"DER TVRCK" ein Stück Kulturgeschichte auf einem Siegburger Gefäßfragment

Begonnen von thovalo, 29. Mai 2010, 17:22:08

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thovalo

Sachen gibt´s!

:-) War heute ehrlich verblüfft ein Siegburger Trichtergefäßfragment vom Dreck zu befreien und dann ein Portrait mit der Bezeichnung "DER TVRCK" frei zu legen.   :glotz:

Das Portrait mit dem reich gedrehten Turban und dem markanten Profil gleicht gemalten Darstellungen Osmanischer Sultane des 16. Jhs.  (z. B. Mehmet ll).

Die "Türkenmode", in der sich das ganze Abendland "osmanisch" kleidete, alles "türkische" sammelte was sich nur finden liess und Musik "alla turca" liebte, kam ja erst im 17. Jh. auf!

Daher finde ist das eine bemerkenswert frühe Darstellung, eine Auflage die ich bislang nicht kannte und für die ich auf Siegburger Keramik in meiner Literatur bislang noch kein Vergleichsstück gefunden habe (wird es aber ganz sicher bereits irgendwo geben! Lernen, lernen, lernen!!!!!).

LG    :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo Thomas,

schönes Fragment.

Dazu fällt mir ein Werra-Teller, ebenfalls mit einem Osmanischen ein.

Anfang des Jahres erstanden bei einem Auktionshaus in den Niederlanden.

Leider ist es wohl eine Altrestauration, die mittlerweile etwas gelitten hat und sich farblich veränderte.

Die 95 steht selbstverständlich für 1595. Zuzuordnen ist dieser Teller entweder Wanfried oder Witzenhausen an der Werra.

Und er wurde dann in die Niederlande verhandelt, so wie die meiste Werra-Keramik in der Zeit.

Grüße

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

haasa2003

Hallo Thomas,

Deine wunderschöne Model mit dem Türken ist mir auch unbekannt. Sehr interessant und vielleicht auch in die
Nähe der Emblemata zu rücken.   :glotz:

Ich erlaube mir noch zwei Türken draufzusetzen.     :d2:

Die Begeisterung des Abendlandes für das Osmanische Reich hielt sich in dem Zeitraum, den wir hier bei unserem
Renaissance-Steinzeug betrachten, wohl in engen Grenzen. Die Bedrohung und die Kriegsschrecken Österreichs durch
die Türken (1. Österreichischer Türkenkrieg 1526 - 1555) waren im Abendland nicht vergessen.

Und so musste der Türke herhalten für die Darstellung der Gottlosigkeit, des Unglaubens und die kriegerische Bedrohung.

Sehr schön und in der Aussage eindeutig ist der Türke dargestellt auf den Interimsschnellen und auf der Darstellung
des Schafstalles Christi auf einer Schnelle von F. Track. Auf den Interimsschnellen ist der Türke, der Papst und der
heuchlerische Engel als dreiköpfiges Ungeheuer dargestellt, abgeleitet vom siebenköpfigen Ungeheuer, auf dem die
Hure Babylon reitet.

Auf der Model mit dem Schafstall Christi sitzt der Türke neben dem Teufel auf dem Dach des Schafstalles.

Es würde hier zu weit führen sich tiefer in dieser hochinteressanten Materie zu verlieren, zumal ich bei Interesse einige
Bilder mit religionspolemischen Darstellungen, die als Vorlage zu diesen Modeln dienten, mitposten müsste. Und hier ergibt
sich ggf. ein Problem mit dem Copyright.  :zwinker:

Gruß Winfried

Je länger man lebt,
desto deutlicher sieht man,
daß die einfachen Dinge
die wahrhaft größten sind.

Romano Guardini, 1885 - 1968

thovalo

Lieber Winfried!  :winke:


Das sind wunderschöne Details und einmal sogar auch direkt mit "DER TVRCK" bezeichnet!

Sind das Originale Belegstücke aus Deiner Sammlung!?



1571 fand zudem die alles entscheidende Schlacht bei "LEPANTO" statt, die der Expansion des Osmanischen Reiches langfristig ein Ende gesetzt hat. Allein schon die moralgeschichtlichen Bezüge machen viele der mit Auflagen versehenen Gefäße des 16. Jhs. zu wirklichen "Schaustücken". Da kann ich mich ewig für begeistern! Mal sehen ob wir dazu etwas in den Emblemata finden können  :glotz:

Danke fürs zeigen!!!!!    LG Thomas     :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

haasa2003

Hallo Thomas,

ich sehe bei Dir, wir kennen uns ja leider noch nicht persönlich, eine professionelles Wissen und eine tiefe Begeisterung
für dieses wunderschöne freundlich-braune Steinzeug aus Raeren und Frechen.   :-)   Das sachliche,
kühlere und künstlerisch ganz oben stehende Steinzeug aus Siegburg scheint die gleiche
Faszination auf Dich auszuüben. Mir geht es ähnlich. Ich kann mich auch in diesen Darstellungen
verlieren. Das habe ich von meinem Papa geerbt, der 1926 geboren, viele Tage als kleiner Junge
bei seinen unverheirateten alten Tanten verbrachte. Die Tanten hatten allerlei Frechener Bartmannkrüge
da stehen und mein Papa betrachtete diese, weil er kein weiteres Kind zum Spielen hatte, als Spielgenossen.
Er erzählte, er habe sich mit den bärtigen Herren als kleiner Junge unterhalten, und immer hätten sie ihm geantwortet.  :-)   
Diese kindliche Liebe zu den Pötten hat ihn nie mehr verlassen und sie wurde auf mich weitervererbt.  :super:

Und so sammele ich auch aus Leidenschaft im Rahmen meiner Möglichkeiten. Allerdings habe ich noch nie gegraben oder
geplante Feldbegehungen gemacht.

Gruß Winfried

Ps: schau mal in Deine PNs.
Je länger man lebt,
desto deutlicher sieht man,
daß die einfachen Dinge
die wahrhaft größten sind.

Romano Guardini, 1885 - 1968

thovalo

Lieber Winfried!

Auf Deine PM werde ich noch direkt antworten!

Der link zeigt Dir meinen überraschendsten Fundbeleg Siegburger Keramik.

Ich habe sehr mit mir gerungen: Behalten oder Öffentlichkeit, Stadt Münster oder Stadt Siegburg und habe mich dann für die Stadt Münster entschieden, weil dort auch die Archivalien der Bestellisten an die Siegburger Töpfer und die Aufträge für die Herstellung der Montierungen bei den Metallhandwerkern in Münster erhalten geblieben sind. Das Gefäß war in Siegburg bestellt und kam, unter welchen Umständen es auch verloren gegangen ist, erst nach knapp 400 Jahren Verzögerung in Münster an. Damit hätte man auch zum Abschluss des "Westfälischen Friedens" anstoßen können (wenn er die 40 Jahre von der Herstellung von 1608 bis 1648 durchgehalten hätte :zwinker:)! Doch der Verlust auf dem Weg nach Münster hat die einzigartige vollständige Erhaltung erst möglich gemacht.

Es ist das einzige vollständig erhalten gebliebene Zunftgefäß aus der Siegburger Produktion für die Stadt Münster. Spannend auch, dass sich die Zunftherren die Gefäße gegen Gebühr ausleihen konnten. Nach der Ausleihe wurde nachgezählt und beschädigte und fehlende Gefäße in Siegburg nachbestellt ("SIEVERSCHE" Kruken und "witte Werk")


http://www.muenster.de/stadt/kongress1648/03_alltag/alltag3_3.html


In der Publikation zu Siegburg aus der in Kommern vorliegenden Sammlung sind Fragmente der Auflagen dieser Gefäßvariante mit Datum 1608 dokumentiert.
Leider sind das alles Belege aus Raubgrabungen, sodass die Produktionsstätte in Siegburg nicht mehr direkt angesprochen und identifiziert werden kann.

Ich war kaum mehr so verblüfft und überrascht wie bei der Auffindung dieses Gefäßes, das trotz widrigster Umstände bei der Entdeckung nicht die kleinste Macke aufgewiesen hat! Es steht Heute in der Dauerausstellung in Münster.

LG  Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

haasa2003

Lieber Thomas,

12 Jahre nach dem Auffinden noch einen herzlichen Glückwunsch zu Deinem herrlichen Fund.   :super: 
Wo ist denn der Humpen ans Tageslicht gekommen? Anhand des Fundortes, bei ungestörter Lage, kann man ja
vielleicht die Transportroute nach 400 Jahren noch nachvollziehen.

Was ein Glück, dass die Archivalien von Münster die näheren Begleitumstände der Bestellung und des Gebrauches offenbaren. Somit sieht man diesen schönen Humpen in einem neuen Blickwinkel und er hat plötzlich eine reale Geschichte.
Oft wird ja das Renaissance-Steinzeug als das Prunkgeschirr vermögender Adeliger oder begüterter Patrizier apostrophiert und bleibt damit uns heutigen Betrachtern doch reichlich anonym. Die Stegkanne, der prächtige Bartmann, der Susannenkrug sind garantiert gelaufen, sagt der eifrige Händler, kein Fehlbrand, die Abnutzung sieht man deutlich an Randabplatzern und stumpfen Stellen am Bodenrand!

Und wo standen sie? Wer hat sie betrachtet, welches Sims haben sie geschmückt, welches Haus, Schloss usw.? Keine Ahnung! Man ist ja schon überglücklich, wenn der Pott wenigstens eine 80 jährige Auktionsgeschichte vorweisen kann, was selten genug der Fall ist.

Aber hier, bei Deinem schönen Humpen gibt es plötzlich eine Geschichte. Er wurde von Münster bestellt. Die Siegburger haben produziert und geliefert, Irgendwo ist die Ware dann hängengeblieben und kam nicht an. Münster fragte nach. Siegburg liefert dann erneut. Und dann standen die Humpen im Gildehaus der Krämer von Münster und man ließ es sich nach den Beratungen schmecken..... Weiß man heute noch, wo das Gildehaus der Krämer gestanden hat?
Ich könnte immer weiter so fortfahren.....   :hilfe3:

Es war richtig und großherzig von Dir, die Stadt Münster mit dem Humpen zu beglücken. Schließlich haben sie ja auch dafür gezahlt.  :engel:  Nur die Lieferung hat halt etwas länger gedauert.   :irre:

Leider ist das Foto nicht sehr ergiebig, ich hätte gerne die Model einmal von vorne gesehen. Bei einem Besuch Münsters werde ich mir, wenn möglich den Krug einmal ansehen. Und Kommern hat wirklich nur Humpen-Fragmente. Davon jedoch ganz viele. Ich habe extra noch einmal die Kataloge von E. Hähnel durchforstet.

L.G. Winfried
Je länger man lebt,
desto deutlicher sieht man,
daß die einfachen Dinge
die wahrhaft größten sind.

Romano Guardini, 1885 - 1968

thovalo

Das Haus der Kramerzunft in Münster steht noch! Da es die bedeutendste Zunft der Stadt war, wurden in dem Haus auch hochstehende Gäste und Abgesandte im Verlauf der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden beherbergt und bewirtet!

Ich glaube ich habe noch Schwarz-Weißbilder des Humpen hier. Die suchen ich mal raus  :kopfkratz:   Eine Abbildung der Auflage findet sich auch in Hähnels (grünem) Teil der Ausgabe zu der Sammlung in Kommern!

Der Fundplatz......  :-) mal unter vier Augen! o. k. ? Der "erzählt" nämlich noch etwas zur Geschichte des Gefäßes!  :zwinker:


Das was Du beschreibst ist das was mich überhaupt an archäologischen Funden und der Archäologie als Wissenschaft fasziniert: Das vergangene Leben und die Geschichte(n) hinter den Objekten zu erfassen und zu dokumentieren. Dann sind es keine "toten" Gegenstände mehr, sondern Dokumente "lebendiger" Geschichte!

Hab heute noch etwas "Renaissance" im Nachbardorf sammeln können. Da wird der Bachlauf ausgebaut. Leider hab ich das viel zu spät mit bekommen. Aktuell wird wohl nicht nur hier an allen Ecken und Enden gebaut, Bundesstrassen, Gasleitungstrassen, Regenwasserrückhaltebecken, Deichanlagen, ganze Neusiedlungskomplexe und und und.

Dabei komme ich mit meinem Steinzeitprojekt schon kaum hinter! Doch aktuell habe ich viel Freizeit und kann die bestens nutzen!

GlG  Thomas  :-)
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo ihr Beiden,

leider habe ich momentan nicht die Zeit, Euren sicherlich spannenden Ausführungen zu folgen.

Aber wäre es nicht einfach, die Telefonnummern auszutauschen, oder sich mal im Chat zu treffen?  :zwinker:

Da haben sich mal zwei gefunden würde ich sagen.

Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

haasa2003

Lieber Patrick,

guter Vorschlag, der mit dem Telefon oder dem Chat!!!!
Aber da wir ja wissen, dass Du im Moment zeitlich arg strapaziert bist, macht unser Posten
Sinn und hat diverse gewichtige Vorteile, auch für Dich. Wenn wir jetzt gechatet hätten, würdest Du nicht wissen, worüber. Beim Telefongespräch wäre es ähnlich. So hast Du den Vorteil, wenn Du wieder etwas mehr Zeit hast, alles nachzulesen und bist dann sofort wieder up-to-date.  :frech:
Für mich hat es den Voteil, dass ich A Gleichgesinnte, Dich, Thovalo und Andere kennengelernt habe und B blitzschnell vom Knecht zum Siedler avencierte.
Eine Blitzkarriere oder? Ich darf jetzt sogar Profile lesen.  :smoke:

Überglücklich Winfried
Je länger man lebt,
desto deutlicher sieht man,
daß die einfachen Dinge
die wahrhaft größten sind.

Romano Guardini, 1885 - 1968