Ungewöhnliches Gerät: Eine gestielte Klinge

Begonnen von Neos, 08. Januar 2025, 22:55:18

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Neos

Moin, zusammen,

dass dieses Gerät bewusst genau so und für einen bestimmten Zweck hergestellt worden ist, davon kann man ausgehen. In der Literatur und im Netz habe ich bis dato nichts Vergleichbares finden können (vielleicht ja jemand unter euch?). Ich denke hierbei an das Fundstück, das ich euch heute vorstelle: eine gestielte Klinge.

Es stammt von dem hauptsächlich mesolithischen Fundplatz, von dem ich euch schon einige Fundstücke vorgestellt habe: u. a. ein Stichel, ein paar Klingen, ein Kernstein sowie ein Kernbeil.

Was man auf den Fotos nicht erkennt, ist der beidseitig vorhandene Politurglanz, der recht ausgeprägt ist. Ob dieser durch Nutzung oder z. B. durch Windschliff entstanden ist, kann man nur spekulieren. Die Klinge wurde am Distalende leicht spitz zulaufend retuschiert. Am auffälligsten: Der Stiel der Klinge wurde sauber herausgearbeitet. Aufgrund der Patinierung, insbesondere die der Ventralseite, ist davon auszugehen, dass die Klinge über einen längeren Zeitraum in einem feuchten Milieu lag.

Hier die Daten der gestielten Klinge:

  • Fundgebiet: Nördliches Schleswig-Holstein
  • Länge: 71,4 mm
  • Breite: 9 - 25,6 mm
  • Dicke: 1 - 9,1 mm
  • Gewicht: 17 g

Viele Grüße von der Küste

Frank

hargo

Moin,

sehr cool!
Ich würde mich wundern, wenn das nicht im Floss enthalten wäre.
Suche danach.  :glotz:

mfg

Wiedehopf

Moin Frank,

eventuell ein Löffelschaber (Skeskraber) ? Schau mal, falls vorhanden, bei P.V. Petersen 'Flint' Nummer 49.

Viele Grüße
Michael

Steinkopf

#3
Moin Frank,

Glückwunsch zu einem interessanten Fundstück.

Könnte es sich um einen Klingenschaber handeln,
der Gebrauchsretuschen entlang der Kante zur Ventralseite hat?

Auf dem Foto (03) sieht es nach unregelmäßigem Abspliss aus.

Wie Du es beschreibst, ist die Oberfläche vollständig (incl. Retuschen?)
vom Glanz überzogen?

Bei P.V.Petersen sehe ich  - was die Merkmale anbelangt - am ehesten Ähnlichkeit mit Nr 47.
Dein Fundstück ist breiter.

LG
Jan




Herlitz

Hallo,

sehe ich das richtig, sämtliche Retuschen sind nicht patiniert?  :glotz:
Dann sind es wohl rezente Beschädigungen.
Auch der Stiel überzeugt mich nicht.
Für mich ist es ein Klingenabschlag, vermutlich mesolithisch oder spätpaläolithisch.
Wäre die Spitze spitzer und der Stiel klarer, wäre es wohl eine Stielspitze. Eventuell sollte es noch eine werden.
 :kopfkratz:  Sven

Sprotte

Hallo, durch die rezenten Beschädigungen kann der stielspitzenartige Eindruck auch maskiert sein. Könnte sich mit Vorbehalt um eine Bromme-Spitze handeln (bei diesen ist der Stiel manchmal nur wenig herausgearbeitet). Viele Grüße, Sprotte

Neos

Moin, hargo,

Zitat von: hargo in 08. Januar 2025, 23:43:07sehr cool!
Ich würde mich wundern, wenn das nicht im Floss enthalten wäre.
Suche danach.  :glotz:

sehr, sehr gerne! Solltest du fündig werden: Ich würde mich freuen!  :super:

Viele Grüße

Frank

Neos

#7
Moin, Michael,

dank dir für deine Einschätzung!  :super:

Zitat von: Wiedehopf in 08. Januar 2025, 23:54:01eventuell ein Löffelschaber (Skeskraber) ? Schau mal, falls vorhanden, bei P.V. Petersen 'Flint' Nummer 49.

Den PVP habe ich (natürlich).  :-D Aber ein Löffelschaber ist das 1000-prozentig nicht. Wie die aussehen weiß ich. Wie ich schon geschrieben habe befinden sich am Distalende zwar Retuschen, diese sind jedoch nicht in der Art ausgeführt, dass sie eine (Kratzer-/Schaber-)Kappe bilden. Sie formen das Klingenende leicht zu einer Spitze. Womit ich mitnichten (!) andeuten möchte, dass es sich um eine (Pfeil-)Spitze handelt.

Viele Grüße

Frank

Neos

#8
Moin, Jan,

Zitat von: Steinkopf in 09. Januar 2025, 10:07:00Glückwunsch zu einem interessanten Fundstück.

dank dir!  :super:

ZitatKönnte es sich um einen Klingenschaber handeln, der Gebrauchsretuschen entlang der Kante zur Ventralseite hat?

"Klingenschaber" – spannend! Von diesem Begriff lese ich heute zum ersten Mal. Für einen Schaber/Kratzer sind mir die Retuschen so gar nicht passend – weder distal noch lateral. Intentionelle Retuschen hat dieses Gerät tatsächlich nur im unteren Drittel, um den Stiel zu formen, und linksseitig lateral im oberen Bereich. Zur Verdeutlichung hänge ich ein weiteres Bild unten an. Was die möglichen Gebrauchsretuschen angeht, von denen du schreibst: Das ist auch mein Gedanke. Auffallend und gleichermaßen spannend finde ich ist, dass die Lädierungen der Lateralen im Wesentlichen ventral vorhanden sind und nur marginal dorsal. Warum das so ist? :nixweiss:

ZitatAuf dem Foto (03) sieht es nach unregelmäßigem Abspliss aus.

Korrekt, die Beschädigungen sind sehr unregelmäßig, allerdings fast vollständig patiniert. Soll heißen: Nur sehr wenige Beschädigungen sind meiner Einschätzung nach rezent.

ZitatWie Du es beschreibst, ist die Oberfläche vollständig (incl. Retuschen?) vom Glanz überzogen?

So ist es. Allein die Beschädigung an der Spitze der Ventralseite ist matt und meines Erachtens sehr wahrscheinlich rezent.

ZitatBei P.V.Petersen sehe ich  - was die Merkmale anbelangt - am ehesten Ähnlichkeit mit Nr 47.
Dein Fundstück ist breiter.

Bei dem Stück sind die typischen Schaber-/Kratzer-Retuschen vorhanden, bei meinem nicht. Das macht es nicht einfacher (ich weiß).

Liebe Grüße zurück

Frank

Neos

Hallo,

Zitat von: Herlitz in 09. Januar 2025, 11:51:15sehe ich das richtig, sämtliche Retuschen sind nicht patiniert?  :glotz:

nein, sie sind patiniert.

ZitatAuch der Stiel überzeugt mich nicht.

Was soll ich sagen? Er ist einfach da. Und das in perfekter Ausformung.

ZitatWäre die Spitze spitzer und der Stiel klarer, wäre es wohl eine Stielspitze. Eventuell sollte es noch eine werden.

Für eine Spitze wäre mir der Stiel zu dick und das Gerät insgesamt zu sehr gebogen. Den Flint noch weiter in der Dicke zu reduzieren scheint mir auch nicht möglich.

Viele Grüße

Frank

Neos

Hallo,

Zitat von: Sprotte in 09. Januar 2025, 15:07:10Hallo, durch die rezenten Beschädigungen kann der stielspitzenartige Eindruck auch maskiert sein. Könnte sich mit Vorbehalt um eine Bromme-Spitze handeln (bei diesen ist der Stiel manchmal nur wenig herausgearbeitet).

eine (Bromme-)Spitze würde ich in diesem Fall ausschließen (s. o.), aber schön wär's!  :zwinker:

Viele Grüße

Frank



Wiedehopf

Hallo Frank,

so lange nicht klar ist wozu es genau diente hilft vielleicht ein Zitat des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldör Laxness:

ZitatWer immer nur nach dem Zweck der Dinge fragt, wird ihre Schönheit nie entdecken

Schön ist deine gestielte Klinge auf jedem Fall.

Viele Grüße
Michael

p.s. habe mehrere Fund-und Ausgrabungsberichte aus deiner Gegend durchgesehen aber auch nichts Vergleichbares gefunden. Eine geringe Ähnlichkeit vielleicht noch am ehesten hier:

http://sol.sydvestjyskemuseer.dk/?mode=detail&genstandsnr=200367847&side=4&antal=21&indexno=73&search=Retoucheret%20fl%E6kke&sid=25e741a39074125c48695a52c7902c96&tt=340

thovalo

#12
Guten Tag Euch Allen!

Eine Stiel ist laut Definition ein "meist stab- oder stangenförmiges Stück Holz, Metall o. Ä. als Teil eines [Haushalts]geräts oder Werkzeugs, an dem man es anfasst", also  zumeist der Bestandteil eines Kompositgerätes.

In der urgeschichtlichen Archäologie gibt es die Terminlogie "Stiel" nicht in Bezug auf lithische Artefakte. Insofern handelt es sich um eine unzutreffende Wortschöpfung über die man diskutieren kann aber nicht muß.

Es handelt sich um eine Klinge mit bilateral abgesetzt schmal zulaufend retuschierter Distalpartie. Solche Zurichtungen werden zumeist Bohrerenden zugeordnet.

Insofern handelt es sich bei diesem Fundbeleg um ein ganz normales Artefakt, dass man in dieser Ausprägung und seinem wahrscheinlich bereits weitergehend abgenutzten Zustand, durchaus auch als ein interessantes Stück ansehen kann.


lG Thomas  :winke:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

StoneMan

Moin,

@ Frank,

hatte ich diesen "Esslöffel" schon mal in der Hand?  :kopfkratz:

Zitat von: hargo in 08. Januar 2025, 23:43:07Ich würde mich wundern, wenn das nicht im Floss enthalten wäre.
Suche danach.  :glotz:

mfg

Ich würde mich wundern, wenn Du Erfolg hast.

Leider habe ich keinen Plan - Hund, Katze, Maus, Scheibenkratzer ...

Was ist, wenn die Bohrerspitze abgebrochen ist?

Das "Stielende" sieht eher so aus, als wenn man darauf oder damit geklopft hat.

Kratzen kann man mit dem konvexen Ende sicher.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

hargo

Zitat von: StoneMan in 12. Januar 2025, 00:24:45...

Ich würde mich wundern, wenn Du Erfolg hast.

...

Brauche Bedenkzeit, ein paar Tage, mal sehen.

mfg

Neos

Hallo, Michael,

Zitat von: Wiedehopf in 11. Januar 2025, 12:06:03so lange nicht klar ist wozu es genau diente hilft vielleicht ein Zitat des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldör Laxness:

bei so einer "Sonderanfertigung" herauszufinden, wozu sie gedient hat, wird vermutlich (leider) ein Ding der Unmöglichkeit sein.

ZitatSchön ist deine gestielte Klinge auf jedem Fall.

Ja, das finde ich auch. Patina und Form des Geräts sind schon klasse.

Dank dir auch für den Link zu der dänischen Klinge.  :super:  Eine gewisse Ähnlichkeit lässt sich – abgesehen vom nicht vorhandenen Stiel – nicht abstreiten.

Viele Grüße

Frank

Neos

Moin, Thomas,

vielen Dank für deine Anmerkungen.  :super:

Zitat von: thovalo in 11. Januar 2025, 15:24:51Eine Stiel ist laut Definition ein "meist stab- oder stangenförmiges Stück Holz, Metall o. Ä. als Teil eines [Haushalts]geräts oder Werkzeugs, an dem man es anfasst", also  zumeist der Bestandteil eines Kompositgerätes.

In der urgeschichtlichen Archäologie gibt es die Terminlogie "Stiel" nicht in Bezug auf lithische Artefakte. Insofern handelt es sich um eine unzutreffende Wortschöpfung über die man diskutieren kann aber nicht muß.

Ich stimme dir absolut zu: Man muss nicht immer alles ausdiskutieren. Der Archäologe, dem ich dieses Fundstück vorletztes Jahr zeigte, sprach es zumindest genau wie ich und auch unabhängig von mir als "gestielte Klinge" an. Er ist einer der Archäologen in Schleswig-Holstein, wenn es um das Thema Steinzeit geht.

Tatsächlich kennen wir alle natürlich auch gestielte Pfeilspitzen, wie z. B. Stielspitzen. Sie besitzen einen längeren Schaft, den man dann auch als "Stiel" ansprechen kann (aber nicht muss :zwinker:).

Viele Grüße in den Süden

Frank

Neos

Moin, Jürgen,

Zitat von: StoneMan in 12. Januar 2025, 00:24:45hatte ich diesen "Esslöffel" schon mal in der Hand?  :kopfkratz:

möglich ist das, ja. Ich bin mir aber nicht sicher.

ZitatWas ist, wenn die Bohrerspitze abgebrochen ist?

Was ist, wenn an der Spitze nichts – bis auf einen nicht erwähnenswerten, winzig kleinen Abplatzer – abgebrochen ist? Denn so schaut's aus!

ZitatDas "Stielende" sieht eher so aus, als wenn man darauf oder damit geklopft hat.

Eventuell missverstehe ich dich, aber für mich sieht es eher nach einer dorsalen Reduktion des Gerätes an dieser Stelle aus.

ZitatKratzen kann man mit dem konvexen Ende sicher.

Ja, das kann man bestimmt, aber wie ich schon geschrieben habe: Eine Kratzerkappe sieht anders aus. Bestimmt konnte bzw. hat man mit diesem Gerät auch geschnitten. Und sehr wahrscheinlich ist auch, dass es geschäftet war, denn sonst macht der Stiel nicht wirklich Sinn. Das Teil gibt mir echt Rätsel auf...

Viele Grüße

Frank

Neos

Zitat von: hargo in 12. Januar 2025, 00:37:15Brauche Bedenkzeit, ein paar Tage, mal sehen.

Kein Stress, hargo, lass dir Zeit. Und solltest du fündig werden, freue ich mich über deine Nachricht.  :-D

Viele Grüße

Frank

hargo

#19
Die gestielte Klinge ist vermutlich ein Messer, wenn die Retusche und der Schlagpunkt (terminal?) nicht dagegen spricht.

mfg

p.s.
Schlagpunkt terminal, wie komme ich dazu???
Wahrscheinlich der Uhrzeit geschuldet.


Steinkopf

Moin in die Runde, moin Frank,

Klingen mit retuschierten Proximalende (oder 'Stielretusche') kommen auf der Kimbrischen Halbinsel
(Schleswig-Holstein und Jütland) öfter auf - z. B. Nr 31 in FLINT von Peter Vang Petersen.
Besonders eindrucksvoll ist auf Seite 64 die Abbildung 27 (Fig. 27).
Auf einem zum Öresund abfallenden Hang (Bögebakken) wurden bei von Erik Brinch Petersen geleiteten
Ausgrabunbgen mehrere Bestattungen  aus der Erteböllzeit freigelegt.

Die Abbildung zeigt die Grablegung mit Hirschgeweihstangen und zwei zwei Klingen mit beidseitiger Retusche
am Proximalende: (von mir übersetzt) zwei Klingenmesser lagen an Gürtelstelle.

LG
Jan



Neos

Hallo, hargo,

Zitat von: hargo in 14. Januar 2025, 00:01:29Die gestielte Klinge ist vermutlich ein Messer, wenn die Retusche und der Schlagpunkt (terminal?) nicht dagegen spricht.

aus meiner Sicht spricht sehr viel für die Verwendung dieses Gerätes als Messer. Jans Hinweis auf PVP stützt das zusätzlich.

Viele Grüße

Frank

Neos

Moin, Jan,

Zitat von: Steinkopf in 14. Januar 2025, 19:29:48Klingen mit retuschierten Proximalende (oder 'Stielretusche') kommen auf der Kimbrischen Halbinsel
(Schleswig-Holstein und Jütland) öfter auf - z. B. Nr 31 in FLINT von Peter Vang Petersen.
Besonders eindrucksvoll ist auf Seite 64 die Abbildung 27 (Fig. 27).

keine Ahnung, wie ich DAS übersehen konnte! Ich sag' nur "Volltreffer, Jan!".  :super: Die Nummer 31 im PVP passt wirklich sehr gut zu dem Stück. Dank dir!

Für alle, die keinen PVP "Flint" besitzen, versuche ich mal nach bestem Wissen zu übersetzen, was bei dem Artefakt Nr. 31 steht: "Klingenmesser mit Schaftretusche. Besonders lange Klingenmesser weisen häufig Retuschen an den Seitenkanten auf, die dem Schaftende am nächsten liegen. Die Retusche ist oft leicht, kann aber auch stark sein und eine gleichmäßige Schaftzunge bilden. Das retuschierte Ende kann umwickelt oder in einen Griff eingesetzt sein. Kann mit schweren Brommespitzen vom Typ Lyngby verwechselt werden."

Die Bestattung mit den beiden Klingenmessern als Grabbeigabe, die du erwähnst, ist wirklich sehr beeindruckend.

Viele Grüße

Frank

hargo

#23
Dann passt das ja.

mfg