Rätselhafte Keramikobjekte aus dem hohen Mittelalter (10. - 11. Jh. n. Chr.)

Begonnen von thovalo, 24. Juni 2010, 11:59:45

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thovalo

Hallo Forum!   :winke:

Zu den großen Rätseln der hochmittelalterlichen Keramikforschung im Rheinland gehören Fragmente von ganz wenigen Tonplatte mit dekorierten Unterseiten, die bislang nur in den Töpferein für reduziert gebrannte Irdenware in Paffrath und in Ratingen, also nur in Kontex von Töpfereistandorten (!) und noch nie in Siedlungszusammenhängen beobachtet worden sind.

(Anm: die Stücke haben mit Deckeln von sogenannten "Aschekisten" ausdrücklich nichts zu tun!)   :kopfkratz:


Die wenigen Fragmente aus Paffrath weisen als Dekorelemente zu den Ritzverzierungen zusätzlich auch kreisförmige Stempelbilder in Form von Kreuzen auf.

Zur Feststellung, dass es sich um unbekannte Objekte mit dekorierter UNTERSEITE (!) handelt, trug erst der größere hier gezeigte Fundbeleg bei, der das größte überhaupt erhaltene Belegstück einer solchen früh datierenden dekorierten Tonplatte ist und erstmalig Hinweise auf eine Handhabe mit überliefert hat.

Die OBERSEITE zeigt die Ausbruchsspur eines verloren gegangenen bogenförmig angesetzten Henkels. Eine absolute Besonderheit ist die Feststellung, dass der Henkel mit Hilfe von TONZAPFEN in die Platte "eingezapft" worden war. Ein handwerklicher "Kniff" der zweifelsfrei aus der Holzverarbeitung übernommen worden ist. Doch während Holz aufquillt und in der Verbindung bombig feststecken kann, reduziert die Tonmasse im Brand. Ein dem Material TON wenig entsprechendes und technologisch widersprüchliches Verfahren. Während der eine Zapfen  mit dem Henkel zusammen dann auch völlig unverbunden ganz aus der Platte gelöst worden und verloren gegangen ist, blieb der zweite absolut verbunden in der Platte stecken.

Technologisch ist dies ein, über alle Töpferregionen des Rheinlands in dieser Zeit hinweg, weit herausragender Beleg für den Versuch technologischer Innovationen in der Zeit des hohen Mittelalters, der ein weiteres Mal auf eine weit reichende eigenständige Bedeutung dieser Töpferregion hindeutet.

Die Datierung sehe ich aufgrund der Machart der mitgefundenen weiteren Fehlbrände als zu spät angesetzt an. Die Kugeltopfbelege weisen hier noch abgestrichene und durch einen leichten "Knick" abgesetzte Oberwandungen auf und es liegen Gefäßbelege mit sogenannten "Schwalbennesttüllen" vor, die in Westfalen noch in die Zeit des 10./11. Jh. gehören. Große Vorratsbehälter weisen ein einzeiliges Rollrad-Viereckdekor auf, das ganz dem Material vom Averdunkgeländ ein Duisburg entspricht. Kleine Schalen erinnern eher noch an fränkische Traditionen aus denen sie sich in einer langen Traditionsfolge wohl auch entwickelt haben.

Dieser Fundkomplex wird den frühesten Anfang des Töpfergewerbes in dieser Landschaft repräsentieren. Zusätzlich trat aus den Haushalten der Töpfer "Vorgebirgsware" mit auf die gleichfalls dem 10./11. Jh. n Chr zugehört. Auch die Vergleichsstücke aus Paffrath sind in das 11. Jh. datiert worden.

Der Verwendungszweck ist vollkommen unklar. Der technologisch-funktionale Aufbau "Handhabe gegenüber dekorierter Unterseite", spricht am ehesten für eine Verwendung in der Art von "Stempeln".

Diese merkwürdige Keramikform hat eine enorm kurze Laufzeit besessen und sich offensichtlich nicht als funktional effektiv durchgesetzt. Möglicherweise waren Holzkonstruktionen besser geegnet.

Bis Heute ist die Funktion dieser Stücke ein offenes RÄTSEL geblieben!


Wer dazu noch zündende Ideen hat..................         :glotz:



Ursprünglicher Kreisdurchmesser des größeren, in mehreren Fragmenten geborgenen, Fragments mit verlorener Handhabe: ca. 15-16 cm; Stärke 1.5 cm

Ursprünglicher Kreisdurchmesser des kleineren Fragments: ca. 13 -14 cm; Stärke 1.5 cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

Bilder des Fragments einer zweiten dekorierten Tonplatte.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

haasa2003

Hallo Thovalo,

auch mir kam sofort beim Lesen des Textes der Gedanke, dass es sich bein den Tonscheiben um Stempel handeln könnte.

Vielleicht zum farbigen Stempeln von Tuchen oder zum Verzieren von Fladengebäck?

Auf jeden Fall hochinteressante Fundstücke, die ich noch nie gesehen habe.

Gruß Winfried
Je länger man lebt,
desto deutlicher sieht man,
daß die einfachen Dinge
die wahrhaft größten sind.

Romano Guardini, 1885 - 1968

thovalo

Zitat von: haasa2003 in 02. Juli 2010, 14:32:44
Hallo Thovalo,

auch mir kam sofort beim Lesen des Textes der Gedanke, dass es sich bein den Tonscheiben um Stempel handeln könnte.

Vielleicht zum farbigen Stempeln von Tuchen oder zum Verzieren von Fladengebäck?

Auf jeden Fall hochinteressante Fundstücke, die ich noch nie gesehen habe.

Gruß Winfried


Hallo hassa!  :winke:

Das sind tatsächlich absolute Raritäten und bis Heute nur aus den beiden genannten Töpfereibezirken (Ratingen-Breitscheid und Paffrath) bekannt.

Tätigkeiten wie Blaudruck auf Leinen war auch schon mal thematisiert, doch die Frage der Funktionsbestimmung konnte bislang nicht befriedigend geklärt werden ....... bleiben vorerst noch ein "Töpferrätsel" ....... wobei die Feststellung, dass solche Belege bislang nur in Töpferproduktionszusammenhängen aufgetreten sind ........ auch nicht ganz aus den Augen gelassen werden soll!!!


Vielleicht tritt ja irgendwann mal ein fragmentiertes oder vollständiges Exemplar in einem Siedlungskontext auf  :kopfkratz:


LG thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Tomcat

Könnte darauf oder damit etwas zerrieben worden sein?
Ich habe keine Ahnung, was - bei der Zeitstellung aber wohl eher keine Kartoffeln ;-)


mfg
Tct
Life burns!

thovalo

Zitat von: Tomcat in 02. Juli 2010, 19:08:46
Könnte darauf oder damit etwas zerrieben worden sein?
Ich habe keine Ahnung, was - bei der Zeitstellung aber wohl eher keine Kartoffeln ;-)


mfg
Tct

In Paffrath zeigen die dekorierten "unterseiten" "Stempel- oder Arbeitsflächen" kleine Rundstempel mit eine quer stehenden "Linie" oder einem "Kreuz". Das erscheint eher als dekoratives Muster und der Ton ist einfach zu schwach gebrann tum damit etwas reiben zu können ohne hohen Abreib zu erzeugen!

Es ist ja gar nix überliefert zu so etwas, doch war eine nicht ganz unrealistische Vorstellung das Stempeln von BROTEN (sog. Brotstempel).   :kopfkratz:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo Thomas,

deine Deckelchen  haben große Ähnlichkeit mit den in den Niederlanden sehr verbreiteten Deckeln zum ausmachend er Glut.

Leider habe ich gerade kein Bild auf meinen Festplatten gefunden, auch wenn ich mir sicher bin, das ich mehrere davon gemacht habe.

Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

Meinst Du die sogenannten Aschekisten und deren Deckel?!

Ja die kenne ich zur Genüge, habe mal die Literatur dazu komplett zusammen gesammelt, nur ist bei denen die Dekoration nicht unter sondern auf dem Deckel, also auf der Seite der Handhabe!  Dort finden sich auch Ritzverzierungen, Rundstempel, sogar figürliche Handhaben....

Die Deckel der Aschekisten datieren auch stets jünger als diese komischen Objekte.

Hier findet sich das Dekor auf der Unterseite und der bogenförmige Henkel war zur Verstärkung zusätzlich verzapft.  :kopfkratz:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Tomcat

Gibt es auch Beschriftungen irgend einer Art?
Mir geht das mit den Stempeln nicht aus dem Kopf - für Teig, Käse, Butter...?
Life burns!

thovalo

Zitat von: Tomcat in 06. Juli 2010, 22:58:47
Gibt es auch Beschriftungen irgend einer Art?
Mir geht das mit den Stempeln nicht aus dem Kopf - für Teig, Käse, Butter...?

Oblaten bzw. Hostien???? Auch ne Option.....  auf Butter bin ich noch gar nicht gekommen... auch zu erwägen... die Butter in eine kreisrunde Form und dann den Stempel daruf... oder Käse in eine solche Form und dann mit dem Deckel zusammenpressen.... da ist viel Spielraum für Spekulationen!!!!   :super:


Nein, Schriften gibt es nicht!

:winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.