Der "Schaber" und seine Verwendung

Begonnen von CptAhab, 28. April 2007, 17:09:52

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CptAhab

Hallo Leute,

oft - und sich nicht immer zu Unrecht - findet man im Lesefundbereich den Begriff und das Gerät des Schabers.

Was ich mich bis dato immer gefragt habe, wozu diente er denn? Was wurde geschabt?
Sicher, naheliegend ist Holz- und Lederberabeitung. Was noch?
Und wie gesichert ist der wirkliche Gebrauch?

Oft habe ich Abschläge, die als Schaber dienten könnten. Aber eben "nur" Abschläge, die mit wenigen Retuschen als gebrauchsfertiges Werkzeug dienten könnten.

Waren Schaber geschäftet? Alle? Wie? Oder wurden sie mit bloßer Hand gebraucht?

Ich bitte um Wissen und Halbwissen.  :super:
The world is full of crashing bores. - Mozer

Silex

Ich antworte unter der Rubrik "Nichtwisser":
Wie schon in  anderen Beiträgen  angedeutet sind manche Terminologien  heute  mehr und mehr  in Frage gestellt. Was stellt man sich unter einem Schaber vor? Ein Gerät zur Fellbearbeitung....Ein auf planer Erde festgespanntes Hautstück wird von Fett und Untergewebe "befreit"...so sieht man es immer wieder auf nachempfundenen Zeichnungen....Man darf vermuten dass ein zweihändig geführtes Gerät hier  den besten Arbeitserfolg gewährleistet hätte.... (oder ein Kratzer)....aber ich kenne (in meinem begrenzten Lesehorizont) keine solchen Geräte...
Viele dieser so genannten Artefakte  scheinen mir eher geeignet Äste zu entfernen....Knochen und Geweih "inForm" zu bringen...etc.. 
allerdings bin ich mir sicher dass auch hier Menschen Weiterführendes und Erhellenderes beitragen können was sich in dieser Gerätesparte getan hat.
Es wird geforscht und reenacted und dies ist wohl die einzige Möglichkeit dem Rätsel (und vielen anderen) auf die Spur zu kommen.
Bin gespannt was da noch kommt
edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger

Hallo Leute  :-)

Zum Thema Anwendung von Schabern und Kratzern.

Ehe wir nun alles Wissen in den Mülleimer werfen, müssen wir mal daran festhalten, dass man darüber doch manches weiss !  :belehr:

U.a. dänische Forscher und Experimentell-Forscher haben mit der Hilfe von Experimenten und Mikroskopie eine Reihe Karakteristika auswerten können.

Ich spreche hier natürlich von der GEBRAUCHSSPUREN-ANALYSE !!

Der (Scheiben-)Schaber und der Kratzer scheinen, in so fern ich mich korrekt in der Literatur orientiert habe, bei einem vielfalt von Arbeitsvorgängen benutzt worden zu sein.

Nicht nur das Fell-Schaben !!

Viele Analysen zeigen, dass hauptsächlich Holz, Fell und Knochen (..und auch Pflanzen und andere Materialien) geschabt / gekratzt wurden. Vielleicht war sogar die Anwendung in Verbindung mit Holz das gewöhnlichste.

:winke:

Loenne

Hallo Argersoe,

das beantwortet aber leider nicht die Frage, die ich nebenbei sehr spannend finde. Bei einem Gespräch mit unserem Archäologen, der ein Spezialist in dem Bereich ist, gab es zu diesem Thema auch keine befriedigenden Ergebnisse.

Er berichtete über einen in situ Fundplatz, an dem ein Handwerker Rohlinge für Beile hergestellt hat. Er hat bei dieser Tätigkeit natürlich einen riesigen Haufen Abschläge hinterlassen, aus denen man man sogar wieder den gesamten ursprünglichen Stein zusammen setzen konnte und nur noch die Beilklinge in der Mitte fehlte (tolle Arbeit  :irre:).

Auffällig war aber, dass an seinem Arbeitplatz über 200 Schaber gefunden wurden! Über das, was er damit gemacht hat, gibt es wohl keine schlüssigen Theorien.

Es gibt bestimmt Arbeiten, bei denen man die Dinger gut einsetzen kann, aber warum liegen die überall rum? Oftmals ja sogar in einem "einsatzbereitem" Zustand.

Fragen über Fragen.... :smoke:

Gruß
Loenne
Mundus vult decipi, ergo decipiatur
www.scheibenknopf.de                

Der Wikinger


Du hast ja ganz recht Loenne !!

Man kann einige Funde mit Gebrauchspurenanalyse einordnen, aber die Menge und die geographische Plazierung von wenige / viele Schaber ist oft rätselhaft.

Ein Beispiel hier bei uns wäre eine winzige Insel (damals wohl Halbinsel, nur 20.000 m2 oder so) vor der Küste, wo angeblich über 6000 Scheibenschaber gefunden wurden !!  :platt:

Auf der Festlandseite standen in der Steinzeit mindestens 13 Gross-Stein-Hügel, und man spekuliert, dass es sich da um einen "Kult-Platz" handle !! ??

So sagt man oft, wenn man kein Begriff davon hat, was hier vor sich gegangen ist !!  :platt:

Bei uns ist es auch so, dass der Scheibenschaber auf jedem Acker zu finden ist.

:winke:

CptAhab

Da bin ich fast richtig froh, dass ein nichts-genaues-weiss-man-nicht geradezu international ist.
Kann man nun schließen, dass das Werkzeug nicht als solches hergestellt wurde, sondern ein nettes Nebenprodukt darstellen?
The world is full of crashing bores. - Mozer

Khamsin

Salaam!

Archäologische Steingeräte - und das gilt weltweit - lassen sich im Hinblick auf die Frage ihrer ehemaligen Verwendung in zwei Hauptgruppen einteilen: 1. solche, deren Funktion per se aus ihrer Form und Analogien mit heutigen Metallgeräten offensichtlich wird und 2. dem Rest, deren Funktion sich nicht wie bei 1 sozusagen selbst erklärt.

Das war den Archäologen seit Begründung ihrer Wissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jh. bereits völlig klar! Und da Archäologen sich im allgemeinen - und hoffentlich - durch eine ganz besondere Portion Neugier auszeichnen, haben einige schon sehr früh angefangen, sich Steingeräte der Gruppe 2 genauer anzuschauen. Und da gibt es schon aus der 2. Hälfte des 19. Jh. ganz erstaunliche Beobachtungen und Rückschlüsse auf Entstehung bestimmter Spuren, z.B. Glanzspuren an alt- und mittelneolithischen Dechselklingen, die wiederum im Ensemble mit der so eigenwilligen Form der Dechselklingen zu dem Schluss führten, diese seien quer geschäftet worden! Aber das sind besonders seltene Ausnahmen!

Und so sollten rd. 100 Jahre vergehen, in denen Geräten der Gruppe 2 teilweise abenteuerliche Funktionen zugewiesen worden sind.

Aber wie immer in jeder dynamischen Wissenschaft - egal wie schnell oder langsam diese Dynamik sich darstellt - war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Wissenschaftler, der Russe Semenov, eine an sich so naheliegende Idee entwickelte, und sich die Funktionskanten der Steingeräte, egal aus welcher Gesteinsart und egal ob geschlagen, gedrückt oder geschliffen, unter einem Mikroskop anschaute.
Dies hat agersoe mit Gebrauchsspurenanalyse bezeichnet. Hier erlaube ich mir, seine grosse Dezenz bei der Erwähnung dänischer Gebrauchsspurenanalytiker und Experimental-Archäologen etwas aufzuweichen! Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit Helle Juel Jensen eine der weltbesten Gebrauchsspurenanalytikerinnen in Dänemark beheimatet ist!

Zurück zur Analysenmethode von Semenov: Er veröffentlichte darüber in den 1950ern ein Buch, leider in Russisch. Erst mit der englischen Übersetzung dieses grundlegenden Werkes 1964 setzte in der freien Welt der Siegeszug der Gebrauchsspurenanalyse von Steingeräten ein.

Ach ja, es ist natürlich nicht damit getan, die Funktionskanten mikroskopisch zu untersuchen. Vielmehr beginnt dann erst die eigentliche Arbeit. Und die ist rein experimenteller Natur: Jetzt versucht der Analytiker, die von ihm an einem Steingerät erkannten Spuren zu reproduzieren. Mit anderen Worten muss jeder Gebrauchsspurenspezialist auch ein experimenteller Archäologe sein!

Das wichtigste Kapital dieser Spezialisten/-innen ist eine Datenbank mit allen archäologischen Spuren, der Beschreibung der Werkzeuge und ihrer experimentell hergestellten und dokumentierten Spuren. Und natürlich sehr, sehr viel Erfahrung!

Bereits 1979 gab es in Vancouver eine erste internationale Tagung, später eine in Uppsala und schliesslich 1990 eine in Liège mit dem Titel "Traces et Fonction. Les Gestes Retrouvés (frei übersetzt: Spuren und Funktion. Die Wiederentdeckten Handbewegungen). Erschienen als:

Traces et Fonction. Les Gestes Retrouvés. Etudes et Recherches Archéologiques de L´Université de Liège. 50. 2 Bände (Liège 1993).

Dort finden sich natürlich auch einige Beiträge, die sich mit "Schabern" und deren Funktion befassen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es dabei zwei Hauptbewegungsrichtungen gibt, die nachgewiesen worden sind: Einmal in Längsrichtung der Funktionskante, einmal quer dazu.
Dabei wird klar, dass eine Längsbewegung naturgemäss einer schabenden Funktion entgegensteht! Diese Bewegung geht eher in Richtung Schneiden, wobei hier, na klar, eher ein Raspeln gemeint ist. Denn zum Schneiden braucht es a priori keine retuschierten Kanten.
Allerdings, und das wird in einem anderen Beitrag klar, dienten die traditionell als Spitzen bezeichneten mittelpaläolithischen Artefakten sehr häufig zum Schneiden, und die sind alle mehr oder weniger kantenretuschiert! Das nur zur Terminologie/Funktion.

Zurück zu den Schabern und auch den Kratzern: Mittlerweile ist durch eine nicht mehr zu überschauende Fülle an Gebrauchsspurenanalysen, ethnographischen Vergleichen und praktischen Experimenten unbestreitbar belegt, dass man diese Artefakte zum Reinigen der Fleischseite von Fellen, aber auch von trockenen Fellen eingesetzt hat. Freilich ist das nur eine von mehreren Funktionen. Denn es wurde auch die Bearbeitung von Knochen, vor allem aber Holz (und für manche Bohrer sogar weichem Stein, Konchylien und Erz) nachgewiesen.

Zur Funktion gehört auch eine eventuelle Schäftung von Steingeräten der Gruppe 2. Und da fiel und fällt es den Archäologen immer mehr wie Schuppen von den Augen, dass viel mehr Geräte geschäftet waren, als man gemeinhin zu glauben bereits ist. Klar, bei Beil- und Axtklingen ist das evident. Aber bei Bohrern eben nicht unbedingt, oder bei Kratzern! Und wer hätte gedacht, dass zumindest manche sog. Klopfer geschäftet waren, vermutlich in einer sog. Schlingenschäftung! Dies konnte Jean-Paul Caspar, der bekannteste belgische Gebrauchsspurenanalytiker, für zwei solche Artefakte von einer belgischen LBK Fundstelle glaubhaft machen.

Wer sich, sozusagen auf einen Blick, zu dem Thema Gebrauchsspurenanalyse und Funktion von Steinartefakten schlau machen will, dem empfehle ich:

D. Cahen & J.-P. Caspar, Les Traces D´Utilisation des Outil Préhistoriques. In: L´Anthropologie 88, 1984, 277-308.

Auf Deutsch gibt es die Magister- und die Doktorarbeit von:

A. Pawlik, Mikrogebrauchsspurenanalyse. Methoden - Forschungsstand - Neue Ergebnisse. Urgeschichtliche Materialhefte 9 (Tübingen 1992) (Magisterarbeit) bzw.

Ders. Die mikroskopische Analyse von Steingeräten. Experimente - Auswertungsmethoden - Artefaktanalysen. Urgeschichtliche Materialhefte 10 (Tübingen 1995). (Dissertation).

Last, but not least, gibt es eine enigmatische Gerätegruppe, die hier noch nicht angesprochen wurde, weil sie sich nahezu vollständig verbirgt, d.h. als solche per se nicht zu erkennen ist.
Ich meine die "ad hoc-Geräte".

So hat der "Ampf" von RP (sorry, RP, meine Wortschöpfung, aber das "pf" klingt so schön!) bei seinen Ausgrabungen auf dem Lousberg in Aachen auf einer vollständig erhaltenen Werkstatt zur Herstellung von Beilklingen auch hervorragend erhaltene bearbeitete Geräte aus Hirschgeweih und deren Abfälle entdeckt. Darunter befinden sich Geweihsprossen, die eindeutig abgetrennt worden sind, wie umlaufende halbe Ringkerben mit sehr charakteristischen Kratzern belegen.
Der "Ampf" schloss nun, dass diese Trennkerben nur mittels eines Flintgerätes angebracht worden sein können. Freilich fanden sich entsprechende grössere, handliche und vor allem längsretuschierte Abschläge nicht. Was sich dagegen fand, waren zwar grössere Abschläge, aber die wiesen nur unregelmässig dorsal und ventral ausgebrochene Längskanten auf.
Welchem Gefühl auch immer folgend, liess der "Ampf" einige dieser Stücke von einem us-amerikanischen Gebrauchsspurenanalytiker, der seinerzeit im Kölner Institut gerade einer Auftragsarbeit nachging, untersuchen.

Und nun kommt es: Der Analytiker konnte zweifelsfrei anhand von Mikro-Gebrauchsspuren nachweisen, dass es sich bei diesen Artefakten tatsächlich um Werkzeuge handelt, mit denen Kochen und/oder Geweih bearbeitet worden ist. Da aber auf den ebenfalls in der Werkstatt gefundenen Knochen keinerlei Bearbeitungsspuren nachgewiesen wurden, kann es sich nur um die "Raspeln" handeln, mit denen die Geweihsprossen abgetrennt worden sind.

Wie Ihr seht, vermeide ich bewusst den Begriff "Säge". Warum? Ganz einfach: Echte Sägen und somit eine Sägetechnik in der Steinzeit gibt es nicht! Aber das ist ein anderes Kapitel!

Und noch unbedingt dies: Wer nun glaubt, Abschläge mit unregelmässigen Kantenausbrüchen seien "ad hoc-Geräte", der hat etwas nicht verstanden! Eine artifizielle Natur als Werkzeug liegt erst dann vor, wenn sie durch eine Gebrauchsspurenanalyse nachgewiesen wurde!


Beste Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Silex

Danke Khamsin, für wiederholte Aufklärung und Erhellung....immer wieder ein ersprießlich-fundiertes Lesevergnügen.
Zur Kratzer-Schaberterminologie war hier auch noch was Gutes....http://www.sucherforum.de/index.php/topic,21397.msg119319.html#msg119319

Bis bald
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

CptAhab

Jetzt bin ich schlauer. Beäuge allerdings jedes Stück noch immer kritisch.
Gracias!

Mit ein Grund meiner Frage, war einen Antwort, ob geschäftet wurde.
Grundlegend gelöst. Aber wie? Schaber und Kratzer. Soll schon seinen Grund haben, in diesem Forumsteil platziert zu sein.
Neue Birkenrinde will Verwendung finden.
The world is full of crashing bores. - Mozer

CptAhab

Ich merke schon...das bleibt meiner Phantasie überlassen.
Ich mache mir Gedanken.
The world is full of crashing bores. - Mozer

Silex

Ja CptAhab, für Schaber wird es wohl nirgends einen Schäftungsnachweis geben,wenn man diese Kategorie  bis zum Jungpaläolithikum und früher datiert...ob es in situ Funde späterer Zeit gibt (Kratzer) ist mir  als Laien leider nicht bekannt.
Alle endpaläolithischen Kratzer die ich bisher fand scheinen für eine Holzschäftung  denkbar ungeeignet. Bei manchen käme vielleicht eine Umwickelung oder ein  Lederschutz in Frage da diese Stücke sehr unangenehme, scharfe Kanten aufweisen. Aber dies ist wirklich nur von Gerät zu Gerät zu deuten (fantasieren!) und  es ist eher nur eine vage Vermutung meinerseits. Lesen  kann man von  aneinandergebunden, geklebten  Holzheften  ...bis zu  "in  Nutfräsungen" eingesetzten Teilen. Letzteres scheint mir aber eher bei klingenförmigen Seitenschabern (wenn es die gibt) praktikabel.
In unserem Raum kann ich mir Holzschäftungen vor allem bei den mesolithischen Miniklingen und Lamellen vorstellen...aber dies nur am Rande...
Man sollte sich wirklich... wie Du geschrieben hast...diesen Gesichtspunkt,  bei Gerätefunden, jedesmal wieder vor Augen führen....
Und man sollte sich auch nicht scheuen diese Geräte auszuprobieren...an den verschiedensten Objekten und Materialien...dann kommt manchmal wirklich ein Erkenntnisschub.
Manche Kratzer funktionieren tatsächlich besser wenn man schiebt    - andere wieder besser wenn man zieht....und dies ist für die Art der eventuellen Schäftung wirklich von entscheidender Bedeutung. Andere Kratzer haben gleich neben der Kappe eine scharfe Schneide manche einen Stichelgegenpart...vielleicht war dies für den speziellen Arbeitsgang, für den dieses Gerät  angefertigt wurde, von  entscheidender Bedeutung.
Praktikabilität war sicherlich   von größter Bedeutung für Geräte die in  Tausenden von Jahren optimiert wurden......
Bis bald,

Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.