Exemplarisch: zwei Tonfiguren in Miniatur - gotisch und rezent

Begonnen von thovalo, 13. Februar 2016, 18:30:15

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thovalo




Wenn Jemand für DIESEN Engel ein IDENTISCHES Vergleichsstück zeigen kann wäre ich glücklich.  :engel:  



Bis Heute handelt es sich scheinbar um ein Unikat, auch wenn der, leider durch Ablagerungen von Eisenoxyd in der Matrix etwas entstellte Beleg, zweifelsfrei aus einer umfassenderen Serie der Produktion solcher Kleinfiguren aus feinem Weißton stammen wird.

Was diesen Typ von der Masse der insgesamt gerade in Altstadtgrabungen (z.B. Düsseldorf) recht häufig zu findenden Engelsfiguren unterscheidet, ist die extrem hohe künstlerische Qualität der Model. Die volkstümlich schlicht ausgearbeitete Model der Exemplare der Düsseldorfer Fundreihe unterscheidet sich gravierend von der hier gezeigten Engelsfigur.

Anders als z.B. die "glotzäugigen" volkstümlicher geprägten Düsseldorfer Engel ist dieser Fundbeleg exemplarisch feingliedrig im gotischen Stil der Hochkunst ausgeführt. Die Oberfläche der Figur wurde nach der Ausführung in der Model beidseitig sehr fein überarbeitet. Seitlich zeigen sich dem gegenüber grobe Zurichtungsspuren eines Schabers oder Messers.

Zu dem Fundkomplex aus dem Rheinland aus dem diese kleine Engelfigur stammt, gehören weitere Belege von Figuren, darunter auch ein Exemplar der "Madonna der Sammlung Lückger" (Stadt Köln; Kunstgewerbemuseum; Verlust des WK II), mehrere Fragmente weiterer Weißtonfiguren, darunter ein Kölner Christkindel, das Fragment einer Weißtonmodel mit der Darstellung des liegenden "Lamm Gottes" (Osterlamm), zur Ausformung von "Bildbroten" aus Teig oder Marzipan und der extrem selten erhalten gebliebene Fundbeleg eines mehrfach gewundenen "Aachenhorns", das gleichfalls aus charakteristischen Weißton hergestellt worden ist.

Einige der bekannten Produktionsorte von früh datierenden Weißtonfiguren sind z.B. Utrecht, Köln, Aachen und Augsburg.

Die Figurinen und das Horn weichen in der Sorgfalt der Bearbeitung deutlich von der sonst eher "holzschnittartig" und gröberen Darstellungsweise dieser volkstümlichen Objekte in Weißton ab. Diese konnte man bei "Heiltumsfahrten" an Pilgerorten, auf Märkten, wie vielleicht auch direkt bei Töpfern als Taufgeschenke, passende Heilige zum jeweiligen Namenstag, oder als Geschenk zum Neujahrsfest für einen vergleichsweise geringen Aufwand erwerben. Da sie zuletzt Massenware wurden verschwand auch schnell die Sorgfalt in der Bearbeitung und das Bestreben der detaillierten Übernahme von Merkmalen der Hochkunst.

Die Madonna ist z.B. im "eleganten" oder "internationalen" Stil gefertigt und gilt, aufgrund des Vergleichs mit einer Madonnenminiatur auf der Kölner Goldschmiedearbeit einer gotischen Monstranz, als wahrscheinlicher Entwurf dieses Kölner Goldschmiedes. Zu der Madonnenfigur gehört auch eine kleine Serie von in der Machart gleichartig hochwertig ausgeführten Aposteldarstellungen.

Die kleine Engelfigur schließt sich der hohen Qualität in der Darstellungsweise unmittelbar dieser Gruppe an. Da sich am Fundort keine Fundbelege gleichartiger Motive wiederholt haben, scheint es sich nicht um Produktionsreste sondern eher um einen vergleichsweise früh datierenden Komplex dieser Weißtonfiguren aus einem privaten Haushalt zu handeln, der kriegerischen Zerstörungen in der Zeit kurz vor und um 1500 zum Opfer gefallen ist.

Unter der Plinte der Figur des Engels befindet sich das charakteristische Loch im Boden, dass nach dem Aufstecken der frisch ausgearbeiteten und zum Trocknen aufgesteckten Figur entstanden ist.

Da die Figur des Engels deutlich ausgeprägt stilistische Merkmale der gotischen Großplastik und Malerei aufnimmt, ist eine frühe Datierung kurz vor oder um 1500 möglich, wie sie auch für die angesprochene Madonnenstatuette angenommen wird. Der Gesamtfundkontext unterstützt diesen Datierungsansatz.


Es bestehen formale Parallelen zu diesem Exemplar eines Engels mit Passionswerkzeugen (dat. 1490 - 1515) aus dem Rheinland aus der Sammlung Lückger im Hetjens-Museum in Düsseldorf.


https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/3JJQHVGHJAQCGEHETQHMLFRGSS56KQCD



PS: die Madonnenfigur wurde zum Ausgleich des Kriegsverlustes dem Schnüttgen-Museum Köln übertragen.


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#1


Der kleine Bär aus oxydierend rot gebrannten Feinton datiert dem gegenüber sehr viel jünger.

Die Figurine ist in offensichtlich in einer zweiteiligen Model entstanden und gleichfalls sehr fein aus- und überarbeitet.
Auch hier ist unterhalb des Fußes das "Steckloch" erhalten.

Die Beifunde legen eine Datierung in die zweite Hälfte des 19. Jhs. bis zum frühen 20. Jh. nahe.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

grünland

Hallo Thomas,

zum Bestand des Rheinischen Freilichtmuseums in Kommern gehören diese zwei Engelsfiguren aus weißen Pfeifenton.
Das von dir vorgestellte Engelchen scheint aber um einiges feiner zu sein  :winke:

Auch habe ich die Beschreibung - hoffentlich lesbar - mit abfotografiert. ( Nr. 714 )
( Zur Madonna in der Mitte gehört die Beschreibung Nr. 715 )

LG

Guido


queque

Hallo Thomas,

zu der Bärenfigur: Ich habe einmal etwas Ähnliches hier vorgestellt und da hieß es, dass solche Figuren noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts auf der Kirmes und auf Jahrmärkten als Gewinn zu haben waren.

LG
Bastl

thovalo

Zitat von: queque in 13. Februar 2016, 21:39:32
Hallo Thomas,

zu der Bärenfigur: Ich habe einmal etwas Ähnliches hier vorgestellt und da hieß es, dass solche Figuren noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts auf der Kirmes und auf Jahrmärkten als Gewinn zu haben waren.

LG
Bastl

Ja, solche aber nicht diese!    :zwinker:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

Zitat von: grünland in 13. Februar 2016, 21:13:38
Hallo Thomas,

zum Bestand des Rheinischen Freilichtmuseums in Kommern gehören diese zwei Engelsfiguren aus weißen Pfeifenton.
Das von dir vorgestellte Engelchen scheint aber um einiges feiner zu sein  :winke:

Auch habe ich die Beschreibung - hoffentlich lesbar - mit abfotografiert. ( Nr. 714 )
( Zur Madonna in der Mitte gehört die Beschreibung Nr. 715 )

LG

Guido




Das sind jünger datierende "Düsseldorfer" Engelchen  :zwinker:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Mucke

Hallo Thomas.

Der Engel ist wirklich sehr schön.
Aber auch das Bärchen gefällt mir ausgesprochen gut.

Wie gewohnt sehr gut und informativ beschrieben  :super:.

Grüße
Andreas

" Mit Geduld und Spucke ...."

queque