Ein spätneolithischer Kratzer aus der Grundform von einem Maasei

Begonnen von thovalo, 15. November 2015, 15:31:33

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thovalo



Das rheinische Spätneolithikum ist kaum erforscht und bekannt. Das liegt u.a. daran, dass es kaum Plätze gibt, an denen Fundinventare dieser Zeitstellung klar identifiziert und gegenüber anderen Zeitstellungen abgegrenzt werden können. Es fehlt hier zudem die Bestattungstradition der großen Kollektivgräber. Für das Endneolithikum gilt der rechte Niederrhein als bislang wichtige Quelle, denn die Grabhügel auf den sandigen Dünen nahe des Flussufers rechts des Rheinlaufs überlieferten bislang den größten Umfang und die größte Vielfalt von Fundbeobachtungen für den Zeitraum des Bestehens der "Becherkulturen". Diese Besonderheit deutet sich auch für die Zeit des späten Neolithikums am Niederrhein an.

Auf dem großen Fundgelände rechts des Niederrheins ist das späte Neolithikum z.B. mit typologisch charakteristischen Projektilen, Pfeilspitzen aber insbesondere auch mit Pfeilschneiden, sehr umfangreich vertreten.

Der "Platz 5" gilt dabei als weitgehend reine Fundstelle dieser Zeitstellung. Herausragend für das gesamte Fundgelände ist insbesondere das sehr zahlreiche Aufkommen von Pfeilschneiden. Diese finden sich auf "Platz 5" besonders konzentriert. Ebenso gehören sehr zahlreiche "ausgesplitterte Stücke", Mikrokratzer, Silexbeilklingenabschläge und daraus gefertigte Gerätschaften, sowie Artefakte aus Maaseisilex mit dazu.

Gestern fand sich auf "Platz 5" u.a. ein Kratzer aus einem kräftigen Maaseiabschlag.


Auf dem ersten Bild der Gestern aufgelesene Kratzer mit drei der seit der Abgabe des ursprünglichen Fundkomplexes neu aufgefundenen Pfeilschneiden von "Platz 5"


Länge:    4.6 cm
Breite max.: 2.4 cm
DM max.:  1.1 cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Der Neufund:

.........  es handelt sich um den Abschlag eines Maaseis mit einer überwiegend sehr grobkörnigen Partie und einer dem gegenüber kleineren Teilpartie aus feinkörnigen Silex.

Das als Kratzers genutzte Teilstück besteht aus dem feinkörnigen Teilstück des Silex.

Ich halte für die Zeitstellung die "längs" der Zentralachse eines Maaseis abgetrennte Grundform für ein charakteristisches Ausgangsstück der Zeit des späten Neolithikums. Diese Abtrennung erfolgt in der Längsrichtung des Maaseis und war angesichts der natürlichen Krümmung des Ausgangsstück besonders leicht zu erzeugen.

Was ich von meinem Besuch bei Manfred an Erfahrung mit nehmen konnte ist, das retuschierte Artefakte tatsächlich schon allein der Retuschierung wegen als Besonderheiten ansehen müssen.

Grundformen aus Silices funktionierten auch ohne explizite Retuschierung wunderbar in schneidender, schabender und kratzender Anwendung. Von daher überliefern Retuschierungen entweder Formgewohnheiten oder tradierte Identitätsmerkmale, wie z.B. die geflügelten Pfeilspitzen mit Schäftungsdorn, oder sie sind wichtige Indikatoren in Form von markanten Gebrauchsspuren.


lG Thomas 
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Wie so oft widerlegt dieses Beispiel eines Kratzer von diesem weiten Fundgelände insbesondere die Annahme der überwiegenden Funktion von Kratzern zur Bearbeitung von Häuten und Fellen. Das ist eindeutig und offensichtlich nur ein Teilaspekt der Funktions- und Verwendungsweise von Kratzern!


Dieser Kratzer ist explizit, bei der Handhabung eines Rechtshänders, linksseitig und im Bereich des Distalendes zur Bearbeitung von Knochen, Geweih, möglicherweise auch von harten Holz eingesetzt worden. Dabei ist die retuschierte Laterale deutlich untersteilt und zur Front hin schräg gestaffelt abgesplittert respektive durch Nachretuschierung abgebaut worden. Das distalende ist ebenfalls abgestuft ausgesplittert.

Diese Gebrauchsmerkmale deuten aus meinem Verständnis heraus auf eine schabend-ziehende Bewegung vom Körper weg hin.
Dabei wurde entweder Knochen, Geweih oder Holz fein Material abspanend bearbeitet, flexibel-hartes organisches Material.

Solche Bearbeitungsspuren dürften am ehesten bei der Zurichtung vom Hölzern etwa zu Pfeilschäften, der Bearbeitung eines Bogens und der Herstellung von Knochengerätschaften und Knochenpfeilspitzen (in dieser Zeit ebenfalls übliches Ausgangsmaterial von Projektilen / z.B. im Fundinventar des Steinkellers von Stein) oder anderer Objekten aus organischen Materialien entstanden sein.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

RockandRole

Hallo Großer

Das ist ein lehrreiches Stück mit schön herausgearbeiteter Kratzerstirn. Ich gehe auch konform damit, dass hier etwas nachgeschärft wurde.

Danke fürs zeigen und Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Steinkopf

Das ist ein bemerkenswertes Stück!

Für die Flintknapper waren diese Maaseier wohl gleichzeitig Überraschungseier.

LG
Jan


thovalo

Zitat von: Steinkopf in 19. November 2015, 17:51:54
Das ist ein bemerkenswertes Stück!

Für die Flintknapper waren diese Maaseier wohl gleichzeitig Überraschungseier.

LG
Jan




Treffend formuliert!

Das Innere konnte auch durchgängig feinstes Material sein.
Das sah man wirklich erst beim "öffnen"!

lG Thomas   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.