Frühe hochmittelalterliche glasierte Irdenware aus Ratingen/Kreis Mettmann

Begonnen von thovalo, 12. Oktober 2015, 22:08:51

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thovalo



Ich konnte zurzeit der Entdeckungen diese Besonderheit nicht identifizieren. Im Norden der Stadt Ratingen fanden sich an nur einer Stelle Fehlbrandbelege von in der Form, im Vergleich zur sonstigen Tradition, ungewöhnlich ausgeführter hochmittelalterlicher Keramik mit Belegen von Glasur.

Nachdem mir diese "exotische" Warenart durch den Besuch im Hansemuseum Lübeck vor Augen und in Erinnerung gekommen ist habe ich am vergangenen Wochenende die zerpflügte Scherbenhalde aufgesucht. Damals war sie schon stark angegriffen, heute ist sie "hin". Die Keramik ist weitestgehend kleinstteilig fragmentiert und auseinander gerissen

Ich fand u.a. noch zwei Kachelreste des Bodens des inneren Ofenausbaus. Auf längst eingereichten Fundeinheiten liegen auch solche Kachelbelege mit Glasurresten vor. Von der unmittelbar glasierten Keramik fand sich aktuell nichts mehr, nur drei Belege von Krugtypen
der dort glasierten Ware. Diese sind wohl, durch einen Riss im Ofen, reduziert gebrannt und verworfen worden.


Nur die paar hier zu zeigenden Stücke konnte ich bislang in meiner Sammlung finden. Ich interpretiere das so, dass die Töpfer im Norden der Stadt Ratingen versucht hatten die exotische glasierte Keramik nach zu arbeiten. Sie übernahmen für die Gefäße die hier vorher und nachher nicht üblichen Wulsthenkel, die Hals- und Randbildungen der Vorbilder aus den westlichen Töpfereien in Belgien  und ich vermute zunächst, dass sie mit der Bleiglasur experimentiert haben. WEIL diese Gefäße, sollten sie teils gelungen sein, hoch nachgefragtes Austausch- oder Handelsgut gewesen sind, wurden sie in den Öfen gesondert gebrannt und gelangen zumeist. Daher gingen sie in den Handel und nur wenig in den Ausschuß. Besonders ist, dass nur diese Varianten diese spezifische Art Henkel, Hals, Rand und den oxydierenden Brand hatten.

Vielleicht ging die Experientierphase aus restlos schief und es gab nur einen Brand der dann in der Scherbenhalde entsorgt worden ist und keine Nachfolgeproduktion. Vielleicht gelang es auch nicht zumindest die Oberteile der Krüge komplett zu glasieren. Die Bilder zeigen keine "verschlusten" verworfenen Fehlbrände. Der örtliche Ton konnte im Brand nicht zu hoch befeuert werden. Diese Glasur taucht nur an diesen spezifischen Krugformen auf. Ich bin heilfroh wenigstens noch die paar Stücke bei mir zu haben.


Wo der Ofen gestanden haben wird, dazu habe ich eine Idee ......


Aber ganz ehrlich: bei der Ochsentour durch Busch, Strauch, Wald, Brombeeren und Brennesselfelder, über Siefen, Rinnsale und Bäche am Samstag habe ich erst eimal realisiert was die Erfassung der dort gelegenen Produktion für eine Schinderei gewesen ist. An der Stelle einer riesigen Raubgrabung ist noch in der vergangen Zeit ein Baum auf der Suche nach Funden komplett "unterhöhlt" worden. Was für eine Gier und dabei geht es lediglich um verworfenen Töpfereiabfall.

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

grünland


Hallo Thomas,

das ist ja sehr interessant.
Ich denke schon das der Brand mit den bleiglasierten Gefäßen unbedingt erstklassig sein musste um auf dem Markt abgenommen zu werden.
Ob hier eine Vielzahl von gelungenen bleiglasierten Gefäßen in den Handel kam? Dies müsste dann doch wenigstens durch eines in anderen Fundzusammenhängen auftauchendes Gefäß- in welcher Form auch immer (Museum, Fachliteratur, etc.) - puplik, also belegt sein. 
Mir ist keines bekannt. Ich vermute das die Ratinger Töpfer spätestens als das härtere Steinzeug auf den Markt kam vieles versucht haben um mit der rheinischen Konkurrenz Schritt halten zu können. Den Standart des 14 -15 Jhd. konnten sie aufgrund des nur eingeschränkt geeigneten Tons nicht erreichen. Wieviel misslungene Öfenbrände konnte sich ein Töpfer leisten?
Vielleicht war der Versuch "markttaugliche bleiglasierte" Ware nach Vorbild der belgischen Vorbilder herzustellen doch einer der letzten bevor das mittelalterliche Töpferhandwerk in Ratingen zum erliegen kam?

thovalo

Zitat von: grünland in 13. Oktober 2015, 17:18:03
Hallo Thomas,

das ist ja sehr interessant.
Ich denke schon das der Brand mit den bleiglasierten Gefäßen unbedingt erstklassig sein musste um auf dem Markt abgenommen zu werden.
Ob hier eine Vielzahl von gelungenen bleiglasierten Gefäßen in den Handel kam? Dies müsste dann doch wenigstens durch eines in anderen Fundzusammenhängen auftauchendes Gefäß- in welcher Form auch immer (Museum, Fachliteratur, etc.) - puplik, also belegt sein.  
Mir ist keines bekannt. Ich vermute das die Ratinger Töpfer spätestens als das härtere Steinzeug auf den Markt kam vieles versucht haben um mit der rheinischen Konkurrenz Schritt halten zu können. Den Standart des 14 -15 Jhd. konnten sie aufgrund des nur eingeschränkt geeigneten Tons nicht erreichen. Wieviel misslungene Öfenbrände konnte sich ein Töpfer leisten?


Vielleicht war der Versuch "markttaugliche bleiglasierte" Ware nach Vorbild der belgischen Vorbilder herzustellen doch einer der letzten bevor das mittelalterliche Töpferhandwerk in Ratingen zum erliegen kam?



Genau das!


Die Anzahl der Fehlbrände schießt in Ratingen in den Jahrzehnten in der Konkurrenz mit den frühen Steinzeugvarianten (sog. "Faststeinzeug") extrem in die Höhe. Man versuchte offenbar die Befeuerungsgrenze der hier gewonnenen Tonmasse auszutesten und möglichst bis an die Grenzen zu gehen. Doch war diese aufgrund der Eigenheiten der Tonbildung limitiert und bei diesem "Austesten der Grenze" endet dann auch die außerordentliche Vielfalt der Gefäßformen, der Dekorvarianten und eben auch der Versuch eine Glasur aufzulegen. Es sind komplexe Brandeinheiten misslungen, Gefäße miteinander verbacken und insbesondere unter dem Eigengewicht unter zu harter Befeuerung in sich zusammen gesunken.


Das ist exemplarisch die Zeit der Scherbenhalde "am Geist" ........... Unmengen an Fehlbränden .... Tonnen


Die Frühphase orientiert sich in der Randbildung und im Dekor an Duisburg ("Averdunckkeramik" z. B. einzeilige Rollstempel mit kleinen Vierecken und lediglich nach Außen abgeschrägter Randbildung) und durch die Ausführung von "Schwalbennesttüllen" auch an westfälischen Traditionen. Das sind Einflüsse der Hellwegzone und nicht des Kölner Vorgebirges.

Aus dieser frühen Zeit stammen auch die runden Tonplatten mit Griffpartien mit unbekannten Verwendungszweck für die es nur aus Paffrath ebenso seltene Vergleichsbelege gibt.

Nachdem klar gewesen ist, dass man mit dem einheimischen Ton nicht mit den spezialisierten Produkten mit halten kann, blieb es bei der Produktion von unverzierten Kugeltöpfen, bauchigen Großgefäßen, Sieben, Schalen mit Griffknubben, Krügen und als neue und allgemein verbreitete Form die flache "Sette" mit einem breiten gekniffenen Ausguss. Keine Innovation mehr sondern Standardgeschirr für den einfachen Hausgebrauch in der Küche und Vorratshaltung, das aber in handwerklich guter Qualität sowohl in der Bearbeitung der Tonmasse wie auch in der Ausführung der Gefäße.


Was dort immer herausragend gut beherrscht worden ist war die Angarnierung von Henkeln, Handhaben, Tüllen und Beinen.
Die Elmpter und Paffrather Handwerker kamen damit nicht so gut zurecht.


lG Thomas  :winke:


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

grünland


Auch fanden die versierten Ratinger Töpfer manch technische Lösungen die sie wohl von Metallgefäßen Ihrer Zeit
"abkupferten". Nur ob das bei Keramik so einfach und vor allem praktikabel übertragbar war?
Ein schönes Beispiel zeige ich Morgen.  :winke:

grünland


So, hier wie angekündigt das Breitscheider Fragment.
Wohl eine Art Bratpfanne oder Fettfänger.
Interessant finde ich hier das auf der Tülle befindliche Loch welches nicht zufällig hier entstanden ist.
Es sollte wohl zur besseren und nachhaltigen Befestigung des Stils dienen.
Nur wie sollte dies erfolgen? Nagel oder Schraube wäre bei einer Keramiktülle doch sehr bedenklich, oder?

Lg
Guido

thovalo


So sind die Tüllen dort gemacht: mit einem kleinen Loch für einen Holzsplint!  :super:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante



Guten Morgen meine lieben Kollegen,

ich möchte euch bitten folgendes zu berücksichtigen. Von einzelnen Glasurflecken oder Tropfen lässt sich noch nicht auf eine gewollte oder gekonnte Glasur (Technik) der Ratinger Töpfer schließen. Vielmehr wird es sich hier um zufällige Glasur Klekse handeln welche auf einen verschlusten, mehrfach oder zu hoch gebrannten Ofen schließen lassen und einfach einige Tropfen von der Ofendecke auf die Gefäße getropft sind, dass dies die Ursprünge der Glasuren sind, stelle ich hier mal außer Frage. Aber hier von einem gewollten Prozess zu sprechen halte ich für unwahrscheinlich, zumindest was die Töpfereien in Ratingen / Breitscheid betrifft. Erst wenn mehrere Gefäße mit flächiger Glasur auftauchen, wäre von einer gewollten und vor allem gekonnten Glasur zu sprechen. Diese sollten nach Möglichkeit nicht aus dem Töpferabwurf sondern aus dem Verbraucher Abfall stammen. Bevor es solche Funde nicht gibt, bzw. diese nicht belegt, beschrieben und oder veröffentlicht sind, bleiben solche Vermutungen hoch spekulativ. Gerade unter Berücksichtigung dass die Ratinger Töpferproduckte nicht gerade für ein hohes technologisches Niveau sprechen und ich persönlich hier kaum solche Versuche erwarten würde, meines Erachtens hatten die Töpfer vor Ort ganz andere Probleme unter anderem sich dem verändernden Markt anzupassen.
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

Zitat von: Levante in 20. Oktober 2015, 12:48:14

Guten Morgen meine lieben Kollegen,

ich möchte euch bitten folgendes zu berücksichtigen. Von einzelnen Glasurflecken oder Tropfen lässt sich noch nicht auf eine gewollte oder gekonnte Glasur (Technik) der Ratinger Töpfer schließen. Vielmehr wird es sich hier um zufällige Glasur Klekse handeln welche auf einen verschlusten, mehrfach oder zu hoch gebrannten Ofen schließen lassen und einfach einige Tropfen von der Ofendecke auf die Gefäße getropft sind, dass dies die Ursprünge der Glasuren sind, stelle ich hier mal außer Frage. Aber hier von einem gewollten Prozess zu sprechen halte ich für unwahrscheinlich, zumindest was die Töpfereien in Ratingen / Breitscheid betrifft. Erst wenn mehrere Gefäße mit flächiger Glasur auftauchen, wäre von einer gewollten und vor allem gekonnten Glasur zu sprechen. Diese sollten nach Möglichkeit nicht aus dem Töpferabwurf sondern aus dem Verbraucher Abfall stammen. Bevor es solche Funde nicht gibt, bzw. diese nicht belegt, beschrieben und oder veröffentlicht sind, bleiben solche Vermutungen hoch spekulativ. Gerade unter Berücksichtigung dass die Ratinger Töpferproduckte nicht gerade für ein hohes technologisches Niveau sprechen und ich persönlich hier kaum solche Versuche erwarten würde, meines Erachtens hatten die Töpfer vor Ort ganz andere Probleme unter anderem sich dem verändernden Markt anzupassen.




Im Prinzip hast Du eine wenig recht!


Mal zur handwerklichen Befähigung: Ratingen ist im Vergleich z.B: zu Elmpt handwerklich doch ganz deutlich "manierlich"


Was Du überlesen hast ist: die Ratinger haben immer Bandhenkel hergestellt und deutlich andere Randformen. Nur in dieser komischen Produktionsreihe mit Glasurfluss versuchten sie sich an Wulsthenkeln und Randbildungen die denen der glasierten Ware GLEICHEN.
Das war nicht vorher und und es gab auch keine Nachfolge.

Das sind keine Zufallsprodukte, sondern ein vllt. auch nur einmaliges Experiment.


Wenn Du es mal hierher schaffst und ich auch am Start sein kann scheuche ich Dich da mal durch die Büsche .........
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Oh ja ,

da nehme ich dich beim Wort in etwa 2 Wochen Sind wir bei Guido zum schlemmen und saufenwie es sich gehört ☺
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)