ein bemerkenswertes "ausgesplittertes Stück" von einem spätpaläolithischen Platz

Begonnen von thovalo, 28. September 2017, 19:24:14

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thovalo

  


Hallo zusammen!  :winke:


Es erweitert sich anscheinend das Spektrum der Artefaktetypen auf dem spätpaläolithischen Fundareal um ein "ausgesplittertes Stück". Es fiel mir erst schwer den Fundbeleg näher einzuordnen und hatte erst den Eindruck eines größeren und längs gebrochenen flächig retuschierten Artefakts, etwa einer Spitze oder der verworfenen und zerbrochenen Vorarbeit für eine Pfeilspitze.

Bei der Grundform handelt es sich dem Eindruck nach nicht um das Resultat eines Biegebruchs. Es lassen sich keine entsprechenden Merkmale einer Bruchfacette beobachten.  Die Grundform wirkt wenn, dann eher vertikal von einer größeren Grundform abgetrennt.

In der Nahsicht  :glotz: wird jedoch deutlich, das es sich um ein segmentförmiges "ausgesplittertes Stück" handelt. Der kielartige Kantenverlauf ist deutlich zermürbt und es laufen teils gestufte, teils flächig verlaufende Negative von der Außenkante in die Fläche hinein. Auf der Gegenseite verlaufen die Negative im Gegensatz dazu dann aber von der oberen Kante ausgehend in die Fläche hinein. Von da aus sind kräftige Schläge auf den Rand der oberen Kante ausgeführt worden. Somit beruhen alle erkennbaren Negative auf Schlag auf die obere Kante und den Ausbruch in Folge der Schläge auf einen festen Untergrund (Knochen, Geweih auf einer festen Unteralge ..... oder ähnliches).

Zudem scheint auch mit den beiden spitz zulaufenden Enden direkt und zusätzlich gewerkelt worden zu sein.


Aufgrund der fossilen Einschlüsse lässt sich der Silex
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Nanoflitter

Wahrscheinlich das Endstadium eines Messers mit natürlichem Rücken. Gruss..

thovalo

Zitat von: Nanoflitter in 28. September 2017, 19:29:48
Wahrscheinlich das Endstadium eines Messers mit natürlichem Rücken. Gruss..


Hmmm.....

auf dem ersten Bild erkennt man links die unregelmäßige Schlagkante entlang derer die Negative gelöst worden sind  :glotz:


Meinst Du als Praktiker das sind keine "Schlageffekte" im Gebrauch des Fundbelegs als "ausgesplitterten Stück"?


lG Thomas  :winke:



Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Nanoflitter

Doch, um ein Holzstück oder Knochen zu Spalten wurde halt auf den Messerrücken geschlagen. Das gibt dann Endverwendung als ausgesplittertes Stück. Von der Form her hätte es ja ein schönes Messer gewesen sein können. Die einseitigen Aussplitterungen können daher rühren, das schräg angesetzt wurde, um was anzuspitzen. Da trifft man halt nur eine Kante. Dann war das schöne Messer halt hinüber. Bissel Fantasie ist natürlich dabei.. :dumdidum: Der Bear Grylls hat auch immer mit einem Knüppel auf seinen Messerrücken geschlagen, das beschleunigt das bearbeiten von Holz ungemein. Gruss...

thovalo

Zitat von: Nanoflitter in 28. September 2017, 20:17:47
Doch, um ein Holzstück oder Knochen zu Spalten wurde halt auf den Messerrücken geschlagen. Das gibt dann Endverwendung als ausgesplittertes Stück. Von der Form her hätte es ja ein schönes Messer gewesen sein können. Die einseitigen Aussplitterungen können daher rühren, das schräg angesetzt wurde, um was anzuspitzen. Da trifft man halt nur eine Kante. Dann war das schöne Messer halt hinüber. Bissel Fantasie ist natürlich dabei.. :dumdidum: Der Bear Grylls hat auch immer mit einem Knüppel auf seinen Messerrücken geschlagen, das beschleunigt das bearbeiten von Holz ungemein. Gruss...

Jipp,
jetzt habe ich Dich verstanden!#

Eine gute Option!

Im November findet ein intensiver Austausch zum Fundkomplex und zm Fundgelände statt.
Dann werde ich Dir und Euch weiter dazu etwas sagen können!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Nanoflitter

Ich hab mal versucht, nachzuvollziehen, was deinem Stück passiert sein könnte. Mann muss mit einem Stein draufschlagen, sonst geht nix ab. Wenn das zu bearbeitende Stück ein dickes Geweihstück ist, anstatt das Hölzchen, gehts noch besser, mit dem aussplittern. Gruss...

thovalo



Mein Lieber!  :winke:


Ich weiss gar nicht was ich sagen soll zu so viel Mühe!  :Danke2:

Die erzeugten Merkmale entsprechen den Merkmalen an dem hier vorliegenen Stück  :glotz:

Das ist sehr überzeugend. :super:



Beim Lesen von viel Literatur wird deutlich, dass das Werkzeugspektrum immer auch etwas über die Nutzung des Fundplatzes aussagt. Insbesondere Stichel und "ausgesplitterte Stücke" werden mit der Bearbeitung von Teilen der Jagdbeute (Bearbeitung von Knochen und  Geweih) in Zusammenhang gebracht.

An dem Ort ist inzwischen alles zusammen gekommen was einen Rastplatz mit Relikten der Jagd und der Verwertung erlegter Beute in der Zeit des späten Paläolithikums ausmacht. Spitzen (Projektile), Stichel, Stichellamellen, Kratzer, "ausgesplitterte Stücke", dazu Belege der Steinbearbeitung (Retuscheure, Amboßstein, Restkerne, Debitage, Grundformen) und wenn das mit akzeptiert wird, eine wohl natürlich gebildete kleine Steinperle als Teil der Schmuckausstattung. Das Fundareal liegt auf einer sanften Geländehöhe an einer Geländerinne nahe einem Fließgewässer das in den Rhein mündet.

Ich konnte mir Gestern die von mir vor zehn Jahren gesammelten Belege von "baltischen" Feuerstein aus einer bislang in der Facharchäologie nicht wahr genommen obertägig zugänglichen glazialen Ablagerung des "Düsseldorfer Lobus" zu einem direkten Vergleich heran holen.
Der Ort liegt auf der höchsten Erhebung der Mittelterasse nahe zum Ruhrtal. Dort finden sich genau die Formate und Qualitäten der Handstücke "baltischen Feuersteins" die an dem neu entdeckten spätpaläolithischen Fundort gesammelt, auf Vorrat angelegt und verwendet wurden.

Noch näher zu dieser sekundären Lagerstätte von baltischen Feuerstein fand sich in den 90er Jahren ein mesolithischer Fundplatz auf dem sich auch der links im Profilbild gezeigte Federmesserbeleg sowie zwei Schiefergravuren fanden. Beide Fundplätze liegen auf die Lagerstätte ausgerichtet auf einer direkten Linie.

Direkt innerhalb der Ablagerungen baltischen Fuersteins fand sich bereits ein mittelpaläolithischer kleiner Faustkeil. Von da aus ist  es fußläufig nicht allzu weit in Richtung Neandertal oder zu dem bedeutenden mittelpaläolithischen Atelier der Neandertaler bei Ratingen-Volkardey. Die sekundäre Materailressource nordischen Feuersteins war dem zufolge bereits im mittleren Paläolithikum bekannt.

Die drei Plätze liegen zudem im direkten Anschluß an die Lage des erst 2003 entdeckten urgeschichtlichen Rheinübergangs mit zehntausende neolithischen Artefakten. Unter den sosntigen steinzeitlichen Hinterlassenschaften liegen auch einige spätpaläolithische Fundbelege vor. So zeichnet sich durch langjährige Prospektionen und Dokumentationen zunehmend eine urgeschichtlich begangene und genutzte Landschaft in einem überregional wichtigen Transitraum zwischen der Maasregion im Westen und den östlichen Landschaften ab.

Der Rheinübergang kann bereits ein urgeschichtlicher Wechsel für große Wildtierherden gewesen sein. Die Fundbeobachtungen wachsen immer weiter zu einem komplexen Bild zusammen.


Ich finde Deine experimentellen Darstellungen super und danke Dir noch einmal ganz herzlich dafür!


lG Thomas  :winke:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Nanoflitter

Ich glaube, deine interessanten langen Ausführungen hier haben länger gedauert, als mal so eine Scherbe zu malträtieren. :-) Gruss..

thovalo

Zitat von: Nanoflitter in 01. Oktober 2017, 15:47:09
Ich glaube, deine interessanten langen Ausführungen hier haben länger gedauert, als mal so eine Scherbe zu malträtieren. :-) Gruss..


Sagt er Praktiker ...... ich kann nicht was Du kannst und das soll auch wert geschätzt und in den passenden Zusammenhang gebracht sein!  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.