende Auflage eine stille Botschaft enthält. Diese Symbolsprache nennt sich "EMBLEMATA" und es gibt dicke Wälzer dazu, die diese Interpretationen erschließen.


Do ist hier ein Becher mit einem orientalischen Mann der einen Becher trägt eine eindeutige Kritik am Reichtum und Machtstreben des Klerus, wird in der Keramikliteratur aber nur mit "orienalischer Mann, einen Becher haltend" beschrieben.

Gerade diese Besonderheit fasziniert mich immer wieder.

Ich habe die Überreste einige hundert reliefauflagenvertierter Keramikbelege des 16. Jhs. bereits dem Landesamt für Bodendenkmalpflege oder der städtischen Bodendenkmalflege übergeben, darunger auch Belege von meisterlichen Einzelstücken wir Stielkannen und Sturzbecher mit figürlichen Dekoren. Brächte man dieses enorm vielflältige Material wieder zusammen, wären noch viele weitere Ableitungen und sicher aus Zusammenpassungen daraus möglich.

Der Fundort ist auch deshalb für die Keramikforschung bedeutend, weil hier viele Warenlieferungen von Gefäßkeramik aus Köln über den Rheinhandel eingetroffen und geblieben sind. Das bedeutet, dass es sich immer um "echt gelaufene" Stücke zeitgenössischer Handelswaren geandelt hat. Das gilt auch für die hier gefundenen Belege von Ofenkacheln, Heiligenstatutetten und anderen Devotionalien aus Pfeifenton.


Der Ort verfügt über ein reiches keramischen Erbe, das an andern Orten oft weitgehend fehlt.


lG Thomas  :winke: 



Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

Zitatist hier ein Becher mit einem orientalischen Mann der einen Becher trägt eine eindeutige Kritik am Reichtum und Machtstreben des Klerus, wird in der Keramikliteratur aber nur mit "orienalischer Mann, einen Becher haltend" beschrieben.

Gerade diese Besonderheit fasziniert mich immer wieder.

Mit Kritik musste man damals vorsichtig sein. Dornbusch beschreibt, welch strengen Auflagen ihrer abteilichen Herrschaft die Siegburger Töpfergilde im 16. Jhd. unterlag.

Und trotzdem haben sie damals, vermutlich heimlich, auch subversive, obzöne und  kirchenkritische Dekore angebracht. Das soll dann zu der Bestimmung geführt haben, dass bei Öffnung und Entlehrung der Brennöfen stets abteiliche Beamte zur Kontrolle anwesend sein mussten.

Viele Grüße
Michael       

thovalo


Moin!

Es gibt einige Auflagen mit deutlicher, offener papstkritischen Darstellungen. Diese Kritik teilten allerdings auch katholische Geistliche und Gläubige.Mehr unscheinbarere Auflagen sind in ihrer Kritik dezenter und lassen sich auch zweideutig interpretieren. Was die Siegburger Werkmeister nicht getan hatten war, zwischen katholischen oder protestantischen Bestellern zu unterscheiden. Wer bezahlen konnte wurde bedient.

lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.