Ziemlich grobes Ding aus Flint

Begonnen von StoneMan, 16. Februar 2015, 00:41:53

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StoneMan

Moin,

zur Diskussion kommt ein Objekt von einem Acker aus Norddeutschland,
Entfernung zur Ostseeküste etwa 1 km.

Ein paar weitere Fundbelege von diesem Areal im Radius von 1,5 km:
> Ein Dolchfragment, einige Abschläge, sowie einfache schabende und schneidende Geräte,
und unter anderem noch dies > klick < und das > klick < ...


Die Grundform schätze ich als ein Geröll ein.
120 x 48 x 29 mm, Gewicht 185 g

Die Dorsalseite weist in Längsrichtung je zur Hälfte Cortex und eine Altfläche auf.
Auch die (komplette) Ventralseite war m. E. eine Altfläche.
Diese Altflächen sind leicht runzelig/narbig. Eine Folge der teils großen Bryozoa?

Die des breiten Rückens gegenüberliegende Laterale ist bilateral mittels wenigen
Schlägen mit groben Retuschen zu einer Schneide zugerichtet.
Das terminale Ende ist ebenfalls bilateral modifiziert worden.
Ob das basale Ende eine artifizielle Bruchfläche ist oder auch eine Altfläche, vermag ich
nicht zu sagen. Die Fläche ist wellig wie die Ostsee bei beaufort 3 ohne Schaumkronen ;-)

Flint und Oberflächen.
Ein mit Bryozoen durchsetzter schmutzig graubraunen Flint.
Abgesehen von der weißlichen Cortex-Fläche, ist das Objekt außen etwas farbenfreudiger.
Die beiden Breitseiten sind mittel- bis dunkelbraun, mit einer Karamellnote. Diese Seiten sind
von leichtem Glanz über wachsartige bis seidenmatt.
Der breite Rücken dagegen ist dunkelbraun ´geröstet´, über die ganze Länge stark glänzend
und fast speckig.
Die basale Bruchfläche ist ähnlich seidenmatt wie Teile der Breitseiten.

Die Färbung sieht fast "wie" Moorpatina aus, ist tief in den Stein eingedrungen. Wäre bei einer
Einlagerung im Moor die Cortex nicht ebenso braun?

Ich hoffe ihr werden ungeachtet meiner detaillierten Beschreibung eure vorurteilsfreie
Meinung zu diesem Stück kundtun.

Danke im Voraus

Jürgen

PS zu den Bildern sf2 und sf3 zeigen jeweils die Schneide in leicht verdrehter Stellung
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Marienbad

Moin,
ich denke da sofort an ein "Kerngerät", die Form und Zurichtung sowie das Material passen.
Evtl. sollte es ein Kernbeil werden, oder es wurde luschig gearbeitet. Ob geschäftet oder nur in der Hand geführt, man
könnte das Teil schlagend nutzen. Die Zeitstellung würde ich mesolitisch vermuten.
:winke: Marienbad

StoneMan

#2
Moin,

@ Manfred, danke für Deine erste Einschätzung.

Mit Kerngerät und luschiger Ausführung gehe ich gerne konform.
Dass man es mit der Hand geführt hat, kann ich mir ebenfalls sehr gut vorstellen.
Der ´speckige´Rücken lässt auf Handschweiß schließen (?).

Dann denke ich aber, dass der dicke Rücken in der Hand lag, ggf. dabei der Daumen
auf der Dorsalseite/Cortex zu liegen kam und der Zeigefinger auf dem Rücken.
Dabei wäre dann mit der "Schneide" eine schlagende, sägende/schneidende Verwendung
für Knochen oder Holz denkbar.

Freue mich auf weitere Meinungen.

Gruß

Jürgen

PS Zur Verdeutlichung der vermuteten Handhabung.
Unterstes Bild > vielleicht ist der Griff durch brachiales Schlagen abgebrochen...
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Marienbad

das könnte auch möglich sein.

                   :winke:

Scherbenauge

Moin Jürgen,

für mich sieht das doch eher wie ein Geofakt aus ... Maha meinte, man sollte nicht versuchen in Geräte ein Funktion hineinzuinterpretieren. Es gab quasi "klare Vorschriften" für die Mesis wie ein Gerät anzufertigen war. Nur selten wurden Gerölle aufgehoben und noch einmal bearbeitet. Was an deinem Teil wie grobe Retuschen aussieht, scheint auch neueren Datums, weil die Abnutzungserscheinungen und Abrollungen fehlen, die an den restlichen Kanten zu sehen sind.

Aber man weiß ja nie ... ich mach Platz für die nächste Meinung ...

Gruß Scherbenauge

StoneMan

Moin,

´Maha´ hat sicher recht, sowohl mit dem Hineininterpretieren, was man tunlichst nicht
auf Deubel komm raus machen sollte, als auch mit den klaren Vorschriften.

Adhoc-Geräte unterliegen jedoch wohl kaum den standardisierten Arbeitsprozessen.

Diese groben Retuschen sind ähnlich wie die jeweilige Seite mit wachsartiger,
seidiger Patina überzogen.
Auf der Ventralseite an der ´Schneide´, befindet sich eine rezente Beschädigung, diese zeigt
deutlich den frischen Flint ohne Patina. Auf den Fotos kann man das leider nicht sehen.

Das erwähnte Mesolithikum kommt durchaus hin. Spuren der Ertebølle-Kultur sind
nur etwa sechs Kilometer entfernt bekannt.

Danke für Deine Gedanken Mike.

Ich hoffe trotz der Barbarenschatz-Story auf die nächste Meinung.

Gruß

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry

Steinkopf

#6
Hallo Jürgen,

Die fünf mit roten und grünen Pfeilen markierten Abschläge sind etwa gleich groß
und formen einen Grat. Es ist vielleicht ein begonnenes und verworfenes Stück.

Für Kerngeräte wurden durchaus passende Flintstücke genommen.
Möglicherweise erwies sich dieser Rohling als zu klein für das geplante Werkzeug?

Deine Frage nach der unterschiedlichen Patinierung der Rinde lässt sich nicht generell beantworten.
Sowohl der Cortex als manchmal auch die Zone darunter weichen manchmal in der Verfärbung
vom Farbton der Spaltflächen im inneren ab.

Schöne Grüße

Jan




StoneMan

Moin,

@ Jan,

das kann gut sein, verworfen oder nur kurzfristig in Gebrauch (meine Bruchthese).

Danke für die Erklärung zur unterschiedlichen Verfärbung von Cortex/Zonen/Spaltflächen.
Diese Beobachtung habe ich an Spaltflächen bereits mehrfach gemacht. Ich führte das u.a.
auch auf Lagerungsbedingungen und Texturunterschiede zurück.
Würdest Du mir zustimmen können, dass keine Moorpatina vorliegt? Dann würde ich mich
weniger wundern, dass die Cortex noch so weißlich ist.


@ Mike,

was ich vorhin vergessen habe zu erwähnen. Der "Schneidengrat" ist zwar relativ scharfkantig,
die Retuschen sind in dem Halbbogen, im Bereich der Körpermitte, verrundet, da sind keine
Bruchspuren neueren Datums,

Danke euch beiden nochmals.

Gruß

Jürgen
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StoneMan

Moin,

Zwischenstand

Die Fundmeldung ist mit zwei weiteren lange raus, man bat mich um Geduld.

Zwischenzeitlich konnte ich es einem Archäologen in die Hände geben, der das Inventar
meiner Fundregion gut kennt.

Er bestätigt den intentionellen Charakter und somit eure Einschätzungen  :super:


Gruß

Jürgen

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Antoine de Saint-Exupéry

psearch

Au weia, bei meinen silikatreichen Äckern hätte so etwas auch der Pflug machen können, man muss sich nur genügend Stücke ansehen. Da sieht man mal wieder wie unterschiedlich die Fundlandschaften so sind  :-D

StoneMan

Moin,

@ psearch,

es ist nicht so, dass die Pflüge in meinem Suchgebiet das nicht auch könnten > Klick <

Aber es gilt, all diese Stücke vor dem Verwerfen sehr genau zu betrachten. Dazu lese auch hier > Klick <

Gruß

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry

RockandRole

Servusle,

bei der Wechselretusche würde ich ungern an Pflug denken mögen. Der kann schon von beiden Seiten, aber so wäre ja außergewöhnlich.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Nanoflitter

Wie kommt dieser Thread eigentlich auf über 2000 Aufrufe, nix für ungut, Jürgen, das Ding ist interessant. :super:  :kopfkratz: :kopfkratz: :kopfkratz: Gruss...

StoneMan

Zitat von: Nanoflitter in 10. Mai 2017, 21:58:35
Wie kommt dieser Thread eigentlich auf über 2000 Aufrufe, nix für ungut, Jürgen, das Ding ist interessant. :super:  :kopfkratz: :kopfkratz: :kopfkratz: Gruss...
Woah - das habe ich noch gar nicht gesehen.

Möglich, dass da eine Menge "Robots" mitverantwortlich sind (?).

Gruß

Jürgen
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Nanoflitter


StoneMan

#15
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Nanoflitter

Ja, was das ist, ist mir klar, nur warum die sich auf deinen Beitrag stürzen ist schon ungewöhnlich, auch wenn man mal paar Seiten unter Steinfunde zurückgeht, ist das viel Aufmerksamkeit in so kurzer Zeit.  :zwinker: Gruss...

StoneMan

@ Nano, Zufall? Hättest Du eine andere plausiblere Erklärung?

Wobei 2000 Beiträge auch nicht total außergewöhnlich ist. Es gibt auch 5000er und 8000er.
Man darf die stummen Mitleser nicht unterschätzen.

Gruß an die Stummen ;-)

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry