Entschärftes Beil

Begonnen von rolfpeter, 02. Oktober 2008, 21:45:21

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rolfpeter

Servus Freunde,

hier ist eine Beilklinge aus quarzitischem Felsgestein. Sie vollständig überschliffen, an den Seiten und am Nacken schimmern noch die Pickspuren durch. Eine Längsseite ist facettiert, die andere ist rund. Diese Merkmal habe ich schon an verschiedenen Beilklingen bemerkt. Steckt da evtl. eine Absicht bezüglich der Schäftung hinter?
Der Gag an dem Artefakt ist allerdings die Schneide. Sie ist mit einem Facettenschliff unscharf gemacht. An der Mitte der Schneidenpartie hat die Facette eine Breite von 3 mm. Von Prunkbeilen und -äxten kennt man sowas ja. Dort ist die Schneide aber schön verrundet und wie die gesamte Klinge poliert.
Meine Frau meinte dazu: "...die hatten sicher Kinder im Haus...".

Für Herrn Garms wurde von unseren Vorfahren zudem noch mit brauner Okerfarbe eine Szene eines neolithischen Befruchtungstanzes auf die Dorsalseite gezeichnet.  :narr:









HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Danke!!! RP! Du warst der Erste ,und Deine Frau, der, die mich heute zum Lachen gebracht haben.
Allerfeinstes Prunk/Schlaggerät. Der H.J. Weiner hat bei "uns" mal ein Beil mit Schäftungsspuren diskutiert....die waren ganz leicht nur noch zu erkennen.
Bei Deinem Exzellenzfund tippe ich auf nachträgliche Beschädigung....
Morgen kann ich wieder los um mich und meine Heimat zu befruchten

bis bald

Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

rolfpeter

Zitat von: Silex in 02. Oktober 2008, 22:14:17

...tippe ich auf nachträgliche Beschädigung....


Nein Edi, das ist keine nachträgliche Beschädigung. Der Schliff wurde intentionell angebracht.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Salve!

Edi, Du meinst gewiss den Artikel in "Beiträge zur Archäologie in der Oberpfalz 2, 1998, 147-158", oder?
Habe gerade den Band aus dem Regal gezogen. Immer wieder eine Freude zu lesen, was man aus einem "Stein rauslesen" kann, vorausgesetzt, man kitzelt ihn nur lange genug! Ganz meine Wellenlänge!
Im übrigen - und bitte Edi, sieh mir diese Bemerkung nach - war das eine Zeit, in der die Bayerische Bodendenkmalpflege, trotz der damaligen Leitung und der sich bereits abzeichnenden politischen Entwicklung, noch vergleichsweise gut aufgestellt war!

Und nun zu RPs bemerkenswertem Fund, dessen Entdeckung letztlich auch nur eine Frage der Zeit war. Warum? Nun, RP hat hier ja schon eine ganze Palette an Steingerätformen vorgestellt, aber eine Beilklinge aus Felsgestein mit diesem speziellen Merkmal war m.W. noch nicht darunter. Obwohl derartige Beilklingen - wenn auch selten - zum festen Bestandteil der urgeschichtlichen Steingeräteformen, u.a. im Rheinland, zählen.

Die Schneide ist fraglos intentionell gestumpft, wobei Exemplare bekannt sind, bei denen die Stumpfungsfacette auch eine Breite von rd. 1 cm erreichen kann. Dank beider Detailfotos erkennt man gut, dass dieses Merkmal nicht eine klassische Zerrüttungszone à la Klopfer ist, sondern durch Schliff angelegt wurde. Die Facette steht dabei immer annähernd im rechten Winkel zum ehemaligen Schneidensaum, bricht aber dessen Wölbung unterschiedlich stark und kann im Extremfall die Wölbung nahezu vollständig kappen. In Letzterem Fall ist sie in der Aufsicht dann deutlich "spitz"oval (denn die beiden Enden können auch durch die beginnenden Seitenfacetten gekappt sein) und im Zentrum entsprechend breit.

Bietet die Hypothese von RPs Frau auch eine charmante Erklärungsmöglichkeit, so wird dieses Merkmal von den Archäologen doch ein wenig anders gedeutet. Denn es wird angenommen, dass solche Beilklingen als Treibhämmer bei der Verarbeitung von Kupfer und/oder Gold eingesetzt worden sind.

Interessanterweise wurde die Beschädigung der Schneide durch Einwirkung kinetischer Energie aus Richtung einer Breitseite (durch den Pflug?) hervorgerufen, war also nicht Folge des Hämmerns. Dies bedeutet zwangsläufig , dass die Beilklinge zum Zeitpunkt der Anlage der Hammerbahn vollständig und funktionsfähig gewesen sein muss! Was wiederum die Frage nahe legt, wieso jemand eine mit nicht geringem Aufwand hergestellte Beilklinge wissentlich "entfunktionalisierte".

Diese Frage enthält freilich unausgesprochen die Annahme, dass dieser Vorgang zu einer Zeit geschah, als man mit solchen Beilklingen noch Holz bearbeitet hat, also bei diesem Stück im Jung- bis Endneolithikum (Kupfer ist seit dem 5. Jahrtausend, d.h. seit der MK nachgewiesen). Denn dann wäre in der Tat eine intentionelle Verstumpfung des schönen Stückes sinnlos. Es sei denn, der Mensch hatte mehrere solcher Klingen zur Verfügung. Aber selbst unter dieser Annahme erscheint dies doch noch immer merkwürdig...

Ganz anders sieht es aus, wenn man sich folgendes Szenario vorstellt: Die Beilklinge wurde - vermutlich bei der Feldarbeit - in der entwickelten BZ entdeckt, als die Verarbeitung von Bronze und Gold geläufig war.  Ihr Material, ein dichtes und feines, vor allem aber zähes Felsgestein wurde als sehr geeignet und das Gerät nach der vollständigen Form als hochwillkommenes, da nur noch an der Schneide zu überschleifendes potentielles Werkzeug, erkannt.

Analog dazu ist mir z.B. eine kleine vollständige MK-Beilklinge aus scharzem Tonschiefer aus einem fränkischen Männergrab im Rheinland bekannt, die ausweislich der darauf bestens erkennbaren Goldspuren rd. 5000 Jahre nach ihrer Herstellung als sog. Probierstein zum Testen der Goldqualität benutzt worden ist.

Herzliche Grüsse, RP, Gratulation zu dem schönen Fund und Dank fürs Einstellen KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

clemens

Nur zögerlich schreibe ich in diesem Beitrag, wer traut sich denn schon nach Euch was Anderes zu meinen - aber ich spreche es zumindest an:

Meine Überlegung war: Wann mache ich eine Klinge stumpf?
a) Kinderspielzeug (auch ich habe herzlichst geschmunzelt!)
b) neue Schneid´erstellen- und zwar so: wenn ich selbst ein ausgefranstes (Eisen!) Bodenfundbeil in die aktive Holzarbeit hinübernehmen will dann stumpfe ich einmal die Klinge bis ich wieder einen schönen Schneidenlinienverlauf habe und schleife mich schärfend dann an diese neue Linie heran. Meine kindliche Vorstellung ist dass das bei einem Steinbei mit "Ecken" auch so gemacht worden sein könnte.

Was spricht da dagegen?

Beste Grüße,
Clemens

PS:Gratuliere zum Traumfund!

Khamsin

Moin!

Clemens, in diesem Forum brauchst Du keinesfalls "zögerlich" zu schreiben. Im Gegenteil, jede sachlich begründbare Meinung ist hier ausgesprochen willkommen. Was Du unter b) in Deinem Beitrag geschrieben hast, ist doch durchdacht, sher naheliegend und als Möglichkeit grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen!

Ich bini der Nachbildung ungezählter Beilklingen aus Flint und Felsgestein schon lange - wenn man so will vom Material selbst mit der Nase drauf gestossen - auf diese Art der Anlage eines gleichmässigen und vor allem scharfen Schneidensaumes aufmerksam geworden.

Allerdings habe ich bei beiden Materialien festgestellt, dass eine Abstumpfungsfacette von immer weniger als 1 Millimeter völlig ausreichend ist, um eine perfekte haarscharfe Schneide herstellen zu können.
Im vorliegenden Falle sind es aber 3 mm, und es gibt, wie erwähnt, auch erheblich breitere Facetten.

Facetten derartig markanter Breiten lassen sich deshalb m.E. nicht mehr sinnvoll in der von Dir angesprochenen Weise interpretieren, weil sie dafür schlicht überflüssig sind.

Ein anderer Grund für eine intentionelle Schneidenstumpfung, bereits kurz von RP erwähnt, hängt mit der Art bestimmter Beilklingen zusammen. Handelt es sich nämlich um nach Material und Grösse eindeutig als Prestigeobjekte ansprechbare Exemplare, also solche, die a priori nicht für einen profanen, alltäglichen praktischen Gebrauch gedacht waren, dann finden sich daran bewusst abgestumpfte Schneidensäume.
Die hier vorliegende Beilklinge fällt aber weder nach Material, noch nach Grösse und Form in die Prestigekategorie und ist damit kein Prestigeobjekt.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Danke für die ausführlichen Kommentare und Deutungen!
Eben, beim morgendlichen Gang bin ich auf die gleiche Erklärung wie Clemens gekommen. Allerdings - warum hört man mitten in der Arbeit auf, wobei doch der Weg zu einer geschliffenen Schneide nur noch ein ganz kurzer wäre?
Khamsins Deutung war mir völlig unbekannt. Sie scheint mir nicht unlogisch!

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Hallo Leute  :-)

Superinteressantes Beil, RP !  :-)

Erlaube mir eine 3. (4.?) Interprätation zu versuchen.  :engel:

Ich denke, das Beil hat einen Funktionswechsel durchlaufen !  :belehr:

Das Beil hat ganz deutlich einen recht grossen Schaden an der Schneide bekommen.
Vielleicht hat der Besitzer eine Schärfung als zu mühsam gesehen.
Ich denke es wurde entschieden das Beil in Schlag- / Klopfstein umzuwandeln.
Der Nacken sollte jetzt das Arbeitsgebiet sein.
Die Schneide wurde deshalb entschärft aus dem simplen Grund, dass der Besitzer jetzt dort seine Hand halten musste.
Er wollte sich ja nicht schneiden.  :zwinker:

Ein Detailfoto des Nackens könnte meine Theorie bestätigen !   :super:

:winke:


clovis

Zitat von: Der Wikinger in 03. Oktober 2008, 16:04:55
Hallo Leute  :-)

Superinteressantes Beil, RP !  :-)

Erlaube mir eine 3. (4.?) Interprätation zu versuchen.  :engel:

Ich denke, das Beil hat einen Funktionswechsel durchlaufen !  :belehr:

Das Beil hat ganz deutlich einen recht grossen Schaden an der Schneide bekommen.
Vielleicht hat der Besitzer eine Schärfung als zu mühsam gesehen.
Ich denke es wurde entschieden das Beil in Schlag- / Klopfstein umzuwandeln.
Der Nacken sollte jetzt das Arbeitsgebiet sein.
Die Schneide wurde deshalb entschärft aus dem simplen Grund, dass der Besitzer jetzt dort seine Hand halten musste.
Er wollte sich ja nicht schneiden.  :zwinker:

Ein Detailfoto des Nackens könnte meine Theorie bestätigen !   :super:

:winke:


Moin , das scheint mir schlüssig , was Du schreibst Wikinger.        :winke:  Gruß clovis

Khamsin

Moin!

Steen, "Funktionswechsel" ganz sicher; und die zusätzliche Variante ist zumindest diskutabel.
Von dem Wenigen, was man auf dem Bild sieht, scheint mir indes der Nacken nur gepickt.
So würde es mich wundern, wenn er Klopfspuren aufwiese. Warten wir mal RPs weitere Bilder ab.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger

Zitat von: Khamsin in 03. Oktober 2008, 17:20:14
Moin!

Steen, "Funktionswechsel" ganz sicher; und die zusätzliche Variante ist zumindest diskutabel.
Von dem Wenigen, was man auf dem Bild sieht, scheint mir indes der Nacken nur gepickt.
So würde es mich wundern, wenn er Klopfspuren aufwiese. Warten wir mal RPs weitere Bilder ab.

Herzliche Grüsse KIS

Ist ja eben nur eine Theorie !  :zwinker:

Die Bilder werden es zeigen !  :winke:

rolfpeter

Da muß ich euch enttäuschen Jungs!
Wie eigentlich schon auf den ersten Bildern zu erahnen, ist da nichts mit Klopfspuren. Ich hatte bei meinem ersten Schrieb schon kundgetan, daß die Klinge vollständig überschliffen ist, man sieht nur noch die Pickspuren, fühlen kann man sie nicht. Glatt wie ein Kinderpopo! Selten hatte ich ein Beil mit einem solch hübschen Hintern.
Die Klinge hatte auch keinen kapitalen Schaden, die Macke an der Schneide ist wohl rezenten Ursprunges. Man hätte wohl weiter damit zimmern können - wäre da nicht....ihr wißt schon.



HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger


You can´t winnem all !!  :zwinker: :-D