Geflügelte und gestielte Pfeilspitze, Felsgesteinbeil und Materialfragen

Begonnen von rolfpeter, 05. Juni 2008, 16:25:07

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rolfpeter

Servus Freunde,

ich habe heute noch was hübsches zum beginnenden Saisonausklang:
eine geflügelte und gestielte Pfeilspitze. Obwohl an allen Ecken, wo was abzubrechen ging, auch was abgebrochen ist, macht sie noch einen ansehnlichen Eindruck.
Material ist ein Schotterflint,
die Masse ist 2,5g.
Mit solchen Spitzen kenne ich mich leider nicht gut aus. Geflügelte und gestielte Pfeilspitzen sind im Rheinland nicht häufig zu finden. Ich habe gelesen, daß bei uns Silex-Pfeilspitzen dieser Art ab dem Spätneolithikum auftauchen und bis in die Bronzezeit fortleben. Westlich von Eschweiler ist bei einer Ausgrabung allerdings eine gestielte, geflügelte Spitze, vergesellschaftet mit Keramik aus dem Übergangsbereich Hallstatt D / Frühletène aus einer Grube geborgen worden. Bei diesem Fund ist aber die Spitze nicht so weit ausgezogen, wie bei meinem Fund, sie wirkt breiter und gedrungener.





Von gleicher Stelle stammen die folgenden Artefakte:

Proximales Bruchstück einer sehr großen Feuersteinklinge. Eine Lateralseite ist randlich retuschiert, die andere ist entweder stichelartig oder als Fingerschutz zugerichtet....oder rezent beschädigt, was ich aber eigentlich nicht glaube. Im ersten Augenblick dachte ich an ein Erzeugnis Michelsberger Kultur, das Material ließ mich dann zweifeln. Es handelt sich um einen hellgrauen, sehr kompakten Flint, dem allerdings die typischen Rijckholt-pünktchen fehlen. Wenn man genau auf die laterale Bruchfläche schaut, erahnt man so etwas wie eine Bänderung oder Zonierung. Die Rinde ist ausgesprochen dünn und glatt. Kennt ihr das Material, handelt es sich vielleicht um belgisch-grauen Feuerstein??





Gerät, hergestellt aus einem Abschlag. Ein Ende ist halbrund zugerichtet und bildet durch eine Dorsalretusche eine scharfe Schneide. Der Schneidenwinkel ist steil, etwa 20 bis 30 Grad. Eine Verwendung als Ziehmesser wäre denkbar. Das hier verwendete Material ist mir auch unbekannt. Es handelt sich um einen sehr dunkelgrauen, kompakten Flint mit einer marmorähnlichen Musterung. Die Rinde ist dünn und scharf abgesetzt. Die Rinde ist nicht abgerollt wie bei einem Schotterfeuerstein, sondern hat eine gewisse Rauhigkeit. Es könnte Vetschau-Feuerstein sein, bin mir aber alles andere als sicher. Kennt jemand das Material?








Herzliche Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

heiko183

mist, warum find ich nie sowas  :heul:  :nono:  :wuetend:

wo sind die grünen laténe metallfunde  :frech:

rolfpeter

Du findest ja genug Blech auf Deinem Schweineberg, Pfeilspitzen sind nur was für komische Steinis  :prost:
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

heiko183

Zitat von: rolfpeter in 05. Juni 2008, 19:43:08
Du findest ja genug Blech auf Deinem Schweineberg, Pfeilspitzen sind nur was für komische Steinis  :prost:

danke, da wurden aber auch schon steinbeile gefunden  :belehr:
kann dir gerne mal scan zukommen lassen


gruß
heiko

rolfpeter

Ja Heiko, schick mal rüber die Scans. Wie oben schon geschrieben, wurden Steingeräte bis weit in die Metallzeiten verwendet. Ist alles noch nicht so richtig erforscht. Viele Hammeräxte aus Norddeutschland sind UK- zeitlich.
HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

eine ähnlich schöne gestieltflügelige fand ich auch mal auf einer vielperiodigen Fundstelle, RP.
In unseren Gefilden wurden (gestielte) Silexpfeilspitzen, meines Wissens, nur gesichert bis in die Frühbronzezeit nachgewiesen.
Aber dies kann bei Euch  schon anders sein....

Diese Dinger sind wirklich das Non plus Ultra der Silexbearbeitung (in Mitteleuropa)
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Grenzton

Hallo Rolf Peter.

Tolles Stück!  :super:

Sie sieht meiner aus dem Münsterland wie "aus dem Gesicht geschnitten" aus.
Die Archäologen haben sich allerdings auch nicht wirklich darüber ausgelassen, obgleich ich sie mit Fundpunktzettel und Zeichnung zurück bekam.
Weitere Funde von der Pfeilspitzen-Fundstelle datierten sie allerdings in die Eisenzeit.

Gruß,  Kalle
Ich möchte schlafend sterben wie mei Opa, und nicht schreiend wie sein Beifahrer!

rolfpeter

Danke Jungs,

ich habe noch mal nachgelesen und komme zu dem Schluß, daß die Spitze wohl becherzeitlich zu datieren ist. Dann wäre auch vielleicht noch 'ne Armschutzplatte oder ein Spandolch zu erwarten.  :narr:
Wie durch Pollenanalyse nachgewiesen ist, haben die damaligen Bewohner wenig Landbau betrieben, sondern waren in erster Linie Hirten. Da Hirten vielleicht weiter rumkommen als Bauern, wäre so vielleicht auch das seltsame Silexmaterial bei den anderen Funden zu erklären. Naja...alles Spekulationen.
Auf jeden Fall werde ich heute noch mal hingehen und die Fläche minutiös absuchen, vielleicht wissen wirs dann besser.

Schöne Funde Kalle! Wenn wir unsere beiden Pfeilspitzen zusammenlegen, haben wir fast eine komplette!
Ein solches Fitzelchen wie bei Deinem Trio  in der Bildmitte, habe ich auch dort aufgelesen. Kommt mir vor wie ein Minikratzer. Damit ist ordentlich gewerkelt worden, die Grate dorsal sind etwas abgegriffen.



Wenn es neue Funde geben sollte, melde ich mich wieder.
HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Loenne

Bin immer sprachlos, wenn ich solche Stücke sehe. Hoffentlich finde ich irgendwann auch noch mal so ein Teil. Herzlichen Glückwunsch!

@RP
Habe Deine Pfeilspitze mal mit Photoshop komplettiert (nur aus Spaß). Soll ich Dir das Bild schicken?

Gruß
Michael
Mundus vult decipi, ergo decipiatur
www.scheibenknopf.de                

rolfpeter

So, ich war noch mal da und habe den kompletten Acker im 2m-Abstand abgesucht. Außer einigen Abschlägen ist nichts dabei rausgekommen.
Aber etwa 50m weg vom Pfeilspitzenfundort lag dann doch noch eine schöne gepickte und geschliffene Beilklinge aus Felsgestein.
Das Stück ist ziemlich unbeschädigt, fast sogar vitrinentauglich. Die Macke unten rechts an der Schneide ist alt und vom vormaligen Besitzer teilweise überschliffen. Die Klinge war ursprünglich wahrscheinlich wesentlich größer und hat dann irgendwie Schaden genommen. Die linke Seite ist gut veranrbeitet und größtenteils überschliffen. Die rechte Seite ist etwa ab der Mitte nur gepickt und läuft auch aus der Symmetrie. Ab da ist nachgebessert worden.
Nach meiner Meinung paßt diese Beilklinge zeitlich nicht zu den anderen Funden, besonders nicht zur Pfeilspitze. Das Beil ist grobe 1500 Jahre älter, also jungneolithisch. Macht aber nix, Beile findet man oft bei uns als Einzelfunde.
Die Daten zum Beil:
108*48*31 mm
212 g

@ Michael: Aber gerne doch, ich freue mich über jede komplette Pfeilspitze, und sei sie noch so getürkt!





HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Loenne

Man man, was Du da so alles findest - ein Traum! Diesen Herbst werde ich mich auch noch mal gezielt auf die Steinchensuche machen.

So hier die GEFÄLSCHTE Pfeilspitze. Ist nicht perfekt, aber sieht doch nett aus.

Achtung! Bild ist gefakte und nur für Rolf-Peter!!!!!

Gruß
Michael
Mundus vult decipi, ergo decipiatur
www.scheibenknopf.de                

Silex

Superarbeit , Loenne
aber das Basismittelspitzchen war meiner Meinung nach nicht spitz zulaufend.
Nur vom Gefühl her.... meiner Meinung nach war da kaum mehr dran.
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

rolfpeter

Zitat von: Loenne in 06. Juni 2008, 21:22:06
Man man, was Du da so alles findest - ein Traum! Diesen Herbst werde ich mich auch noch mal gezielt auf die Steinchensuche machen.

So hier die GEFÄLSCHTE Pfeilspitze. Ist nicht perfekt, aber sieht doch nett aus.

Achtung! Bild ist gefakte und nur für Rolf-Peter!!!!!

Gruß
Michael

Danke Michael!
Das ist ausgesprochen gut gelungen. Ich hab's mir im Schädel eingeprägt und werde bei künftigen Suchgängen besonders auf solche Silhouetten achten!  :smoke:
Herzlichen Dank
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Salaam!

Die Spitze ins Endneolithikum zu stellen, liegt mehr als nahe. Als typische Glockenbecherspitze würde ich sie aber nicht ansprechen, denn die sind nach meiner Kenntnis gedrungener.

Bei dem Fragment der Gross"klinge" dürfte es sich bei dem Ausgangsstück m.E. eher um einen grossen Abschlag gehandelt haben. Dafür spricht, dass die im 1. Bild dieses Stückes rechte Längskante (danke für folgende Ansicht eben jener Seite!) eindeutig Ergebnis eines Querbruches (bezogen auf die Schlagrichtung) ist.
Die Bruchfacette lässt nach dem Bild zumindest auf der rechten Seite eine schwach konkave Oberfläche mit einem schwachen Überhang an der Rindenseite erkennen. Stimmt das? Jedenfalls steht die Bruchfacette im annähernd rechten Winkel zur Dorsal-/Ventralfäche, was auf den ersten Blick an "stichelartig" denken lässt.

Bereits in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts wurde dieses Phänomen an Abschlägen von einem Monsieur Siret in Frankreich erkannt und beschrieben, wonach in der Folge senkrecht "gespaltene" Abschläge von den Archäologen als "Burin de Siret" (Siret-Stichel) bezeichnet wurden und werden.

Mittlerweile - der replikativ-experimentellen Archäologie sei Dank - steht fest, dass es sich um einen "Schlagunfall" beim direkten harten Schlag handelt. Dies wird unser Steen mit seiner grossen praktischen Erfahrung in der Steinbearbeitung zwanglos bestätigen können.

Das Material des Stückes ist hochinteressant! Baltisch ist gewiss auszuschliessen, und so würde es von einem rheinischen Bearbeiter als singulär/exotisch codiert. Bei aller gebotenen Zurückhaltung kann man sich als Betrachter des Eindruckes nicht verschliessen, dass es sich um ein im schlagtechnischen Sinne ausgesprochen gutes, ja hervorragendes Material handeln dürfte.

RP, Deiner Materialansprache des folgenden Stückes vermag ich gut zu folgen. Es erinnert mich freilich tendenziell auch an Simpelfeld-Flint. Allerdings hängen diese Flintarten inklusive Lousberg ja alle irgendwie genetisch zusammen, bedenkt man auch die geringe Entfernung zwischen diesen Vorkommen. 

@Edi:  "...aber das Basismittelspitzchen war meiner Meinung nach nicht spitz zulaufend.
Nur vom Gefühl her.... meiner Meinung nach war da kaum mehr dran."

Lieber Mitstreiter, da muss ich einmal eine Lanze sowohl für das Stück als auch für Michaels Rekonstruktion (und übrigens nicht "Fälschung" mangels entsprechender Intention!) brechen. Spitz zulaufende sog. Stiele finden sich nicht selten an gestielt-geflügelten Pfeilspitzen. Natürlich gibt es auch stumpf endende Stiele.

"Diese Dinger sind wirklich das Non plus Ultra der Silexbearbeitung (in Mitteleuropa)".

Gewiss handelt es sich um ein ausgesprochen "schönes", eindrucksvolles Stück, und für Mitteleuropa mag es sogar das "Non plus Ultra sein". 

Werfen wir aber - auch wegen der zeitlichen Nähe des Endneolithikums zur frühen Bronzezeit - einen Blick über den mitteleuropäischen Tellerrand, dann sieht das m.E. deutlich anders aus.

Denn wer einmal die Spitzen aus dem älterbronzezeitlichen Tumulus von "La Motta" bei Lannion in der Bretagne gesehen hat, kann einfach nicht anders, als ihnen dieses Signum zuzusprechen.

Die längste Spitze ist unglaubliche 47 mm lang, 17 mm breit und sage und schreibe 3 mm dick.
Dabei misst der Stiel schiere 20 mm Länge bei einer Breite von 4 und einer Dicke von 3 mm!
Die Flügel sind 22 mm lang bei einer Breite von 3-4 mm, d.h. sie machen fast 47% der Gesamtlänge aus! Der Abstand zwischen dem zentralen Stiel und den parallel dazu stehenden Flügeln beträgt 2 mm am oberen und 3 mm am unteren (oddenen) Ende!
Hierzu: Butler,J.J. & Waterbolk,H.T., La Fouille de A.E. Van Giffen à "La Motta". Un tumulus de l´Age du Bronze Ancien à Lannion 8Bretagne). In: Palaeohistoria XVI, 1974, 107-167.   

Selbst Harm Paulsen, deutschlands wahrlich erfahrenster und versiertester "Lithic Technologist" aus Schleswig gab mir einmal vor vielen Jahren seine profunde Hochachtung vor diesen Stücken und ihren Herstellern deutlich zu verstehen.

Nordländern schliesslich sei noch ein kleiner, aber ausgesprochen feiner und leider schon längst vergriffener Artikel zu dortigen Pfeilspitzentypen und deren Herstellung ans Herz gelegt:

Paulsen,H., Oberflächenretuschierte Pfeilspitzen in Schleswig-Holstein. In: Die Heimat 82., Heft 4/5 1975, 90-98. (in jeder Bibliothek per Fernleihe erhältlich).

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Zitat von: Khamsin in 08. Juni 2008, 13:12:59


Bei dem Fragment der Gross"klinge" dürfte es sich bei dem Ausgangsstück m.E. eher um einen grossen Abschlag gehandelt haben. Dafür spricht, dass die im 1. Bild dieses Stückes rechte Längskante (danke für folgende Ansicht eben jener Seite!) eindeutig Ergebnis eines Querbruches (bezogen auf die Schlagrichtung) ist.
Die Bruchfacette lässt nach dem Bild zumindest auf der rechten Seite eine schwach konkave Oberfläche mit einem schwachen Überhang an der Rindenseite erkennen. Stimmt das? Jedenfalls steht die Bruchfacette im annähernd rechten Winkel zur Dorsal-/Ventralfäche, was auf den ersten Blick an "stichelartig" denken lässt.

Bereits in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts wurde dieses Phänomen an Abschlägen von einem Monsieur Siret in Frankreich erkannt und beschrieben, wonach in der Folge senkrecht "gespaltene" Abschläge von den Archäologen als "Burin de Siret" (Siret-Stichel) bezeichnet wurden und werden.


Danke für die ausführliche Besprechung, immer wieder hochinteressant!
Du hast es richtig gesehen. Die Längsseite ist als eine Hohlkehle ausgebildet, die am Schlagpunkt besonders stark ausgeprägt ist und an der Stelle, wo die konkave Oberfläche dorsalseitig endet, ausläuft. Es handelt sich also eindeutig um Merkmale, die durch Querkräfte hervorgerufen wurden. Das Phänomen ist mir neu, jetzt habe ich aber das Prinzip verstanden.
Zur Erläuterung habe ich die Bruchstelle noch mal im Detail fotografiert. Das 2. Foto zeigt den "normalen" Querbruch am Distalende des Stückes, ein ähnlicher konkaver Querschnitt.





HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert