Ein kleiner, schmaler Klingenkratzer

Begonnen von thovalo, 12. Oktober 2025, 14:51:49

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thovalo

Moin!

Ich habe vor drei Tagen die Feldflur auf einem späteiszeitlichen Dünenrücken, hinter unserem Haus, systematisch prospektiert. Über den Zeitraum von dreißig Jahren hinweg hat der Bereich, bis auf ein spätaltsteinzeitliches Federmesser, ausschließlich mesolithische Artefakte überliefert. Es handelt sich meist um Bearbeitungsreste in Form von Kernsteinen, kleinen Klingen und Abschlägen. Dazu kleine Abschlagkratzer, Lateralretuschen, Endretuschen und einige Mikrolithen. Das Mikrolithenspektrum, darunter drei Trapezmikrolithen, deutet auf ein spätes Meolithikum hin.

Bei der aktuellen Begehung konnte ich nun diesen kleinen Klingenkratzer auflesen, der distal und unilateral linksseitig genutzt worden war. Klingenkratzer gehören jedoch NICHT zu den regelhaften Fundbelegen auf rheinischen Fundplätzen des Mesolithikums im Rheinland.

Nach der Literatur kommen sie im Norden regelhaft und auch in süddeutschen mesolithischen Fundinventaren vor. Ich habe mir jetzt die wenigen bekannten rechtsrheinischen mesolithischen Fundkomplexe durchgesehen. Da gibt es kein Vergleichsstück..

Da der rechte Niederrheinnoch nicht durch die Linenbandkeramik erschlossen wurde, ist eine frühneolithische linearbandkeramische Zeitstellung recht
unwahrscheinlich.

Die Länge der verwendeten Grundform liegt nur wenig über den sonst auf der Flurpartie aufgelesenen mesolithischen Klingenformen. Da das Stück aus nordischen / baltsichen Flint besteht, wie alle Fundbelege hier und nicht aus maasländischen Silex, nehme ich am ehesten eine Beziehung zum mesolithischen Fundinventar des Dünenbereiches an.

Vielleicht hat ja Jemand von Euch einen vergleichbaren Beleg aus eigenen mesolithischen Fundbegehungen?


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Die Schlagmerkmale und die recht geraden und einmal leicht tordierten Seitenansichten deuten auf einen weichen Schlag zur Herstellung der  Grundform hin.


lG Thomas   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Noch ein Bild mit einigen der mesolithischen Klingen vom Fundareal.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Jondalar

Hallo Thomas,

ein fundträchtiger Acker direkt hinter dem Haus! Prächtig!

Ich habe mehrere Klingenkratzer von einem Feld mit einer gesichert mesolithischen Komponente, allerdings auch mit Funden aus anderen Zeitstellungen. Damit ist Dir dann vermutlich nicht geholfen, oder?
Viele Grüße

Jondalar
'Das Leben ist einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen!'
(Konfuzius)

Neos

Moin, Thomas,

na, wenn das mal kein museales Premium-Stück ist! Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Klingenkratzer!  :Danke2:

Ich bin eben mal alle Klingenkratzer durchgegangen, die ich je gefunden habe. Darunter war gerade mal einer, der in etwa in die Richtung geht, wie dein Fundstück. Er ist jedoch neolithischer Herkunft. Die meisten meiner mesolithischen Klingenkratzer sind deutlich kürzer.

Viele Grüße

Frank

Carolus Rex

Hi.

Hast den auch mitgenommen?

Gruß CR
------------Melden macht frei--------------

thovalo



Vielen Dank für Eure Einschätungen und Beiträge!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Fischkopp

Moin Thomas,

ganz Toller Fund! Danke fürs mitnehmen und schöne Doku. Ich habe nichts vergleichbares beizutragen. Danke für den Hinweis das weich geschlagen wurde und all dein Wissen in diesem Beitrag!

LG Fischkopp

Neos

Zitat von: Carolus Rex in 12. Oktober 2025, 16:58:36Hi.

Hast den auch mitgenommen?

Gruß CR
Hi, CR,

den stelle ich ein anderes Mal vor.  :-D

Viele Grüße

Frank

Steinkopf

Moin Thomas,

ich hab etwas gesucht und ein kleines Gegenstück vorzuzeigen.
Es ist mit 6,3 cm etwas länger und hat auch keine seitliche Retusche.
Fundort ist in der Ostseeregion am kleinen Belt.

LG
Jan

thovalo



Der ist auch lang-schmal und ein sehr feiner Feuerstein!


Dankeschön für das schöne Beispiel!


Für den Fund hier bekam ich drei unterschiedliche Rückmeldungen

- spätaltsteinzeitlich (Hamburger Kultur) ....

das war sehr interessant, weil ich nicht erwähnt hatte, dass auf der Düne ein außergewöhnlich großformatiges Federmesser in bester Feuerstienqualität mit augefunden worden ist und eine Schiefergravur, die aktuell bereits zum dritten Mal facharchäologisch untersucht wird. Im Nachbarort befindet sich der inzwischen mit bedeutendste Fundort der spätaltsteinzeitlichen Federmesserkultur im Rheinland. Unter hunderten Artefakten befindet sich eine einzige vergleichbare und etwas breitere Klinge. Sonst habe sie dort Abschläge erzeugt und daraus ihre Werkzeuge gearbeitet. Und die Bearbeitungstechnik ist nicht technologisch nicht besonders ausgeprägt.


- spätmesolithisch

Für das Rheinlaund gilt das evidente Konzept der PARALLELkulturen. Während links des Rheins bereits die altneolitische Linearbandkultur Ackerbau betrieb und regelhaft Häuser gleichen Typs baute, blieben die Menschen rechts des Fusses in ihrer mesolithischen Lebensweise. So könnte dieser kleine Klingenkratzer zumindest als Anregung für diese Form adptiert worden sein. Ein Austauschstück ist es nicht denn die linksrheinischen Neolithiker verwendeten ausschließlich westlichen Maasfeuerstein.

- mittelneolithisch

erst die Rössener Kultur erschloss sich auch Gebiete rechts des Rheinlaufs, doch hielt sie sich vor allem in direkter Nähe des Flusses. Es gibt bislang keine Hinweise aus eine mittelneolithischen Siedlung hier im Ortsgebiet.


es bleibt dynamisch.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#11


Einen guten Samstagmorgen Euch Allen!

Gestern konnte ich mich über den Fund dieses Klingenkratzers nahe Düsseldorf mit Brigit Gehlen (Universität Köln) austauschen. Der Abbauwinkel von etwa 90 Grad, die schmale und dünne Grundform sowie  der von ihr, bei aller Ähnlichkeit zum maasländischen Feuertein vom Typ Rullen, doch als viel eher baltischer Feuerstein angeprochene Feuerstein, datieren diesen Fundbeleg tatsächlich ins Mesolithikum.

Mich hat der Fundbeleg eines Klingenkratzers hier sehr irritiert, daß es in keiner Publikation zu mesolithischen Fundplätzen im Rheinland die Besprechung oder Zeichnung eines Klingenkratzers gibt, sondern stets nur die allseits bekannten kleinformatigen kurzen oder weit umlaufend retuschierten kleinen Kratzer.

Der Schlagwinkel um die 90 Grad, die schmale und dünne Form sowie der baltische Feuerstein, datieren den Klingenkratzer in das Mesolithikum. Auf den ersten beiden Bildern ist er mit den den in dem Fundbereich aufgelesenen Trapezen und einer Pfeilschneide zusammengelegt, die im Rheinland gesichert in das Spät- bis Endmesolithikum datieren. Das obere der Trapeze ist verbrannt.

Es gibt von dem Fundareal noch einige Mikrolithen des Beuronien B (dorso-ventral basisretuschierte Dreiecksmikrolithen), sowie ein Federmesser und eine sekundäre Stichellamelle der Federmesserkulturen.

In der rechtsrheinischen Region hier sind bislang nur zwei spätaltsteinzeitliche Fundplätze wissenschaftlich gesichert dokumentiert und bislang nur dieser eine des Mesolithikums. Der überlieferte Belege von zwei zeitlich getrennten Aufenthalten während des Mesolithikums und einmal im noch älteren, späten Paläolithikum, zeichnet den hier gelegenen Fundplatz als naturräumlich wohl bevorzugten und auf den Wanderrouten günstig gelegenen Aufenthaltsort aus. Weil hier im gesamten Umland noch viele weite Waldflächen bestehen ist damit zu rechenen, dass sich unter der Waldbedeckung noch einige urgeschichtliche Fundstellen verbergen werden.

Das aus Versehen zweimal eingestellt Bild kann icih leider nicht mehr löschen.



lG Thomas  :winke:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Hallo Thomas,

danke für die ergänzenden Informationen zum Fundstück, vor allem zur zeitlichen Einordnung. Den Klingenkratzer hätte ich eher dem ausgehendem Paläolithikum oder dem Neolithikum zugeordnet, nicht aber dem Mesolithikum.

Da kann man sehen, wie hilfreich es ist, wenn man einen Fachmann, im speziellen Fall eine Fachfrau, zu Rate ziehen kann.

LG
Holger
Ignoramus, ignorabimus.