Eine vollständige Felsgsteinbeilklinge in einem kuriosen Verwitterungszustand

Begonnen von thovalo, 30. Juli 2017, 15:56:57

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thovalo


Hallo zusammen!  :winke:

Gestern habe ich eine weit umfassende archäologische "Expedition" gestartet und mich nach drei Stunden Aufenthalt in der späten Altsteinzeit dem Neolithikum am Rheinlauf gewidmet. Mir blieb leider nur noch die Restenergie in schwülem heissen Wetter etwa ein Viertel eines der vielen bislang abgeernteten aber noch nicht intensiver bearbeiteten Hauptfundplätze über weitere drei Stunden intensiv zu begehen. Das waren etwa zwei Drittel des sogenannten "Siedlungshügels" nahe zum Flusslauf.

Auf dem Hügel befand sich u.a. Felsgesteinbeilklingenwerkstatt: Klopfsteine in drei Größen- und Gewichtskategorien aus Geröllen, Halbfabrikate, in der Bearbeitung zerbrochene Belege, einige vollständige Stücke, Trümmer von Schleifwannen aus Quarzit (von einer kam Gestern ein Fragment mit zutage) usw.


Gestern war ich bereits vollkommen geschafft, als ich unvermittelt eine vollständige Felsgesteinbeilklinge stand.

Die Länge beträgt 15 cm.
Das Gewicht beträgt 438 g.
Die Form ist spitznackig, der Querschnitt ist oval.



Aufgrund der ypologischenMerkmale kann eine Datierung "ab" dem Jungneolithikum angesetzt werden.

Was die Beilklinge als Besonderheit auszeichnet ist die weit überwiegend fortgeschrittene massive Verwitterung des Gesteins. Wenn nicht eine Teilpartie der Schneide mit einem Übergang zum Korpus noch deutlich beschliffen erhalten geblieben wäre, hätte man das Objekt eher noch als mögliche Vorarbeit einer Felsgesteinbeilklinge ansprechen können.

So herb markant habe ich ein Verwitterungsphänomen an einer Felsgesteinbeilklinge noch nie gesehen!  :glotz:

Das Gestein ist grau mit einem Schimmer in Richtung grau-grünlich. Offensichtlich sind aus der Matrix des Felsgesteins die schwärzlich-dunklen kristallinen Einschlüsse "ausgewittert". Durch den gesamten Korpus läuft eine harte dunkle massive Ader die so etwas wie das "Rückrad" der Beilklinge bildet. Ich denke, ohne diese Schicht wäre die Beilklinge noch weitgehender aufgelöst und vielleicht auseinander gebrochen.

Die lineare "Schichtbildung" ist vollständig umlaufend beschliffen, während die Matrix des Gesteins drum herum bereits grobporig ausgewittert ist. Diese Beobachtung dokumentiert, dass es sich tatsächlich um eine ursprünglich vollkommen überschliffene Felsgesteinbeilklinge gehandelt hat.


Im ersten äußeren Eindruck wäre sogar Amphibolit vorstellbar gewesen, in Bezug auf das Gewicht eher ein Vulkanit, ggf. eine Basaltvariante. Vulkanite haben ja durchaus auch unterschiedliche Übergangsphasen der Gesteinbildung.

Anscheinend haben geochemische Einflüsse die dunklen Inklusen der Matrix aus der Oberfläche der Beilklinge heraus gelöst was zu einer tiefen und groben Porenbildung geführt hat.

Ich kenne vom Fundgelände Belege von Beilklingen und das Fragment einer Axtklinge aus Basalt die mehr oder weniger stark angewittert sind. Diese wirken in der Oberfläche allerdings "verwaschen" und beim Reiben "absandend". Schon erstaunlich genug!

Den hier vorliegenden krassen erodierten Fundzustand der Oberfläche an einer sonst vollständig erhaltenen Felsgesteinbeilklinge habe ich bislang weder auf dem Fundgelände noch jemals in irgendeiner Sammlung gesehen und ich habe sehr viel gesehen.


Vielleicht kann Jemand das Gestein näher identifizieren und ggf. auch die Hintergründe des Verwitterungsphänomens erläutern?


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Nanoflitter

Wirklich sensationell vergammelt. :super: Da Basalte doch in sehr verschiedenen Arten auftreten und sehr witterungsanfällig sind, wäre das eine Möglichkeit. Dagegen spricht jedoch die Ader. Basalt ist normal sehr homogen. Im Amphibolit treten häufig Adern und Klüfte auf, von daher wäre ich eher dafür. Auch die von dir beschriebene Farbe wäre passend. Gruss...

Birk

Es ist schon echt der Hammer, wie stark das Material angegriffen wurde. :staun:  Das macht dieses Stück wahrlich zu einem  sehr sehr interessanten  Fund.
  Gruß
  Thomas

thovalo

Zitat von: Nanoflitter in 30. Juli 2017, 17:39:30
Wirklich sensationell vergammelt. :super: Da Basalte doch in sehr verschiedenen Arten auftreten und sehr witterungsanfällig sind, wäre das eine Möglichkeit. Dagegen spricht jedoch die Ader. Basalt ist normal sehr homogen. Im Amphibolit treten häufig Adern und Klüfte auf, von daher wäre ich eher dafür. Auch die von dir beschriebene Farbe wäre passend. Gruss...

Den Hinweis auf Amphibolith habe ich noch einmal von anderer Seite erhalten.
Das scheint die Tendenz zu sein.

Es fand sich vor etlichen Jahren schon eine kleinere Amphibolithbeilklinge auf dem benachbarten Flurstück.

Noch ein Flurstück weiter die Klingenpartie einer in der Bohrung gebrochenen mittelneolithischen Axtklinge.
An dieser Axtklinge sind die dunklen Einschlüsse gleichfalls ausgewittert.
Das Erosionphänomen ist wirklich hoch interessant.
Sucht nach Erklärungen.  :kopfkratz:


lG Thomas   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo


Heute konnte ich mich nochmal näher damit beschäftigen .....  es gibt noch eine Gesteinvarietät die Betracht kommen kann:

Diabas


Amphibolit wie Diabas enthalten Hornblende und dieses Mineral scheint ausgewittert zu sein was dann auch den Zerfall der Matrix verursacht haben könnte. Voraussetzung für die Verwitterung ist die Oxydation unter Sauerstoffzufuhr. Das würde bedeuten, dass die nicht verwitterte kleine Partie mit Schliff unter Sauerstoffabschluss in einer lehmigen Schicht eingelagert gewesen war.

Ein sicher nicht allzu häufig zu beobachtendes Phänomen.


Für´s Sommerloch ein toller Fundbeleg


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Sorry, dass ich mich jetzt erst einklinke.

Es könnte auch Dolerit mit deutlichen weicheren kleineren und größeren Feldspat-Einsprenglingen sein, die im Laufe der Zeit herausgewittert sind. Wobei Diabas wohl nur eine andere Bezeichnung für Dolerit ist.

Thomas, teste doch einfach mal, ob du mit dem Beil Granit bearbeiten kannst. Wenn ja, ist es wahrscheinlich der noch härtere Dolerit. :zwinker:

Nein, im Ernst: Ein sehr interessanter Fundbeleg. Auf den ersten Blick habe ich an ein gepicktes Walzenbeil gedacht. Die sind ja auch mitunter eher oval als rund. Aber bei näherer Betrachtung scheidet es natürlich aus.

LG Holger
Das Leben ist die Summe all unserer Entscheidungen

thovalo



Sobald das Gestein klar identifziert sein wird, gebe ich Nachricht!  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

dappeler

Eins bist du dem Leben schuldig, kämpfe oder trags mit Ruh -
Bist du Amboss, sei geduldig, bist du  Hammer schlage zu!

thovalo



Ich denke das Gestein der Beilklinge ist unter dem Oberbegriff "amphiboles Gestein" gut beschrieben. Je nach Entstehungsbedingungen gibt es unterschiedlich variierende Bildungen und Übergangsformen.

Amphibolit ist definiert als Gestein, das durch die metamorphe Umwandlung von Basalt, dessen Tiefenäquivalent Gabbro oder anderen Meta-Basiten unter Druck- und Temperaturbedingungen der Amphibolit-Fazies entstanden ist (T ≈ 550–700 °C, P ≈ 200–1200 MPa).


und

Amphibolite sind mittel- bis grobkörnige, teils massige, teils geschieferte regionalmetamorphe Metamorphite, meist aus ultramafitischem Ausgangsmaterial, bestehend aus den Hauptgemengeteilen
Amphibol 30-70% (meist Mg-Hornblende; ansonsten Aktinolith, Antophyllit, Gedrit)
Plagioklas 15-40%,
Quarz
Granat
Epidot
Bei Feldspatgehalten über 50% ist der Name Amphibolgneis, bei Amphibolgehalten über 80% der Name Amphibolschiefer angebracht.

Farbe: dunkelgrün, grau- bis schwarzgrün.



An der Beilklinge sind dann Mineralbestandteile durch chemische Prozesse ausgewittert, wobei erstaunlicherweise unter wohl spezifischen Bedingungen der Einlagerung des Artefakts eine Restpartie der beschliffenen Oberfläche erhalten geblieben ist.


lG Thomas  :winke:


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

lapillus

Zitat von: thovalo in 06. August 2017, 15:11:13

Ich denke das Gestein der Beilklinge ist unter dem Oberbegriff "amphiboles Gestein" gut beschrieben.


Ich weiß ja, dass Du fachlich wirklich sehr versiert bist, dennoch staune ich, was du so aus der Lamäng ziehst.

Oder hast du nur die Quellenangabe vergessen einzufügen?

thovalo


Hallo!

Manches kütt  us dä Lameng und Anderes kann frei gegppgelt werden!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Hallo Zusammen!  :winke:


Hier folgt die Rückmeldung zur Bestimmung der Beilklinge:


Nach Vorlage handelt es sich um eine "Parallelbeilklinge aus Amphibolit".  Es handelt sich nach aktuellen Fundbestand um den erst dritten gesicherten Fundbeleg einer eindeutig zu identifizierenden Parallelbeilklinge aus Amphibolith aus dem Rheinland. Die Besonderheit ist das verwendete Material.

Auf dem konkreten Fundplatz bestand im Neolithikum eine Produktionsstelle für Beilklingen die weit überwiegend aus Flußgeröllen aus Siltstein gefertigt worden sind. Die Beilklinge wird aam wahrscheinlichsten bereits fertig gestellt an den Ort gelangt sein und gehört zu den extrem zahlreichen  Hinterlassenschaften der etwa dreitausendjährigen neolithichen Besiedlung des Fundpunktes.

Typologisch ist eine Datierung in das jüngere Neolithikum (MK) möglich. Das Gesamtfundareal gehört zu den zentralen Orten der Michelsberg Kultur in ihrem Gesamtverbreitungsgebiet und liegt an einem Rheinübergang über den als Besonderheit die Distribution von Silices aus der Maasregion geführt worden war.

Vor dem Hintergrund der im Fundspektrum dokumentierten intensiven und vielfältigen überregionalen Kontakte, lässt auch das Auftreten der Beiklinge aus der exotischen Gesteinvarietät gut ableiten.

Die "Auflösungserscheinung" der Oberfläche des verwendeten Amphibolits lässt sich durch die nachhaltige Einwirkung des Bodenchemismus erklären.


Neolithische Parallelbeiklingen aus Amphibolit kommen nach meiner Erinnerung an die entsprechende Literatur häufiger in Hessen vor. Möglicherweise geht das Material des Fundbelegs oder der Fundbeleg selber auf Austauschbeziehungen in Richtung des Mittelrheins und Hessen zurück.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

Zitat von: thovalo in 06. August 2017, 15:11:13

Ich denke das Gestein der Beilklinge ist unter dem Oberbegriff "amphiboles Gestein" gut beschrieben. Je nach Entstehungsbedingungen gibt es unterschiedlich variierende Bildungen und Übergangsformen.

Amphibolit ist definiert als Gestein, das durch die metamorphe Umwandlung von Basalt, dessen Tiefenäquivalent Gabbro oder anderen Meta-Basiten unter Druck- und Temperaturbedingungen der Amphibolit-Fazies entstanden ist (T ≈ 550–700 °C, P ≈ 200–1200 MPa).


und

Amphibolite sind mittel- bis grobkörnige, teils massige, teils geschieferte regionalmetamorphe Metamorphite, meist aus ultramafitischem Ausgangsmaterial, bestehend aus den Hauptgemengeteilen
Amphibol 30-70% (meist Mg-Hornblende; ansonsten Aktinolith, Antophyllit, Gedrit)
Plagioklas 15-40%,
Quarz
Granat
Epidot
Bei Feldspatgehalten über 50% ist der Name Amphibolgneis, bei Amphibolgehalten über 80% der Name Amphibolschiefer angebracht.

Farbe: dunkelgrün, grau- bis schwarzgrün.



An der Beilklinge sind dann Mineralbestandteile durch chemische Prozesse ausgewittert, wobei erstaunlicherweise unter wohl spezifischen Bedingungen der Einlagerung des Artefakts eine Restpartie der beschliffenen Oberfläche erhalten geblieben ist.


lG Thomas  :winke:






Ich habe keine Quellenangabe gemacht, was ich noch nachholen möchte:

1. https://de.wikipedia.org/wiki/Amphibolit
2. https://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/RockData?rock=Amphibolit
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Steinkopf

Danke Thomas für diese Nachhilfe üner Amphibolit.
Wenn es sich nicht gerade als Beil zu erkennen gibt,
wird diese Gesteinart mit wohl ein Rätsel bleiben.

LG
Jan

thovalo

Zitat von: Steinkopf in 12. August 2021, 22:27:08
Danke Thomas für diese Nachhilfe üner Amphibolit.
Wenn es sich nicht gerade als Beil zu erkennen gibt,
wird diese Gesteinart mit wohl ein Rätsel bleiben.

LG
Jan

Gerne doch!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.