Kern- oder Scheibenbeil?

Begonnen von Danske, 02. Oktober 2018, 22:01:45

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Danske

Hallo zusammen,

das folgende Beil wurde von mir in der Region Odsherred in Nordwest-Sjælland aufgelesen.

Die Maße sind: Länge 65 mm, Breite Schneide: 35 mm, Breite Nacken: 26 mm, Größte Dicke: 25 mm, Gewicht: 44 gr.

Beim Material handelt es sich um dunklen Flint, mit weißer und brauner Feuchtbodenpatina.

Ich war mir zunächst eigentlich ziemlich sicher, dass es ein Kernbeil ist, weil ich keine Ventralfläche erkennen kann. Nach Stefan Wenzel "weisen Scheibenbeile den Rest der Ventralfläche eines Abschlags oder der Spaltfläche eines flachen Trümmerstücks auf. Bei Kerbeilen ist kein Rest einer Ventralfläche mehr vorhanden, auch wenn diese aus einem Abschlag gewonnen wurden". Er schreibt aber auch, dass die Unterscheidung zwischen Kern- und Scheibenbeilen nicht immer einfach ist.

Dann bin ich auf eine Dissertation von F.Feulner "Die spätmesolithischen und frühneolithischen Fundplätze im Satrupholmer Moor" gestoßen. Darin ist auf Tafel 280 Nr. 3 ein Scheibenbeil bezeichnet, welches meinem Stück in Form und Größe sehr ähnlich ist. Hier der Link: https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dissertation_derivate_00004339/FeulnerSatrupDISS.pdf

Was meint ihr, Kern- oder Scheibenbeil?

LG
Holger
Das Leben ist die Summe all unserer Entscheidungen

Steinkopf

Moin Holger,

die Zuordnung ist nicht immer so klar möglich.
Scheibenbeile können so intensiv bearbeitet sein, das von der ursprünglich
erkennbaren Scheibe nichts mehr erkennbar ist. Dann kommen sie als Kernbeil daher.

Dein Fundstück kommt von der Erscheinung zunächst als Scheibenbeil daher:
beidseits ein Grat von dem in beiden Richtungen abgeschlagen wurde.

Schönheitsfehler: Der dorsale Buckel des Scheibenbeiles ist in diesem Fall eine
Fläche mit Graten.

Ich würde dieses Teil als untypisches Scheibenbeil sehen.

LG

Jan

Steinsucher

Hallo Holger, hallo Forum,

ich denke mal, was Jan da schreibt ist so nachvollziehbar.

Ich habe sowieso meine Probleme, Kern- und Scheibenbeile zu unterscheiden. Es gibt ja keine Kriterien, die ganz klar sind. Wenn das "Rohmaterial" große Knollen bietet, kann man daraus so große "Portionen" in Scheiben produzieren, dass man sie von beiden Seiten bearbeiten kann. Das traue ich diesen Vorfahren zu. Danach kann man wohl nicht mehr sehen, ob das mal ein Kern oder eine Scheibe war. Seiten-Asymetrie und Seiten-Symetrie sind ja auch kein Faktor. Ich glaube, die meisten dieser Typen sind nicht aus einem Kern gearbeitet, also aus einer Knolle oder einem Plattenstück (gibts Plattensilex im Norden eigentlich?). Allerdings ist es auch nicht wichtig, was ich glaube.

Wie wichtig ist eigentlich diese Unterscheidung? Kann man da Kulturen dran ausmachen?

Gruß gen Norden, Fritz.

Steinkopf

Hallo Fritz,

Kernbeile werden in der Regel aus passenden 'Knollen' gearbeitet.
Was nicht dazugehört wird abgeschlagen - so bleibt als Kern das Kernbeil.
Das aus einem (Klingen-)kern ein Kernbeil gemacht wird kommt nur in seltenen Fällen vor.
Aus ausgedienten Kernbeilen (Schneide zerstört z. B.) können durchaus noch Klingen oder
Abschläge gewonnenen werden.

Der Flint kommt manchmal als flache Flade vor. Etwas wie Plattensilex kenne ich in Norddeutschland nicht.

LG

Jan

Steinkopf

Hallo Holger,

Bei dem Satrupholmer Referenz Stück kann ich nicht erkennen, ob es symmetrisch aufgewölbt ist.

Dein Fundstück entspricht mit einer gewölbten Seite und der flachgearbeiteten Seite
den Typ des flach gearbeitenen Scheibenbeiles.

LG

Jan

StoneMan

Moin,

da kann ich mich gerne den beiden anschließen.

Peter Vang Petersen erwähnt bei den Scheibenbeilen (De ældeste økser) die "scharfen Seitenkanten" als Merkmal.
Eine klare zeitliche Trennung Scheibenbeile / Kernbeile ist wohl nicht ohne weiteres möglich.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

RockandRole

Hallo Leute,

da ich selbst keine Ahnung von der Materie habe, bleibt mir nur zu dem Stück zu gratulieren  :-) Ich kann euren Ausführungen aber durchaus folgen und dazu lernen.

Lieb Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Danske

Hallo Leute,

vielen Dank für eure Einschätzungen, die mir sehr weitergeholfen haben. Gerne schließe ich mich der Ansprache eines Scheibenbeils an.

@Jan: Du schreibst: "Der dorsale Buckel des Scheibenbeils ist in diesem Fall eine Fläche mit Graten".
Die Grate befinden sich aber doch bei meinem Stück auf der Ventralseite=Unterseite des Beils (Bild 1). Die Dorsalseite=Oberseite ist die retuschierte Seite (Bild 3). Oder bin ich jetzt ganz neben der Spur? Und gerade diese mit Graten durchsetzte Ventralfläche, die bei den Scheibenbeilen üblicherweise eine glatte gewölbte Fläche ist, haben mich ursprünglich zu einem Kernbeil tendieren lassen.

@Fritz: Eine Unterscheidung, ob Kern- oder Scheibenbeil, ist für mich schon wichtig. Grundsätzlich kann man keine Kulturen daran festmachen. Kern- und Scheibenbeile wurden von der Maglemosezeit bis ins Neolithikum hergestellt, als Oberflächenfunde sind sie nur schwer einem bestimmten Zeitabschnitt zuzuordnen. Jedoch bestätigen einige Fundplätze mit einer stratigraphischen Abfolge von Fundschichten den Trend der Zunahme des Anteils von Scheibenbeilen innerhalb des nordeuropäischen Mesolithikums (Schuldt 1961, 93; Gramsch & Kloss 1989, 318), er beruht auf der Auswertung so zahlreicher Inventare, dass er als grobe Tendenz festzuhalten ist. (aus Stefan Wenzel. Kern- und Scheibenbeile). So wurden im neolithischen Siggenebben nur noch 5 Kernbeile, aber 44 Scheibenbeile, gefunden.

@Jürgen: Danke für den Hinweis aus PVP zu den scharfen Seitenkanten als Erkennungsmerkmal bei Scheibenbeilen. Hatte ich bisher überlesen.

Wie meine bisherigen dänischen Funde werde ich auch diesen an das Kulturværdiudvalget in Kopenhagen, Cc Peter Vang Petersen, melden. Mal schauen, was letzterer dazu sagt.

LG
Holger
Das Leben ist die Summe all unserer Entscheidungen