Meine schönste Klopfkugel

Begonnen von rolfpeter, 16. August 2008, 13:29:48

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rolfpeter

Servus Freunde,
ich war heute noch mal draußen, auf einem Kartoffelacker. Schöne Kartoffeln gab es dort, der Bauer hat mir erlaubt, eine Tüte aufzusammeln; und es gab schöne Steine dort! Die Stelle ist vornehmlich LBK-zeitlich einzuordnen. Hier ist ein mustergültiger, vollkommen verrundeter Klopfer aus grauem Feuerstein. Ich stelle auch noch eine Detailaufnahme dazu, da könnt ihr mal sehen, was der arme Kerl so alles mitgemacht hat.

HG
RP

Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Poseidon1

Ein tolles Teil, rolfpeter!!
Der hat ja wirklich einiges einstecken müssen. Ist die andere Seite genauso beansprucht worden?  Eine absolut flächige Abnutzung sieht man ja auch nicht so häufig, oder?
Gruß, Poseidon

Khamsin

Salaam!

Kein Wunder, dass in der Frühzeit der Archäologie diese Stücke als "Bolas", d.h. Wurfwaffen interpretiert wurden - analog zu den echten Bolas z.B. der argentinischen Gauchos. Bezeichnend einmal mehr die schon damals schlampige Terminologie der Archäologen, die - wie heute noch oft! - einen Teil des Ganzen wie das Ganze selbst bezeichneten! Denn Bolas bestehen aus symmetrisch zentral verküpften Kordeln mit Gewichten an jedem der drei Enden, und die Gewichte sind eben nur ein Teil, wenn auch ein ganz wichtiger.

Die Kugelform markiert den terminalen Benutzungszustand eines Klopfers, dessen Ausgangsform in der LBK und dem MN abgebaute/ausgenutzte Klingenkerne waren. Und diese Kerne waren alles andere als klein, so dass man sich vorstellen kann, wie lange und intensiv die benutzt worden sein müssen, um eine mehr oder weniger perfekte Kugelform zu erhalten. Prähistorisches Recycling vom Feinsten!

Mit Klopfern wurden - jedenfalls in aller Regel - Artefakte aus harten Materialien wie Felsgestein be-/überarbeitet, allen voran die Funktionsflächen von Schiebemühlen (Unterlieger und Läufer) und natürlich auch Dechselklingenrohlinge aus einheimischen Ersatzmaterialien, wie z.B. Basalt und Wetzschiefer (solche aus "Amphibolit" und Phtanite d´Ottignies kamen bereits in fertig geschliffener Form in die Ökumene). Manche Klopfer weisen nach Gebrauchsspurenanalysen Schäftungsspuren auf. Das wird spätestens dann verständlich, wenn man einmal selbst einen Dechselklingenrohling flächig überpickt hat...!

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Zitat von: Poseidon1 in 16. August 2008, 15:26:40

Der hat ja wirklich einiges einstecken müssen. Ist die andere Seite genauso beansprucht worden?


Die Kugel ist überall, absolut und ohne Ausnahme bekloppt! Man sieht nichts mehr von einer glatten Oberfläche.

Zitat von: Khamsin in 16. August 2008, 16:25:12


Mit Klopfern wurden - jedenfalls in aller Regel - Artefakte aus harten Materialien wie Felsgestein be-/überarbeitet, allen voran die Funktionsflächen von Schiebemühlen (Unterlieger und Läufer) und natürlich auch Dechselklingenrohlinge aus einheimischen Ersatzmaterialien, wie z.B. Basalt und Wetzschiefer (solche aus "Amphibolit" und Phtanite d´Ottignies kamen bereits in fertig geschliffener Form in die Ökumene).


Gut, daß Du von Mahlsteinen sprichst. Hier ist ein Läufer von der gleichen Fundstelle, den haben die Herrschaften irgendwann auch als Klopf- oder Reibstein benutzt. Die konvexe Kante auf dem 2. Foto ist die Klopf- oder Reibbahn; auf dem 3. Bild mal in der Seitenansicht fotografiert. In Natura kann man es noch besser erkennen, die vermeintliche Klopfzone hat eine hellere Färbung als die übrige Steinoberfläche.

HG
RP

Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Salaam, RP!

Danke für die Bilder und dieses Beispiel. Ich vertrete schon lange die Ansicht, dass der Picktechnik von vielen Steintechnikfreaks und auch Archäologen nicht der ihr gebührende Stellenwert zugewiesen wird! Das mag am zweifelsfrei hohen Eindruckswert bestimmter Feuersteinartefakte liegen (vgl. Daniels Kommentar zum Beitrag von Edi mit dem link zu dem "Knap In" in Süddeutschland!).
Im übrigen steht Daniel damit in der Reihe zahlreicher Archäologen, nicht nur des späten 19. und frühen bis mittleren 20. Jh., die, durchaus verständlich, vor allem die norddeutsch-skandinavischen "Dolche" als "Wahre Kunstverke" bezeichneten und fallweise der Ansicht waren, dass "wir nicht in der Lage (seien), solche Meisterwerke anzufertigen".  Ein Blick auf entsprechende Seiten im Internet, besonders die Arbeiten von Errett Callahan und D.C. Waldorf in den USA oder Thorbjörn Pedersen und andere in Dänemark zeigt, dass das natürlich völliger Unsinn ist!

Alles, was irgendwann einmal von Menschen hergestellt worden ist, ist auch reproduzierbar! Und genau das ist die Herangehensweise des m.E. besten, weil virtuosesten lebenden flint knappers, Jacques Pelegrin/F, dessen erklärtes Motto - ich habe es aus seinem Munde selbst vor Jahren gehört - ist:
"It has been done - it must be possible!".

Im Vergleich zu Flint u.ä. ist Felsgestein eben nicht spektakulär. Das betrifft nicht nur die äussere, zumeist "matte" Erscheinung, sondern auch die Artefaktformen. Eine Schiebemühle ist eben offensichtlich nicht in der Lage, derart unterschwellige emotionale Reaktionen hervorzurufen, wie ein Flint"dolch", eine Flintpfeilspitze, ägyptische sog. ripple-flaked knives aus Plattenflint vom Wadi el-Sheik in der Eastern Desert oder jungpaläolithische Blattspitzen vom Typ Volgu, ganz zu schweigen von den mesoamerikanischen "Eccentrics" aus Obsidian oder Chert!

Was dabei häufig übersehen wird - und ich bin mir sicher, unser Steen wird mir da vorbehaltlos beipflichten -  ist die fundamentale Tatsache, dass die gesamte Flint (u.a.)-Technologie auf nur wenigen (!) physikalisch-mechanischen Prinzipien beruht. Wenn man die einmal erkannt und verinnerlicht hat, dann erscheinen viele Produkte in einem völlig anderen Licht! Ja, ich möchte sogar behaupten, dass manche der "Kunst-" bzw. "Meisterwerke" aus Flint gerade auch mit den letzten, für deren Eindruckswert besonders ausschlaggebenden Arbeitsschritten, letztlich Produkte einer angenäherten Fliessbandarbeit sind!

Eines der herausragendsten Beispiele dafür ist die Herstellung der optisch schlicht erschlagenden ripple-flaked knives (Google!). Die Negative der in aller Regel auf nur einer (Schau-) Seite in zwei Reihen liegenden "C"- oder "banana-flakes" wurden in einem Gang umlaufend bis zum "Mittelgrat" durch Abtrennung in einheitlich monotoner Drucktechnik angelegt. Und nur durch die weitestgehende Einhaltung der Bandbreite der dabei letztlich nur drei (!) ausschlaggebenden Parameter, d.h. hier 1. Abstände des Druckpunktes, 2. Ansatzwinkel des Druckstabes und 3. Menge der kinetischen Energie (Kraftaufwand), war die Modifizierung der Schauseite möglich.
Die dafür notwendige Präparation des Ausgangsstückes, d.h. die Anlage der symmetrisch dachförmig längsgeknickten Abbaufläche und einer im perfekten Winkel dazu stehenden, umlaufenden Druckfläche in flächendeckender Schleiftechnik, setze ich hier natürlich voraus. Peter Kelterbron, ein schweizer Ingenieur (SIC!), hat die weltweit beste experimentelle Arbeit dazu veröffentlicht (Google).

Ein noch eindrucksvolleres Beispiel für regelrechte Fliessbandarbeit ist die Herstellung gedrückter Klingen aus Flint. Ich war selbst vor wenigen Jahren Zeuge einer Demonstration von J. Pelegrin. Natürlich war das Auditorium schlicht platt! Aber mit zunehmender Dauer der Vorführung wurde mir immer klarer, dass die entscheidenden Bewegungen - natürlich - immer gleich waren, und so waren es die Produkte, abgesehen von einer minimalen Standardabweichung, eben auch. Hätte Jacques - ungestört durch verständliche Fragen der Umstehenden - einfach weiterarbeiten können, so hätte er aus diesem Kern ohne jede grössere Anstrengung eine Serie von mehreren Dutzend perfekter Klingen (mit nur sehr, sehr wenigen verunglückten Exemplaren) angefertigt.

Es liegt gewiss nicht in meiner Intention, die Arbeiten von Peter Kelterborn, Jacques Pelegrin oder anderer moderner flintknapper zu schmälern, ganz im Gegenteil. Alle haben den Archäologen die Augen geöffnet, dass man mit Neugier, Ausdauer und zweifelos auch einer gehörigen Portion handwerklichen Talents letztlich auch die scheinbar unlösbaren technischen Rätsel der Herstellung bestimmter Steingeräte meistern kann.

Allerdings, und auch dazu haben die Arbeiten der besonders von Jacques und Peter beigetragen, ist es eben nicht zu bestreiten, dass die einzelnen Herstellungsschritte erheblich schematischer ablaufen, als dies uns Laien erscheint. Daraus folgt einmal mehr, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Herstellung exzellenter und besonders schwierig herzustellender Artefakte - neben den berühmten drei Grundvoraussetzungen Kenntnis, Werkzeug und Rohmaterial (Dein Ampf hat mir die Augen geöffnet!) - nichts anderes als Erfahrung ist. Eine lapidare, aber von jedem wirklichen Handwerker immer wieder bestätigte Tatsache.
Daraus folgt aber auch, dass die für die genannten "Kunst-/Meisterwerke" ehemals, aber nicht selten auch heute noch, mutmaßlich aufgewandten Zeiten bei weitem nicht so hoch sind!

Nun aber zurück zur Picktechnik! Für die Technologie von Felsgesteinartefakten gilt dasselbe, wie für die Flintartefakte. Lässt man die Säge- und die Bohrtechnik einmal aussen vor, denn sie dienen a priori nicht zur Formgebung und keinesfalls zur Modifikation der Oberflächen, dann bleiben nur die Schlag-, in eingeschränktem Maße die Druck-, die Pick- und schliesslich die Schleiftechnik übrig. Interessanterweise gibt es kaum eine Kategorie von Felsgesteinartefakten, bei der die Picktechnik nicht beteiligt ist. Ohne sie ist die Herstellung aller Beil- und Axtklingen sowie der Keulenköpfe zwar theoretisch möglich, die Praxis zeigt aber, dass gepickt worden ist. Und sieht man einmal von groben Schlagspuren an den Unterliegern von Schiebemühlen ab, dann ist der gesamte Rest der Arbeit ausschliesslich in Picktechnik erledigt worden. Welche Formungsmöglichkeiten die Picktechnik eröffnet, zeigen uns besonders deutlich die spätneolithischen sog. Streitaxtklingen. Allerdings wurden die Pickspuren häufig durch abschliessendes Überschleifen mehr oder weniger intensiv entfernt. Vielleicht ist das der Grund, warum das Picken nicht so beachtet wird.

Spätestens hier schliesst sich der Kreis zu den Klopfern und ihrer Bedeutung! Sie stehen gleichberechtigt neben den Schiebemühlen und der Keramik als exzellente Siedlungsanzeiger. Und so, wie die klassischen Schlagsteine aus Felsgestein (!) die einzigen Werkzeuge für die harte Schlagtechnik sind, sind die Klopfer aus Flint die, wenn auch nicht einzigen, so doch wichtigsten und bevorzugtesten Werkzeuge für die Picktechnik.

Herzlcihe Grüsse KIS



   
 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

steinsucher

Hallo RP, hallo Forum.

Ein schönes und vertrautes Teil. Der Beitrag von Khamsin ist natürlich, wie immer, Spitzenklasse. Handwerk - Kunst - da war ja auch nicht immer eine Grenze. Für uns Heute ist die Steinschmiedekunst sicher etwas besonderes. "Damals" haben sicher Fachkräfte so etwas als Routine hingelegt.   Aber sie waren eben auch Facharbeiter mit einem besonderen Status? Wissen wir nicht.

Gestern war ich wieder oben auf dem Lousberg. Auf den alten Bergwerkshalden werden nun für die "Kids" Hängematten und Ähnliches angelegt. Kein Denkmal? Jede Protzvilla ist schon ein Denkmal, Irgendetwas läuft hier falsch.

Fritz

rolfpeter

Zitat von: steinsucher in 18. August 2008, 00:25:16

Gestern war ich wieder oben auf dem Lousberg. Auf den alten Bergwerkshalden werden nun für die "Kids" Hängematten und Ähnliches angelegt. Kein Denkmal? Jede Protzvilla ist schon ein Denkmal, Irgendetwas läuft hier falsch.


Ist eine Schande! Die Klenkesser sind eben zu Carolus-lastig. Bei den dünnen Kultur-Budgets bleibt dann für jenseits des Großen Karls nichts mehr übrig. Und Kultur-Sponsoring geht  in Deutschland oft nur so weit, daß man sich für seine Sammlung einen Palazzo herrichten läßt.  :heul:


HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Salaam!

Es stimmt schon, man gewinnt in Aachen zwingend den Eindruck, dass alles, was nicht mit dem ollen Karl zu tun hat, auf den hinteren Rängen rangiert.

Andererseits ist bereits dem ersten Grabungsbericht in BJ 179, 1979, zu entnehmen, dass die Stadt die Untersuchungen finanziell und anderweitig tatkräftig unterstützt hat. Und - jedenfalls soviel ich weiss - bedeutet die Bezeichnung "AC 4" für den Lousberg, dass er das 4. eingetragene (und damit zugleich flächenmässig grösste) Bodendenkmal der Stadt Aachen ist. Dies übrigens unbeschadet der Tatsache, dass der Lousberg als "das älteste montanhistorische Denkmal Nordrhein-Westfalens" bezeichnet wird.

Was also auf der Oberfläche des Lousberges passiert, tut dem Denkmal substanziell keinen Abbruch. Erst dann, wenn die archäologische Substanz beeinträchtigende Bodeneingriffe vorgenommen würden, griffe das Denkmalschutzgesetz NRW.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger

Hallo Leute  :-)

Danke für die vielen, schönen Beitragen zum Thema Klopfsteine !  :super:

Ich schliesse mich ganz die Ansichten Khamsins an !

Hinzuzufügen wäre vielleicht noch, dass bei mir im Norden und mit unmittelbarer Strandnähe, die Klopfsteine am meisten aus natürlich, am strand abgerundeten, Flintsteinen hergestellt sind. Die Klopfsteine aus ehemaligen Kernen haben wir auch, die sind aber bei mir seltener.
Es gibt auch eine Auswahl von anderen Typen, z.B. ist bei mir auf der Insel oft abgebrochene Beile gefunden worden, die auf der einen oder beiden enden deutliche Klopfsteinspuren haben.

:winke:

rolfpeter

Zitat von: agersoe in 18. August 2008, 19:50:58

Es gibt auch eine Auswahl von anderen Typen, z.B. ist bei mir auf der Insel oft abgebrochene Beile gefunden worden, die auf der einen oder beiden enden deutliche Klopfsteinspuren haben.


Das ist hier genauso. Die Klopfer aus Beilklingen sind hier aber jung- bis endneolithisch, ich habe auch schon etliche davon gepostet. Die Klopfsteine aus Resten von Klingenkernen sind in Rheinland meistens alt- bis mittelneolithisch.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert