Wind- oder Eiskanter?

Begonnen von StoneMan, 02. Mai 2019, 22:55:30

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StoneMan

Moin,

bei meinen Wanderungen über den Höhen des Ruhrtales finde ich über die Jahrzehnte immer
wieder diverse Steine, die ich nicht liegen lassen kann (Bild SF1 kleine Auswahl).

Die hiesigen Gesteinsarten des "500-Millionen-Jahre-Spektrums" sind u.a.: Kieselschiefer, Quarzit, Grauwacke,
Ton- und Sandstein (Ruhrsandstein wird vielfältig als Baumaterial verwendet).

Der Kieselschiefer (Unterkarbon ~ 350 Mio.) wurde hier auch vom Neandertaler zur Geräteherstellung genutzt.
Das Neandertal ist quasi in Sichtweite ;-) nur 15 km Luftlinie
Zeitreise Ruhr >> http://www.zeitreise-ruhr.de/chronik/010-altsteinzeit.html

Aber es geht mir um etwas anderes.

Auf einer der Hauptterrassen (~ 100 m ü.NN) habe ich die im Bild gezeigten Steine auf weniger als einem Hektar gefunden (Bild SF2).

Der in der Hand (Bild SF3) ist etwa 4,5 x 4,5 cm groß, dieser und der rechts daneben sollen hier Begutachtung finden.
Diese beiden lagen wenige Meter beieinander.
Kann es sich um Windkanter handeln? Und was ist das für ein Gestein?


Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

RockandRole

Hallo Jürgen,

ich würde so etwas auch als Windkanter ansprechen. Schöne Stücke ☺️ Könnte Quarzit sein.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Wiesenläufer

Moin,

bei diesen exakten Kanten denke ich auch, dass es sich um Windkanter handelt.
Ich hatte bisher erst einen und der hatte auch exakte Kantenverläufe.

Dann müsste es sich um eine vegetationsarme Gegend/Zeit gehandelt haben. > Wiki <

Gruß

Gabi
Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

StoneMan

Moin,

Danke euch beiden.

@ Gabi,

klar, es war recht unwirtlich. Der große Eishobel hatte die Ruhr hier bei Essen ja überschritten.
Das war vor 300.000 Jahren. Übrig blieben erst einmal Eisstauseen die bis ins Sauerland reichten.

Vor etwa 20.000 Jahren und in der nachfolgenden Allerödzeit gab es lichte Birkenwälder die den Tundren wichen,
erst danach folgte die jetzige Warmzeit.

Daher ja meine Frage, Eis- oder Windkanter? Möglich ist vermutlich beides.

Zur Gesteinsart meiner Wind-/Eiskanter (Herkunft und Art) würde ich ganz gerne mehr wissen,
ich selber kann da nur Vermutungen anstellen.
Hat der große Eishobel es aus dem Norden hierher gebracht oder das Anstehende, wenn ja welches, freigelegt?

Wer kann es mehr als nur vermuten? Mineralogen, Geologen, Petrologen vor ;-)

Mein angelesenes Wissen habe ich größtenteils aus diesem Aufsatz: Westfalen im Eiszeitalter > Klick <

Gruß

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry

StoneMan

Moin,

der Rücken fesselt mich an die Bude, also nerv ich euch :-D

Es sind zur Entstehung keine Millionen oder Tausende von Jahren erforderlich.

Der Vorgang der Entstehung selber ist/war mir weitestgehend bekannt:

Zitat:
Im Vorland der abschmelzenden Gletscher dürfte der Wind überwiegend vom Gletscher her geweht haben,
da die Abkühlung über dem Eis einen kalten Fallwind vom Eis weg produziert. Die Steine, die auf sandigen,
vegetationsarmen Flächen im Vorfeld der Gletscher den eisigen Winden mit ihrer Sandfracht ausgesetzt waren,
werden durch den Wind- oder Sandschliff (auch Korrasion) mechanisch bearbeitet.
Der Sand wirkt am Gesteinsstück als Schleifmittel. Die der vorherrschenden Windrichtung zugewandte Seite (Luv-Seite)
wird abgeschliffen und geglättet, während die dem Wind abgewandte Seite (Lee-Seite) unverändert bleibt.
Es entstehen mehr oder weniger scharfe Grate und Kanten.
Nach Anzahl der Schliffflächen spricht man von Einkanter, Zweikanter und Mehrkanter. Häufig sind aber auch
unregelmäßige Formen. Mehrere Kanten entstehen, wenn der Stein im Laufe des Prozesses ein- oder mehrfach
seine Lage durch Solifluktion (Frostschub, Erdfließen) verändert. Ebenfalls kann der Wind seine Richtung ändern.

Sehr interessant finde ich die weitere Ausführung des Zitates:

Windkanter sind nicht nur während der Eiszeiten entstanden. Sie bildeten sich zu allen Zeiten und entstehen
noch heute wie z.B. in der Sahara. Erstaunlich ist, dass der Zeitraum der Entstehung geologisch gesehen recht kurz ist.
In Alaska wurde beobachtet, dass harte Porphyre in 30 Jahren zwischen 5 und 10 mm abgeschliffen wurden.
Je nach den herrschenden Bedingungen reichen offensichtlich Zeiträume von rund 100 Jahren zur Schaffung eines
von Sand und Wind gestalteten Steins.

Zitat Ende
Quelle: Windkanter - Spuren der Eiszeit, von Klaus Vöge > Klick <


Ergänzung: Bild SF4, 1 + 2 Altfunde,  3 + 4 Neufunde

Gruß

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry

hargo

Zitat von: StoneMan in 03. Mai 2019, 18:11:31
...
Zitat:
Im Vorland der abschmelzenden Gletscher dürfte der Wind überwiegend vom Gletscher her geweht haben,
da die Abkühlung über dem Eis einen kalten Fallwind vom Eis weg produziert. . ....

Moin,

die starken Winde entlang der Vereisung sind unbestritten.
Allerdings machen die Flugsanddünen an der Rhein Mittelterrassenkante südlich von Düsseldorf den Anschein  sie wären durch westliche Winde angehäuft worden. Was  einer mehr oder weniger parallel zur Gletscherkante verlaufenden Windrichtung entsprechen würde. Aber vielleicht liege ich ja schon in der Annahme, dass sie zu dieser Zeit entstanden sein könnten, falsch.

mfg

StoneMan

Zitat von: hargo in 03. Mai 2019, 23:29:11
...
Aber vielleicht liege ich ja schon in der Annahme, dass sie zu dieser Zeit entstanden sein könnten, falsch.

Moin hargo,

genau das war ja ursprünglich auch meine Vorstellung, der zuletzt verlinkte Artikel ist deshalb für mich so interessant.
Zumal dem Stein auch egal ist woher der stete Wind weht.

Allein, dass es so schnell gehen kann hat mich sehr beeindruckt und meine Vorstellungen zurechtgerückt.
Klarheit habe ich dadurch leider nicht.

Schön sind sie allemal diese Mehrkanter.

Danke für Deinen Beitrag.

Gruß

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry

thovalo

#7


Hallo Jürgen, Hallo Forum!


Die beiden "pyramidalen" Quarzite in der Mitte und der gestreckte überprägte Kieselschiefer, der allerdings durch den Uhrrhein beim progressiven Durchschnitt des  Siebengebirges hierher weitflächig verlagert worden ist, sind "Klassiker" der Ruhrwindkanter!

Die Quarzite gehen auf eine geolgogisch unter Druckeinwirkung verkieselte Sanddecke zurück, die wiederum erodiert ist und rechts der Ruhr in den klassifizierten Quarziten "Ratinger Typs" aufgehen, die wiederum bevorzugt durch Vertreter des Neandertalers zur Herstellung von bifacen Gerätschaften und zur Anwendung der Levalloustechnologie abgesammelt verwendet worden ist.


Dazwischen liegen gelegentlich auch Stücke nordischen Silicesn die durch den "Düsseldorfer Lobus" bis dorthin verlagert worden sind. Interessant ist es an den Stellen die ich enlang der Ruhr seber kenne, dass sich in diese alten Flächen, auf denen jahrtausendelange Stürme die Gesteine "gesandstrahlt" habe, auch Hinterlassenschaften der Hoch-und Mittelteresse des Rheinlaufs eingerodiert haben.

Erkennbar ist das an immer wieder mit eingestreuten Maaseiern. Das trifft zumindest auf die von mir begangenen Landschaftspartien zu.

Genau hier (Ruhrhöhen) entstanden AUCH die Löße, die sich dann linksrheinisch als hoch mineralisch angereicherte Schichten im Rheintal abeglagert haben. Das ist das "Feinmehl" der auch hier gesandstrahlen Gesteine.

Die Sande die sich entlang des Rheinlaufs abgelagert haben waren "schwergewichtiger" als die noch feiner augelösten Lösse und bildeten dann entlang des Rheinlauf Dünen, die end- und postglazial  wiederholt  umgelagert oder neu aufgeschichtet werden konnten. DIESE Dünenzüge sind dann ab dem späten Paläolithikum (da allerdings extrem selten, weil es nur sehr wenige Aufenthalte zudem sehr kleiner wandernder Gruppe in der Region rechtsrehiniesch unterhalb Bonn gegeben hat), im Mesolithikum (etwas häufiger) und im Neolithikum (dann öfter, weil die Bevölkerungsdichte zugenommen und sich die Lebensweise grundlegend geändert hatte), von Menschen aufgesucht worden, weil sie trockene und dem Hochwasser entzogene Flächen entlang des in viele Arme aufgesplitterten Rheinlaufs bildeten.

Zu diesen Themen führt das Löbbecke-Museum in Düsseldorf eine herausragend aufgestellte Sammlung, von der leider kaum etwas der Öffentlichkeit präsentiert wird. In den Magazinen lagern jedoch wahre geologische, paläontologische und auch einige archäologische "Schätze", darunter die Knochen einer tertiären "Seekuh" aus Ratingen-Lintorf, die zufällig bei Sandarbeiten vom Baggerführer erkannt und geborgen wurden usw.


lG Thomas  :winke:


Einen Windkanter aus Quarzit habe ich hier auf der Fensterbang liegen.


Die ganz seltenen und besonderen seltenen Exemplare bestehen im Übrigen aus Milchquarz. Das solche Stücke bei der gegebenen Härte als Windkanter enden konnten spricht für die enorme Heftigkeit und lang anhaltende Intensität der physikalischen Prozesse die auch auf dieses harte Gestein eingewirkt haben.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

StoneMan

Moin,

@ Thomas, Danke für Deinen ausführlichen Beitrag und Deine "Fensterbank-Dekoration".

Bei mir sind heute wieder ein paar Stücke mehr auf die Fensterbank hinzugekommen.

Neben zwei unspektakulären habe ich einen sehr ausgeprägten Einkanter.

Ferner einen dicken Quarzbrocken (~5 cm), der schon wie ein Bergkristall (Milchquarz?) anmutet.
Er hat die typische trigonal-trapezoedrische Kristallstruktur mit glatten teils glasklaren Flächen und mindestes einer pyramidalen Spitze.
Es ist nicht der erste von diesem Platz.

Bemerkenswert finde ich die "Anhäufung" der geologischen Vielfalt auf diesem Areal.

Bei Gelegenheit werde ich einmal das Löbbecke-Museum aufsuchen.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

thovalo


Hallo Jürgen!

Die Fundbelege stark überprägter Quarzkristalle in teils überraschend großen Formaten kenne ich auch aus meinem Aktionsradius!

Ich weiss nicht ob J. Boscheinen noch für die Sammlung als vormaliger Kurator stellvertretend ansprechbar ist.
Er ist der absolute Kenner dieser Materie und der geologischen Historie des Niederrheins und seiner Landschaftbildung!


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Hallo Jürgen, hallo zusammen,

erst mal vielen Dank für das Aufgreifen der Thematik, das Zeigen der Fundstücke und die interessanten Ausführungen zu einem mir bisher relativ unbekannten Thema.

Leider kann ich zur Sache nichts beitragen, außer, dass die Stücke, die du, Jürgen, in der Hand hast, sicher aus Quarzit sind, aber das haben ja die anderen bereits bestätigt. Habe aber erst mal genug Lesestoff.

Und in Zukunft werde ich verstärkt auf diese formschönen Mehrkanter achten.

LG
Holger

Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.