WARUM?

Begonnen von Silex, 16. September 2005, 22:40:39

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Silex

Da liegt so ne verdremmelte Klinge rum- nikks gscheids- denkt man - und dann kommt da diese  kurze, perfekte Retuschierungsbahn zum Vorschein -direkt an der nadelscharfen Spitze. Gegenüber der Retusche liegt aber keine Schneide- nur ein kleines, nicht mal angesplittertes Mini"Schnittflächlein" das aber mit Sicherheit nie angesetzt wurde. Diente diese Retuschierung als "Fingerrast" um an dieser Stelle Druck -ohne schneidende Verletzungsgefahr- in irgendeine Richtung auszuüben- oder handelt es sich hierbei um eine "Spitzenzurichtung"?
Zum Fingernagelreinigen ist es das beste Gerät das jemals in meiner Hand war
Kann Jemand helfen?
(Das LfD das auch die Zeichnung anfertigte datierte das Teil ins Endpaläolithikum)

es
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Rambo

Servus Silex !
Warum sollte eine retuschierte "Schneide" als Fingerrast dienen? Ist doch eher so, das genau dieses Stelle am besten schneidet und vor allem die meiste Arbeit benötigt. Vielleicht wurde diese Klinge zu einem ,,Spezialwerkzeug" umgebaut zu einem Bohrer etwas.
Auf jeden Fall ein interessantes Stück.
Gruß Rambo
Willst du der Väter Taten kennen
folge ihrem Erdensein,
lern das Gute zu erkennen
und das Schlechte still verzeihn

Khamsin

Abaraka Abake!

Drei Dinge:
- Könntet Ihr Euch vielleicht und möglichst zwanglos der Feststellung anschliessen, dass sowas wie "...liegt gut in der Hand"; "...und der Daumen passt genau in die Aussparung" etc., etc. und deshalb auch die notion "Fingerrast" (Silex, ich weiss, Du hast gefragt und nicht behauptet!) bei den seriösen Stein-Archäologen schon lange, lange der Vergangenheit angehört. Ist ja auch naheliegend, denn da bewegt man sich auf dem Feld der Spekulation im Zusammenhang mit der Paläo-Handhabung, und das ist ein problematisches Gebiet! Ja, es gibt natürlich soetwas wie "Handhabungsretuschierung", und es war - mal wieder - J. Weiner, der in den mittleren 80er Jahren darüber was geschrieben hat (im Englischen "accomodation retouch"), aber das ist sehr, sehr selten glaubhaft zu machen. Wohlgemerkt: Ich habe nichts gegen Phantasie und Interpretation, aber immer mit der gebotenen Zurückhaltung.

- Oberflächenfund? Wenn ja, dann ist niemals die Möglichkeit auszuschliessen, dass durch landwirtschaftliche Arbeiten vor allem die dünnen Kanten von Steinartefakten modifiziert werden. Ich empfehle in diesem Zusammenhang immer eine nach wie vor faszinierende Arbeit, und die wurde im Jahre 1910 oder 11 veröffentlicht: Hazzledine Warren In: Journal of the Royal Anthropological Society of Great Britain and Ireland (JRAI).
Der Knabe hat einfach mal einige Flintknollen in die von den eisenbeschlagenen Leiterwagen und Kutschen tief ausgefahrenen Spuren (ruts) eines Feldweges in Südengland gepackt und dann gewartet. In regelmässigen Intervallen kam er zurück, und was er fand, verschlägt einem den Atem, "Artefakte" zu Hauf!

- Last but not least nochmals LfD, d.h. die Bestimmung "Endpaläolithikum". Gut, wenn ich das Stück in eindeutiger stratigraphischer Position in ´ner endpaläolithischen Kulturschicht finde, ok, obwohl merkwürdig! Vielleicht sogar noch auf ´nem Oberflächenfundplatz mit exklusiv endpaläolithischem Inventar (obwohl ich da schon allerhöchste Bedenken hätte). Aber so, wie das Stück daherkommt, völlig unpatiniert!?
Oh ja, mir ist nur zu gut bekannt, dass man - so oder so - nicht mit der Patina argumentieren soll. Obwohl es eindeutige Fälle gibt, wo das seit Jahren regelhaft gemacht wird und bestens funktioniert! Dann frag ich also mal andersherum: Wie sehen denn bei Euch zweifelsfreie endpaläolithische Hornsteinartefakte aus? Sind die derart unpatiniert und hintrlassen einen solch "frischen" Eindruck, wie dieser Fund?
Ich hänge mich mal ganz weit aus dem Fenster und setze die Klinge ins Neolithikum. 
Beste Grüsse
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Rambo

Khamsin, ich habe wie vielleicht bekannt einmal einen Teil einer archäologischen Sammlung auf einer Schutthalde gefunden, welche hier entsorgt wurde. (Die Sammlung war Jahrzehntelang verschollen, bis ich sie eben auf dieser Schutthalde durch Zufall entdeckte. wie sich herausstellte haben die Erben den Großteil dieser Sammlung hier entsorgt, da sie nichts damit anzufangen wußten) Natürlich habe ich den Fund gemeldet und ein Teil aus dieser Sammlung wurde auch publiziert, zumindest soweit als die Fundumstände eindeutig geklärt waren.
Neben wunderbaren Keramikstücken aus allen Kulturepochen und natürlich auch Steinwerkzeugen, Bronzen, Knochen  usw. fand ich eine Unmenge von "Faustkeilen" Diese Faustkeile waren jedoch aus gemeinen Opal, und wenn so ein Stück auch nur annähernd "gut in der Hand lag" wurde es als Faustkeil bezeichnet, was natürlich auch Blödsinn war und ist. Opale brechen bekanntlich auch muschelig und so wurden aus normalen Steinen, Faustkeile.
Zuerst war ich sehr enttäuscht, doch dann habe ich diese ganzen Opale in die Mur (Fluss durch die Steuermark) geworfen, in der Hoffnung, das sie nie mehr auftauchen.
Willst du der Väter Taten kennen
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Khamsin

Muy estimado collega!
Klasse Geschichte, danke dafür! Mit ist ´ne vergleichbare aus dem Hamburg der Nachkriegszeit bekannt. Hab ich mal - wahrscheinlich bei Heimdall - geschildert. Waren aber alles seriöse Artefakte, und alle beschriftet. Die Wwe. eines Hamburger Professors hatte offensichtlich ein Lebenlang unter der Sammelwut ihres Gatten gelitten, der seine Sammlung in seinem Studierzimmer aufbewahrte, die vom Hausmädchen nicht entstaubt werden durfte. Kaum hatte Männe die Platte geputzt, orderte Madame die Entsorgung im Hausmüll an. Müllmännern fielen die Teile auf der Müllkippe auf, und sie brachten sie nach Harburg ins Museum. Dort war die Sammlung bekannt und konnte so zugeordnet werden.
By the way, waren das noch Zeiten, als sich meine Familie noch Personal leisten konnte!...
Herzliche Grüsse 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Silex

Danke Rambo und Khamsin für die kurzweilig-spannenden Antworten.
Von diser Fundstelle stammt übrigens auch der "Werkzeugkasten..." unten im Forum- naja, wie Khamsin andeutete könnte die "Rückenspitze" älter datieren (Spätpaläolithikum--- Du siehst ich habe gelernt?) und den feinen Doppelkratzer hast Du mir als tumben Flintenstein entlarvt.. aber sonst gibts von da noch mehrere Rückenmesser- Knickspitze (oder wie man das nennt- die bring ich bald)- bisher ca 50 Kratzer, dann "Klopfsteine" (Retuscheure) und Stichel.
(ich werde die Teile von dieser Fundstelle dann immer kenntlich machen). Das Inventar ähnelt einer in der näheren Umgebung liegenden  Fundstelle
(Uckersdorf) die Werner Schönweiß in die Nähe der "Atzenhofener Gruppe" rückte. Die gute Erhaltung der Fundstücke könnte  daher rühren dass unter der dünnen Humusschicht eine reine Sand-Holzkohleschicht schlummert die erst seit wenigen Jahren unterm Pflug leidet.
Endpaläolthisch eingeordnete Stücke von alten Siedlungsböden oder gar von Juraäckern sehen grundsätzlich patiniert und "abgenudelt" aus obwohl sie nur 1000 m weiter westlich aufgesammelt wurden.
Könnte denn die Retuschierung von einem vorherigen Arbeitsgang stammen und diese Klinge wurde erst später vom ursprünglich retuschierten Objekt abgeschlagen?
Ja diese Retuschierungen..Handhabe? Schäftungshilfe? Formwille? Schaber-Kratzerkante(Hier scheint es wenigstens klar zu sein warum man sich diesem Umformungsprozess so ausgiebig widmete- und bei der Spitzenzurichtung? Aber deswegen  sind wir ja hier um ein wenig mehr von diesem spröden Stoff zu verstehen . .. Und ich möchte wissen was das ALLES bedeutet

Danke
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.