Brief von 1946

Begonnen von wogixeco, 30. April 2006, 13:04:05

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wogixeco

Hallo zusammen,

war heute früh mit meiner weitaus besseren Hälfte auf dem Flohmarkt. Konnte da auch ein paar schöne Bücher kaufen und auch nen packen feldpostbriefe aus dem Krieg.

Dabei war dieser hier, der Text hat mich schon bewegt. Es ist immer ein seltsames Gefühl solche Sachen in der Hand zu halten und zu überlegen was diese Menschen wohl alles erlebt haben müssen und wie wohl ihr weiteres Leben verlaufen ist.
Da ich das Schreiben emotional so bewegt hat wollte ich es euch nicht vorenthalten. Hier der Text, inkl. aller Schreibfehler...

Helte den 16.6.46

Absender: Artur Sperling an Fritz Bethke

Mein lieber Landsmann und Leidensgenosse, ich habe das Bedürffnis an dir einige Zeilen zu schreiben. Zunächst will ich berichten über das Schicksal Angehöriger und Bekannten. Wir und Höse ließen am 23.1.45 – 15 km vor Preuß-Holland – unser Fuhrwerk stehen und liefen, denn der Russe war da. Es war dies mein schwerster Entschluss das letzte was man hatte im Stich lassen. Aber wir sind dadurch schlimmerem entgangen. Du hast dich noch rechtzeitig aus dem Staube gemacht. Familie Spießhöfer blieb unter den Russen. Sie haben furchtbares erlebt, ihr Mann ist von den Russen erschossen worden. Er ruht im Massengrab zu Krößel. Sie befinden sich jetzt in Schleswig. Von den Girner liegen folgende Berichte vor: Buttgereit, Schnürgel und Lisbeth, Ganzgut. Grete und Helene Reibacher sind von den Russen verschleppt. Grete Schmeling, tot. Mein Vetter Otto Sperling und seine Frau verschleppt, sind in Sibirien gestorben. Ebenfalls seine Schwester Johanna. Bruder Max befindet sich in Schleswig. Schwester Martha bei Hamburg und Erna in Meklenburg und von Adolf fehlt jede Spur. Muss mit dem letzten rechnen. Das er als Alter Mann für das System sich noch einsetzen musste, das er selber gehasst hat und hier vielleicht elend zugrunde gegangen ist – ist doppelt tragisch. Wie Erna berichtet sind Karl und Bartel sowie Frau Fiedler ihr Vater aus Erlengrün, von den Russen erschossen worden. Familie Fefri befindet sich in Meklenburg, es ist die ganze Familie zusammen. Meine Schwägerin ihr letzter Bruder ist Anfang April 1945 bei Königsberg gefallen. Damit hat sie alle Brüder und den Mann verloren. Ihr Vater ist in Berlin gefallen.

Und nun genug von diesen dramatischen Schilderungen. Hinter uns liegt die Schlacht von Künersdorf und das einzige Unglück ist, das wir noch Leben.
Und nun zu unser persönliches Verhältnis zueinander. Ich glaube wir beide haben uns gut verstanden denn wenn wir von Natur und Bienen sprachen waren wir in unserem Element. Du nun zu unserer Heimat. Mein Heimatland nun schweigt er still, ihm das Auge brechen will. Obwohl ich kein Eigentümer war, besaß ich dort ein Königreich. Ich will hier mit Göthes Faust Antworten: Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich, Kraft sie zu fühlen, zu geniessen. Wolfsberg, Fichtenberg waren für mich Begriffe die unauslöschlich sind. Jedes Tier, jede Pflanze war mir hier vertraut. Der Sonntag war für mich verloren wenn ich nicht in der herrlichen Waldeslust weilte. Wie oft zog es mich Sonntag Abends zum Wolfsberg hin, um Meister Dachs am Bau zu beobachten. Ich sehe im Geiste Bussard und Milan über Fichten- und Husarenberg kreisen. War es nicht ein schöner Ausblick wenn man auf Brombachs Zeichenberg stand und die Umgebung betrachtete. Ja unsere Heimat war schön, und jetzt da wir sie verloren haben wissen wir es jetzt richtig zu schätzen. Heute weht darüber der Sowjetstern, blühendes deutsches Kulturland zur Sibirischen Steppe geworden. Ob es noch einmal anders wird, ob wir unsere Heimat noch einmal sehen ? Ich bin in der Sache Schwarzseher. Und nun will ich schließen, sei vielmals gegrüßt von deinem Landsmann Artur Sperling.
Laß nun einmal von dir was hören.

Panzergrenni22

hi mr simpson.
ja wenn man den brief liest gehts eim doch schon ins gemüt.

undertaker

Hallo,

da meine Schwiegermutter aus genau dieser Gegend stammte, kann ich diese Zeilen gut nachvollziehen. Sie wurde als junge Frau von denRussen zur Zwangsarbeit verschleppt. Ihre Schilderungen über den Transport trieben ihr auch nach 60 Jahren noch die Tränen in die Augen. Sie wurde nach "nur" vier Jahren Zwangsarbeit schwer krank in den Westen "entlassen" und traf dort mit der restlichen überlebenden Familie zusammen.

Undertaker
Gut Fund

Undertaker

isasowilo

Hallo Mr. Simpson,

ein hartes Stück vergangenheit, tausenden ging es damals so. Alles verloren, verschleppt, vergewaltigt und ermordet . . .
Du hast mit dem Brief ein Fenster in die Vergangenheit aufgestoßen. Ein erschütterndes Dokument.

Traurigen Gruss

Isasowilo

stekemest

Solche Dokumente führen einem erstmal wieder vor Augen, wer hinter all den Artefakten, die man findet, eigentlich steckt: Der Mensch.
Hinter allem, was man ausgräbt, stecken Gefühle, Gedanken, Wünsche und Hoffnungen... dieser Blick auf das Wesentliche, nämlich die Geschichte hinter dem Artefakt, geht leider viel zu oft verloren.

gruß, stekemest

VNVNATIONboy

Zitat von: stekemest in 20. September 2006, 22:56:30
Solche Dokumente führen einem erstmal wieder vor Augen, wer hinter all den Artefakten, die man findet, eigentlich steckt: Der Mensch.
Hinter allem, was man ausgräbt, stecken Gefühle, Gedanken, Wünsche und Hoffnungen... dieser Blick auf das Wesentliche, nämlich die Geschichte hinter dem Artefakt, geht leider viel zu oft verloren.

gruß, stekemest

Also dieses Gefühl habe ich eigentlich immer wenn ich etwas finde,egal ob es jetzt eine Münze ist oder etwas anderes.Deshalb ist es für mich auch total unwichtig ob ein Fundstück "wertvoll"-da der Wert ja immer ansichtssache ist-ist oder nicht.