gezähnter Sicheleinsatz

Begonnen von RockandRole, 01. Mai 2019, 20:22:18

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RockandRole

Hallo Leute,

Papa war heute alleine unterwegs auf einer großen Siedlung der LBK im Maindreieck. Dort ist auch frühe Bronzezeit gemeldet, was wir bisher möglicherweise  mit einer Pfeilpitze auch schon mal hatten.
Diesemal haben wir diesen gezähnten Sicheleinsatz mit 33 mm Länge dabei. Er ist einfach aus einer Klinge gefertigt. Passt da BZ von der Zeitstellung? Ist unser erster mit Zähnen. 7 Zähne sind ja voll im Schnitt  :-)

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

palaeo1

#1
Ich würde dieses Stück nicht als Sicheleinsatz sehen wollen. Häufig werden solche Stücke auch fälschlicherweise als Sägen bezeichnet. Solche Funktionen können sie nicht ausführen. Man kann davon ausgehen, dass sie zum Spleissen von Pflanzenfasern genutzt wurden. Sie finden sich häufig in neolithischen oder auch frühbronzezeitlichen Kontexten.

Gruß
palaeo1

hargo

Also nicht zur Getreideernte, vielleicht Schilf, oder Rohr, bzw. anderen, grobfaserigen Materials.

mfg

RockandRole

Servus  :winke:,

danke für den Hinweis  :-) dann kann man sich die Funktion etwa so ähnlich wie bei einer ´Flachsschlitten´ oder wie man das nennt vorstellen?

liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

RockandRole

Hallo Leute,

klärt mich doch mal bitte auf  :winke: Sichelglanz kann ich im Übrigen nicht erkennen. Also sind da, wenn überhaupt, keine silikathaltigen Materialien bearbeitet worden.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

StoneMan

Moin Daniel,

aufklären kann ich kaum.

Der von Dir erwähnte ´Flachsschlitten´ ist doch eher etwas anders bestückt.

Und nur weil Du keinen Sichelglanz feststellen kannst, kannst Du nicht ausschließen,
dass damit siliziumhaltigen Halme und Gräser geschnitten wurden, denn das geht ja
nicht so schnell mit dem Lackglanz.

Gruß

Jürgen

Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

thovalo

#6
Zitat von: palaeo1 in 01. Mai 2019, 21:07:03
Ich würde dieses Stück nicht als Sicheleinsatz sehen wollen. Häufig werden solche Stücke auch fälschlicherweise als Sägen bezeichnet. Solche Funktionen können sie nicht ausführen. Man kann davon ausgehen, dass sie zum Spleissen von Pflanzenfasern genutzt wurden. Sie finden sich häufig in neolithischen oder auch frühbronzezeitlichen Kontexten.

Gruß
palaeo1


In einem Austausch mit Experimentalarchäologen wird eine sägende Funktion meist als die erste angenommene Option benannt. Schneiden und eingesetzt im Sinne einer Sichelklinge geht überhaupt nicht, weil die bearbeiteten Materialien bei einem ziehend schneidenden Versuch stark und grob reißend zerfasert werden. Das konnte isch im Experiment selber erleben.

Das Spliessen von Fasern würde ja den genannte Effekt des "Zerfaserns" konkret abbilden.
Fasern (pflanzliche aber auch Sehnen) würden dabei wohl auch stark beschädigt oder zertrennt werden.
Egal wie, in die Richtung von Zerfasern und "schrabben"/"Aufrauen" organischer Materialien könnte es gehen.

Es wäre spannend das "Spleissen" von Fasern mit solchen Stücken auch einmal experimentalarchäologisch nachzuvollziehen!


"Gezähnter Sicheleinsatz" ist vor diesen Hintergründen dann wohl eher nicht die zur tatsächlichen Verwendung solcher "gezahnter Klingen(segmente)" passende Ansprache.


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Hallo,
zu diesen stark gezähnten Einsätzen gibt es einen ca. 3 Wochen alten, also brandaktuellen Vortrag der Facharchäologie!
Den Vortrag werde ich besorgen und passende textliche Passagen nach Genehmigung hier einstellen.
Klar ist das sich diese gezähnten Einsätze gehäuft, also überdurchschnittlich oft in Gebieten finden lassen die irgendwann Feuchtgebiete waren und mit Schilfrohr bewachsen waren.
Schilfrohr war der Baustoff über viele Jahrtausende und fand vielseitige Verwendung.
Ich gehe fest davon aus das damit Schilf für Dacheindeckungen geschnitten wurde.

Gruß
Peter

teabone

Hallo,

ich vermute in diesem Werkzeug durchaus eine Funktion zum Ernten von Schilf.
Der starke Glanz von silikathaltigen Pflanzen der auf meinen beiden Stücken zu finden ist überzeugt mich schon.
Schilf wird erst geerntet wenn es im Winter trocken ist. Da würde sich eine gezähnte Klinge bestens bewähren, weil die Halme nicht wegrutschen. Eine glatte, ungezähnte Klinge wäre bei diesem Einsatz eher schlecht. Außerdem wird das Schilfrohr mit dieser Form eher durchschlagen als geschnitten, was die Sprödigkeit des trockenen Halmes erlaubt.  Der Glanz findet sich bei meinen Beispielen gerade auch zwischen den Zähnen.

Das Spleißen von Fasern kann ich mir mit diesem Werkzeug gar nicht vorstellen, da beim Spleißen ja Fasern zu einer Einheit verbunden werden.
Da ich selber auch schon diverse Pflanzenfasern gewonnen habe, würde ich dieses Werkzeug auch nicht für das verarbeiten bzw.. reinigen von Fasern verwenden. Zu Beginn der Tätigkeit wäre das Material zu scharfkantig, da würde man die Fasern verletzen. Daher scheidet für mich das Bearbeiten von Pflanzenfaser damit aus.

Als Säge ist der Einsatz auch nicht vorstellbar. Wer möchte mit einer stumpfen Säge arbeiten.

LG Augustin
Such- und Fundgebiet: Weinviertel, Nö.

RockandRole

Hallo Leute,

danke für die vielen Informationen. Das kann man sich durchaus vorstellen, dass man mit einem ,schlagenden Schnitt', bei Schilf gute Ergebnisse erzielen kann. Das Zeuch splittert ja nur bis zum nächsten Internodium auf, von daher ist da nicht viel verloren. Vielleicht ist das Stück noch vollkommen ungebraucht oder wenig gebraucht, hast recht Jürgen.
Da ich mich mit der Verarbeitung von Pflanzenfasern überhaupt nicht auskenne, bin ich schon auf die angekündigte Veröffentlichung, von der Peter berichtet hat gespannt.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

thovalo

Zitat von: RockandRole in 07. Mai 2019, 15:20:13
Hallo Leute,

danke für die vielen Informationen. Das kann man sich durchaus vorstellen, dass man mit einem ,schlagenden Schnitt', bei Schilf gute Ergebnisse erzielen kann. Das Zeuch splittert ja nur bis zum nächsten Internodium auf, von daher ist da nicht viel verloren. Vielleicht ist das Stück noch vollkommen ungebraucht oder wenig gebraucht, hast recht Jürgen.
Da ich mich mit der Verarbeitung von Pflanzenfasern überhaupt nicht auskenne, bin ich schon auf die angekündigte Veröffentlichung, von der Peter berichtet hat gespannt.

Liebe Grüße Daniel


Manfred hat sich experimentalarchäologisch insbesondere mit der Bearbietung pflanzlicher materialien auseinander gesetzt. Es wäre ein Geinn zum Thema wenn er sich dazu äußern könnte!


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Marienbad

#11
Moin in die Runde,
die gezähnten Sicheln eignen sich nicht um damit Getreide, div. Gräser und Brennesseln zu ernten. Das habe ich mit einer Flintsichel verglichen, der Schnitt ist hierbei immer glatt, wie von einem Messer. Das gezähnte Teil hat mehr gerissen und gerupft. Sägen oder Schilf ernten klappte auch nicht. Weitere Hinweise zu diesen gezackten Sicheln kann ich nicht geben. Ich hoffe auf Hinweise von Peters Ankündigung.

LG  Manfred   :winke:

Furchenhäschen

#12
Servus miteinander,
habe heute nochmal telefoniert,
den jüngsten Vortrag bekomme ich demnächst.
Einstweilen kann ich aus dem Jahre 1992 Funde vom Bodensee anbieten, dort haben sich im Feuchtgebiet organische Materialen bestens erhalten.
Verschiedene Sichelarten und Sicheleinsätze lassen sich anhand der Abbildungen bestens vergleichen.
Recht viel gibt es zum Thema im Netz nicht aber zum veranschaulichen ists ja ausreichend. ........

https://www.pfahlbauten.de/forschungsinstitut/documents/Plattform_1.pdf

Grüße
Peter

Steinsucher

Hallo Gemeinde,

mit schniefender Nase habe ich auch noch ein Beispiel aus der experimentellen Archäologie gefunden.

Hier der Link: Bernard Ginelli baut eine Harpune

Die Videoqualität entspricht vielleicht nich mehr heutigen Standards. Die Zeit ist kurzlebig geworden. Vor allem Video 2 gibt eine von bestimmt vielen Gebrauchsmöglichkeiten.

Leider hat Bernard uns im letzten Herbst verlassen und damit auch sein Wissen.

Fritz.

RockandRole

Hallo Leute,

hatte heute auf dem Rückflug aus dem Urlaub Zeit gehabt das PDF von Peter zu lesen. Das lohnt sich schon im Vorwort, wo das ehrenamtliche Engagement von so Heimatforschern wie uns, mit wahren und warmen Worten gewürdigt wird. Richtig gut.
Desweiteren gibt es einen guten Einblick in die verschiedenen Sichelvarianten, Ernteverfahren und Getreidearten. Alles in Feuchtbodenerhaltung und somit unsere beste Überlieferungsmethode.

Zu den gezähnten Sicheleinsätzen wird, wie schon beschrieben, eine eher schlagende Verwendung vermutet. Extensive Ernteverfahren werden genannt, ohne sie jedoch genau zu benennen. Glanz muss dabei nicht zwangsläufig entstehen, aber Verrundungen.

In einem Ernteexperiment mit Feuersteinsicheln mit glatter und gezackter Schneide, ergab sich, dass die mit gezackter schneide ,schlagend-reißend' eingesetzt werden kann, wobei das Springen des Geräts von Klinge zu Klinge den Schneidevorgang erheblich intensivieren kann. Dabei nutzen sich die Klingen auch stärker ab.
Die glattschneidigen Geräte können zwar auch schlagen reißend eingesetzt werden, doch ohne die Dynamik der gezackten Schneide zu erreichen. (Frank 1985 18ff)

Liebe Grüße Daniel


gefährliches Drittelwissen