Man sollte häufiger im Gebirge lustwandeln!

Begonnen von clemens, 12. September 2008, 09:27:20

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clemens

Klingen, Pfeilspitzen und Bohrer aus Bergkristall  - eine geradezu magische Bildwelt drängt sich auf:

"Steinzeitjäger schürften in Tirol nach "Diamanten der Urzeit"
Archäologen wiesen erstmals in Österreich prähistorischen Bergkristall-Abbau nach - Quarz war begehrtes Material für Waffen und Werkzeuge
Innsbruck - Heute unter Mineraliensammlern begehrt spielte Bergkristall in prähistorischer Zeit vor allem als Arbeitsmaterial und Tauschgut eine wesentlich Rolle. Die Menschen der Steinzeit machten aus dem Quarz Klingen, Pfeilspitzen und Werkzeuge.

Wie wichtig Bergkristall für diese Zeit war, konnte nun durch einen bedeutsamen Fund belegt werden: Archäologen haben in Tirol erstmals den vorgeschichtlichen Abbau von Bergkristall in Österreich nachgewiesen. Die Fundstätte, eine ungewöhnlich große Quarzader, liegt auf 2.700 Metern Seehöhe am Südfuß des Olperers in den Tuxer Alpen im Gemeindegebiet Finkenberg im Bezirk Schwaz.

Zwischen 8. und 6. Jahrtausend v.Chr

"Wir haben dort auf dem Riepenkar mehrere Bergkristallabschläge und -bruchstücke mit eindeutigen Bearbeitungsspuren gefunden. Alles deutet darauf hin, dass hier steinzeitliche Jäger das begehrte Material gewonnen haben, aus dem sie Klingen und andere Werkzeuge herstellten", erläuterte Univ.-Prof. Walter Leitner vom Institut für Archäologie der Universität Innsbruck.

Der Forscher datierte die Abbaustelle in die Zeit zwischen dem 8. und 6. Jahrtausend vor Christus. Auf die Fundstelle hatten Mineraliensammler aufmerksam gemacht, denen ungewöhnlich geformte Bergkristallsplitter aufgefallen waren.

Klingen, Pfeilspitzen und Bohrer aus Bergkristall

Die aktuellen Untersuchungen sind Teil des derzeit an der Universität Innsbruck laufenden großen Forschungsprojekts zur Bergbaugeschichte Tirols. Laut Leitner waren Bergkristalle so etwas wie die "Diamanten der Urzeit": "Die Steinzeitjäger machten daraus Klingen, Pfeilspitzen, Schaber, Bohrer und anderes mehr. Man findet diese Stücke in den Alpen immer wieder an den Lagerstellen nacheiszeitlicher Jäger- und Sammlergruppen, allerdings meist in vergleichsweise geringer Zahl. Sie müssen ziemlich begehrt gewesen sein und dürften auch als Tauschgut eine Rolle gespielt haben.

Das spröde Material ist schwerer zu bearbeiten als die üblichen Feuersteinklingen, dafür aber scharfkantiger. Einen besonderen Reiz dürfte schon damals die Transparenz dieses besonderen Minerals ausgemacht haben. Zum hohen Wert trug zweifellos auch bei, dass Bergkristall nur an wenigen, oft schwer zugänglichen Stellen vorkommt. Deshalb ist es besonders erfreulich, dass wir jetzt erstmals eine dieser Abbaustätten nachweisen können. Noch dazu, wo es sich hier um Exemplare von außergewöhnlicher Reinheit und Güte handelt, wie der mineralogische Befund bestätigt", erklärte Leitner. (APA/red)"

Quelle:
http://derstandard.at/?id=1220457705674

Vom Institut gibt es leider noch keine Info dazu, vielleicht später einmal: http://www.uibk.ac.at/urgeschichte/

Khamsin

#1
Salü!

Clemens, verbindlichen Dank für diesen hochinteressanten Hinweis!

Ich fürchte allerdings, dass sich der gute Prof. Leitner etwas weit aus dem Fenster gehängt hat mit der Feststellung: "Das spröde Material ist schwerer zu bearbeiten als die üblichen Feuersteinklingen, dafür aber scharfkantiger." Dass Bergkristall aufgrund seiner Kristallform eine gewisse Virtuosität der Bearbeitung durch den Steinschmied erfordert, trifft zu.
Aber unser Steen wird mir gewiss zustimmen, wenn ich behaupte, dass die vermeintlich grössere Schärfe im Vergleich zum Feuerstein schlicht ein Schmarrn ist!

Schliesslich ist der Feststellung mit Vorsicht zu begegnen:

"Man findet diese Stücke in den Alpen immer wieder an den Lagerstellen nacheiszeitlicher Jäger- und Sammlergruppen, allerdings meist in vergleichsweise geringer Zahl. Sie müssen ziemlich begehrt gewesen sein und dürften auch als Tauschgut eine Rolle gespielt haben.

Denn aus vergleichsweise wenigen Bergkristallartefakten an Fundstellen auf eine gesteigerte Nachfrage bzw. höhere Wertschätzung zu schliessen, ist keinesfalls zwingend und hat höchstens die Qualität einer Hypothese.

Die erklärtermaßen geringe Fundmenge lässt sich ebenso gut einerseits mit den relativ begrenzten Vorkommen abbauwürdiger Bergkristallvorkommen, andererseits und insbesondere aber mit der Lage dieser Vorkommen "an oft schwer zugänglichen Stellen" erklären.

Die Vorkommen werden bei der Verfolgung von potentiellem Jagdwild (Gams, Steinbock) dieser holozänen Jäger und Sammler zufällig entdeckt worden sein. In einer Umwelt, in der es keine sonstigen zur Artefaktherstellung geeigneten Kieselgesteine gab, war der Bergkristall natürlich willkommen, aber letztlich doch ein Ersatzrohstoff, wie seine Häufigkeit eben lehrt.

Und dass Bergkristall "als Tauschgut eine Rolle gespielt haben dürfte", ist nun wirklich eine Milchmädchenweisheit!

Denn im Prinzip eignen sich alle nachgewiesenen urgeschichtlichen Gesteinsarten für diese Art der Weitergabe. Der völkerkundlich nachgewiesene "down the line trade" bildet eine wichtige Grundlage für die Interpretation der Verbreitung von z.B. Gesteinsarten und Erzen in der Urgeschichte (Beispiele: Dechselklingen aus AHS-Gestein, zahlreiche Feuersteinarten, Roteisenstein).

Wirklich Aufsehen erregend an dem Bericht - aber auch nur auf den ersten Blick - ist, dass hier anscheinend ein Abbau von Bergkristall nachgewiesen worden ist. Auf den zweiten Blick kann das die Archäologen nämlich nicht verwundern, denn es ist nun einmal eine Tatsache, dass alle irgendwie als zur Geräteherstellung/sonstiger Nutzung geeignet erkannten Vorkommen von Gesteinsarten/Erzen in der Urgeschichte über kurz oder lang auch bergmännisch hereingewonnen worden sind.

Liegt somit zur Verwunderung kein Grund vor, so besteht nach dieser Entdeckung auf jeden Fall ein Grund zu grosser Freude über einen solchen Befund. Wie gut, dass die Archäologen den Hinweisen der Mineraliensammler nachgegangen sind. Dazu darf man den Archäologen aus Innsbruck herzlich gratulieren!       

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"