Glaskrankheit

Begonnen von Leseratte, 15. Mai 2013, 18:13:16

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Leseratte

Hallo, liebe Glasexperten,

bestimmt ne doofe Frage, finde aber keine Antwort. Kann modernes Industrieglas auch die Glaskrankheit bekommen, oder kann ich, wenn ich "befallenes" Glas finde, immer von Waldglas ausgehen? Befreit mich bitte von meiner Unwissenheit!

VlG Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

Levante

Moin MOin,

zuerst ist mal die Frage zu klären, was du mit "Glaskrankheit" meinst, und wie stark diese ausgeprägt ist.

Such mal hier im Forum unter "Glaspest", da wurde schon einiges geschrieben, auch im Netz solltest du damit was finden.

LG


Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

Leseratte

Danke, jetzt hab ich erst mal was zu lesen.  :daumen: Ich wollte das mal allgemein wissen. Man müßte mal eine Bildfolge der einzelnen Stadien haben. Bei modernem Glas habe ich das noch nie gesehen.

Bis später Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

Leseratte

Hallo zusammen,

hab hier mal ein wenig "Glasgerümpel" zusammengesucht. Das erste Bild ist ganz stark erodiertes Waldglas. Das habe ich in einem Gebüsch gleich 100m von meinem Haus entfernt gefunden, dabei lag noch das Stück übergelaufener keine Ahnung. Die fleckige Üller hab ich beim Umgraben in meinem Beet gefunden. Obwohl man das auf dem Bild nicht erkennen kann hat sie eine wunderschöne Patina. Nur mit den braunen Flecken komme ich nicht klar. Ist das auch Glaskrankheit oder eine mißglückte Verzierung, besonders dekorativ finde ich die Flecken nicht. Da ich Üller, wenn ich sie finde nicht liegenlassen kann, habe ich schon ein paar zusammengefunden, aber diese grüne passt nicht so recht ins Bild, ist sie vielleicht schon älter? Die Scherben sind auch aus meinem Beet. Alle haben diesen Regenbogenschimmer. Bei der krumpeligen und der mit der Blase vermute ich, dass es noch geblasenes Glas ist. Die mit den Buchstaben fand ich auch irgendwie interessant. Vielleicht weiß ja jemand was darüber.

VlG Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

mc.leahcim

Gum biodh ràth le do thurus. = Möge deine Suche erfolgreich sein (Keltisch/Gälisch)
Die soziale Kälte hilft nicht die globale Erwärmung aufzuhalten!!

Leseratte

Hallo Michael,

vielen lieben Dank. Habe zwar noch nichts Neues über meine Üller rausfinden können, aber ein Kontakt zu dem Murmelmuseum lohnt sich wahrscheinlich. Ich wüßte auch zu gern, ob die anderen Scherben (natürlich außer der mit Schrift) Waldglas sind. Ich vermute es wegen der Luftblase und dem "schrumpeligen". Sieht aus wie faltige Haut. Vielleicht findet sich noch jemand, der mir weiterhelfen kann. Ich vermute, das hier in unmittelbarer Nähe meines Hauses eine Glashütte war. Herrn Dr. Sippel ist keine bekannt. Er erachtet es als möglich, aber da man diese eh nicht lokalisieren kann, weil Alaunhalde, Bergbau, Tagebau, aufgeschüttet, zugebaut, ist es nicht wirklich unbedingt  von Interesse. Nur für mich.

VlG Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

woodl

Servas Leseratte !
1. Durch Fehler in der Herstellung kann es zu einer sogenannten Entglasung kommen:

Entglasungen
Der Begriff einer ,,unterkühlten Flüssigkeit" bezieht sich auf die Tatsache, dass Quarzglas in Hinblick auf das thermo- dynamische Gleichgewicht eher einen kristallinen Feststoff als eine Flüssigkeit darstellt. Diese Tatsache ist der Schlüssel zum Verständnis, warum Quarzglas zur Entglasung neigt. Obwohl der kristalline Zustand thermodynamisch bevorzugt ist, verhindert die hohe Viskosität von Quarzglas die nötige Umordnung, um in diesen Zustand zu gelangen. Anders ausgedrückt können sich die Moleküle aufgrund der relativ hohen Abkühlraten, die Quarzgläser normalerweise erfahren, nicht schnell genug anordnen. Unter bestimmten Bedingungen kann diese Barriere jedoch aufgehoben werden, wodurch das Glas in einen kristallinen Zustand zurückkehrt. Dies geschieht bevorzugt bei hohen Tempe- raturen in Verbindung mit Verunreinigungen, welche das hochvernetzte Si-O-Netzwerk stören und dadurch die Viskosität herabsetzen und zudem als Nukleationskeime wirken.
Stark unterstützt wird der Prozess zudem durch eine mit Wasserdampf oder Chlorgas angereicherte Atmosphäre. Typischerweise entsteht zunächst eine oberflächliche Entglasungsschicht, die sich mit einer exponentiell von der Temperatur abhängigen Wachstumsrate in das Material hinein ausdehnt. Dabei entsteht eine Hochtemperatur-Variante von Quarz bekannt als Hochcristobalit (ß-Cristobalit).
Entglasung
Hochcristobalit hat nahezu dieselbe Dichte wie Quarzglas und lässt sich auf der Oberfläche nicht erkennen. Beim Herabkühlen auf unter 275°C findet jedoch ein struktureller Übergang von einer kubischen in eine tetragonale Kristallstruktur statt, was mit einer starken Abnahme der Dichte einhergeht. Dies kann letztlich zu Rissbildung und Abplatzungen führen. Brechungsindex- unterschiede, die sich aus der doppelbrechenden tetragonalen Kristallstruktur ergeben, lassen die Entglasungsstellen nun weiß erscheinen.

2. Antikes Glas hat als Folge seines langen Verbleibens in der Erde meist einen schillernden Regenbogenglanz. Durch die Einwirkung der Erdkohlensäure erfolgt eine Zersetzung der Glasoberfläche , die in manchen Fällen sogar tiefer geht und dünnes Glas bis zur Brüchigkeit zerstört.
Was sich auf natürliche Weise durch Altern und langen Aufenthalt unter der Erde ergibt, wird oft von Fälschern künstlich hervorgerufen. Neues Glas beginnt zu schillern, wenn man es für einige Monate
in die Jauchegrube versnkt.

Allgemeine Information zur Glasherstellung :
Als Silikatlieferant dient hauptsächlich Sand, seltener Quarzgestein. Reines Glas erfordert einen von Eisenbestandteilen freien Sand, da Eisen das Endprodukt verfärbt.
Alkalien wurden früher aus Holzasche ( für Kaliglas) und aus verbranntem Seetang (Natronglas)
gewonnen. Holzasche enthält Pottasche, und das damit hergestellte Glas ist, da es rasch erstarrt, hart und glänzend. Natronglas bleibt innerhalb einer längeren Temperaturspanne plastisch und läßt
sich daher leichter formen. Kaliglas war naturgemäß ein Produkt des Inlandes ( Waldglas), während Natronglas an den Küsten entstand, vor allem rund um das Mittelmeer ( Strandglas) Die Herkunft eines alten Stückes läßt sich meist nach der Art der Metallverfärbung, unabhängig von dem zufälligen Fundort, bestimmen.

Gruß woodl

Leseratte

Hallo woodl,

boah, vielen lieben Dank für die Ausführungen. Kann ich also davon ausgehen, daß in meinem Beet so viel Kohlensäure ist, daß es fast das Klima einer Jauchegrube hat? Und wenn, kann die Ursache sein, daß ich praktisch auf einer Alaunhalde wohne? Ich glaube, so ganz habe ich das nicht verstanden. :schaem:

VlG Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

woodl

Hallo Leseratte !
Du schreibst es handelt sich bei Deinem Stück um ein modernes Industrieglas, d.h. wenn es in Regenbogenfarben schillert dann liegt es an Deinen Bodenverhältnissen. Wenn aber nur eine Entglasung stattfindet, so ist dies auf die Herstellung zurückzuführen siehe ( Entglasung)
Gruß woodl

Leseratte

Hallo woodl,

auf die Gefahr hin, daß ich mich zum Volldeppen abstempele, aber welches der Stücke meinst Du? Ich finde keines, bei dem das Glas weiß erscheint oder splittert. Alle schimmern in Regenbogenfarben. Das bedeutet, mein Boden ist sehr aggressiv. Deshalb weiß ich noch nicht, bei welchen Scherben es sich um Waldglas handelt. Diese Weiße schrumpelige sieht wie "geflossen" aus, deshalb komme ich darauf. Man war hier ja schon im 16. Jh in der Lage, weißes (durchsichtiges) Glas herzustellen auch in den Waldglashütten. Das Wissen haben böhmischen Glasleute nachweislich hierhergebracht. Die Scherbe mit der Luftblase ist sehr dünn und hellgrün.

VlG Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

woodl

Hallo Leseratte !
Jetzt muß ich etwas weiter ausholen . In Syrien stellte man Glas bereits ca.1700 v.Chr. her. Man geht davon aus es handelte sich um Natronglas. Nach 1550 v. Chr. finden sich Gläser in allen möglichen Farben, so in Blau, Grün, Orange, Weiß, Schwarz, Violett und etwas später auch in Rot. Durch die Beimischung von Kupfer entstand in der Regel grünes, blaugrünes Glas. Gelegentlich erzielte man aber
auch ein Rubinrot, wenn nämlich kupferhaltiges Glas unter dem Einfluß einer reichlichen Menge von
Kohlenmonoxyd abkühlte. Die Beimengung von verschiedenen Zusätzen z.Bsp. Eisen , Mangan,Silber,
Antimon, Zinnoxyd, Kobaltoxyd , Uran usw. ergeben verschiedene Glasfärbungen.
Nach der weiten Verbreitung und der Menge des Überlieferten war sidonisches Glas ein gängiger Handelsartikel. Manches heute als "römisch" klassifizierte Glas ist wahrscheinlich gar nicht römischen Ursprungs und viele in Rom verwendeten Gläser stammten aus Sidon. Wir sprechen hier immer noch
von Natronglas. Wie weit die Glasherstellung im römischen Imperium verbreitet war, ist schwer zu sagen. Sämtliche Orte die in der Nähe geeignete Sandvorkommen hatten! Die Kölner Glaswerkstätten hatten ihre Hochblüte im 4. Jh. Hier verwendete man bereits Pottasche als Flußmittel. Man bezeichnet es als Inlandglas oder Waldglas. Nur durch geringe Eisenbestandteile in der Asche verfärbte es sich grün! Bereits im 13 Jh.wurde bereits klares Fensterglas hergestellt, Farnkraut und Buchenholzasche lieferten die erforderliche Pottasche. Nur eine Analyse kann es klären ob es Natron  oder Kaliglas ist.

Gruß woodl


Leseratte

Hallo woodl,

vielen lieben Dank für Deine ausführlichen Erklärungen. Schade, ich bin davon ausgegangen, daß es irgendeinen Anhaltspunkt gibt, woran man "Waldglas" von Industrieglas mit bloßem Auge unterscheiden kann.

VlG Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.