Ratingen-Breitscheid (Kreis Mettmann): Keramikproduktion des hohen Mittelalters

Begonnen von thovalo, 16. April 2010, 14:42:13

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thovalo

 
:winke:

Unter dem unten angegebenen Thema sind bereits Abbildungen von mehreren Gefäßbelegen aus einer Präsenzsammlung zur "reduziert gebrannten Irdenware" des hochen Mittelalters aus der Töpferregion

           Ratingen-Breitscheid/Ratingen-Lintorf (Kreis Mettmann/NRW) eingestellt.  :glotz:


http://www.sucherforum.de/index.php/topic,38596.0.html


:-)

Das hier eingestellte Gefäß ist eine besonders gut erhaltene Variente der "Breitscheider Stielkanne".

Während kleinere Exemplare im Bodenbereich zwei seitliche Knubben aufweisen um das Kippen durch das Gewicht des Henkels zu verhindern, wurde an diesem größerformatigen Gefäß drei Standbeine angarniert.

Die Schnauze der Ausgußtülle ist im unteren Bereich "gekniffen" und verengt. Durch diese Besonderheit konnte bei leichterem Ankippen die Menge der ausfließenden Flüssigkeit reduziert und ein dünner feiner Strahl erzeugt werden. Für diese besondere Gefäßform ist eine Verwendung als "LAVABO", als Gefäß zum Händewaschen nach dem Essen an der Tafel vorstellbar. Wie an Keramikgefäßen dieser Töpferregion üblich, ist der Griff sorgsam ausgezogen und angarniert. Dieses Merkmal ist ein deutliches Unterscheidungskriterium z.B. gegenüber der schlichter ausgearbeiteten Massenware aus Brüggen-Oebel (Kreis Viersen).


Bild 7 ermöglicht einen Eindruck von der Magerung und der Ansicht der Tonmassse der "Breitscheider Irdenware".   :glotz:


Datierung: 12./13. Jh. n. Chr.

           
                      Höhe: 12 cm


Die gesamte Produktpalette umfasst: Krüge in allen Formaten, bis hin zu Vorratsformen in enormen Größen, Kannen, Becher, Schalen ohne und mit angarnierten Griffhilfen, Setten, Siebe, Schüsseln, Kugeltöpfe in allen Größen, mit und ohne Handhaben (Stiel-und Tüllengriffe, Henkel), Grapen, Deckel, Fettfänger, Ofenkacheln, Bodenkacheln, große bauchige Vorratsgefäße mit und ohne Standhilfe und zahlreiche Sonderformen.

:winke:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo Thomas,

das Gefäß ist der absolute Hammer.

Zum Glück ist mir gleich wieder eingefallen, wo ich so etwas schon mal in den Händen hatte.

Allerdings hat die Bildersuche etwas gedauert.

Ich mache es mal spannend und poste dir erst mal nur die Bilder.

Nicht aus einer Privatsammlung sondern aus einem Museums Depot.


Grüße

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

Lieber Patrik!


:jump:    (ich mag das grüne Viech!!!!!!! Und freu mich wirklich sehr!!!!!!)


Das ist ja klasse, denn ich kannte bislang weder "Schwester" noch "Bruder" dieses außergewöhnlichen Gefäßbelegs. Kannst Du mir die Region nennen aus der die von Dir abgebildete Kanne stammt? Die Form der Standhilfen ist zwar abweichend, allerdings dokumentiert sie lediglich regionalspezifische Traditionen und Formgewohnheiten!  :glotz:

Wäre prima wenn Du die Region oder den Standort des Depots nennen könntest, um ggf. nach Bezügen und Beziehungen Ausschau halten zu können! Etwa eine Verbindung über den Hellweg über Westfalen nach Ostdeutschland. Egal wie weit die Räume auseinander liegen. Handel und Verkehr waren ja auch im Mittelalter weit raumgreifend und "international"!


Bilder (Unten):
Fragment der kleinformatigen Variante der "Breitscheider" Stielkanne (Höhe 9.3. cm).

Die Standhilfe bildeten zwei seitliche Standknubben, die das Gegengewicht des Stielgriffs ausgeglichen haben. Diese Variante ist zusätzlich durch einen Bodenfund (Fragment) aus Münster belegt. Aus der Breitscheider Produktoin gab es ein weitgehend vollständig erhaltenes Gefäß an dem lediglich die Handhabe abgeplatzt war. Dieser singuläre Fundbeleg ist vor zwei Jahren aus der offiziellen Ausstellung zum "Tag des Denkmals" aus einer gesicherten Vitrine in Düsseldorf-Kalkum gestohlen worden.  :nono:



Noch die Fundstory zur großen STIELKANNE (Beitrag ganz Oben):

Die Auffindung war der reinste Krimi. In einer Baugrube kam zunächst im Profil ein vollständiges, durch den Druck des überlagernden Erdreichs in zahlreiche Bruchstücke zerdrücktes großes Vorratsgefäß des 12./13. Jhs. n. Chr. aus der Breitscheider Produktion zutage. Dieser an sich schon Aufsehen erregende und in der Vollständigkeit hoch seltene und äußerst erfreuliche Fundbeleg wurde an Ort und Stelle dokumentiert, eingemessen und dann im wörtlichen Sinne "Stück für Stück" abgebaut. Der gesamte Innenraum war durch Wurzelwerk und Erdreich kompakt ausgefüllt. Irgendwann kippte ein Teil dieser Füllung überraschend weg und legte das kleinere Gefäß im Inneren frei, allerdings ohne dass schon die "Angarnierungen" erkennbar waren. Erst im weiteren Verlauf der behutsamen Freilegung wurden die Besonderheiten dieses Stücks erkennbar. Heute nennt man das ein "Überraschungsei"! :zwinker:

Doch bei aller Freude über das Heute sehr seltene einzelne Fundstück. Solche Gefäße waren sicher im weiteren Sinne "Alltagsgut", wenn sie auch in geringer Auflage hergestellt und verbreitet worden sind! Dies ist bislang der einzige Fundbeleg dieses Gefäßtyps gegenüber in Breitscheid Zehn- wenn nicht sogar Hunderttausendfach als Fehlbrände verworfener Kugeltöpfe!

Wenn man dann hochrechnet wieviele Kugeltöpfe allein schon von hier aus als gelungene Brände verhandelt worden sein müssen, nähert man sich einer Dimension, die diese Töpferei voll gleichberechtigt neben Paffrath, Brüggen-Elmpt, Meckenheim usw. stellt.


:winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo Thomas,

leider antwortest du nicht auf meine PM.

Hier mal einige Bilder zu deinem zuletzt geposteten Dippen.

Bin mir sicher, das du wieder vor Freude springen wirst.  :zwinker:

Das andere Gefäß welches ich gepostet hatte, stammt möglicherweise auch aus dem Rheinhardswald.

Des gezeigte Buch ist wärmstens zu empfehlen, da viele Frühe Gefäßformen gezeigt werden.

Grüße

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

Sorry auch und herzlichen Dank!  :-)

Bin derzeit über die Ohren eingespannt, "taper" noch kurz vorm Dunkel werden über die Felder und hab auch sonst noch ordentlich zu tun! Eine Antwort per PM ist grade an Dich raus. Teil zwei folgt!

Danke für die INFO! War zwar erst überrascht, aber im Grunde ist das ja im wörtlichen Sinne "nahe liegend"! Die Sammlung ist auch mir bekannt, aber nur in Publikationen und nicht aus persönlicher Ansicht des Depots! Dein Previleg! :zwinker:

Es gibt neben einem Fundbeleg (Fragment) aus Siedlungsschichten in Münster einige vergleichbare Fundbelege von Stielkannen aus der Grabung innerhalb des Töpferbezirks "Groppenbroich" bei Dortmund.

Die Dortmunder Produktion ist tatsächlich kleinräumig orientiert und die Qualität der Keramik ..... nicht gerade begeisternd. Dann kenne ich noch einen Fundbeleg aus dem Stadtgraben von Neuss. Irgendwo habe ich auch die entsprechende Literatur dazu!

Interessant ist, dass Breitscheid/Lintorf und Groppenbroich die ersten Etappen von hochmittelalterlichen Töpfereistandorten entlang der Hauptlinie des Hellwegs bilden. Von hier aus lassen sich Beziehungen über den Verlauf des Niederrheins bis in die Niederlande und den Rheinlauf hoch bis nach Köln verfolgen. Auch in Bezug auf die Herstellung (!) von bauchigen Großgefäßen!

Der Typ der "Stielkanne" mit gekniffenem Ausguß war im hohen Mittelalter (12./13. Jh.) offensichtlich nicht regional beschränkt, sondern wurde eher selten hergestellt und scheint nur vereinzelt besser erhalten geblieben zu sein.

LG und ich stell die Tage Weiteres an "Breitscheider Irdenware" aus Breitscheid ein!    :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.