Zwei Klassiker der Michelsberger Kultur vom rechten Niederrhein

Begonnen von thovalo, 22. September 2013, 10:06:31

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thovalo

 :-)

Gestern fanden sich u.a. zwei ausgesprochen charakteristische Fundbelege für das Geräteinventar der jungneolithischen "Michelsberger Kultur" in ihrem Verbreitungsgebiet im westlichen Mitteleuropa. Der Fundort repräsentiert einen zentralräumlich gelegenen und außerordentlich fundreichen Platz dieser Kulturerscheinung im Rheinland.

Die hier gefundenen Geräteinventare überliefern Artefakte die weit überwiegend aus Grundformen der Niederländischen Feuersteinvarietät "Rijckholt" hergestellt worden sind.

Einzelne jungneolithische Artefakte aus dieser Silexvarietät gelangten über viele hundert Kilometer weit hinweg noch bis in Seeufersiedlungen in der Schweiz. Das spricht für die hohe Qualität und Wertschätzung des Materials und der daraus gefertigten Werkstücke.


lG Thomas   :winke:


Der Kratzer:
Länge 6.2 cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#1
 :-)


Die Distalpartien der hier aufgefundenen Klingengeräte der Michelsberger Kultur weisen unterschiedliche Merkmale bzw.
Abnutzungszustände auf.


Das vollständige Klingengerät

Länge 12.8 cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Birk

Moin Thomas. Klasse Stücke. Die Fotos finde ich richtig gut. :super: Wenn man die Stücke so noch in Fundlage sieht. :zwinker: Bei mir , Hannover, liegt oftmals recht viel Feuerstein auf dem Acker. Also muß man sich die Stücke erst mal anschauen. Und dann hat man sie leider schon aus der Fundsituation heraus geholt. :besorgt:  Weiter so.
  Gruß
   Thomas

thovalo

#3
 :-)

Hallo Thomas!

Der Ort selber und auch die weitere Region liefern nur rundliche "Maaseier" und oft zerrütteten und kleinformatigen "nordischen" Feuerstein als sekundär abgelagerte Materialressource. Der "nordische Feuerstein" hat hier seine äußerste südliche Verbreitungsgrenze. Daraus konnten keine großformatigen Gerätschaften hergestellt werden.

Die charakteristische Färbung und die großen Formate der jungneolithischen Stücke fallen auf den reichlich mit Flussschotter aus Felsgesteinen durchsetzten Flächen auch nicht allzu leicht ins Auge. Dazu noch die Erntereste die eine freie Aufsicht behindern. Ich laufe deshalb immer sehr langsam enge Bahnen von etwa 30cm - 50cm Abstand parallel zueinander und das ganz meditativ stundenlang.

Dann kommen solche Situationen zustande. Entdecke ich einen Fund, dann hole ich die Kamera vom Fahrrad, mache die Bilder und erst dann löse ich die Funde aus ihrer Einbettung heraus. Da nicht immer klar ist was wirklich noch im Boden steckt sind solche Bilder wie hier immer auch Glückstreffer!

Der Maasfeuerstein musste mindestens über 130 Kilometer real zu bewältigender Strecke in einer Zeit ohne ausgebaute Autobahnen, Bundesstraßen und Strassenschilder hier her ausgetauscht werden. Wie die Menschen das damals bewältigt haben ist noch lange nicht abschließend sicher geklärt. Wenn überhaupt gab es Ochsengespanne und so genannte "Schleppen" und noch keine von Pferden gezogene Wagen mit Rädern an frei laufenden Achsen. So waren wohl am ehesten noch die großen und kleineren Flüsse die Transportwege was die Verwendung von Einbäumen und Booten als Transportmittel voraus setzt. Folgt man den heutigen Flussläufen aus der Maasregion dann mussten immer noch einige Teilstrecken über Land geführt haben. Also eine vielfältige Transportleistung die dazu noch von jahreszeitlichen Bedingungen, von benachbarten Territorien und anderen Rahmenbedingungen geprägt gewesen ist.

Aufgrund der enormen Fundmengen und hohen Qualität der Materialien und Artefakte ist das einfache "down-the-line"-Austauschmodell von Siedlung zu Siedlung vollkommen auszuschließen. Das Artefakt des Fundgeländes das die extremste Transportleistung repräsentiert stammt, am Königlichen mineralogischen Institut in Tervuren/Belgien durch die Radiospektralanalyse naturwissenschaftlich absolut gesichert dokumentiert, aus der Region um Genua in Italien.

Der Ort ist ein Zentralort von dem aus wohl insbesondere Gerätschaften und Grundformen aus Maasfeuerstein über den Rheinlauf und entlang der Flüsse Ruhr und Lippe bis nach Westfalen weiter gegeben worden sein könnten. Es ist wohl der Hauptort des letzten fehlende "Polygons" der Michelsberger Siedlungsgenese am Niederrhein. In diesem Jahr beginnen die archäologischen Untersuchungen der Universitäten Bonn und Köln die zumindest über drei Jahre hinweg andauern werden. Die Forschungsergebnisse werden sicher neue Erkenntnisse nicht nur zur Geschichte dieser Kultur ergeben, denn der Platz überliefert die ungebrochene Abfolge Rössen-Bischheim-Michelsberg-Spätneolithikum-Endneolithikum. Eine vergleichbare Kontinuität neolithischer Aufenthalte auf einem einzigen Platz konzentriert weist nur noch Urmitz bei Koblenz auf.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.