Was ist ein "Ausgesplittertes Stück"?

Begonnen von rolfpeter, 07. April 2008, 18:08:39

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rolfpeter

Servus Freunde,
man liest in der Literatur immer wieder von Ausgesplitterten Stücken. Hahn beschreibt diese als Werkzeuge, bei denen die Modifikation durch den Gebrauch an sich entsteht. Es handelt sich also praktisch um das letzte Stadium im Leben eines Gerätes.
Wo ist denn nun die Grenze zwischen Werkzeugen und Ausgesplitterten Stücken? Auf den Bildern sind zwei Abschlagkratzer gezeigt, mit denen nicht nur gekratzt wurde, sondern die vielleicht auch als Schlagwerkzeuge gedient haben. Sind das Ausgesplitterte Stücke?







Herzliche Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Hier mal so ein kurzer Abschnitt über Silextechnologie aus einer Publikation  über Silexwerkzeuge von Sipplingen:
"Unter der Gruppe der Abnutzungsgeräte sind 14 Ausgesplitterte
Stücke (Taf.14, 124,125, Katalognummern
126–137) und ein Feuerschläger registriert. Generell wird
den Ausgesplitterten Stücken eine meißelartige Funktion
zugesprochen. Allerdings können Aussplitterungen auch
vom Schäften der Stücke herrühren. Dies konnte im Inventar
von Reute-Schorrenried anhand von mikroskopischen
Gebrauchsspurenanalysen belegt werden (PAWLIK
1998, 196). Bis auf drei Exemplare mit unbestimmter
Grundform befinden sich die Aussplitterungen an Abschlägen.
Diese bildeten aufgrund ihrer stabileren Form
vermutlich die geeignetere Grundform als Klingen. Die
Aussplitterungsnegative liegen bei den Stücken mit erkennbarer
Grundform fast immer am Proximal- und Distalende.
Lediglich ein Exemplar (Katalognummer 130)....."

Das deckt sich auch mit den Beurteilungen meiner Archäologen....ein Kratzer oder  ein Stichel, Rückenmesser etc wurde  mir noch nie als ausgesplittert eingeordnet.... aber das mag  an meiner  endpaläolithisch- mesolithischen  geprägten Gegend liegen...
Es waren  hier immer stabile , meisselartige Grundformen.... und die müssen schon mächtig draufgehauen haben...
Aber dies ist nur ein extrem ausschnitthafter Versuch der Charakterisierung...denn verstehen kann ich diesen Begriff  trotzdem nicht.
Vielleicht hilfts ein wenig weiter
Bis bald
Edi

Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

wühlmaus

... hier wird die Wühlmaus zur Spitzmaus ...  :engel:

Manche archäologischen Fachbegriffe haben zwar einen wissenschaftlichen Klang, sind aber in der Praxis doch recht vage.

Klar, formt, bzw. verformt sich ein Werkzeug beim Gebrauch ... bei langem Gebrauch bis zur schlußendlichen Unbenutzbarkeit.
Man bedenke das wir Sucher dabei oft nur das finden, was unsere Altvorderen uns als Müll hinterließen ...

Ausgesplittert ist meiner Meinung nach am einfachsten mit der Betonung ausgesplittert zu lesen - dabei ist dann aus im Sinne von finito, Schluß, Ende, geht nix mehr, neingehtbeimbestenwillengarnichtmehr zu verstehen ...

Das vage Moment, die Schwammigkeit in diesem Begriff liegt im Wann? und zwar dem Wann in "Wann ist Schluß mit der Benutzbarkeit?" Da trau ich mich als Theoretiker des 21.Jh. und Nicht-Flintgeräte Benutzer mangels Praxis nicht ran ...

:winke:
Gerd

arriba



Klar, formt, bzw. verformt sich ein Werkzeug beim Gebrauch ... bei langem Gebrauch bis zur schlußendlichen Unbenutzbarkeit.
Man bedenke das wir Sucher dabei oft nur das finden, was unsere Altvorderen uns als Müll hinterließen ...

Ich musste leider ganz spontan an das Wort Ehe denken.....ist es nicht  individuell wann ein Mensch irgendwas als "nicht mehr nutzbar" empfindet?....Wenn reichlich Flint vorhanden war haben die Leute vielleicht relativ unbenutze Werkzeuge liegen gelassen  und umgekehrt, wenn kaum Material in unmittelbarer nähe war , bis zum geht nicht mehr benutzt? Hmm...Man nutzte ja bestimmt auch damals seine Zeit für das was einem am wichtigsten schien....vielleicht mussten die Leute im Norden mehr Zeit für die Jagd aufbringen als die die südlicher lebten o.ä.

Die Artefakte die ich jetzt im Winter gefunden habe, sehen fast alle "wie neu" aus.....aber sie mussten ja auch nur 150 Meter laufen um Feuerstein en mas zu finden....ich kenne jetzt nicht die dauer der herstellung von Klingengeräten :zwinker:

- Vielleicht durften die Kinder mit "dem Müll" spielen/ üben, und daher das Aussehen? Wie sieht den euer Auto aus wenn die Kinder 5 min. alleine dort saßen :zwinker:

Nicht gerade für einen Professor Titel geeignete Gedanken von Rikke (die eben ein Glas Rotwein getrunken hat)


Khamsin

Salaam!

Naja, der Name ist ja eigentlich Programm,, also nomen est omen, oder? Ein ausgesplittertes Stück ist ein ausgesplittertes Stück ist ein ...

Freilich, was ist es denn, oder besser, was verstehen die Archäologen darunter?

Da gibt es zwei Lager:

Die einen sehen darin ein keilartig genutztes und deshalb gegenständig ausgebrochenes, sprich ausgesplittertes, Artefakt.

Die anderen sehen darin eine hochspezielle Kernsteinform.

Betrachtet man eine grössere Zahl ausgesplitterter Stücke (pièce esquillée, splintered piece), dann wird klar, dass beide Gruppen Recht haben.

OK, wenn ich ein Klingenbruchstück oder einen kleineren Abschlag als Meissel bezutze, dann setze ich das Teil mit einer Kante auf das zu spaltende (relativ härtere) Material auf und schlage mit einem Schlagstein oder einem Schlägel aus gleichfalls härterem Material auf die nach oben weisende Kante. Unausweichlich bricht dann die aufgesetzte Kante bifaziell aus, und die obere Kante tut das auch. Voilà, übrig bleibt ein ausgesplittertes Stück.

Wenn ich aber z.B. ein vollkommen gerundetes Maasei aufknacken will, dann gibt es mit konventionellen Methoden grosse Probleme, weil sich einfach kein vernünftiger Ansatzpunkt, d.h. eine Schlägläche findet. Also setze ich das Kerlchen in Längsrichtung lotrecht auf einen Stein und schlage mit einem Schlagstein auf das obere, gerundete Ende. Die kinetische Energie wird reflektiert, und das führt dazu, dass - mit einer schönen, der natürlichen Wölbung der Oberfläche entsprechenden Richtung - langschmale, aber unregelmässige Abhübe entstehen. Immerhin wird auf diese Weise das ansonsten nicht zu attackierende Maasei geöffnet. Wenn dieser Prozess kontinuierlich weitergeführt wird, bleibt zum Schluss ein ausgesplittertes Stück übrig. In diesem Falle ist es ein veritabler Restkern!

Herzliche Grüsse KIS   
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"