Muschelanhänger?

Begonnen von schnulch, 20. Juni 2005, 19:55:28

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schnulch

Mein letzter Wiesenfund auf einer Anhöhe.
Sieht aus wie eine Muschel, aber Muschel bei uns im Allgäu find ich schon seltsam, zumal das Ding recht alt aussieht und gut tief gelegen hat.
Was ist das und wie alt könnte das sein.
Danke für eure Antworten.
Grüße

Merowech

Hallo schnulch,
oha  :staun: hier handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit
um einen Anhänger der Jakobspilger.
Die unteren, stärker gewölbten Klappen der Muscheln dienten seit dem Mittelalter den Jakobspilgern, die das Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela besuchten, als Erkennungszeichen. Sie wurden dort verkauft und von den Pilgern an der Kleidung, meist am Hut, befestigt. Der Verkauf der Abzeichen war eine wichtige Einnahmequelle des Wallfahrtsorts. Einige Pilger sind auch den weiten Weg nach Kap Finisterre - ans "Ende der Welt" - gegangen und haben dort selbst Muscheln gesammelt.
Noch heute ist die Jakobsmuschel das Erkennungszeichen der Pilger, das sichtbar am Rucksack getragen wird.
In europäischen Gräbern aus dem 11. bis 14. Jahrhundert sind wiederholt Jakobsmuscheln gefunden worden.

Benedikt XVI. wählte für sein Papstwappen unter anderem die Jakobsmuschel, die auch schon in seinem Wappen als Erzbischof von München und Freising enthalten war. Im Bildteil seiner Autobiographie werden hierfür drei Deutungen angeboten:

    * 1. Der Bezug zu Augustinus, in dessen Vita die Muschel als Zeichen der Unerschöpflichkeit Gottes eine Bedeutung hat. Über Augustinus
           hatte Benedikt XVI. in den fünfziger Jahren promoviert 
    * 2. als Hinweis darauf, dass das Christenleben ein Pilgerleben unterwegs zu Gott ist
    * 3. als Ausdruck seiner Verbundenheit zu Regensburg und der dortigen Schottenkirche St. Jakob.

Mit der Aufnahme der Jakobsmuschel in das Papstwappen kommt nun noch ein viertes Motiv hinzu, nämlich die Hervorhebung einer Kontinuität mit Johannes Paul II., der sich selber in seinem Amt als Pilger verstanden hat.
Grüße    MICHA   Und nutze den Tag - na ja ? - die Nacht auch !  :zwinker:

schnulch

Danke für die ausführliche Bestimmung,ist mittlerweile mein dritter Pilgeranhänger, gefunden im Umkreis von wenigen Kilometern.
Es häuft sich in unserer christlichen Region......

tholos

Hi Merowech,

fairerweise sollte man die Quellenangabe nicht vergessen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Jakobsmuschel

Gruß

tholos :super:

Merowech

Zitat von: tholos in 20. Juni 2005, 21:45:25
Hi Merowech,

fairerweise sollte man die Quellenangabe nicht vergessen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Jakobsmuschel

Gruß

tholos :super:


Ups ! :engel: vergessen.
Grüße    MICHA   Und nutze den Tag - na ja ? - die Nacht auch !  :zwinker:

Gratian

Hier ein link mit sehr ausführlicher Beschreibung des Pilgerwesens im Mittelalter und insbesondere der Jakobspilgerschaft:

http://www.jakobus-info.de/jakobuspilger/gast3.htm

Ich zitiere daraus:

Zitat
Die Jakobmuschel

Pilgerabzeichen traten erst ab der 2.Hälfte des 12.Jh. und somit in der 1.Blütezeit der Jakobuswallfahrt auf. Bis zum 14.Jh. waren es plakettenartige Flachgüsse. Dann kamen jedoch oft farbig hinterlegte Gittergüsse auf, die auch meist durchbrochen waren. Sie bestanden meist aus leichtfließendem Metall, meist Legierungen aus Zinn und Blei.

Den Ursprung dieser Jakobsmuschel findet sich, wie so vieles im Zusammenhang des hl. Jakobus, in einer Legende. Ihr zufolge nach stand ein protugiesischer Ritter auf Pferd in der Nähe der von Padron, der Anlegestelle des Schiffes, das den hl. Jakobus nach Spanien brachte. Als das Pferd den wundersamen, hellen Schein sah, der von einem Stern herab auf den Apostel fiel, war es von dem Anblick so verstört, dass es in das Wasser sprang und den Ritter mit sich in die Tiefe riss. Die Jünger des hl. Jakobus retteten den Ritter. Als sie ihn an Bord zogen, sahen sie voller Staunen, dass sein Körper voll mit Jakobsmuscheln bedeckt war.

Die Jakobsmuschel wurde nicht bei Padron oder Finesterra aus dem Meer geholt. Sie wurden in Santiago bei eigenen Devotionalienhändlern gekauft. Sie bestand aus Gagat (Pechkohle) oder Metall. Anhand dieser Jakobusmuschel kann heute nachgewiesen werden, wie weit sich die Santiagowallfahrt in Europa verbreitet hat. So wurde sie auch in Schleswig uns Skandinavien gefunden.

Die Bedeutung der Muschel als Pilgerzeichen

Das Zeichen der Santiago-Pilger war die Jakobsmuschel. Sie war aber nicht nur allein Pilgerabzeichen. Sie allein hatte schon magische Wirkung. Es heilte Kranke und brachte all denen Glück, die eine "beglaubigte" Jakobusmuschel entweder in Santiago oder bei einem dem hl. Jakobus gewidmeten Heiligenstätten am Jakobsweg gekauft hatten. Dass solche Pilgerabzeichen auf die Umhänge, Hüte oder Geldkatzen genäht wurden, dies dürfte auf einen heidnischen Brauch der Antike zurückgehen.

Die Jakobusmuscheln haben für den Santiago-Pilger zahlreiche und auch große Bedeutungen. Neben den vielen zählt Hansjörg Sing einige auf:

- Erinnerung an diese Wallfahrt (oder Reise)
- Der nach Hause mitgebrachte Gegenstand dient der Verehrung
- Für einige Pilger ist es wohl auch der greifbare, körperliche Kontakt mit dem Heiligtum. Alte Legenden erzählen wohl auch daher von unglaublichen Wundern und Heilungen durch solche Pilgerzeichen.

Das die Jakobspilger eine Muschel als natürliches Schöpf- und Trinkgefäß mit sich führten, wurde es rasch deren Attribut. Sie steht für die Armut der Pilger und deren Absage an die Dinge dieser Welt. Auch wurde die Muschel als Schale zum Essen benutzt. Da die Muschelschalen sehr hart wie auch beständig sind, wurde mit ihren scharfen Kanten auch geschnitten. Somit war die Kammmuschel das "Schweizermesser" der Jakobspilger.

Die Muschel gewann ab dem ausgehenden Mittelalter als Pilgerzeichen eine so große Bedeutung, dass viele Menschen, die eine große Wallfahrt unternommen hatten, die Muschel als Attribut dafür erhielten, auch wenn sie nie nach Santiago gepilgert waren, sondern nach Rom oder in das Heilige Land. So zeigen sehr viele Darstellungen den hl. Rochus mit Pilgermuschel, obwohl er nie nach Santiago gepilgert war. Er pilgerte nach Rom. Es war aber die Muschel so sehr zum Inbegriff der Wallfahrt geworden - und ist es heute noch zum Teil -, dass er die Muschel als Zeichen seiner Romwallfahrt zugeteilt bekam. Richtigerweise hätten ihm dafür die gekreuzten Schlüssel Petri als Attribut zugewiesen werden müssen, aber die Modeerscheinung war einfach stärker.

Als Zeichen, dass der Pilger auch tatsächlich in Santiago war, brachten die Jakobspilger die vor dem Nordportal der Kirche erworbenen Jakobsmuschel mit. Sie wurde am Hut oder Brotbeutel befestigt. Sie gab ihnen Schutz, da es als Todsünde galt, einen Pilger mit Muschel zu erschlagen.

Santiago lebte schon seit dem Mittelalter ganz auf die Wallfahrt ausgerichtet. Der Verkauf von Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenständen, der Handel mit Devotionalien wie der Pilgermuschel bescherte der Stadt Santiago seit dem 12.Jh. beträchtliche Einnahmen. Dies hielt während ihres ganzen Höhepunktes vom 12. bis zum 14.Jh. an.

Die Muschel, das Abzeichen eines Santiago-Pilgers, verlor nicht nur an Wert und Ansehen. Die Gesetzesbrecher wurden in Frankreich "coqiullard", coquille bedeutet Muschel, genannt.

Wie sehr Muscheln an der Kleidung noch bis in das 20.Jh. hinein als Pilgerzeichen angesehen wurde, das zeigt das Zitat aus "Meyers großes Konversationslexikon". Dort heißt es, "der Pilgerhut hatte einen sehr breiten Rand und war gewöhnlich mit Muscheln geziert."

Funde der Jakobusmuschel

Anhand der Funde dieser Jakobusmuschel kann heute die Bedeutung und die Verbreitung dieser Santiagowallfahrt rekonstruiert werden. Besonders für den skandinavischen Raum brachte sie unerwartetes zu tage. "Die Muscheln aus Santiago de Compostela bilden im skandinavischen Pilgerzeichenmaterial die größte Gruppe und belegen so die Bedeutung der Jakobspilgerfahrt im Rahmen der skandinavischen Auslandspilgerfahrten. Als erstaunlich kann dann jedoch der Umstand bezeichnet werden, daß die skandinavischen Funde von mittelalterlichen Pilgermuscheln auch im gesamteuropäischen Vergleich die größte bisher bekannte Gruppe bilden. ... Zu den Bodenfunden von Santiagomuscheln sind noch die Abdrücke auf skandinavischen Kirchenglocken hinzuzurechnen; unter den Abdrücken nicht-skandinavischer Pilgerzeichen bilden die Santiagomuschel die größte Gruppe."

In einer Arbeit stellte K. Köster die Funde archäologischer Funde von über 180 Jakobsmuscheln zusammen, die den verstorbenen Santiagopilgern mit in das Grab gelegt worden sind. Etwa ein Viertel davon entfallen alleine auf Deutschland.

Und das zeitgenössische Bild von Pilgern das eine schöne Vorstellung gibt wie und wo die Zeichen getragen wurden:
Gut Fund!   :engel:
Gratian

ANTE ROMAM TREVERIS STETIT ANNIS MILLE TRECENTIS
PERSTET ET AETERNA PACE FRUATUR. AMEN.

stratocaster

Hallo
dieses Teil hier wurde bei HD damals als Teil (Griffstück) eines
"Kerzenlöschers" bestimmt.
Eine gewisse Ähnlichkeit besteht
Gruß
Das Sucherforum dankt all denen,
die zum Thema nichts beitragen konnten
und dennoch geschwiegen haben !

Gratian

Ja stimmt Ähnlichkeit vorhanden...aber ich würde sagen Dein Fundstück steht dem Kerzenleuchter näher.

Die Typische Jakobsmuschelform besteht ja in nach außen gewölbten  Rändern...die bei Dir sind eher nach innen eingezogen.
Gut Fund!   :engel:
Gratian

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