"Pfeilprototyp"

Begonnen von Silex, 01. September 2006, 23:15:19

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Silex

Zur Rekonstruktion eines mesolithische Pfeiles hatte ich mich schon vor Jahren entschlossen als ich vor meiner Haustür eine mittelsteinzeitliche Fundstelle entdecken konnte.  Aber erst mit der Zeit bekam ich genügend Informationen  und Fotomaterial zusammen um mich an die Vorarbeit zu machen. Die Endresultate sollen dann  im örtlichen Museum zusammen mit den Funden gezeigt werden
Und durch einen riesigen Zufall lernte ich hier bei Euch , meinen Freund, agersoe kennen. Und der hat nach Fotos und  Zeichnungen von den Originalfundstücken (die ich ihm geschickt habe) Repliken der  Spitzen und seitlichen Einsätze  hergestellt. Danke nochmals , alter Däne......!!!
Den Prototyp wollte ich anfangs mit modernen Werkzeugen (Cutter, Säge, Beitel, Schmirgelpapier....) herstellen- aber ich warf den ersten Haselnussschaft gleich weg und ging lediglich mit Steinwerkzeugen zur Sache...Dünne Haselnussgerten sind ungeeignet---also fast 2 cm dicke besorgt und an einem großen Sandsteinmonolithen im Garten auf die gewünschte Dicke geschliffen- und das geht schneller als mit jedem Schleifpapier.. weil man ganz andere Drücke ausüben kann... Mit Sticheln und  Klingen wurden die Vertiefungen herausgehebelt und die Spitzenkerbe mit gezähnter Klinge. Ein faszinierendes Erlebnis war dass die Mikrolithen selbst als Werkzeuge für die Feinarbeiten an den Schäftungskerben beste Arbeit lieferten.
Dieser erste Pfeil sollte absichtlich nur als ein Arbeits- und Ablaufübungsinstrument  gedacht sein. Die einzigen modernen Hilfsmittel sind ein Stückchen Zwirn und Kleber.
Bei jedem Arbeitsschritt konnte man sofort einschätzen was man das nächste Mal besser macht.... und ganz oft kam der Mund  als "dritte Hand" zum Einsatz - ohne dass man darüber nachgedacht hatte.... Der Plan ist also immer noch in uns drin.
Viele Ungereimtheiten sind noch  erkennbar.
Die Befiederung wird zwar beim Endprodukt auch  in eine Nut gesetzt aber nicht durch  die Federsträhnen hindurch befestigt- sondern nur vorne und hinten. Den "vorgeschichtlichen Birkenteer" werde  ich durch dicke Holzleimverstreichungen - die anschließend eingefärbt werden - nachempfinden.... Die Federn müssen von  starken Gänseflügeln kommen und nicht von einem Piepmatz  ..und noch vieles mehr
Aber das  interessanteste bisher war... ich verstehe jetzt was für ein Werkzeug zu welchem Zweck wirklich gut geeignet ist.
Am Anfang ging leider etliches an Spitzen -wegen Torsionsspannungen - kaputt. Aber bei der richtigen Werkzeugauswahl und entsprechender Handhabung gibts nicht mal Abnützung...
Hat Spaß gemacht

Zur Nachahmung empfohlen
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Silex

Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger

Hallo mein Freund Edi !!!  :-)

Das sieht ja alles hervorragend aus !!!  :super: :winke:
Genau so haben die Dinger ausgesehen !!!
Es freut mich die Spitzen in ihrer richtigen "Umgebung" zu sehen !! :jump:

Ich habe auch selbstgemachte Messer und besonders Stichel aus Flint in meinem Werkstatt liegen, denn es gibt Aufgaben, wo moderne Werkzeuge einfach nicht mithalten können.

Besonders wenn man mit Holz und vor allem Knochen arbeitet, da ist der Stichel sensationell gut !!   :super:

Silex

Servus Agersoe... erkennst Du auch deinen Scheibenbohrer wieder?... Er und die Mikrolithen haben mir sehr geholfen..
Was könnte ich - anstatt von Sehnen- oder Pflanzenfasern - zur Befiederungsbefestigung hernehmen? (um ein autentischeres "Abbild" zu erreichen)


Danke
bis bald
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

El Grabius

Hallo Edi,

jetzt hab ich ihn endlich gesehen. Wunderschön, alle Achtung  :super:

Viele Grüße El Grabius

Der Wikinger

Zitat von: Silex in 02. September 2006, 00:38:10
Servus Agersoe... erkennst Du auch deinen Scheibenbohrer wieder?... Er und die Mikrolithen haben mir sehr geholfen..
Was könnte ich - anstatt von Sehnen- oder Pflanzenfasern - zur Befiederungsbefestigung hernehmen? (um ein autentischeres "Abbild" zu erreichen)


Danke
bis bald
Edi

Ach ja, der Scheibenbohrer !!!  :super: :narr:

Anstatt von Sehnen- oder Pflanzenfasern .......

Das ist schon schwierig, aber ich denke doch heute noch gibt es ganz dünnes, flaches Draht zu kriegen, das aus biologischem Material hergestellt ist, vielleicht bekommst du sowas irgendwo ???  :platt:

Ich denke die Befiederung müsste in eine schmale, und recht tiefe Rinne reingeklebt werden, und dann nur an den Enden gewickelt werden, oder.....???  :winke:

CptAhab

Ich würde eher sagen durchgehende Pirkenpechauflage (keine Einkerbung) und durchgehende spiralförmige Wicklung mit Faden.
The world is full of crashing bores. - Mozer

Silex

Heute Mal mit Gänsefeder ( ich such mir fürs Endprodukt eine schöne feste dunkelgraue Wildgansschwingenfeder)
Es geht immer schneller von der Hand (diesmal auf Geheiß Cpt Ahabs ohne Nut  , mit Kleber und in annähernder Spiralität bewickelt).
Faszinierend das exakte Spleissen des Kiels mit einer scharfen Klinge   oder das Abtrennen der randlichen , ausfransenden Befiederung mit eben derselben.
(Cpt Ahab, bei 2001 gibts jetzt das Monsterwerk von Melville zum Superpreis im  mp3 - Format... ich habs jetzt im Urlaub wieder gehört... die Geschichte Deines Namensvetters....ein  Wahnsinnsstück... aber der Mr. Bartlby  von selbigem Schriftsteller ist auch nicht zu verachten..)
Servus
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Khamsin

Salaam!

Immer wieder faszinierend, auf was man alles im Forum stösst! Da mich die Experimentelle Archäologie gelegentlich auch interessiert, zuerst die Steingeräteherstellung, später - wie könnte es anders sein - auch des Thema "Pfeil und Bogen", hier einige Bemerkungen. Es gibt grundsätzlich zwei Arten, sich dem Thema zu nähern:

1. Versuch und Irrtum (trial and error).
Das ist verständlich, aber zeitaufwändig, u.a. wg. der Anfängerfehler.

2. Man macht sich schlau auf dem Gebiet, das man gerade beackern will. Dies ist dann unbedingt erforderlich/unerlässlich, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, als Ergebnis einen authentischen Nachbau von was auch immer herzustellen ("Rekonstruktion eines mesolithischen Pfeiles").
Das ist klug und ökonomisch zugleich.

Ökonomisch deshalb, weil man - trotz des anfänglichen Zeitaufwandes (Recherche nach Literatur, Beschaffen der Literatur und Lesen) - später folgerichtig (es sei denn, man hat zwei linke Hände, dann sollte man´s gleich lassen) die sonst unvermeidlichen Anfängerfehler NICHT macht.
Klug ist es aber vor allem deshalb, weil man sich nicht in die Gefahr begibt - und glaubt mir, jeder, der nach Punkt 1. arbeitet, erliegt dieser Gefahr unweigerlich, dafür gibt es in entsprechender Literatur Hunderte von teilweise köstlichen Beispielen - das Rad erneut zu erfinden!

Hier erinnert man sich an den Rat  von H. Heimpel an seine Erstsemestler: "Literaturstudium schützt vor Neuentdeckungen!".

Daraus resultiert für die Experimentelle Archäologie - sei es, es handelt sich um ein wirkliches Experiment, sei es, und das trifft für die meisten sog. Experimente zu, es handelt sich um einen praktischen Versuch, wie z.B. im vorliegenden Falle - eine der wichtigsten Forderungen:
Nicht die Plausibilität einer technischen Lösung, geschweige denn die Phantasie ist die Basis jedes Experimentes bzw. praktischen Versuches, sondern einzig und allein der archäologische Befund bzw. der  archäologische Einzelfund. Im optimalen Falle kann man sich zumindest den Einzelfund - den man ja nachbauen will - anschauen, in die Hand nehmen, begutachten, Merkmale erkennen und dokumentieren. Das werden die wenigsten unter uns können. Aber glücklicherweise gibt es ja in der Literatur zu nachgerade allen Befunden und Einzelfundklassen detaillierte Beschreibungen mit allen Maßen und erforderlichen Abbildungen mit Maßstab. Stadtbibliothek, Fernleihe, bingo! Oder im Falle von Edi: Landesamt und die Leute dort löchern bis zum geht nicht mehr!

Was das mit Edis Pfeil zu tun hat?

Befiederung: Nun, mir ist aus der Literatur kein einziger der ohnehin nicht allzu häufigen mesolithischen Pfeilschäfte bekannt, der wenig oberhalb seines Nockenendes, also dort, wo die Befiederung einmal sass (denn es gibt keinen einzigen mesolithischen Pfeilschaft mit erhaltener Befiederung!), eine Nut zur Aufnahme einer sog. Fahne, also einer gespleissten Feder aufweist, geschweige denn anzunehmende drei Nuten (übrigens auch nicht aus dem Neolithikum. Immerhin gibt es dort die einzigen überhaupt erhaltenen urgeschichtlichen Befiederungsreste an den beiden vollständigen Pfeilen im Köcher des Mannes vom Hauslabjoch, vulgo Ötzi!). Kaptein hat´s auf den Punkt gebracht: Auf die Oberfläche legen und mit Birkenpech festkleben oder spiralig umwickeln.

Pfeilschaft: Als Holzart ist Hasel mehrfach für mesolithische Pfeilschäfte nachgewiesen. Es handelt sich um natürlich vollrunde Schösslinge, die lediglich entrindet sind. Wählt man von Beginn an die richtige Stärke, dann entfällt ein aufwändiges Schleifen. Fachleute wissen im übrigen, dass das Anschneiden von Jahrringen, sowohl bei Bogenstäben als auch bei Pfeilschäften die Bruchgefahr z.T. dramatisch heraufsetzt. Das kann durch Schneiden und durch Schleifen geschehen. Bei einem natürlich gewachsenen Schössling gibt sich unter der Rinde eine perfekt glatte Oberfläche zu erkennen, die man in aller Regel nicht mehr schleifen muss. Einen Schössling in einer Dicke von 20 mm auf die nachgewiesenen rd. 8 mm symmetrisch abzuarbeiten, ist nach den archäologischen Funden m.W. nach nicht belegt. Es stimmt, es gibt aus Spaltholz angefertigte mesolithische Pfeilschäfte. Aber die bestehen m.W. nach aus Kiefer oder Birke, nicht aber aus Hasel.

Klebstoff: Birkenpech ist mesolithisch in grosser Zahl nachgewiesen zum Befestigen der Projektilköpfe. Das bekannteste Beispiel ist der Pfeil aus Loshult in Schonen/S. Birkenpech kann man selber herstellen, und es gibt mindestens ein Rezept im Net (googelt mal unter Dueppel.de). Man kann es aber auch bei sog. Archäo-Technikern, wie z.B. Lothar Breinl in Bayern - zumindest in kleinen Mengen - kaufen. Ich mache meines seit über 20 Jahren, und wer einmal den sog. Jcuhtengeruch goutiert hat, der weiss, dass es durch nichts zu ersetzen ist.
Dies vor dem Hintergrund, dass es in der europäischen Fachliteratur ein sog. Rezept für einen vermeintlichen steinzeitlichen Klebstoff gibt, eine Mischung aus Kiefernharz, Bienenwachs und zerstossener Holzkohle, die selbst von ansonsten ausgewiesenen Experimentalarchäologen benutzt wird. Tatsächlich ist das ein reines Phantasieprodukt, das nirgendwo in der Archäologie nachgewiesen ist!!!
Indes nachgewiesen ist aus dem Mesolithikum und dem Neolithikum Sehne als ideales Bindemittel. Und zwar sowohl für die Pfeilspitzen als auch und besonders für die Befiederung. Wer nicht über entsprechende Sehne verfügt, kann sie heute bei der Hudson-Bay-Company in Bayern kaufen (bis zu ca. 60 cm lang, Freund Bison lässt grüssen!). Aber auch ein freundliches Gespräch mit dem nächsten Metzger führt zu erstaunlichen Erfolgserlebnissen. Oder dem Jäger. Schliesslich: Das, was so silbrig am Schweinefilet glänzt, ist Sehne...
Vor diesem Hintergrund ist Draht - der im archaeological record des Mesolithikums ziemlich unbekannt ist, egal wie dünn er ist - überflüssig.

Projektilköpfe: Dafür sorgt z.B. agersoe, wie man freudig lernt!

Das wars eigentlich; allein zum Thema Pfeil und Bogen liesse sich ein eigener thread aufmachen, der kilometerlang würde.

Ach ja: Wer glaubt, dies sei eine Kritik an Edis Versuch, der hat mich nicht verstanden. Es sind vielmehr gewisse Erfahrungen und auch wenige Regeln, die im faszinierenden Spiel der Experimentellen Archäologie angewandt werden können und dann das Leben leichter machen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Beste Grüsse KIS     
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Silex

Danke Khamsin, für die lehrreichen Sätze.
Mir ging es vor allem drum  einfach anzufangen mit  einem Versuch. Zuerst mit neuzeitlichem Werkzeug....diese Idee ward gleich verworfen.. da erst durch das Tätigwerden ein seltsamer Schleier fällt. Man hat ein Stück Holz, eine Feder, die Finger und Mikrolithen (samt von agersoe hergestellten Geräten) . Da kommt plötzlich und unerwartet ein Erkenntnisschub.... man kann es kaum erklären....den gelben Cutter schleudert man weg....die Raspel und  die Stahlmesser..... man sitzt im Gras... und lernt an den Graten und scharfen Kanten des (nordischen) Feuersteins , schmerzhaft und langsam anzufassen zu sticheln und hebeln.  Ein seltsamer Moment...wie oben beschrieben...als plötzlich der Mund das Garn erhaschte...ohne willentlich dazu aufgefordet worden zu sein.......um überhaupt weiterzukommen..... und etliche Bewegungen kamen ebenso automatisch..... befremdlich!!!!!...Und von Minute zu Minute  sieht man die Fortschritte.
Wissenschaftlich gesehen sind die Ergebnisse natürlich Schrott...aber mich haben sie wirklich weitergebracht. Übrigens habe ich zum Einkleben der Spitze und der seitlichen Einsätze , beim zweiten Pfeil,  (wissenschaftlich unkorrekt) Kirschbaumausblutungen genommen- und die halten bombenfest- seit einem halben Jahr.
Es sind eben Prototypen, die  Selbsterfahrung bringen konnten. Ein Körper - und die Natur 2006
Mehr als ich glaubte.
meint ein begeisterter
Edi

Die Nächsten werden folgen
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Khamsin

Salaam!

Edi, freut mich, das Du meinen Beitrag im von mir gemeinten Sinne verstanden hast. Und na klar ging es darum, einfach anzufangen. Und in diesem Sinne des "hands on" ist das auch kein Schrott. Und natürlich gibt es noch andere Sichtweisen, als die wissenschaftliche, was gewiss nicht das Schlechteste ist!
Ja, das Kirschbaumblut! Ohne Zweifel wird man sich in der Urgeschichte diverser Materialien zum Kleben bedient haben, aber die meisten entziehen sich - jedenfalls bislang - unserer Kenntnis. Interessanterweise kennt man bis heute - entgegen gewisser Unkenrufe, sogar aus der Archiwelt - kein einziges, geschweige denn mehrere steinzeitliche Rezepte zu dessen Herstellung. Man weiss eben nur durch mittlerweile zahlreiche Funde, dass es diesen faszinierenden Kleber gegeben hat und dass es mindestens ein Rezept gegeben haben muss, um ihn herzustellen. Man weiss auch, dass es verschiedene Arten gab, ganz homogenes, dünnflüssiges (Ötzis Pfeile lassen grüssen) und recht inhomogenes, fast sprödes aus einer süddeutschen Mesolithfundstelle. Manches spricht mittlerweile dafür, dass es sich dabei nicht um zufällig entstandene unterschiedliche Qualitäten handelt. Denn die fundseits nachgewiesenen Verwendungszwecke machen deutlich, dass die jeweilige Qualität hervorragend zu den jeweiligen Zwecken passt. Ergo, intentionell angefertigte verschiedene Qualitäten.

Es gibt übrigens eine ganz hervorragende Arbeit von einem von agersoes Wikingerverwandten zur Anleitung des Baus von mesolithischen Bogen und Pfeilen, hier das Zitat:

Flemming Alrune 1991: Bue Og Pil For 6000 Ar Siden. Byg Din Egen Kopi (Lejre).

Man muss kein Dänisch verstehen, um die grundlegenden Dinge begreifen zu können Dank der Zeichnungen. Für jeden, der sich ernsthaft mit Pfeil und Bogen befasst, ein Muss! Ich habe mir vor Jahren das spiralgebundene Büchlein von Flemming Alrune gegen Rechnung schicken lassen.

Beste Grüsse und weiterhin viel Spass bei Deinen praktischen Versuchen, die ich aufmerksam verfolgen werde KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger