Ein für mich besonderer Fund (X): mutmaßliche Klinge eines Scheibenbeils

Begonnen von Jondalar, 24. Juni 2025, 06:23:32

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Jondalar

Hallo zusammen,

wenn ich hier im Forum durch die Beiträge klicke, habe ich den Eindruck, dass im 'hohen' Norden die Kern- und Scheibenbeile geradezu auf den Äckern 'wachsen'. Nun, wenn ich es richtig sehe, waren sie dort ja auch ziemlich lange im Gebrauch, länger auf jeden Fall, als in anderen Gegenden...

Und nicht, dass ich mich über meine Fundregion beschweren möchte, aber in hiesigen Gefilden ist es tatsächlich ein 'Akt' ein solches zu finden. Insofern wäre der mutmaßlich (mesolithische) Nachweis, den ich hier zeigen möchte, für mich, auch wenn es eine durch Gebrauch, einem eventuellen missglückten 'Nachschärfversuch' per Abschlag o.ä. eine unbrauchbar wirkende Schneide hat, ein besonderer, wie ich finde, auch ganz nett patinierter Fund.
Nachfolgend noch ein link zu einem 3D-Modell einer Scheibenbeilklinge, den ich bei der Recherche hierzu fand.

3-D-Modell: Scheibenbeil-Mesolithikum 

Länge: 66 mm
Breite: 45 mm
Höhe: 28 mm
Gewicht: 75 gr.
Fundort: Landkreis Helmstedt

Ist es übrigens richtig, dass, wie ich neulich las, derartige Stücke gar nicht in erster Linie zur Holzbearbeitung eingesetzt wurden, sondern als Erdhacken, zum Zerlegen von Tieren und der Reinigung von Häuten dienten?
Viele Grüße

Jondalar
'Das Leben ist einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen!'
(Konfuzius)

Wiedehopf

Hallo Jondalar,

ja, ich denke auch es ist ein Scheibenbeil.

ZitatIst es übrigens richtig, dass, wie ich neulich las, derartige Stücke gar nicht in erster Linie zur Holzbearbeitung eingesetzt wurden, sondern als Erdhacken, zum Zerlegen von Tieren und der Reinigung von Häuten dienten?

Das waren wohl Universalwerkzeuge für verschiedenste Zwecke. Schnell herzustellen und praktisch. Als Erdhacke sehe ich sie aber eher nicht. Zumindest bei steinigen Böden würde eine Hacke aus Flint wohl nicht lange halten. Da waren Hacken aus zähen Materialien wie Felsgestein, Knochen oder Horn sicher geeigneter.

Viele Grüße
Michael

thovalo



Guten Morgen!

Kennzeichnend für Scheibnbeile ist, wenn vorhanden, der seitliche Schneidenschlag und der scheint mir doch eindeutig vorhanden zu sein. Die schmale Rückenansicht könnte sogar auch als Kratzer gedient haben. Mit nur 6 cm Länge ist es sehr klein und gestaucht, was auch ein längeren Gebrauch bei stetiger Abnutzung hindeuten kann.


Diese Stücke sind, je ferner man vom vom Norden sucht, umso seltener aufzulesen.


Ich selber habe nur einmal und dann in neolithischen Zusammenhängen ein Abschlagbeilklinge auflesen können, die dann nach dem französischen Vorbild als "Tranchet" bezeichnet wird.

Als Funktion gedacht wird meist die Bearbeitung von Hölzern mit dem breiteren Schneidenbereich, waren aber auch mutifuktional einsetzbar. Damit wären sie Vorläufer in der Art des Gebrauchs von neolithischen Beiklingen.


lG Thomas    :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Hallo Jondalar,

auch ich würde anhand der zu erkennenden Merkmale ein Scheibenbeil bestätigen wollen. Glückwunsch zum Fund :super:

Die Seitenbearbeitung erfolgte wohl von der Oberseite, also der Ventralseite, aus, die Dorsalseite ist nicht flach retuschiert. H. Schwabedissen hat diese Scheibenbeile als "Typ Oldesloe" bezeichnet, der im Mesolithikum und Neolithikum auch räumlich am weitesten verbreitete Scheibenbeiltyp.

Scheibenbeile waren Universalgeräte, aber zur Bodenbearbeitung scheinen sie mir ungeeignet.

LG
Holger :winke:
Ignoramus, ignorabimus.

Neos

Hallo, Jondalar,

ich teile deine Einschätzung und die meiner Vorredner, daher "Herzlichen Glückwunsch zum Scheibenbeil!".  :Danke2:

Die Formgebung deines Artefakts kommt mir aus hiesigen, sprich, schleswig-holsteinischen Gefilden sehr bekannt vor: Verhältnismäßig klein, kompakt und mit sauber ausgeführtem Schneidenschlag. Auch bei Holgers Ansprache als Scheibenbeil vom Typ Oldesloe gehe ich mit (nebenbei: "Oldesloe" wird übrigens "Oldesloh" ausgesprochen).

Viele Grüße

Frank

Catweazle

Hallo Jondalar,

ich graturliere dir zu deinem tollen Fund.

Der Link zu den 3D Modell und der Verlinkung zu weiteren 3D Ansichten ist wirklich hilfreich  :-D ,
danke schön dafür.

Viele Grüße  :winke:

Christian

Jondalar

Hallo Michael,

vielen Dank für die Fundzuordnung als Scheibenbeil. Deinen Erläuterung zu Folge waren es also das 'Schweizer Taschenmesser' seiner Zeit. Man ist sich aber nicht sicher, ob und wie sie geschäftet waren, oder?
Viele Grüße

Jondalar
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Jondalar

Hallo Thomas,

vielen Dank auch für Deine Einschätzung. Besonders interessant Dein Hinweis auf die Retuschen am Nacken. Ich nahm sie zwar wahr, aber auf die Idee, dass das Stück dadurch ggf. auch als Kratzer gedient haben könnte, bin ich nicht gekommen. 
Viele Grüße

Jondalar 
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Jondalar

Hallo Holger,
vielen Dank für Deine Präzisierung des Stückes als zugehörig zum 'Typ Oldesloe'. Ich erinnerte mich, dass ich das schon einmal gelesen habe und konnte mir daraufhin im Buch 'Flinthandwerk' von Hein und Lund auf Seite 286 die Abgrenzung zum späteren 'Typ Ertebolle/Ellerbek' mit den Flächenretuschen auf der Dorsalseite ansehen...
Viele Grüße

Jondalar
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Jondalar

Hallo Frank, Du Scheibenbeil-Krösus,

vielen Dank für die 'Blumen'. Ich musste beim Lesen Deiner Zeilen grinsen, weil ich daran dachte, dass Du mal in einem Beitrag erwähnt hattest, dass Du -bitte hilf mir bei der Anzahl- (in meiner Erinnerung) ca. 150 Scheibenbeile finden durftest und mir daraufhin die Kinnlade entglitt und auf der Tastatur aufschlug....  ;)
Viele Grüße

Jondalar
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(Konfuzius)

Jondalar

Hallo Christian,

ja, auch mir hat das 3-D-Modell bei der Zuordnung geholfen.
Ich war mir aber dennoch unsicher. Also, vielen Dank noch einmal Euch allen für die Bestätigung!
Viele Grüße

Jondalar
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Wiedehopf

Hallo Jondalar,

ZitatMan ist sich aber nicht sicher, ob und wie sie geschäftet waren, oder?

Im Buch 'Flint fra Danmarks Oldtid' ist ein im Kolding-Fjord gefundenes Scheibenbeil abgebildet bei dem sich ein Teil der Schäftung erhalten hat. Es steckte noch in einem Zwischenstück aus Holz. Der Autor vermutet, dass es mit dem Zwischenstück an einem Schaft befestigt war und zwar so, dass die Schneide quer zum Schaft stand.

Viele Grüße
Michael

Jondalar

Hallo Michael,

vielen Dank für Deine Hinweise. Ich konnte mir bisher nur schwer vorstellen, dass eine ja doch recht hohe Klinge vom Oldesloe-Typ wie eine Linienbandkeramische Dechselklinge geschäftet wurde. Mit einer dünneren Scheibenbeilklinge mag das ja gehen... Aber mit einem hölzernen Zwischenstück wird es für mich 'begreifbarer'...
Viele Grüße

Jondalar
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Wiedehopf

Hallo Jondalar,

um Missverständnisse zu vermeiden:

Das in dem Buch als Zeichnung abgebildete geschäftete Scheibenbeil ist flach, nicht der hohe Oldesloe-Typ.

Ob und wie die hohen Typen geschäftet waren, dazu habe ich leider bisher nichts gefunden.

Viele Grüße
Michael   

Jondalar

Hallo Michael,

vielen Dank für Deinen neuerlichen, einschränkenden Hinweis.
Macht gar nichts, denn auch wenn ich dazu tendieren, immer wissen zu wollen, was etwas ist und wie es funktioniert hat, finde ich es auch schön, wenn manche Dinge ihre Geheimnisse nicht preisgeben wollen... Dann behalten sie ihren 'Zauber'...
Viele Grüße

Jondalar
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Wiedehopf

Hallo Jondalar,

ich habe jetzt doch noch ein Bild eines geschäfteten dickeren mesolithischen Beiles gefunden. Es handelt sich zwar um ein Kernbeil aber so könnte ich mir auch die Schäftung des von dir gefundenen hohen Scheibenbeiles vorstellen. Das Beilfutter besteht aus Geweih, der ansatzweise erhaltene Stiel aus Holz. Gefunden bei der Ausgrabung eines Wohnplatzes bei dem sich viele organische Materialien in feuchter Umgebung erhalten hatten. Auch hier die Beilschneide wieder quer zum Stiel eingesetzt.

Viele Grüße
Michael