Ein für mich besonderer Fund (IX): Federmesser nach DIN?

Begonnen von Jondalar, 11. Mai 2025, 00:17:35

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Jondalar

Hallo zusammen,

nun ist es etwa ein Jahr her, dass ich dieses Forum 'betreten' habe. Möchte mich daher hiermit noch einmal ausdrücklich für die vielen Informationen, Erläuterungen und Fundeinordnungen bedanken! 

Anbei links auf den ersten Fotos das Federmesser, das seitdem auf meinem Profilbild zu sehen ist. Als ich es fand, war mir sofort klar, dass es sich dabei um einen für mich besonderen Fund handelt.

Nun rechts daneben ein zweites Stück, welches auf den ersten Blick in Größe, Material und Aussehen sehr ähnlich daherkommt. Es gibt jedoch einige Unterschiede, die mich zweifeln lassen. Während bei dem linken Stück die eher gerundete (linke) Laterale die 'Rückenretusche' aufweist, ist bei dem rechten Stück die ebenfalls linke Laterale die gerade Seite. Üblich ist wohl eher, dass die 'gerundete' Seite retuschiert wird, aber wenn ich bei Schwabedissen nachlese (...Federmesser sind kleine Klingen, deren eine Seitenkante bogenförmig oder mehr gerade retuschiert ist... aus: Schwabedissen: Das Vorkommen des Magdalenien im nordwesteuropäischen Flachland) so ist dies ja wohl nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium...

Ferner ist die Rückenretusche bei dem rechte Stück deutlich schmäler, was aber vielleicht auch daher rühren könnte, dass bei einer weitergehende Retusche von dem Stück nicht mehr viel übrig geblieben und damit die Gebrauchsfähigkeit nicht mehr gegeben gewesen wäre. Wie würdet Ihr das rechte Stück einschätzen?

Interessant finde ich, dass bei beiden Stücken wohl die Spitze 'akzentuert' wurde (s. Foto 4), was mir zunächst gar nicht aufgefallen ist. Übrigens stammen sie nicht vom gleichen Fundort.


links:

Länge: 51 mm
Breite: max. 12 mm
Dicke: 4 mm
Gewicht: 3 gr.
Fundort: Landkreis Gifhorn


rechts:

Länge: 46 mm
Breite: max. 12 mm
Dicke: 4 mm
Gewicht: 3 gr.
Fundort: Landkreis Gifhorn

Viele Grüße

Jondalar

'Das Leben ist einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen!'
(Konfuzius)

Fischkopp

Hallo Jondalar,

tolle Funde und Bilder. Herzlichen Glückwunsch und Danke für den Beitrag.

LG Fischkopp

Jondalar

Hallo Fischkopp,

vielen Dank für Dein positives Feedback und viele Grüße

Jondalar
'Das Leben ist einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen!'
(Konfuzius)

Jondalar

Hallo zusammen,

wie es manchmal so spielt: Ich hatte diesen Beitrag kaum eingestellt, da rief ein Freund an und sagte, dass Teile der Sammlung eines verstorbenen Regionalsammlers zu sehen sind. Ich fuhr natürlich umgehend hin und durfte u.a. dieses Federmesser beäugen, welches die Retuschen ebenfalls auf der geraden Seite aufweist. Scheint also gar nicht so unüblich gewesen zu sein, was mir als 'Unprofessioneller' ja durchaus plausibel erscheint: ich jedenfalls würde lieber für eine gerade Seite die Nut in einen Holzschaft erstellen, als für eine gebogene. Aber sicherlich gab es auch für letztere Variante gute Gründe...
Viele Grüße

Jondalar


p.s.: das Stück hat ungefähr die gleichen Abmessungen, wie die von mir 'oben' gezeigten
'Das Leben ist einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen!'
(Konfuzius)

thovalo

#4
Moin!

Wer sich intensiv mit den Federmesserkulturen oder dem französischen Azilién auseinander setzt wird lernen, dass es auch innerhalb der Federmesserkulturen eine Vielzahl von unterschiedlichen Spitzenformen und ihrer Zurichtung gibt. Die Spitzen nennt man grundsätzlich alle "Rückenspitzen". Die Federmesser haben dabei den gebogenen, steil retuschierten Rücken gegenüber der schneidenden Kante.

Daneben gibt es Varianten und Formen unter denen man die mit einem geraden, steil retuschierten Rücken als "Geradspitzen" bezeichnet. Es gbit eine weitere Anzahl von Varianten wie die Malaurispitzen, die penknife points in Großbritannien usw. Das Federmesser- respektive Rückenspitzenphänomen ist weit in Europa verbreitet und besitzt grundsätzlich kein Alleinstellungsmerkmal für den Norden.

Generell ist mir zumindest an der ältere  "nordischen" und norddeutschen Literatur aufgefallen, dass sie NICHT unter verschiedenen Spitzenformen unterschieden hat. Die Archäologen hatten sich schlicht die Mühe gespart eine Differenzierung durchzuführen, was wissenschaftlich nicht korrekt ist.

Im Süden, so z.B. in Belgien u.a. in der Beschreibung des Inventars der "grotte des Remauchamps" aber auch im Rheinland ist man da inzwischen weiter.
Grundsätzlich kann man den Gesamtkomplex der  Rückenspitzen in Rückenspitzen "vom Typ der Federmesser", "vom Typ der Geradspitzen", "vom Typ der Malaurispitzen" usw. differenzieren.


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Jondalar

Hallo Thomas,
vielen Dank für Deine wie immer sehr spannenden Erläuterungen. Habe ich wieder viel gelernt!

Verstehe ich Dich da richtig, dass Du das linke Exemplar meines Beitrages EHER (sofern sich das auf Norddeutschland übertragen lässt) den Rückenspitzen 'vom Typ der Federmesser' und das rechte Exemplar sowie das Exemplar, welches ich später ergänzte, EHER den Rückenspitzen 'vom Typ der Geradspitzen' zuordnen würdest? Den Typus Malaurispitzen habe ich im Netz nicht finden können. Wie sieht diese Form in Abgrenzung zu den anderen beiden Typen aus?
Viele Grüße

Jondalar
'Das Leben ist einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen!'
(Konfuzius)

thovalo

Zitat von: Jondalar in 21. Mai 2025, 10:02:26Hallo Thomas,
vielen Dank für Deine wie immer sehr spannenden Erläuterungen. Habe ich wieder viel gelernt!

Verstehe ich Dich da richtig, dass Du das linke Exemplar meines Beitrages EHER (sofern sich das auf Norddeutschland übertragen lässt) den Rückenspitzen 'vom Typ der Federmesser' und das rechte Exemplar sowie das Exemplar, welches ich später ergänzte, EHER den Rückenspitzen 'vom Typ der Geradspitzen' zuordnen würdest? Den Typus Malaurispitzen habe ich im Netz nicht finden können. Wie sieht diese Form in Abgrenzung zu den anderen beiden Typen aus?
Viele Grüße

Jondalar

Ich fange mit der letzten Frage an. Die Malauriespitzen sind "Federmesser" mit einer zusätzlichen Basisretusche und gelten als Spitzen die ganz am Ende der Federmesserkultur(en) stehen.

Das erste ist ein Federmesser, das zweite würde ich eher als Geradspitze sehen. Beides sind Rückensptizen. Die Federmesserleute haben selber die Systematik sehr flexibel gehalten. Die Facharchologie ist noch dabei hinterher zu kommen.



lG Thomas


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Jondalar

Zitat von: thovalo in 21. Mai 2025, 14:38:10Die Federmesserleute haben selber die Systematik sehr flexibel gehalten.


Also kein DIN... Unfassssbar!!! Wie waren diese Menschen nur überlebensfähig?  ;)


Hallo Thomas,

vielen Dank für Deine neuerlichen Erläuterungen. Es ist jedes mal ein erhebendes Gefühl, wenn es in meiner ja noch ziemlich dusteren 'Turnhalle' (Hat nicht Harm Paulsen diesen Vergleich geprägt?) wieder ein ganz klein wenig heller wird... ;)
Viele Grüße

Jondalar
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(Konfuzius)