Dechselklingen/Feuerstein/Werkplatz: Spätneolithikum am Niederrhein

Begonnen von thovalo, 04. April 2010, 22:14:37

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thovalo

 :winke:

Nun noch zwei Dechselklingen aus Feuerstein aus dem Bereich des Werkplatzes. Beide Belegstücke sind verbrannt. Die noch ungeschliffene große Vorarbeit ist im Abstand von drei Jahren in zwei Fragmenten aufgelesen und anschließend zusammengesetzt worden. Dieser Fundbeleg ist wohl erst durch mechanische Belastung durch landwirtschaftliche Aktivitäten zerbrochen. Beide Belegstücke sind bei großer Hitzeeinwirkung verbrannt. Ausgangsmaterial wahr sehr wahrscheinlich Feuerstein der Varietät "Rijkholt".

Bislang gab es im Rhein-Maasgebiet noch keinen Fundplatz an dem Beilklingen aus Felsgestein, Beilklingen aus Feuerstein und Dechselklingen aus Feuerstein im Oberflächenbefund zusammen in einer Fundkonzentration angetroffen worden sind.


:-)

Großformatige Vorarbeit einer Dechselklinge aus Feuerstein aus einem klingenförmigen kräftigen Abschlag. Ventral nur Nacken- und Schneidenpartie flächig retuschiert. Der flächig überarbeitete Bulbus liegt ventral im Bereich der Schneide.
(Bilder 1-4)


Länge: 10 cm; Breite: 4,4 cm


:-)

Kleinformatige Dechselklinge aus Feuerstein. Ventral plan und zur Schneide hin hoch angeschliffen. Dorsal lediglich Anschliff zur Schneide hin.
(Bilder 5-8)


Länge: noch 5.1 cm; Breite 2.8 cm


Das waren dann Bilder einer Auswahl der drei Fundgruppen von Hiebgeräteeinsätzen
(Felsgesteinbeiklingen, Feuersteinbeilklingen, Feuersteindechsel) dazu Vorarbeiten aus
Felsgestein und Arbeitsunterlagen von ein und dem selben Werkplatz.   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Khamsin

Salaam!

Sehr beeindruckende Funde! Kennt JW diese Stücke? Das dürften den doch bestimmt sehr interessieren.

HG KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

thovalo

 :winke:

Salaam Khamsin!

Ja, die kennt er und eine große Anzahl der anderen zum Teil außergewöhnlichen bis kuriosen Fund- und Materialbelege auch.

Inzwischen ist es kaum noch möglich allein die Silexartefakte in einem einzigen PKW auf den Weg zu bringen, sodaß J.W mit der eigenen Durchsicht auch nur "portionsweise" hinterher kommt.

Derzeit gibt es ja leider nur noch ihn und Fr. Tutlies als aktive Urgeschichtler beim LVR und J.W strebt nun auch langsam auf den Ruhestand zu.

Er sucht derzeit wohl nach einem Bearbeiter der sich im Rahmen einer Promotion zutraut sich der Fundmengen  und ungewöhnlichen Befunde anzunehmen.

Doch das geht wohl nicht so schnell, wie die Plätze durch die Landwirtschaft aufgemischt und abschließend zerstört werden!

Ist schon ein aktuelles Drama die: "Archäologie im Rheinland"!


Mal sehen ob noch ein Wunder geschieht, so nahe an Ostern!  :zwinker:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Mark77

Nur kurz meine Einschätzung zum Thema "Not der Archäologie im Rheinland":

M.E. liegt das "Problem" an zwei Faktoren: 1. die Trennung des RGZM's von der Uni Köln/Bonn und die Annäherung an die Uni Mainz und 2. der immer größer werdende Einfluss der Uni Tübingen auf die prähistorische Archäologie. Die Projekte, die z.Z. am Laufen sind wären früher bestimmt Richtung Monrepos gewandert, heute landen sie in Tübingen oder anderen Universitäten. Das RGZM hatte wahrlich einen großen Einfluss auf die Urgeschichtsforschung im Rheinland. Schade, dass es da nicht so weiter geht wie zu Bosinski's Zeiten.
Soweit meine Sicht der Dinge, da ich an beiden Universitäten studiert habe und studiere und was ich so alles mitbekommen habe. riesen-*seufz*

rolfpeter

Ich denke, es handelt sich um ein politisches Problem:

Alles wird privatisiert, egal ob sinnvoll oder nicht. Die Grabungsfirmen schießen wie die Pilze aus dem Boden, die lassen sich direkt vom Bauherrn bezahlen, der die Mehrkosten dann wiederum auf sein Produkt aufschlägt. Oder bei öffentlichen Bauvorhaben wird's halt aus dem Steuersäckel bezahlt. Ob das wirklich sinnvoll und kostengünstiger ist, sei mal dahingestellt. In unserer Gemeinde hat kürzlich eine Grabungsfirma ein Neubaugebiet untersucht, hat den Steuerzahler (äh - eigentlich natürlich die zukünftigen Bauherrn) schlappe 43000 Öre gekostet. Nach meinem Kenntnisstand ist außer 'ner Handvoll Scherben nix bei der Aktion rumgekommen.
Soll angeblich billiger sein als wenn's vom Staatsdiener gemacht würde. Naja!

Dann läßt sich das liebe Stimmvieh auch noch von Steuersenkungspropheten ködern. Wenn dann die Steuern wirklich gesenkt werden, wird bestimmt nicht beim Bund gespart, sondern bei "unwichtigen" Posten, beispielsweise bei der Landesarchäologie. Den Kommunen, Kreisen und teilweise auch den Bundesländern steht eh das Wasser bis zum Hals.

Die Frostaufbrüche auf den Landstraßen werden nicht mal mehr zugepappt, ein "50"-Schild ist billiger und genau so wirkungsvoll.

Prestigeprojekte (Kölner Katastrophen-U-Bahn, Stuttgarter Bahnhof usw. usw. ) werden gnadenlos durchgepeitscht.

Ach wie wor dat fröher schön doch in Colonia...

Wenns zu "politisch" war, dann lösch ich's wieder

RP


Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Mark77

Die andere Seite der Medaille.. wahrscheinlich ist beides zusammen das "Problem".. aber Hand in Hand gehen sie auf jeden Fall.

thovalo

Ich kann rolfpeters Beobachtung nur unterstützen!

Zudem hatten "die Kölner" in ihrer Hochzeit mit ihrem Projekt im Braunkohletagebau ein ungeheuer wirksames Prestigeobjekt über das ein nicht geringer Einfluss auf die gesamte Forschungslandschaft möglich wurde. Und bei aller Kritik war das eine enorme und intensiv genutzte Chance Grundlagenforschung zu betreiben. Erst Heute wird zunehmend klar: Dieses Arbeits- und Forschungsgebiet betrifft eine recht kleinräumige Region mit insbesondere ab dem Ende der Bandkeramik bedeutsamer werdenden eigenen kulturellen, geologischen und verkehrsgeografischen Bedingungen, deren Forschungsergebnisse nur bedingt verallgemeinert werden können. Während sich die neuere Generation von Archäologen und Studierenden inzwischen auch von so markanten Größen wie Bosinski (den ich persönlich als Menschen sehr schätze) zunehmend distanzieren kann, sind viele nicht profesionell Interessierte immer noch durch die Literatur der jetzt recht schnell abtretenden Generation von Archäologen an den Universitäten geprägt. Und aktuell setzt die durch die gezielte Zusammenstreichung von Stellen und Mitteln durch die Politik ausgelöste und sicher auch gewollte "Marktorientierung" mit allen auch markant nachteiligen Folgen ein.

Dafür wie sowas dann endet (enden kann), hat die vom LVR "unabhängige" städtische Archäologie in DUISBURG ein unrühmliches aber exemplarisches Beispiel gegeben. Erst domierte eine einzige Person die ganze Situation, dann gab es über unendlich viele Jahre hinweg ständige Differenzen, Schlüssel zu Magazinen und der Zugang zum Fundmaterial wurde vorenthalten, bei einem Wassereinbruch gingen wichtige Dokumentationen zur Marktplatzgrabung verloren und das Fundmaterial verschimmelte, sodaß das Betreten der Räume zuletzt nur noch im Schutzanzug möglich war. Die Politik hatte kein Interesse und das Fachamt kaum noch ausreichende Mittel und Personal (ausführlich im "worldwide web" nach zu verfolgen). Nachdem der "Skandal"  endlich ausreichend hoch gekocht war und politisch schädlich wurde, wurde dann vor wenigen Jahren Geld, neue Stellen und ansprechend gestaltete Broschüren der Öffentlichkeit präsentiert. Jetzt müssen insbesondere erst einmal die Bestände vom Schimmel befreit, katalogisiert und aufgearbeitet werden. Und bei allem schönen Schein traue ich dem Braten noch (sehr) lange nicht!

Die Vergabe von Aufträgen wird beim LVR intern "verhandelt", was bedeuten kann: wer sich am besten präsentiert, aufstellt und durchsetzt, bestimmt welche Projekte zuletzt tatsächlich in
Angriff genommen werden und das geht für den Bereich der Ur- und Frühgeschichte nur selten gut aus. Das führt zu Situationen in denen das eine oder andere Projekt strategisch aufgestellt wird, damit man es zuletzt strategisch opfern kann um sein eigentliches Ziel zu erreichen! Das ist nicht anders als in der Politik unserer Tage! Jede Partei kocht ihr Klientelsüppchen auf dem Herd der eigenen Interessen. Ein Markt von Macht und Möglichkeiten!

Und noch weniger ist öffentlich, dass die durch erhebliche staatliche und stattliche Steuermittel finanzierten Grabungsfirmen bedeutende Fundstücke tatsächlich nicht ausgeliefert haben ........................   weil das in den Verträgen nicht entsprechend geregelt war!

Und wenn man gründlich recherchiert, welche Firma von wem gegründet und geführt wird, welche Firma welche Aufträge erhält und welche Verbindungen es dabei zu Universitäten, zwischen Personen und zur Politik gibt, ist für mich Italien immer noch das Land das ich so sehr schätze, weil dort solche Traditionen schon immer offen gelebt worden sind und dort zum länderspezischen "Kulturerbe der Menschheit" gehören!  :zwinker:

Das ist (auch) aktuelle "Archäologie" und nicht nur "im Rheinland"!


(PS: Dass man in Köln das bedeutendste städtische Archiv in Deutschland fast schon wissentlich, zumindest aber fahrlässig hingenommen in Archäologische Schichten abgesenkt hat und dafür bislang nicht eine einzige Person lebenslänglich zum Nachgraben und zur eigenhändigen Konservierung bzw. zur Übernahme der Kosten dazu verurteilt worden ist zeigt mir sehr genau, wie wichtig Politik und Gesellschaft Kulturgut halten: als die schönste Nebensache der Welt, sofern sie nichts kostet oder idealer weise noch Geld einbringt! Und "bella Colonia" ist ja bekanntlich die nördlichste Stadt Italiens und allein schon deshalb meinem Herzen sehr verbunden!)
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.