Scheibenbeil oder Dechselklinge

Begonnen von thovalo, 17. August 2017, 20:44:50

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thovalo



Hallo Zusammen!


Am vergangenen Samstag fand sich eine patinierte und intensiv zugerichtete Feuersteingrundform.

Der Bulbus befindet sich seitlich versetzt am schmalen Ende. In dorsaler Aufsicht ist der Randumlauf einschließlich der Nackenpartie bis zur rechten Schneidenkante hin schräg ansteigend durchgehend retuschiert. Da die Grundform linksseitig dünner gewesen ist sind die dort angelegten Retuschen flacher ansteigend. Anders als an Grundformen für Klingenkratzer die zumeist am retuschierten Funktionsende oft die größte Dicke haben, fällt die breite Distalpartie in ihrem Durchmesser deutlich zu einem schmalen Kantensaum ab. Es bildete sich dadurch eine Schneidenpartie aus.

Die Patinierung lässt  neue Beschädigungen vom älteren patinierten Zustand klar unterscheiden. So kann gesagt werden, dass die an der "Schneide" gelegenen flach ansteigenden gelösten und patinierten Negative wohl tatsächlich durch Schlageinwirkung auf Frontgelöst worden sind.

Die Grundform ist plan-konvex, die Schneidenpartie ist entlang des ventralen Schneidensaums leicht aufgewippt. Der Fundbeleg entspricht im Aufwand und der Ausführung der lateral bis zur Schneidenpartie vollkommen umlaufenden Zurichtung durch Retuschen einem Scheibenbeil aus einer Feuersteingrundform. (bei Floss ein ähnliches Exemplar S. 748) Die Schneide ist entlang des Schneidensaums aufgewippt und so könnte es sich auch um eine Dechselklinge "aus einer Grundform" handeln. Die verwendete Grundform ist allerdings ventral flach und nicht gewölbt

Funktional war kein Schliff der Schneidenpartie notwendig. Ob die Klinge im Bereich der Schneidenpartie beschliffen gewesen ist lässt sich aufgrund des starken Abnutzungszustandes unter der Patinierung nicht mehr erkennen.


Die Länge: 70 mm
Breite der Schneidenpartie: 35 mm



lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Hallo Thomas,

eine sehr schöne Dechselklinge, die du da gefunden hast, meinen Glückwunsch. Und danke für's Zeigen:Danke2:

Die flache Ventralfläche und die gewölbte Dorsalfläche passen wunderbar zur Klingengrundform. Schneide aufgewippt, konvergierende Längsseiten zum Nacken hin, ein Musterstück einer Dechselklinge aus Grundform (Klinge).
Im Gebrauch quergeschäftet wie ein Scheibenbeil.

Da der Fundort nicht in den Scheibenbeilkreis fällt, würde ich es als Dechselklinge ansprechen. Zeitlich tippe ich eher auf Spätneolithikum.

LG Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Nanoflitter

Sehr beeindruckend! Hiebgeräte aus Flint haben es wohl, warum auch immer, nicht bis zum Main geschafft  :besorgt: Gruss...

StoneMan

Moin,

Zitat von: thovalo in 17. August 2017, 20:44:50
...Die verwendete Grundform ist allerdings ventral flach und nicht gewölbt.
...

das ist es, was m. E. den Fund so problematisch macht.
Zudem ist auch kein seitlicher Schlag vorhanden, der bei einem Scheibenbeil die Schneide bildet.

Kein typisches Scheibenbeil und keine typische Dechsel. Deine Frage ist also berechtigt.

Kernbeil? Auch nicht wirklich.

Mehr möchte ich nicht mutmaßen, um andere nicht zu beinflussen.

Jedenfalls ein sehr schöner und interessanter Fund.

Gruß

Jürgen

Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Furchenhäschen

Hallo Thomas,

das erinnert mich doch zumindest formell stark an dieses Fundstück welches zwar im Gegensatz zu deinem Fund aus Plattenhornstein hergestellt wurde
aber die Art der Bearbeitung weist gewisse parallelen auf.
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,43299.0.html

Demnach wäre es wie Rolf Peter schreibt eine Dechselklinge.
Man müsste natürlich die relevanten Partien Deine Fundstückes etwas besser in Szene setzen um auch bei einem Foto letzte Sicherheit zu erlangen.

Gruß
Peter :winke:

thovalo

#5

Hallo!

Ja, die nordischen Scheibenbeile haben OFT, tatsächlich aber nicht zwingend und immer einen seitlichen "Schneidenschlag"

(Anm.: s. "Steinzeit & Co"

http://www.steinzeitwissen.de/beile-axte-und-andere-holzbearbeitungswerkzeuge/beile-und-axte-der-mittelsteinzeit

die Abbildung von vier Scheibenbeilen von denen der zweite Beleg von rechts dem Stück hier in allen Merkmalen sehr nahe kommt und nur die linke Klinge einen seitlichen Schneidenschlag aufweist).


Der gezeigte Neufund entstammt jedoch nicht der "nordischen" Scheibenbeiltradition, denn der Fundort liegt am Niederrhein.

Tatsächlich handelt es sich um ein Scheibenbeil in der Art der französischen "tranchets" aus der Tradition der Kultur des Chasséen im Pariser Becken. Scheibenbeile dieser westlichen Tradition fanden sich im Rheinland bislang nur sehr selten.

Das Vorkommen erklärt sich für den speziellen Fundplatz allerdings recht deutlich aus der Tradition der am Fundort gleichfalls vertretenen "Bischheimer" und ihr nachfolgenden "Michelsberger" Kultur. Beide Kulturen nahmen ihren Ausgang aus dem Pariser Becken und standen in Beziehungen zur Kultur des "Chasséen".

Ich hatte totales Glück, denn ich bin auf dem Rückweg zum Fahrrad mit einem kleinen Schlenker über das angrenzende Flurstück gelaufen und dabei direkt auf den Fundbeleg gestoßen.


lG Thomas :winke:


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

StoneMan

Moin,

na prima, Glück muss man haben.

Zitat von: thovalo in 18. August 2017, 19:57:05
[...]
Tatsächlich handelt es sich um ein Scheibenbeil in der Art der französischen "tranchets" aus der Tradition der Kultur des Chasséen im Pariser Becken.
Scheibenbeile dieser westlichen Tradition fanden sich im Rheinland bislang nur sehr selten.
...

Woher kommt jetzt die Sicherheit?

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Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
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Antoine de Saint-Exupéry

Danske

Zitat von: StoneMan in 19. August 2017, 00:28:46

Woher kommt jetzt die Sicherheit?

Gruß

Jürgen

Hallo Thomas,

die Frage von Jürgen stellt sich mir auch.

Woran machst du fest, dass es sich um ein Scheibenbeil aus der Tradition des Chasséen handelt? Die Bilder und deine Beschreibung lassen m.E. auch auf eine Dechselklinge aus Steingrundform schließen.

LG Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Steinsucher

Ja hallo Thomas,
lass mich mal ein wenig wühlen. Ich hatte da mal ein "Scheibenbeil" oder ähnlich im Bereich Teveren da wollte niemand was direkt zu sagen. Ich hoffe ich finde es wieder. Das wäre auch wohl diskussionswürdig.
Fritz.

thovalo

Zitat von: Steinsucher in 20. August 2017, 22:08:28
Ja hallo Thomas,
lass mich mal ein wenig wühlen. Ich hatte da mal ein "Scheibenbeil" oder ähnlich im Bereich Teveren da wollte niemand was direkt zu sagen. Ich hoffe ich finde es wieder. Das wäre auch wohl diskussionswürdig.
Fritz.



Das wäre klasse!

Zu den gestellten Fragen schreibe ich noch was!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#10



Für die Siedlungen am Fundort ist die aus dem Pariser Becken stammende "Bischheimer" Kultur und die dann dieser unmittelbar gleichfalls aus dem Pariser Becken nachfolgende "Michelsberger" Kultur dokumentiert, der westliche französische Einfluss ist also sehr deutlich gegeben.

Das Fundgelände ist zudem ein zentraler Ort für die Distirbution von Feuersteingrundformen aus der Maasregion, darunter auch Silex aus St. Mihiel in Frankreich. Das Fundgelände liegt direkt an einer überregional verlaufenden Fernverbindung zwischen Westen und Osten.

Nach umfassenderer Literaturrecherche ist der Typ selber jedoch ein "allgemeiner" und lässt sich nicht regional oder kulturell fixieren.


Zur Ergänzung noch die typologische Zuordnung:


Aus Floss S. 636:

"Der häufigste und im Mesolithikum und Neolithikum auch räumlich am weitesten verbreitete Scheibenbeiltyp hat von der Unterseite aus geschlagene Schmalseiten, während die Oberseite nicht flächig retuschiert und die Schneide nicht besonders bearbeitet ist. Diese Scheibenbeile wurden von H. Schwabedissen als Typ Oldesloe bezeichnet."


Der Fundbeleg fand sich im Oberflächenzusammenhang mit den Belegen von gut zwei Dutzend verbrannten Silexbeilklingen und zwei verbrannten Dechselklingen aus Silex, einer unverbrannten vollständig erhaltenen Beiklinge aus Lousbergfeuerstein, zwei kleinformatigen Beilklingen aus Felsgestein und dem Beleg einer "Prunkbeilklinge" aus Jade(itit), wobei die Frage der chronologischen Beziehung zwischen diesen vielen Fundbelegen von Hiebgeräteeinsätzen im Oberflächenfundzusammenhang offen bleiben muss.


lG Thomas  :winke:



Dieser Beleg mit abgebrochener Schneidenpartie

http://www.sucherforum.de/index.php/topic,72344.0.html

stammt von einem anderen Fundpunkt auf dem selben Fundgelände und ist im Bereich der Schmalseiten ventral-dorsal und dorsl-ventral retuschiert.

Auch dieser Fundbeleg ist aus meiner Perspektive das Exemplar einer Scheibenbeiklinge (mit Verlust der Schneidenpartie). Das Material dieses Fundbelegs ist unpatinierter Rijckholtfeuerstein.



Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.