Rätselhafte Dechselschäftung

Begonnen von sven, 10. März 2010, 10:12:47

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sven

Hallo Experimentierfreunde,

könnt Ihr bei der Lösung dieses Rätsels helfen? Das Leipziger Stadtgeschichtlichen Museum zeigt gerade in einer Sonderausstellung organische Funde aus bandkeramischen Brunnen Sachsens. Neben den hölzernen Brunneneinbauten fand man Schnüre, Knochengeräte, einen Rindenbeutel (der sicherlich als Schöpfgefäß gedient hat), eine Rindentasche und eine Dechselschäftung, bei der der Griff aber entgegen der Erwartungen in einem stumpfen Winkel abgeht. Auch in einem bandkeramischen Brunnen von Erkelenz-Kückhofen soll man schon ein derartiges Artefakt gefunden haben. Wie kann man damit arbeiten? Ich habe auf dem Bild meiner Dechselnachbildung einmal skizziert, wie das zu verstehen ist.

Viele Grüße

Sven

sven

Hier noch eine skizzenhafte Zeichnung nach einem Foto dieses auch "Entenschnabel" genannten Objekts. Die Länge des Stiels schätze ich auf ca.60cm.

Markus

Zitat von: sven in 10. März 2010, 10:12:47
Erkelenz-Kückhofen

Kückhoven  :zwinker:

Zur Arbeitsweise mit dieser Dechsel, würde ich eine schlagend-ziehende Bewegung vorschlagen  :zwinker:

sven

Ich denke, daß der Winkel für eine schlagend-ziehende Anwendung zu stumpf ist. Für diese Arbeitsweise sollte doch der Winkel eher spitz bis max.90° sein. Ich würde mit diesem Gerät die Klinge abbrechen oder die ganze Schäftung zerstören. Das einzige, was ich mir vorstellen könnte, daß man es zum bearbeiten von Zapflöchern in Holzbalken verwenden könnte. So etwas hat man auch gemacht, wie die Balken der Brunneneinbauten zeigen.

Viele Grüße

Sven

Silex

Bei diesem Winkel kann ich mir  überhaupt keine Dechselwirkung vorstellen.
Schmalspurschneeräumer oder Eiskratzer vielleicht noch eher.
Ich denke dass das Ding sich massiv "verzogen" hat.
Solche Grenzfälle sind interessanter als jedes Normprunkstück.....
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

sven

Verzogen wäre eine schöne Erklärung, an der Holzstruktur kann man aber erkennen, daß das nicht der Fall ist. Ich kann nur jedem, der die Möglichkeit hat, empfehlen, sich das Original anzusehen. Auch die anderen ausgestellten Funde aus den 6 sächsischen bandkeramischen Brunnen sind sensationell und die Ausstellung ist sehr gut gemacht.
Die Sonderausstellung ist aber nur noch bis zum 11.04.2010 in Leipzig zu sehen.

Marienbad

Moin Sven,

ich hatte im letzten Sommer bei der Fachtagung in Albersdorf das Vergnügen den Ausgräber und seine Funde zu bestaunen.
Da sind wirklich einmalige Stücke aus dem Brunnen gebuddelt worden. Die Rindengefäße haben mich sichtlich beeindruckt.
Bei der Tagung wurde der ,,Entenschnabel" auch vorgestellt und begutachtet. Es kam zu keiner Klärung, nur Vermutungen.
11 Archäologen, H. Paulsen und meine Wenigkeit hatten das Ding beäugt, es gab eine riesige Menge an Hinweisen, aber zur
Klärung hatte nichts beigetragen.
Es gibt bisher nur 2 Stück von den Dingern, ich meine J.Weiner hatte auch einen gefunden. 

Meine Vermutung war der Einsatz bei ,,Überkopfarbeiten" in Bergwerken. Halte das Ding in der li. Hand und strecke es nach oben
an die Decke.In der re. Hand hast Du einen ,,Schlägel" und schlägst auf die hintere Entenschnabelseite.So könnten gezielte
Schläge an der Decke angebracht werden.

Viel Spass beim weiter Rätseln wünscht

                                                    Manfred

sven

Hallo Manfred,

Deine Erklärung klingt schon ganz gut, als, ich nenne es dann mal Meißelhalter, hätte man es auch zur Holzbearbeitung einsetzen können. Nur dann hätte man die Klinge sicherlich so geschäftet, daß man nicht auf das Holz der Schäftung, sondern direkt auf den Nacken der Steinklinge schlagen kann. Für diese Anwendung kann ich mir sehr gut die schmal-hohen Dechselklingen ("Schuhleistenkeile") vorstellen. An den Konstruktionshölzern der Brunnen hat man übrigens Bearbeitungsspuren in Form langer Bahnen gefunden, welche darauf schließen lassen, daß mit breit-flachen Dechselklingen eher gehobelt als geschlagen wurde. Der "Entenschnabel" dürfte für eine solche Klinge gedient haben, aber konnte man damit hobeln? Hat eventuell ein zweiter Handwerker von vorn gezogen und der andere mit dem Stiel im richtigen Winkel gedrückt? Oder auch alleine?  :kopfkratz:

Viele Grüße

Sven

Marienbad

Zitat von: sven in 15. März 2010, 20:08:24
Hallo Manfred,

Deine Erklärung klingt schon ganz gut, als, ich nenne es dann mal Meißelhalter, hätte man es auch zur Holzbearbeitung einsetzen können. Nur dann hätte man die Klinge sicherlich so geschäftet, daß man nicht auf das Holz der Schäftung, sondern direkt auf den Nacken der Steinklinge schlagen kann. Für diese Anwendung kann ich mir sehr gut die schmal-hohen Dechselklingen ("Schuhleistenkeile") vorstellen. An den Konstruktionshölzern der Brunnen hat man übrigens Bearbeitungsspuren in Form langer Bahnen gefunden, welche darauf schließen lassen, daß mit breit-flachen Dechselklingen eher gehobelt als geschlagen wurde. Der "Entenschnabel" dürfte für eine solche Klinge gedient haben, aber konnte man damit hobeln? Hat eventuell ein zweiter Handwerker von vorn gezogen und der andere mit dem Stiel im richtigen Winkel gedrückt? Oder auch alleine?  :kopfkratz:

Viele Grüße

Sven


Wenn direkt auf den Flint geschlagen würde zerbricht er 100%, hast Du es schon mal versucht?
Alle Flint Meissel waren in Geweih oder Holz geschäftet, dass hatte seinen Grund. :belehr:
Sicher kann mit dem Ding auch Holz in der von mir beschriebene Art bearbeitet werden.

HG   Manfred

sven

Ich gehe mal davon aus, daß die Bandkeramiker für ihre Dechseln keinen Flint genommen haben. Sie haben geschliffene Klingen aus Gesteinen wie Amphibolit verwendet. Und wenn man da mit einem ordentlichen Holzhammer draufschlägt hält die Klinge sicherlich eine Weile durch.

Viele Grüße

Sven

Marienbad

Die mir bekannten Dechsel aus Felsgestein waren alle Geschäftet, pur auf den Stein einschlagen gibt auch Bruch.
Geweih oder Holzschäftungen dämpfen den Schlag ab, Geweih noch besser wie Holz.

Marienbad

Hier mal ein Beispiel aus dem Mittelalter



sven

Hallo Manfred,

passend zum Thema habe ich nun eine noch 16cm lange Flachhacke gefunden. Ich bezeichne sie nicht als Dechselklinge, da ich vermute, daß sie nicht geschäftet war und in der Hand gehalten als Beitel verwendet wurde. Die Größe läßt das durchaus zu. Der Nackenbereich sieht nun auch so aus, wie Du es beschreibst, wenn man direkt auf den Stein schlägt: total zertrümmert. Die Bruchstelle im Schneidenbereich ist alt gebrochen. Warum man die Hacke danach nicht zu anderen Geräten umgearbeitet hat, ist fraglich. Aufgrund der großen Menge an Funden von Geräten aus diesem Gestein an dieser Stelle gehe ich davon aus, daß kein Mangel an Rohmaterial vorgelegen hat. Da der Amphibolit eingeführt werden mußte, kann man wohl auf einen regen Handel schließen.

Viele Grüße

Sven 

Marienbad

Moin Sven,

wenn das eine Flachhacke ist, dann war sie auch geschäftet.
Wie kommst Du darauf, dass das Teil als Dechsel genuzt wurde ?

Manfred  :winke:

sven

Hallo Manfred,

ich vermute, daß sie nicht als Dechsel benutzt wurde. Ich bezeichne sie als Flachhacke, weil ich denke, daß die Archäologen diese Form von Werkzeug so bezeichnen. So, wie sie den Oberbegriff Steinbeil für ungelochte geschliffene Klingen dieser Art verwenden und Steinaxt für die mit Loch. Diese Begriffe sagen aber wenig über die wirkliche Verwendung. Anhand der Beschädigungen an meinem Stück vermute ich, daß es nicht geschäftet war. Somit wäre es nicht als Hacke oder Dechsel mit Stiel verwendet worden. Ist aber nur meine Theorie.

Viele Grüße

Sven

sven

So, wieder zurück zum "Entenschnabel". Nun habe ich auch noch ein sicherlich altgebrochenes Dechselklingenbruchstück gefunden. Das sieht so aus, als hätte man die "Entenschnabeldechsel" so verwendet, wie die von mir gebaute. Ich kann mir gut vorstellen, daß dann die Klinge so abgebrochen wäre. Aber das hat doch sicherlich keiner gemacht, oder? Aber wie hat man nun damit gearbeitet?  :idee: ?

Viele Grüße

Sven

Lojoer

Meiner Meinung nach wäre eine solche Schäftung am ehesten für ein Werkzeug geeignet, dass zum Schälen größerer Rindenstücke benötigt wird.
Gruß Jörg

sven

 :super: Sehr schön, wieder ein guter Vorschlag zur Nutzung des "Entenschnabels". Die Rinde welches Baumes könnte man damit denn gut abschälen? Verwendet hat man ja oft die Rinde der Birke.  :winke:

Lojoer

An sich jede Rinde die sich für Abdeckungplatten z.B. für Behausungen o.ä. eignet.
hatte selbst mal das Problem größere Rindenplatten zu lösen und stellte fest, dass der Winkel von meinem Dechsel (aus Eisen  :zwinker:)  zu spitz dafür ist. deshalb meine Idee.
Gruß Jörg

Marienbad

Moin Sven,
mein Sohn hat sich bemüht eine Zeichnung über meinen Vorschlag der Überkopfarbeit herzustellen.
Die Nr. 2 zeigt die bekannte Schäftung und ist bei Überkopfarbeit an der Decke unbrauchbar, da
der Arbeitsablauf direkt über dem Kopf der arbeitenden Person abläuft.
Mit der Schäftung Nr. 1 ist die Arbeitsstelle weiter vom Körper entfernt und der Abraum fällt ins Freie.
Was sagst Du zu dieser Variante?  :zwinker:
Gruß Manfred  :winke:


sven

 :super: Sehr schöne Zeichnung. Vielen Dank und Grüße an Deinen Sohn.
Ich hoffe auf weitere Beteiligung. Auch wenn wir das Problem sicherlich nicht abschließend lösen können. Möglicherweise hat man diese Geräte ja auch für mehrere Anwendungen verwendet.

Viele Grüße

Sven  :winke:

Marienbad


rolfpeter

Servus,

interessante Diskussion!

Ich habe ehrlichgesagt auch nur vage Vermutungenr, wozu diese Entenschnäbel benutzt wurden.

Mein Wissensstand ist:
die Schäftungen, über die hier geredet wird, stammen soweit mir bekannt, alle aus frühneolithischer Zeit, LBK.
Zu der Zeit gab es in Mitteleuropa keinen Feuersteinbergbau unter Tage.
Zu der Zeit gab es in Mitteleuropa keine parallel geschäfteten Beile.
Es gab auch keine Beilklingen aus Feuerstein.
Alle Schuhleistenkeile und Flachhacken waren Teile von Holzbearbeitungswerkzeugen und als Dechsel geschäftet.
Es gibt (außer den 2 bis 3 Brunnenfunden) keine Funde von Dechselschäften aus dem mitteleuropäischen frühen Neolithikum.
Alle gestielten Dechselschäfte aus völkerkundlichem Zusammenhang, die ich bis heute gesehen habe, sehen anders aus.

Ich habe aber irgendwo einen Dechselschaft aus Neuguinea gesehen, der war am Ende T-förmig. Vielleicht ist das Ende, an dem die Klinge befestigt war, abgebrochen? Hat der Rengert Elburg das Holz eigentlich zusammen mit einer Dechselklinge gefunden? Gibt es da einen schlüssigen Zusammenhang?

Was haltet ihr von der Idee, daß es sich vielleicht um einen Schaft für einen Spaltkeil handeln könnte. Später, also zu Rössener Zeiten, gab es ja die durchbohrten Breitkeile, von denen man annimmt, es sind gestielte Spaltkeile, auf die mit 'nem "Holzhammer" feste draufgeklopft wurde, ohne daß dem 2. Mann eine Gefahrenzulage zustand. In der Bandkeramik wurde wenig Gestein gebohrt. Ich könnte mir aber vorstellen, an den Entenschnabel eine lange Dechselklinge zu binden, auf die dann, s.o. mit ordentlich Kawumm und gefahrlos gehämmert wurde.

Wer dicke Eichenbohlen herstellt, macht das nicht mit "Spielzeugdechselchen".

Die meisten Felsgestein-Dechselklingen, die ich kenne - und das sind 'ne Menge - haben am Nacken deutliche, manchmal glänzende Gebrauchsspuren. Das kann natürlich vom Widerlager einer gebundenen "konventionellen" Schäftung stammen, aber natürlich auch von der Breitkeil-Methode.

:winke:

RP

Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Marienbad

Zitat von: rolfpeter in 14. April 2010, 20:58:21
Servus,

interessante Diskussion!

Ich habe ehrlichgesagt auch nur vage Vermutungenr, wozu diese Entenschnäbel benutzt wurden.

Mein Wissensstand ist:
die Schäftungen, über die hier geredet wird, stammen soweit mir bekannt, alle aus frühneolithischer Zeit, LBK.
Zu der Zeit gab es in Mitteleuropa keinen Feuersteinbergbau unter Tage.
Zu der Zeit gab es in Mitteleuropa keine parallel geschäfteten Beile.
Es gab auch keine Beilklingen aus Feuerstein.
Alle Schuhleistenkeile und Flachhacken waren Teile von Holzbearbeitungswerkzeugen und als Dechsel geschäftet.
Es gibt (außer den 2 bis 3 Brunnenfunden) keine Funde von Dechselschäften aus dem mitteleuropäischen frühen Neolithikum.
Alle gestielten Dechselschäfte aus völkerkundlichem Zusammenhang, die ich bis heute gesehen habe, sehen anders aus.

Ich habe aber irgendwo einen Dechselschaft aus Neuguinea gesehen, der war am Ende T-förmig. Vielleicht ist das Ende, an dem die Klinge befestigt war, abgebrochen? Hat der Rengert Elburg das Holz eigentlich zusammen mit einer Dechselklinge gefunden? Gibt es da einen schlüssigen Zusammenhang?

Was haltet ihr von der Idee, daß es sich vielleicht um einen Schaft für einen Spaltkeil handeln könnte. Später, also zu Rössener Zeiten, gab es ja die durchbohrten Breitkeile, von denen man annimmt, es sind gestielte Spaltkeile, auf die mit 'nem "Holzhammer" feste draufgeklopft wurde, ohne daß dem 2. Mann eine Gefahrenzulage zustand. In der Bandkeramik wurde wenig Gestein gebohrt. Ich könnte mir aber vorstellen, an den Entenschnabel eine lange Dechselklinge zu binden, auf die dann, s.o. mit ordentlich Kawumm und gefahrlos gehämmert wurde.

Wer dicke Eichenbohlen herstellt, macht das nicht mit "Spielzeugdechselchen".

Die meisten Felsgestein-Dechselklingen, die ich kenne - und das sind 'ne Menge - haben am Nacken deutliche, manchmal glänzende Gebrauchsspuren. Das kann natürlich vom Widerlager einer gebundenen "konventionellen" Schäftung stammen, aber natürlich auch von der Breitkeil-Methode.

:winke:

RP






Hallo Rolfpeter,

ich meine es wurde nur die Schäftung im Brunnen gefunden, aber auch jede Menge andere
schöne Dinge.

Gruß  Manfred


sven

Hallo,

in einem anderen sächsischen Brunnen hat man (nach Dr. Stäuble-Gebietsreferent und Großprojekteleiter in Sachsen, Spezialist in Bandkeramik) eine Dechselklinge mit Holzresten einer solchen "Entenschnabelschäftung" gefunden. Das wäre die dritte ihrer Art und der Zeit. Sie ist nur nicht wirklich erhalten.  :heul:
"Unsere" Schäftung hat ein deutliches Widerlager für den Nacken einer Dechselklinge, somit ist wohl nicht direkt auf die Klinge geschlagen worden. Ob das auf auf die dritte Schäftung auch zutrifft, frage ich bei Gelegenheit.
Meine bescheidene Erfahrung sagt, daß bei kleinen Klingen der Nacken eher ganz und bei den größeren Exemplaren oft zertrümmert ist. Man könnte daraus schließen, daß die großen Klingen enweder gar nicht geschäftet waren (sie "liegen ja auch gut in der Hand"  :narr: ) oder so geschäftet, daß man direkt auf ihren Nacken schlagen konnte, während die kleinen mit "Nackenanschlag" geschäftet waren.
Woher weiß man eigentlich, daß es im frühen Neolitikum keine parallelgeschäfteten Beile gab? Symetrische Klingen findet man doch?

Viel Grüße

Sven

sven

Laut Dr.Stäuble hat die dritte "Entenschnabelschäftung" auch einen Anschlag für die Dechselklinge, welche in diesem Fall auch noch am Fundstück war. Er meint übrigens auch, daß auf die großen Stücke direkt auf den Nacken geschlagen wurde. Wenn diese geschäftet waren, dann mittig mit freiliegendem Nacken (ohne Anschlag). Dafür gibt es wohl auch Belege, bei denen man noch Spuren dieser Schäftung findet.

Viele Grüße

Sven


sven