Großes Fragment einer prachtvollen Siegburger Pulle mit "Parisurteil"

Begonnen von thovalo, 21. Mai 2010, 18:44:24

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thovalo

 :winke:

Nun das Siegburger "Parisurteil".

Das Gefäß ist eine in Siegburg gefertigte große Pulle, eine charakteristische "Flaschenform" und im Dekor in einer besonders prächtigen und außergewöhnlichen Ausführung. Das Gefäß war bis zur Entdeckung vollständig und unbeschädigt (!) im Boden erhalten, bis der Bagger kam ............

Ich konnte im letzten Moment nur noch das große Fragment in zwei Stücken bergen! Die Freude über das prachtvolle Stück und der Eindruck über den gleichzeitigen enormen Verlust der restlichen Gefäßscherben,
die irgendwo im Dreck verdrückt auf dem Laster lagen saß tief.   :heul:

Solche Gefäße gab es nur in sozial hoch gehobenen Millieu (reiches Bürgertum, gehobener Adel, reiche Zünfte) und sind als Bodenfunde außerhalb der Produktionsstätten nicht häufig anzutreffen und schon gar nicht bis in unsere Zeit hinein vollständig!


Bildlich: Das Gefäß zeigt im Bereich der komplett erhaltenen "Schaufront" zunächst ein schön ausgeführtes "Bartmanngesicht" als Darstellung einens älteren Mannes. Diese Gesichter wurden wohl zuerst in Köln geprägt und wurden später insbesondere für Frechener Gefäße charakteristisch

Auf dem Bauchumlauf ist zudem ein Medaillion mit der Darstellung des "Parisurteils", als figurenreiche und sehr fein ausgearbeitete Darstellung, erhalten gebleiben. Zu den Motiven der beiden seitlichen Medaillionauflagen haben sich keine Hinweise erhalten.

Keramiktechnologisch handelt es sich um Steinzeug bester handwerklicher Qualität. Dieses Stück gehört zu den nicht häufig überlieferten frühen Arbeiten an denen mit Farbgebung experimentiert worden ist. Es wurde gleichzeitig "Salzglasur" und "Kobaltsmalte" eingesetzt. Erst im Laufe der Erfahrungen mit diesen Farbmitteln ging man später dazu über, die geplanten Farbfelder durch "Ritzungen" einzugrenzen und so das hier erkennbare "Verfliessen" der farbgebenden Substanzen zu vermeiden (zuletzt wurde diese Technik  im Westerwald pefekt umgesetzt).

Als Vorlage für die Medailliondarstellung (DM 9 cm) diente ein unbekannter zeitgenössischen Stich .

In dieser, in Ton hochfein umgesetzten Darstellung des "Parisurteils" soll Paris den goldenen Apfel der Hesperiden der schönsten unter den wetteifernden drei Göttinnen Venus, Juno und Minerva überreichen.

In die Darstellung der drei Göttinen fließt zudem der "künstlerische" Topos der Darstellung der "drei Grazien" mit ein.

Paris, Sohn des Priamos sitzt, einem Schild vor sich haltend, gegenüber den drei Göttinnen Venus, Juno und Minerva über denen der Liebesgott Amor schwebt, der seinen Pfeil bereits verschossen hat (das Urteil ist bereits gefallen). Hinter Paris, der den Apfel noch in der Hand hält, steht Gott Merkur als Berater. So weit die Geschichte hinter dem Bild.


Bei aller Freizügigkeit der Renaissancezeit ist die sexuell freizügige Darstellung bemerkenswert:

Paris ist vollkommen nackt. Seine Blöße bedeckt ein Gesichtsschild der den "Blick" auf die Geschlechtlichkeit noch betont. Die drei Göttinnen sind gleichfalls vollkommen unbekleidet.
Die noch "pro forma" vorhandenen Schleier liegen funktionslos über den Unterarmen.

Künstlerisch: Lukas Cranach, der das Thema mehrfach malte, hat seine Grazien und Göttinnen noch raffiniert mit durchsichtigen Schleiern versehen und die direkte Blöße nicht offen den Blicken frei gegeben und der Fantaise raffininert Raum gelassen. Derart klar und offen dargestellte Nacktheit, muss auch in den Augen der Betrachter in der Zeit des 16. Jhs. äußerst freizügig und ungewöhnlich gewesen sein!


Die Art der Darstellung der Göttinen überliefert noch zusätzlich einen "Spielerei" der Kunst der Renaissance:

Die drei Göttinnen sind als Darstellung "einer" Frau aus drei unterschiedlichen Perspektiven dargestellt.

Frontalansicht, Hinter(n)ansicht und Seitenansicht.  :glotz:


Die Glasur hat die Feinheit der Ausarbeitung der Figuren leicht überlaufen. Doch handelt es sich auch in Bezug auf die künstlerisch handwerkliche Ausführung um eine meisterliche Arbeit.


Technologisch: Im Henkel oben ist vor dem Brand die notwendige Lochung zur Befestigung einer Montierung eingetieft worden. An diesem  Stück war die Möglichkeit der Montierung eines Deckels bereits "ab Werk" vorgegeben. Den Auftrag dazu gab jedoch der Käufer der Material (Zinn oder Silber) und Dekor individuell bestellen konnte.


LG  thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#1
Noch drei Bilder des Fragments und die Emblemata:


Überfluss, Unkenntnis, törichte Jugend - sie narren die Sinne und
machen den Geist blind, so dass Ehre und Tugend weniger, schöne
Lust mehr gefällt. Das lehrt das Urteil des Paris, der die Venus der
Juno und Minerva vorzog, da er ein Königssohn, Bauer und
Jüngling war.



 :-)
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

queque

Hallo Thomas,

hast Du die Teile, die Du einstellst, alle im Keller? Ist ja das reinste Archiv!!!
Hast Du meine pm von heute Morgen erhalten?
Gruß
:winke:
Bastl

thovalo

Im Keller, auf dem Speicher, im Wohnzimmer, in Kartons und Kisten irgendwo, beim LVR und in verschiedenen Museen!
Mit der Zeit sammelt sich ordentlich was an. :kopfkratz:

Archiv im Sinne von Belegstücke für alle "Gelegenheiten"! Durch direktes Vergleichsmaterial ist Vieles leichter einzuschätzen! :zwinker:


JA! PM habe ich kurz vorher gelesen und melde mich!  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Wunderschönes Fragment.

Aber heißt das jetzt, das dass Loch für die Zinnmontur vorgefertigt war oder das die Zinnmontur verschollen ist?

Die fein gearbeitete Auflage ist wahrlich ein Traum.

Grüße

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

 :kopfkratz:

Die Löcher waren vorgefertigt, damit ggf. eine Montur verankert werden konnte. Da der vollständige Zunfthumpen im Museum in Münster von der gleichen Stelle stammt, gleichfalls gelocht und unbedeckelt war nehme ich an, dass der Deckel noch angefertigt werden musste. In Münster liegen im Archiv noch Heute die Bestelllisten für die Metallarbeiten vor.

Vielleicht gehörten beide Gefäße in dieselbe Lieferung, die dann verunglückt ist und nicht geborgen werden konnte! Den Humpen hatte es zum Glück ja nicht final erwischt! Da war ich schneller als der Bagger!

:winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

haasa2003

Hallo Thomas,

wunderschöne Bilder! Und was für ein Jammer, dass diese herrliche Pulle so rüde zerbrochen wurde.  :heul:

Schon alleine der ernst dreinblickende Bartmann mit dem sorgsam gekämmten Bart macht das Fragment
zu einem besonderen Fundstück.  :super:

Die Scherbe könnte aus der Werkstatt des Anno Knütgen stammen. Eine komplette Pulle, allerdings ohne Gesicht, ist in der Sammlung des Hetjensmuseums.
Koetschau hat sie schon 1923 dokumentiert, aber beschrieben: Noah und Paris-Urteil. Bildlich dargestellt ist jedoch Bacchus. Geht man davon aus, dass
Koetschau nicht alles durcheinandergeworfen hat   :irre:  , könnte die Pulle die drei Modeln Noah, Paris-Urteil und Bacchus zeigen. Gezeigt wird bei Koetschau und Klinge, Siegburger Steinzeug, jedoch nur die Model mit Bacchus. Man müsste sich einmal nach D'dorf begeben um einmal selber nachzuschauen.(Wenn sie dort das rheinische Steinzeug überhaupt noch komplett zeigen)

Die Darstellung des Paris-Urteils auf den Siegburger Schnellen des Christian Knütgen sieht völlig anders aus. Barbara Lipperheide vermutet, dass er seine Model nach einem Holzschnitt von dem Augsburger Maler und Zeichner Jörg Breu d. J. gestaltete.

Danke für die schönen Bilder,

Gruß Winfried

Je länger man lebt,
desto deutlicher sieht man,
daß die einfachen Dinge
die wahrhaft größten sind.

Romano Guardini, 1885 - 1968