Eine Pfeilschneide aus Maasfeuerstein mit einem technischen "Kniff"

Begonnen von thovalo, 10. März 2020, 17:31:10

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thovalo


Hallo alle Zusammen!


Hier ein wenig Werbung für die "Kleinigkeiten" der Steinzeit.

Ein gut vorzeigbarer Fundbeleg vom rechten Niederrhein mit einem erkennbaren technischen "Kniff".

Eine Pfeilschneide, eine Pfeilbewehrung, aus Maasfeuerstein (vermutlich ostbelgischer Feuerstein) und datierbar in das späten Neolithikum.

Auf dem ersten Bild ist unten rechts ein gewölbt einretuschierter Bogen zu erkennen. Der diente dazu an der zur Herstellung verwendeten Feuersteinklinge eine Sollbruchstelle anzulegen. Dort wurde dann das Teilstück der Klinge abgebrochen um als Pfeil"spitze"  durch beidseitige Retuschierung abschließend zugearbeitet zu werden. Die seitliche Rertuschierung diente dazu die Kanten abzustumpfen, damit sie nicht die Sehnen- oder sonstige Wickelschäftung in der Schäftung zerschneiden.

Auf dem ersten Bild ist oben rechts zudem ein Negativ zu erkennen das durch das Ausbrechen der Ecke erzeugt worden ist. Das wäre eine durchaus typische "Impactspur" die von einem harten Aufprall des verschossenen Projektils zeugen kann.

Eine Anregung dazu auch bei kleinen Feuersteinstücken genau hinzusehen.

lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Nanoflitter


RockandRole

Hallo Thomas,

dann müsstest du ja da auch ein paar Mikrostichel finden können  :zwinker:  gut gesehen.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Danske

Hallo Thomas,

gut gesehen und gut erklärt :super:

Irgendwie sieht die Pfeilschneide für mich nicht ganz fertig aus. Hätte die rechte Laterale (Foto 1) in Fortführung des Bogens nicht noch weiter Richtung Schneide retuschiert werden "müssen", um eine gerade Seite zu erzielen?

LG
Holger
Das Leben ist die Summe all unserer Entscheidungen

thovalo

Zitat von: Danske in 10. März 2020, 22:36:49
Hallo Thomas,

gut gesehen und gut erklärt :super:

Irgendwie sieht die Pfeilschneide für mich nicht ganz fertig aus. Hätte die rechte Laterale (Foto 1) in Fortführung des Bogens nicht noch weiter Richtung Schneide retuschiert werden "müssen", um eine gerade Seite zu erzielen?

LG
Holger

Lieber Holger!

Ich kannte Pfeilschneiden zunächst nur aus der Fachliteratur. Dann entdeckte ich den großen Fundplatz von dem diese und bald insgesamt 200 Pfeilschneiden stammen. Nachdem ich nun von einem Fundbereich einen Querschnitt der Formen und Macharten vor mir habe kann ich nur über die hohe Vielfalt in der Ausführung von Pfeilschneiden staunen. Es gibt sie dort bishin zu vollkommen hoch-rechteckigen oder fas quadratisch ausgeführten Exemplaren. Sie können mehr linksschief oder mehr rechtsschief sein. Mal haben sie einen breiten Schaft, mal einen schmal zuretuschierten, mal ist zusätzlich die Basis retuschiert. Einige Stücke sind sogar aus Beilabschlägen gearbeitet worden, wobei ein Exemplar aus dem Abschlag von einer auf der geschliffenen Seite weißlich patinierten Beilklinge ausgeführt worden ist. Die Ventralfläche zeigt die dunkle originale Farbe des Feuersteins. Es gibt in diesem Fundspektrum eine breite Vielfalt von Abweichungen und Varianten.

Vom Fundgelände ist inzwischen für eine Studie des Artefaktspektrums des späten Neolithikums am Niederrhein das Fundinventar einer der vielen hier liegenden Plätze des späten Neolithikums mit etlichen Pfeilschneiden aufgenommen worden. Die ersten Erkenntnisse sind bereits in eine aktuelle Arbeit eingegangen, aber noch nicht detailliert aufgeschlüsselt.

Der Fundplatz liegt kurios "isoliert" genau zwischen zwei Kulturräumen die Pfeilschneiden führen (zwischen den spätneolithischen Traditionen des Maasgebietes und den Traditionen der östlichen Trichterbecherkultur) in einem Kulturraum von dem man annahm, dass Pfeilschneiden nur vereinzelt hergetellt oder vielleicht auch nur eingetragen worden sind. Zu klären warum das im Großraum Düsseldorf und Duisburg entlang des Rheinlaufs ganz anders ist, wird sicher nicht schnell zu ermitteln sein.

Spannenderweise gibt es in diesem Gebiet weitere Besonderheiten. Den einzigen bekannten "Menhir" der in Düsseldorf-Kaiserwerth steht und dessen Datierung durchaus weiter ins Neolithikum reichen kann

https://de.wikipedia.org/wiki/Menhir_von_Kaiserswerth

und ein singuläres spätneolithisches Steinkistengrab bei Essen-Kupferdreh

https://de.wikipedia.org/wiki/Steinkiste_von_Essen-Kupferdreh

Zudem wurden im 19. Jh. bei Düssedorf-.Angermund mehre Steinkistengräber ohne nähere Dokumentation zerstört. Gerade im Ortsgebiet Düsseldorf- Angermund lassen sich viele spätneolithische Fundstücke auflesen, während es sich bei dem großen Fundareal um einen Zentralort an einer Flussfurt gehandelt hat.

"Irgendwas" ist in diesem Gebiet in der kulturellen Entwicklung und in den Traditionen ganz anders verlaufen, als in den vergleichsweise sehr massiv erforschten linkrheinisch gelegenen neolithischen Siedlungsgebieten im Braunkohleabbaugebiet und drumherum.

Die hier extem zahlreich zu findenden Pfeilschneiden überliefern bereits einen sehr markanten Unterschied. Wobei es erstaunt, dass es auch weiterhin "reguläre" Pfeilspitzen mit im Gebrauch gewesen zu sien scheinen. Sehr häufig finden sich hier die Belege von gestielten Pfeilspitzen mit Flügelenden. Ob die gegebenenfalls einen jüngeren Zeitabschnitt andeuten oder parallel liefen lässt sich bislang (noch ) nicht klären. Die drei bislang ausgeführten Grabungen konzentrierten sich ausschließlich auf römisch-kaiserzeitlichen bis fränkischen Befunde.


lG Thomas

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Lieber Thomas,

vielen Dank für die ausführlichen Informationen zu den Pfeilspitzen und Pfeilschneiden allgemein und speziell in deinem Fundbereich.

Es ist auf jeden Fall von Vorteil, wenn man einen begrenzten Bereich intensiv und über Jahre begeht. Das bringt erst aussagekräftige Ergebnisse für eine Beurteilung des Platzes hinsichtlich seiner Bedeutung und seiner Art. Denn auffallend ist doch hier die hohe Anzahl an gefundeten Pfeilbewehrungen.

Was die Verwendung von Pfeilschneiden, Querschneiden und Pfeilspitzen angeht, meine ich gelesen zu haben, dass die beiden erstgenannten größere und stärker blutende Wunden verursacht haben, also vorwiegend zur Jagd auf Großwild eingesetzt wurden, welches aufgrund des schnelleren Blutverlustes früher verendete.

Danke für die Links :Danke2: Bei Steinkisten muss ich an die Ausgrabung eines, leider gestörten, Steinkistengrabes der Wartbergkultur in Oberzeuzheim bei Limburg Ende der 80er Jahre denken. Soweit es mir möglich war, habe ich jeden Tag die Grabungsstelle aufgesucht. War sehr interessant.

LG
Holger :winke:

Das Leben ist die Summe all unserer Entscheidungen

thovalo

Zitat von: Danske in 11. März 2020, 23:23:53
Lieber Thomas,

vielen Dank für die ausführlichen Informationen zu den Pfeilspitzen und Pfeilschneiden allgemein und speziell in deinem Fundbereich.

Es ist auf jeden Fall von Vorteil, wenn man einen begrenzten Bereich intensiv und über Jahre begeht. Das bringt erst aussagekräftige Ergebnisse für eine Beurteilung des Platzes hinsichtlich seiner Bedeutung und seiner Art. Denn auffallend ist doch hier die hohe Anzahl an gefundeten Pfeilbewehrungen.

Was die Verwendung von Pfeilschneiden, Querschneiden und Pfeilspitzen angeht, meine ich gelesen zu haben, dass die beiden erstgenannten größere und stärker blutende Wunden verursacht haben, also vorwiegend zur Jagd auf Großwild eingesetzt wurden, welches aufgrund des schnelleren Blutverlustes früher verendete.

Danke für die Links :Danke2: Bei Steinkisten muss ich an die Ausgrabung eines, leider gestörten, Steinkistengrabes der Wartbergkultur in Oberzeuzheim bei Limburg Ende der 80er Jahre denken. Soweit es mir möglich war, habe ich jeden Tag die Grabungsstelle aufgesucht. War sehr interessant.

LG
Holger :winke:



Eine weitere Interpretation ist, dass die Pfeilschneiden durch die stark blutenden Wunden die Verfolgung der Anschußspur erleichterte und das insbeondere in unübersichtlichen und bewaldeten Gelände! Selbst mit moderner Jagderfahrung kann das nachvollziehen.

Ob das aber auch noch im späten Neolithikum die eigentliche Idee und der Hintergrund für diesen inselartigen Gebrauch gewesen ist sei dahin gestellt.


lG Thomas

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.