Ein mehrfach nachgeschärfter Miniaturkratzer vom rechten Niederrhein

Begonnen von thovalo, 04. November 2024, 16:25:34

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thovalo





Moin!

Dan kleine Kratzer mit 17 mm Durchmesser konnte ich Vorgestern auf einer Feldflur am Rhein bei Duisburg auflesen. Die Feldflur ist dort abgeerntet, aber noch nicht weiter bearbeitet worden. Bei der Begehung fand sich auch dieser Kleinkratzer. Diese Miniaturen kommen dort immer wieder mit vor.


An diesem Exemplar sind die Spuren einer mehrfachen Nachbearbeitung an einer Stelle der Randpartie bemerkenswert. Offensichtlich ist mit diesem Kleinstgerät sehr intensiv gearbeitet worden und man hat es bei Bedarf nachgeschärft, sodaß sich oberhalb der Arbeitskante eine regelrechte "Nase" ausbilden konnte.


Somit wurde dieser Fundbeleg dann auch tatsächlich zum "Kratzen" verwendet und zwer intensiv und nachaltig.



lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

Hallo Thomas,

mir ist schon öfter der Begriff 'Daumennagelkratzer' begegnet. Ist dein schöner Fund sowas ?

Viele Grüße
Michael 

hargo

Zitat von: Wiedehopf in 04. November 2024, 20:49:41...

mir ist schon öfter der Begriff 'Daumennagelkratzer' begegnet. Ist dein schöner Fund sowas ?

...

Hier (NRW) eher nicht!
Daumennagelkratzer sind zwar nicht immer, aber tendenziell doch vom Neanderthaler.
Oder?

mfg

Steinkopf

Hallo Thomas,

Das ist ein beeindruckendes Fundstück - es besticht durch geometrische Eleganz in der Winzigkeit.

Es wird nicht überall als Gerät gesehen. Die Typologie 'FLINT' von P.V.Petersen führt dieses
Teil als Spielstein.

Deine Annahme: "man hat es bei Bedarf nachgeschärft, sodaß sich oberhalb der Arbeitskante eine
                         regelrechte "Nase" ausbilden konnte."
sehe ich so nicht.

Un diese geometrische Form - und um die ging es ja augenscheinlich - zu erreichen mussten
immer kleinere und dünnere Partikelchen abgedrückt werden und der Abbauwinkel wird steiler.
Dabei geht der Abdruck nicht bis zum Ende duch und es gibt  'Steckenbleiber.'
Die sind oft an normalen nachretuschierten Kratzerkappen zu sehen.


LG
Jan





an Kratzerkappen zu sehen.

steinwanderer

Moin Thomas,
ich kann Jan´s Aussage nur bestätigen.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

Wiedehopf

ZitatEs wird nicht überall als Gerät gesehen. Die Typologie 'FLINT' von P.V.Petersen führt dieses Teil als Spielstein.

Moin Jan,

das ist vielleicht etwas missverständlich. Den 'Spillebrik' führt Petersen unter der Rubrik 'Schaber' auf und schreibt (nach meiner laienhaften Übersetzung)

Spielstein heisst dieser Typ, der mit seiner geringen Größe (1-3 cm Durchmesser) kaum eine praktische Funktion hatte.

Also sieht er es sehrwohl als Gerät an.

Viele Grüße
Michael
   

Steinkopf

Moin Michael,

P.V.Petersen, FLINT:  Nr. 45 Spillebrik:

"Als Spielstein bezeichnet man diesen Typ, der mit seiner geringen Größe (1 - 3 cm Durchmesser) kaum
eine praktische Funktion gehabt hatte. Die kleine umlaufend retuschierte Scheibe ist oft aus einem
Abschlag mit glatter (flacher) Rückseite hergestellt.
'Spillebrikkerne' (Spielsteine) treten gewöhnlich auf Siedlungsplätzen der späten 'Jaettestuertid`
(2. Halbzeit der Trichterbecherkultur; um 3000 vor Chr) Anmerkung des Übersetzers) in Syddänemark auf.
Dieser Typ ist auch gut bekannt auf Siedlungsplätzen südlich der Ostsee."
                                                      Meine Übersetzung nach dem o.g. Buch, 4. Auflage.

MfG
Jan

thovalo

Zitat von: Steinkopf in 05. November 2024, 03:16:15Hallo Thomas,

Das ist ein beeindruckendes Fundstück - es besticht durch geometrische Eleganz in der Winzigkeit.

Es wird nicht überall als Gerät gesehen. Die Typologie 'FLINT' von P.V.Petersen führt dieses
Teil als Spielstein.

Deine Annahme: "man hat es bei Bedarf nachgeschärft, sodaß sich oberhalb der Arbeitskante eine
                         regelrechte "Nase" ausbilden konnte."
sehe ich so nicht.

Un diese geometrische Form - und um die ging es ja augenscheinlich - zu erreichen mussten
immer kleinere und dünnere Partikelchen abgedrückt werden und der Abbauwinkel wird steiler.
Dabei geht der Abdruck nicht bis zum Ende duch und es gibt  'Steckenbleiber.'
Die sind oft an normalen nachretuschierten Kratzerkappen zu sehen.


LG
Jan





an Kratzerkappen zu sehen.


Ja ich kenne die spillebriks (hoffentlich richtig geschrieben). Im Rhienland sind diese Kleinstformen wenig beschrieben worden. Erstmals wurden sie in einem Text zur bislang hier noch nicht benannten Kultur der späten Jungsteinzeit (3.700 bis ca. 2.300 v. Chr) zugeschrieben und werden als Kratzer benannt.


Da auf dem großen Fundareal entweder eine sehr große oder viele aufeinanderfolgende Aufenthalte im späten Neolithikum gegeben haben muss, finden sich die kleinen Kratzer hier tatsächlich auch sehr häufig und zwar insbesondere auf den Stellen auf denen z.B. auch die hier in diese Zeit gestellten Pfeilschneiden uund "ausgesplitterte Stücke" in hohen Stückzahlen vorkommen.

"Un diese geometrische Form - und um die ging es ja augenscheinlich - zu erreichen mussten
immer kleinere und dünnere Partikelchen abgedrückt werden und der Abbauwinkel wird steiler.
Dabei geht der Abdruck nicht bis zum Ende duch und es gibt  'Steckenbleiber.'
Die sind oft an normalen nachretuschierten Kratzerkappen zu sehen."

Wenn es um die Geometrie gegangen wäre/ist, dann trifft das zweifelsohne zu. Aber die Idee eine Tradition von Spielsteinen vom Norden hier in das Rheinland zu übertragen erscheint mir nicht möglich. Da es die kleinen Dinger teils auch randliche Ausbrücken durch Kantenbelastungen/Ausbrücken unter Druckbelastung aufweisen, scheinen sie hier eher der Arbeit gedient zu haben. Das sieht man auch andem hier eingestellten Fundbeleg, wenn auch ie Teifenschäfe nicht ganz auf dne Kanentenulauf geht. Das Stück sollte doch eher klein fein und nutzbar sein.

Dann wäre eine mehrfache Wiederherstellung des untersteilten Kratzerbereichs dennoch auch vorstellbar.

Es gibt kaum einemal eine absolute Lösung.

Umso spannender ist dieser kleine Fundbeleg, den es mit denselben Phneomenen auch in weitaus größeren Formaten gibt.


lG und Danke für das Interesse an dem Kleinling!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Zitat von: Wiedehopf in 05. November 2024, 09:35:13Moin Jan,

das ist vielleicht etwas missverständlich. Den 'Spillebrik' führt Petersen unter der Rubrik 'Schaber' auf und schreibt (nach meiner laienhaften Übersetzung)

Spielstein heisst dieser Typ, der mit seiner geringen Größe (1-3 cm Durchmesser) kaum eine praktische Funktion hatte.

Also sieht er es sehrwohl als Gerät an.

Viele Grüße
Michael
   
Hallo Michael,
diese "Spielsteine' bzw. Rundkratzer, bzw. Daumennagelkratzer treten bei uns im Süden auch noch sehr häufig im Frühmesolithikum auf. Ein interessanter innerdeutscher Vergleich.
Grüße Peter

Danske

Hallo zusammen,

ich sehe die Sache so wie Michael.

PVP führt den Spillebrik, also Spielstein, als Typ der Skrabere, also Schaber, Kratzer auf. Er nennt ihn Spielstein, weil er ihm aufgrund seiner Größe kaum eine praktische Funktion zuspricht.
Es ist also tatsächlich ein Werkzeug. Und warum sollte sich jemand die Mühe machen, einen Spielstein aufwändig rundherum zu retuschieren?

Lutz Fiedler beschreibt den Werkzeugtyp "Daumennagelkratzer" als sehr kleine, Halbrund- oder Rundkratzer, die gelegentlich schon im Altpaläolithikum vorkommen. Sie sind in Keilmesserinventaren häufiger vertreten und gehören im ausklingenden Jungpaläolitzikum und im Mesolithikum zur gewöhnlichen Werkzeugausstattung. Im nordeuropäischen Spätneolithikum /Becher-Gruppen) erlangen sie wieder eine gewisse Bedeutung.

LG
Holger

 
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Furchenhäschen

Hallo,
kein Geringerer als Claus-Joachim Kind schreibt zum Thema Daumennagelkratzer, die er der Gruppe der "kurzen Kratzer" als Sonderform zuordnet.
Er schreibt: Bei ihnen handelt es sich um relativ kleine Artefakte, die üblicherweise eine maximale Ausdehnung von 3 cm nicht überschreiten. Oftmals ist die Länge und Breite der Geräte gleich groß. Bei einigen von ihnen ist nicht nur die Stirnseite modifiziert, sondern die Retusche wurde umlaufend um die Grundform angebracht.
Sogenannte kurze Kratzer treten auch noch im Mesolithikum auf.

Grüße Peter

Steinkopf

#11
Hallo,

Thomas, Klaus, Michael, Holger und Peter.
Habt Dank für die Mitteilung Eurer Erkenntnisse und Einschätzungen.

Alles was an Kratzern, die sich fassen lassen und retuschierte Arbeitskanten haben ist unstrittg.

Bei diesen kleinen geometrisch rund geformten Scheibchen stellt sich mir die Frage,
warum diese herausfordernde Form gewählt wurde, mit geometrische Perfektion ohne ergonomischen Griff.
Oder:   Ist jedes Artefakt zwingend auch ein Werkzeug?

Natürlich wurde dieser Typ in FLINT (von P.V.P) als    A r t e f a k t   aufgenommen.
Die Werkzeugtauglichkeit stellt der Verfasser ja selbst deutlich in Frage.

Eine Antwort darauf habe ich nirgends gefunden und sehe ich auch nicht Euren Diskussionsbeiträgen.
Gibt es Berichte von Arbeitsspuren oder Anhaftungen?

Die Typologie von P.V.Petersen wurde für die Arbeit der dänischen Archäologie
erstellt und ist minimalistisch gehalten.

Ist nicht manchmal eine offene Frage ehrlicher und hilfreicher als eine 'Basta' Antwort?


mit freundlichen Grüßen

Jan




StoneMan

Moin @ll,

Michael schreibt ´nach seiner laienhaften Übersetzung´ - Zitat:
Spielstein heisst dieser Typ, der mit seiner geringen Größe (1-3 cm Durchmesser) kaum eine praktische Funktion hatte.
Also sieht er es sehrwohl als Gerät an.

Zitat Ende

Das finde ich nicht plausibel.

Der Begriff "næppe = kaum" ist im mir vorliegenden Gyldendals Ordbøger, mit "kaum" und "schwerlich" eingetragen.

Spielstein heisst dieser Typ, der mit seiner geringen Größe (1-3 cm Durchmesser) schwerlich eine praktische Funktion hatte.

Zudem spuckt der Google-Translator zu "næppe" neben "kaum", noch "wohl nicht" aus.

Das liest sich schon ganz anders - oder?

Ich persönlich lehne mich da gerne an Peter Vang Petersen an, da ich vermute, dass es der Typologie (Formenkunde)
zu schulden ist, dass ein Spillebrik unter den Skrabere / Schabern aufgeführt wurde.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Wiedehopf

ZitatBei diesen kleinen geometrisch rund geformten Scheibchen stellt sich mir die Frage, warum diese herausfordernde Form gewählt wurde, mit geometrische Perfektion ohne ergonomischen Griff.
Oder:   Ist jedes Artefakt zwingend auch ein Werkzeug?

Guten Abend,

ich habe mir diese Frage auch gestellt. Erst einmal gehe ich davon aus, dass es tatsächlich Werkzeuge sind.

Bei mir in der Gegend wurden etliche davon gefunden und dokumentiert, z.B. in Karl Brandt 'Die Mittelsteinzeit an Nordrande des Ruhrgebietes'. Er datiert sie in das ausgehende Mesolithikum (Spät-Tardenoisien), gleichzeitig mit anderen geometrisch geformten Kleingeräten. Diese Untersuchung stammt zwar schon von 1940, ist für mich aber noch wichtig, da darin Fundplätze beschrieben werden, die direkt vor meiner Haustür liegen.

Ich selbst habe hier auch schon solche kleinen rundherum retuschierten Scheiben aus Flint gefunden, und das besondere war, dass sie aus sogenannten Frostscherben bestehen. Diese runden oder fast runden Scheiben sind so von der Natur vorgegeben. Vielleicht haben wir hier ja die Ausgangsform für diese runden Miniaturkratzer, die einige Bearbeiter möglicherweise an 'Spielsteine' erinnern, vor uns.

Viele Grüße
Michael               
 

Danske

Hallo zusammen,

also ich für meinen Teil finde die Diskussion sehr interessant.

Und ich denke auch, dass die Beiträge keine Basta-Antworten sind, Jan. Vielmehr dienen sie zum Austausch hier im Forum. Gerade die strittigen Sachen sind die interessanten.

Wie alle richtig übersetzt haben, schreibt Peter Vang Petersen: "Spielstein heißt dieser Typ,... (zu ergänzen wäre: "eines Schabers oder Kratzers", weil der Satz sonst keinen Sinn macht). Er subsummiert den Spillebrik unter die Skraber.

Da er (und vielleicht auch andere Fachleute) sich nicht vorstellen kann, wie er genutzt wurde bzw. welche praktische Funktion er hatte, bezeichnet er (und auch andere) in als Spielstein.

Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass diese kleinen Stücke nicht doch für eine praktische Verwendung als Kratzer gedacht waren und auch entsprechend genutzt wurden. Wir können uns das vielleicht nur schwerlich vorstellen.

Und warum sollten Spielstein son kunstvoll retuschiert werden? Einfacher wäre doch das Schleifen ringsum.

Zum Vergleich fallen mir die Miniatur-Dechselklingen ein, von denen ich auch schon Exemplare von 3-4 cm Länge finden durfte. Lange Zeit hielt sich die Vorstellung, es handele sich um Kinderbeile, Spielzeug oder Übungsstücke für Kinder. Bis man die kunstvoll hergerichteten LBK-Brunnen fand und man zur Erkenntnis kam, dass für diese kleinen Dechselklingen durchaus praktische Verwendung möglich war, nämlich zur Herstellung der Zapfenlöcher.

In dem Zusammenhang fällt mir eine treffende Aussage des Archäotechnikers Harm Paulsen ein: "Obwohl die Wissenschaft immer weitere Erkenntnisse zur Steinzeit liefert, ist das immer noch so, als würde man mit einem Teelicht in eine dunkle Turnhalle gehen, wobei die Turnhalle die Steinzeit ist und der Schein des Teelichts unser Wissen."

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Steinkopf

Hallo Holger,

fein, dass Du die Mühe nicht scheust!

Also, der Satz bei P.V.P. lautet übersetzt:

     "Spielstein nennt man diesen Typ, der mit seiner geringen Größe (...) wohl kaum eine
      praktische Funktion gehabt hat."
 
Typ ist der Typus Nr. 45 in einer Typologie, ---- nicht im Werkzeugkatalog!
Die Typologie umfasst neben Werkzeugen auch Kerne und deren charakteristischen Abbauteile (147).
Das gleiche gilt für typische Abschläge bei den verschiedenen Beilen.

Dieses dünne, kleine  Plättchen ist geometrisch streng geformt, völlig
anders als die Kanten begleitenden Retuschen der anderen 'Skraber' (Kratzer).

Schön ist das von Dir erwähnte Zitat von Harm Paulsen!
Ich hatte das Vergnügen, im Sommer eine Woche
mit ihm und seiner Gruppe von Hjerl Hede in einem
Stenaldercenter zu sein.

LG
Jan

Der Originaltext:
    "Spillebrik kaldes denne Type, der med sin ringe störrelse (1 - 3 cm i diameter
     naeppe har haft en praktisk funktion."
     PVP: Flint Nr. 45





Wiedehopf

Moin zusammen,

zur Ergänzung (und vielleicht Abkürzung) der interessanten Diskussion hier ein relativ aktueller Forschungsstand (2000) aus einer deutschen Publikation:

Henning Haßmann, Die Steinartefakte der befestigten neolithischen Siedlng von Büdelsdorf, Kreis Rendsburg-Eckernförde, Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie Band 62

In Abbildung 70 werden zunächst drei runde Schaber vorgestellt von denen zumindest die Nr. zwei und drei dem 'Spillebrik' von Petersen (Nr. 45) deutlich ähneln. Dazu wird ausgeführt:

ZitatAls Rundschaber wurden nur Artefakte gezählt, die wirklich rundum retuschiert sind (Abb. 67.2; 70, 2.3). Der runde Schaber auf Abbildung 70,1 ist im Bulbusbereich nicht retuschiert und wurde daher als Halbrundschaber gezählt. Entscheidend für die Funktion ist weniger die Form als die Arbeitskante. Interessant am kleinen Rundschaber (Abb. 70,2) ist, daß er scheinbar zwei Ventralseiten hat. Es handelt sich um einen ventral abgebauten Abschlag von einem größeren Abschlag. Durch diese Technik hat der Schaber eine völlig plane Unterseite, die neue Ventralseite liegt oben. In diesem Fall wurden die Retuschen von der Dorsalseite aus angebracht, was öfter beobachtet wurde.

Die kreisrunden Rundschaber werfen die Frage nach der Funktion auf. Seitens der dänischen Forschung wird eine Verwendnung als Spielsteine ('Spillebrikker') in Erwägung gezogen (z.B. Winther 1935; Kapel 1974). In der Folge ist diese Funktionsdeutung immer wieder diskutiert worden. Nicht ganz klar ist die Grenze zwischen 'Spielsteinen' und Rundschabern (Gohlisch 1989, 117 f.). Ein Durchmesser von unter 2 bis 3 cm scheint der Richtwert zu sein. Einige Autoren schreiben den 'Spielsteinen' chronologische Signifikanz zu und datieren sie in das ausgehende Mittelneolithikum (....), was ich allein aufgrund der Zweckform für äußerst problematisch halte. Winzige, z.T. nur markstückgroße Rundschaber, wie sie in Weddingstedt-Norderglin, Albersdorf oder auf der Ochsenkoppel gefunden wurden (....) gibt es in Büdelsdorf nicht. Die kleinsten dort gefundenen Rundschaber haben einen Durchmesser von 3,5 cm. ........

Die These, dass es sich bei den Rundschabern um Spielsteine handeln könnte, ist zwar nicht auszuschließen, erscheint mir aber allein wegen der geringen Fundanzahl recht unrealistisch. Zudem hätten sich für Spielsteine organische Materialien sicherlich besser geeignet.

Viele Grüße
Michael

 

steinwanderer

Moin Michael,
ich hatte das Thema, vor etlichen Jahren schon einmal angestoßen. Ich habe 5 mittelneolithische Plätze auf denen sie nicht so selten sind. Der kleinste Spielstein misst 8mm.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

steinwanderer

Einer dieser Plätze liegt in Südwestdänemark und grenzt an einen Wald. bei dessen Aufforstung in den 50er  Jahren wurden so viele Spielsteine gefunden, das der Ausgräber vom E.ldorado der Steinzeit sprach
Lewer duad üs Slav

Wiedehopf

#19
Danke Klaus für den Hinweis,

ich habe über die Suchfunktion deine und die Beiträge anderer Forumsteilnehmer zu diesen kleinen Teilen gefunden und mit Interesse gelesen. Immer wieder toll, was hier über die Jahre für ein Wissen und eine Informationsfülle angesammelt und dokumentiert wurde.   

Viele Grüße
Michael 

thovalo

Zitat von: steinwanderer in 07. November 2024, 20:29:06Einer dieser Plätze liegt in Südwestdänemark und grenzt an einen Wald. bei dessen Aufforstung in den 50er  Jahren wurden so viele Spielsteine gefunden, das der Ausgräber vom E.ldorado der Steinzeit sprach


Moin Klaus!

Das mit den Spielsteinen ist ja eine rein skandinavische Ansprache. Sie ist nirgendwo sonst im heutigen Deutschland übernommen worden. Das war wohl ursprünglichmal so eine Idee von Jemanden der meinte: das sieht so aus wie ein Spielstein .....  und seitdem nennt man die Stücke einfach mal so.

BELEGT ist aber in keiner Weise, dass diese Kleinformen jemals als Spielsteine verwendet worden sind, oder? Welches Spiel soll denn in Skandinavien damit gespielt worden sein?

Weiß Du oder Jemand mehr außer, daß die Stüke einfach mal so genannt werden? Gibt es gegebenenfalls konkrete Untersuchungen zu diesen "spillebriks"?

Heute würde Niemand mehr auf die Idee kommen einen Artefakttyp einfach mal "so zu nennen wie er" subjektiv wahrgenommen, "aussieht.".

Wer kann etwas Konkretes zu der, durch die Benennung "untergeschobenen" Behauptung belitragen, daß die hier diskutierten, nicht nachgeschärften und fein gerundeten Stücke tatsächlich und zweifelsfrei nachgewiesene "Spielsteine" gewesen sind?


lG Thomas  :winke:

PS: im Rheinland gibt es in der fachlichen Benennung keine Spielsteine aus Feuerstein. Es handelt sich in der Ansprache stets um besonders kleinformatige Kratzer die, wie das gezeigte Stück hier, vereinzelt intensiver gebraucht und gelegentlich auch nachgeschärft worden sind. Das ist, was das gezeigte Artefakt hier an Intterpetationsspielraum auch zuläßt.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

hargo

Vorsicht!
In der nordischen Typologie sind "Spielsteine" offensichtlich mit einem Augenzwinkern zu betrachten.
Man weiß sie keinem Gerät und noch weniger einem Zweck zuzuordnen.
Quasi ein Platzhalter.
 
Die Frage stellt sich hier aber auch nicht.
Bei dem von dir vorgestellten Stück handelt es sich um einen sehr kleinen Kratzer.
Wie du auch selber schreibst.

mfg

Furchenhäschen

#22
Zitat von: thovalo in 08. November 2024, 11:49:11Moin Klaus!

Das mit den Spielsteinen ist ja eine rein


lG Thomas  :winke:

PS: im Rheinland gibt es in der fachlichen Benennung keine Spielsteine aus Feuerstein. Es handelt sich in der Ansprache stets um besonders kleinformatige Kratzer die, wie das gezeigte Stück hier, vereinzelt intensiver gebraucht und gelegentlich auch nachgeschärft worden sind. Das ist, was das gezeigte Artefakt hier an Intterpetationsspielraum auch zuläßt.
Hallo,
Genau so sehe ich das auch. Die Vermischung von teils phantasievollen Ansprachen aus Nachbarländern sorgt nur für Chaos und Unverständnis. Man sollte sich doch wirklich in der Terminologie zu derartigen Werkzeugtypen auf Ansprachen von Fiedler, Floss und Kind verlassen. Das dürfte wirklich ausreichend sein.
Grüße Peter

Furchenhäschen

#23
Hallo,
ergänzend noch ein Auszug aus dem Floss:
Claus-Joachim Kind schreibt:
Kratzer sind relativ häufig auf Gebrauchsspuren untersucht worden. Nach den vorliegenden Ergebnissen wurden mit Kratzern oftmals Felle geschabt. Teilweise kamen sie aber auch bei der Bearbeitung von härteren Materialien wie Knochen, Elfenbein, Geweih oder Holz zum Einsatz. In Bandkeramischen Inventaren kommen Kratzer vor, die durch Lackglanz als Einsätze in Sicheln identifiziert werden können. Hierbei gibt es Objekte , bei denen der Lackglanz nicht auf die Kratzerkappe übergreift. Dies bedeutet, dass bei diesen Geräten die Kratzerkappe innerhalb der Schäftung lag. Somit war hier die Herstellung der Kratzerkappe nicht Zurichtung der Funktionskante., sondern Formungsmodifikation zur Einpassung in eine Schäftungsnut. eine ähnliche Intention ist auch bei Kratzern aus anderen Technokomplexen nicht auszuschließen , sofern die Kratzerkappe durch Gebrauchsspurenuntersuchungen nicht als Funktionskante ausgewiesen ist.

Das bedeutet pauschal betrachtet, ohne Gebrauchsspurenanalyse bezogen auf das Einzelfundstück kann man "nur" von einem Kratzer sprechen. Ohne direkte Gebrauchs.- bzw. Nutzungsbezogenene steht der artefaktbezogene Einsatz ein Rätselchen.
Bei den Bandkeramischen Sicheleinsätzen in Kratzerform ist die vermeintliche "Kratzerkappe" häufig leicht schräg ausgebildet.
Die unterschiedlichen Kratzervarianten sind im Floss auf der Seite 417 recht schön dargestellt.

Grüße Peter
 

Wiedehopf

#24
Es besteht wohl eine Tendenz, besonders zierliche, feine Geräte, deren Nutzen als Werkzeug man sich nur schwer oder gar nicht erklären kann einer Sphäre der Kinder und damit auch des Spiels zuzuschreiben. Hier ein weiteres Beispiel, aus einer Untersuchung in der es um Geräte von Neandertaler-Kindern geht:

ZitatIt is of interest to mention here the curious 'Groszaki' found at the (Micoquian) site in the Neander Valley; these are 'small, circular edge-retouched tools' (Hillgruber, 2006). Most Groszaki are only 1 to 1.5 cm in diameter (range: 6.5 - 21 mm). No fewer than 67 specimens were found in Neanderthal (ca. 38 % of all the 'tools'). Since these implements seem to be too small to be of any practical use, one wonders whether these remarkable pieces might have been toys or pieces which played a role in some children's game. In this connection it may be remarked that recent investigations have uncovered bones of at least one subadult individual in Neanderthal, in addition to skeletal remains of a second adult (Smith et al., 2006). Similar small, round and thin flint tools are known from the Neolithic of Denmark; these are called 'Spillebrik' (game piece; Petersen 1993: 68-69).

Quelle: https://www.researchgate.net/publication/228674484_Neanderthal_children_and_their_flints

Also, man weiß es nicht so genau ('one wonders'), aber da ja auch Knochen zumindest eines Jugendlichen gefunden wurden, könnt es ja zutreffen.

Viele Grüße
Michael

p.s. mit den Groszaki bzw. Groszak-Kratzern haben wir dann wieder so einen Begriff, der wie die Spillebrikks vom vermeintlichen Aussehen der Stücke abgeleitet wurde (Groschen).   
   

steinwanderer

Lewer duad üs Slav

hargo

@ Michael

Das gibt zu bedenken, aber ich halte es für abwegig.

mfg