Teilweise patiniert

Begonnen von rolfpeter, 18. April 2008, 21:54:25

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rolfpeter

Servus Freunde,

das hier stammt von einer relativ kleinen älter- oder mittelneolithischen Siedlung. Ich gehe selten und ungern dahin, weil ich regelmäßig Krach mit dem dortigen Reichsjägermeister kriege. Ich glaube, der liegt Tag und Nacht hinterm Busch und wartet nur darauf, mich zusammenzuscheißen. Egal!
Der Boden dort ist sehr steinig, die wenigen Artefakte sind meistens beschädigt, so auch dieses, aus einem Abschlag hergestellte Gerät. Nach der Definition von Hahns Artefaktmorphologie handelt es sich um einen Schaber. Die beiden Lateralseiten sind  Dorsal vollständig und relativ flach retuschiert. Die Spitze ist vielleicht rezent abgebrochen. Das Proximalende ist unbearbeitet. Erwähnenswert ist, daß die Grundform ein hellblau patiniertes Flintstück ist. An den retuschierten Stellen, auf der Schlagfläche und auf der kompletten Ventralseite ist der Stein unpatiniert. Die hellblaue Patinierung ist bei uns typisch für Jungpaläolithikum. Der Hersteller des Gerätes hat vielleicht ein damals schon altes Artefakt gefunden und weiterverarbeitet. Auf der Dorsalseite gibt es drei Negative, von denen die beiden linken auf dem 3. Foto von oben kommen, das dritte auf der rechten Seite von rechts.
Die Frage ist: War die Ursprungsform ein Artefakt oder ein Klamotte?







Herzliche Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Wieder.... ein  magisches Teil, RP! Auch wenn die stark zeitversetzte Zweitverwendung nicht zutreffen sollte.
Aber ich trau Dir zu die Ahnung zu haben ob  die Oberfläche  menschlich oder natürlich zugerichtet wurde.
Ein etwas größerer Zweitverwendungskratzer hätte Klarheit schaffen können....
Das ist sowieso ein spannendes Thema....Was machte ein Neolithiker wenn er z.B. beim Aushub völlig fremde Waffenbesätze oder Werkzeuge fand..... hätte er einen Faustkeil zu einem solchen Kratzer verhackstückt.... eine Solutreén-Spitze abgezwackt
In rohstoffarmen Gegenden müsste dies wohl öfter geschehn sein....

hab heute  einen eher spekulativen Abend...
Danke fürs Zeigen
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger

Hallo RP  :-)

Ein schönes Stück !!

Die Patina ist einfach wunderbar, diese Farbe !!
Mir wurde eigentlich sehr interessieren ein Foto von der Bulbusseite zu sehen !!  :winke:

rolfpeter

Ja Jungs, es ist schon ein faszinierendes Stück....Geheimnis der Vorzeit...
Ihr wollt Fotos? Hier sind sie!





HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Danke RP  :-)

Ich komme einfach von dem Gedanken nicht weg, das dies kein Schaber ist, sondern ein abgebrochener Bohrer.
Die Retuschen wären dann Schutzretuschen.

Gefühlssache, eben !?!?  :engel:

:winke:

rolfpeter

Die seitlichen Retuschen sind aber sehr spitz zugerichtet. Der Winkel ist etwa 30 Grad. Eine Schutzretusche sollte m.E. steiler sein. Ich schreibe oben "Nach der Definition von Hahns Artefaktmorphologie handelt es sich um einen Schaber", das bedeutet, daß es kein Kratzer ist. Danach sind Schaber Allzweckgeräte, ich vermute bei dem Stück eine schneidende Funktion wie bei einem Messer.
Die Schlagfläche ist übrigens nicht patiniert, das täuscht auf dem Foto.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Moin und salaam!

A tricky little darling - aber nur auf den 1. Blick!

RP, was hat man Dir denn in den Tee getan, was Dich zu der Frage veranlasst hat, ob das Ausgangsstück ein Artefakt ist?

Es ist doch alles da, um diese Frage mit einem sehr deutlichen Ja zu beantworten: Ventralfläche mit Bulbus und Schlagnarbe, Schlagfläche, Dorsalfläche mit - soweit erkennbar - vier/fünf gekappten Negativen. Also ein wg. Patina jung-/spätpaläoilithischer Abschlag. Flint sieht aus (Ventralfläche) wie Rijckholt, wohl als Rijckholt-Schotter vice versa aufgeklaubt.

Im entwickelten Neolithikum stolperte jemand drüber und hat ein schaberähnliches Werkzeug draus retuschiert. Wg. der gut erkennbar sauberen und flachen (!) Retuschierung auf der längeren Seite liegt eher messerähnliche Funktion nahe, da im Neolithikum bei Euch für schabende Tätigkeiten Kratzer belegt sind.

Übrigens, wenn ich gelegentlich im Spiegel mit mir konfrontiert werde, ist ebenfalls eine Grundpatinierung nicht zu verkennen! Auch marginale Retuschierungen - wie bei Deinem Fund - helfen darüber nicht hinweg. 

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"