Reibstein, angebohrt

Begonnen von clemens, 16. Januar 2012, 22:20:16

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clemens

Grüß Euch schön! :winke:

Auf einer Stelle mit frühneo bis Kupfer, wir sind hier in Niederösterreich, fand sich dieser Reiber aus recht schön kristallinem Quartz, der mir beim Umdrehen die Nackenhaare bewegte: angebohrt! Wie schön ist das denn!
Jedes Ding hat seinen Platz und seine Geschichte, aber sowas bewegt mich immer noch mehr, wo die Geschichte dazu wohl irgendwie anders gewesen sein muss.

Beile sind bei mir immer aus mehr oder weniger Amphibolith/Serpentinit, Reiber oft aus rauem Quarzsandstein, oder eben Quartz, Scheibenkeulen fand ich noch nie, kenne sie aber hier nur grünsteinig.

Ihr da draussen, habt ihr Mutmaßungen? Geschichten dazu? Mich würden Eure Deutungen interessieren.

Danke und liebe Grüße
Clemens

thovalo

#1
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum enormen Finderglück!   :boh:

Konventionell kann man diesen ungewöhnlich seltenen Fund mit zentrisch angesetzter Bohrung für den Beleg einer Geröllkeule halten.
Als charakteristisches Gestein für solche seltenen Objekte wäre Quarzit zu erwarten.

Leider sind Deine eingestellten Bilder sehr dunkel, sodass ein Tageslichtbild die Ansicht zumindest leichter machen kann.
So wie es jetzt aussieht besteht schon der Eindruck das es sich um einen feinkristallinen Quarz handeln kann.

Die Ansprache als Reibstein ist die übliche Fehlansprache mit einer langen Tradition.
Die abgearbeiteten Flächen sind geschlagen, das ist ein SCHLAGSTEIN!

Diente Dein Fundstück nach der Aufgabe der Bohrung als Schlagstein oder sollte das Schlagen den Stein im Verlauf der Zurichtung als Keulenkopf vorformen? Bestand erst einmal eine vollständig ausgeführte Bohrung erhöhte sich automatisch die Bruchgefahr.
Es kann sich also auch um eine vorangegangene formende Zurichtung handeln.

Ich selber kenne keinen Keulenkopf aus Quarz.
Doch reicht meine Auseinandersetzung mit dem Thema nicht bis Niederösterreich!

Die Hohlborung von Geröllkeulenköpfen ist in Deutschland mit den Kulturhorizonten der "Stichbandkeramik" und  "Rössen" verbunden!
Die zeitliche Stellung wäre dann deutlich früher anzunehmen.

zum Thema Keulen geht´s hier ausführlicher weiter


http://www.rheinland-archäologie.de/biermann2001_2003.pdf

(den link hier kopieren und dann einsetzten)


Dann noch die Variante 2:

Dein Fundbeleg kann auch als Widerlager bei der Hohlbohrung gedient haben und wäre dann nicht das Ziel sondern ein Hilfsmittel zur Durchführung einer Hohlbohrung gewesen. Dazu hätte auch ein Schlagstein gut dienen können weil das Gestein, sofern es Quarz wäre, sehr hart ist und gute Dienste hätte leisten können.

So oder so ein musealer Fundbeleg von großer Seltenheit und Aussagekraft!


glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

clemens

Servus,
vielen Dank für Deine schnelle Antwort, und Du weisst sicherlich mehr als ich, aber den Reibstein, den lasse ich mir ungern nehmen. Die Seiten sind glatt wie ein Hefeteig, die Kanten vom schlagen rauh, klassischer kann es mM nach nicht sein. Und Ich denke es ist ein Plutonit, ein Quartz aus einem Gangestein, kein metamorph überprägter Quartz - er ist so gar nicht geschichtet und frei von Schieferspuren. Egal, er war wohl ein Donaukiesel, ist nur 20km von hier.
Ich geh jetzt nachdenken, Danke!
Clemens

thovalo

#3
Zitat von: clemens in 16. Januar 2012, 22:43:43
Servus,
vielen Dank für Deine schnelle Antwort, und Du weisst sicherlich mehr als ich, aber den Reibstein, den lasse ich mir ungern nehmen. Die Seiten sind glatt wie ein Hefeteig, die Kanten vom schlagen rauh, klassischer kann es mM nach nicht sein. Und Ich denke es ist ein Plutonit, ein Quartz aus einem Gangestein, kein metamorph überprägter Quartz - er ist so gar nicht geschichtet und frei von Schieferspuren. Egal, er war wohl ein Donaukiesel, ist nur 20km von hier.
Ich geh jetzt nachdenken, Danke!
Clemens


Den Zahn zieh ich Dir trotzdem: der REIBSTEIN .... steht in der Tradition archäologischer "Forschung" aus braunen Tagen ....

Gerne wurde solche Schlagsteine auch auf Mahlsteine (Unterlieger) gelegt mit der Bezeichnung als Reibmühle zur Bearbeitung von Getreide ....
Ich glaub den Anfang machte der "Deutsche Werkbund" aus dessen Katalog dann auch die berühmte Konstruktion einer Fiedelbohrmaschine mit komplexen Aufbau stammt. Reine Fantasie, aber bis Heute zumindest in Heimatforscherkreisen immer gerne und immer wieder hervor geholt, wie eben auch der REIBSTEIN, der eigentlich ein Schlagstein ist und auch kein Mahlstein.


http://steine-scherben.de/thema5s.htm

http://www.steinzeitwissen.de/schlagsteine


und noch ein link zu Keulen

http://www.steinzeitwissen.de/keulenkopfe


und zum Hohlbohren

http://www.steinharteknochenarbeit.de/flintkugelkeule.67.html#Text%20Hohlbohren%203

wobei ich herzlich empfehlen kann in den beiden letzten Websites zu schmökern, denn das lohnt sich immer!

glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Marienbad

moin Clemens,     :Danke2:

da hast Du eines meiner liebsten Gerätschaften gefunden, oh man, was für ein Dusel  :super:
Die glatten Flächen sind sicher im Wasser abgerollt worden, dass ist natürlich entstanden.
Ich suche mir auch diese natürlich "geschliffenen" Steine um sie weiter zu bearbeiten.
Von einem "Reibstein" will ich nichts hören oder lesen. Der Thomas hat es ja schon angesprochen.  :super:
Ein sehr schönes, spannendes und sicher sehr seltenes Fundstück hast Du da aufgelesen, mein Glückwunsch.
Das sieht sehr sicher nach einer Vorarbeit für eine Kugelkeule aus,

:winke:  Manfred

Wutach

Hallo Clemens,

falls Du noch eine Meinung gebrauchen kannst. Dies ist eindeutig eine begonne Geröll- oder Kugelkeule und kein läppischer Reibestein, ein Ausdruck, der ohnehin das Missverständnis in sich trägt. Schleif- oder Schlagspuren sind auf deinen Fotos nicht zu erkennen, auch wenn sie vorhanden sein sollten. Selbst Geröllkeulen werden manchmal angeschliffen bzw. partiell überschliffen und Kugelkeulen sind in der Regel vollständig überschliffen. Dies hat dann formgebenden Charakter. Ebenso können Spuren einer formgebenden Pickung vorhanden sein. Dann sollten die Scheifspuren die Pickspuren überprägen. Und natürlich kann eine verunfallte Keule auch als Klopfer bzw. Schlagstein sekundär genutzt worden sein. In diesem Fall müssten die Schlagspuren den Schliff überprägen.

LG Marc.

Steinkopf

Hallo in die Runde!

Clemens hat ein hochinteressantes Stück gefunden. Da sind sich alle einig.

Ich sehe hier zwei formgebende Auffälligkeiten:
1. Die begonnene Hohlbohrung Widerlager oder begonnene Geröllkeule?
    Beides sind Erklärungsversuche.
2. Auf den Fotos 8899 und 8904 ist eine 'gekrümmte Facette' zu sehen.
    Diese Fläche ist klar begrenzt von der sonst allseitig gerundeten Oberfläche
    des Steines abgeteilt.
    Ähnliche Pole hatte ich bei Schlagsteinen hier schon einmal eingestellt.

Schönen Gruß
Jan

Marienbad

hier mal etwas zur Aufklärung von einem Wiederlager.
In den Holunderbohrstab wird oben ein abgerundetes Holz eingesteckt,
darauf liegt dann das Oberlager.
:winke:  Manfred

http://www.steinharteknochentechnik.magix.net/website/#Zusammenfassung%202

clemens

Großartig!
Ich fahre in dieser Diskussion eine steile Lernkurve, die allerdings mit meiner Literatur und Beobachtungen nicht gleichläuft.
Ich habe hier ein schnelles Foto gemacht - von dieser Siedlung und einer Nachbarsiedlung
- sogenannte Reibplatten oder Unterlieger, ich denke das ist unbestritten was wofür und wie benannt
- und dann vier Steine die ich in die gleiche Kategorie legen würde, die sogar Rolfpeter auf diesem genialen Link als "Drei Reib- oder Klopfsteine" bezeichnet, eine Volltextsuche in den aktuellen Fundmeldungen des Bundesdenkmalamtes brachte auch einen "Reibstein", öfters dann aber auch einen Läuferstein

Also was jetzt?
In meinem Vorurteil ist das eben genau das - das Gegenstück zur Reibplatte, mit Flächen mit denen gerieben, und mit (seitlichen) Flächen mit denen geklopft. Der hintere bzw der dritte Stein ist übrigens der Thread-Starter. Nenne ihn Reibstein, nenne ihn Klopfer.
Nein? Was und wie dann?
Versteht ihr mein Kopfkratzen?

Vielen Dank an allen Euren Beiträgen jedenfalls!
Gut Fund,
Clemens

teabone

Hallo Clemens,

zuerst gratuliere ich Dir herzlich zu diesem außergewöhnlichen Fund!

Habe selber einen Schlagstein gefunden (bin übrigens Niederösterreicher wie Du) der Deinem gleicht, allerdings ohne diese wundervolle Bohrung.

LG Augustin

Such- und Fundgebiet: Weinviertel, Nö.

thovalo

#10
Zitat von: clemens in 17. Januar 2012, 21:49:19
Großartig!
Ich fahre in dieser Diskussion eine steile Lernkurve, die allerdings mit meiner Literatur und Beobachtungen nicht gleichläuft.
Ich habe hier ein schnelles Foto gemacht - von dieser Siedlung und einer Nachbarsiedlung
- sogenannte Reibplatten oder Unterlieger, ich denke das ist unbestritten was wofür und wie benannt
- und dann vier Steine die ich in die gleiche Kategorie legen würde, die sogar Rolfpeter auf diesem genialen Link als "Drei Reib- oder Klopfsteine" bezeichnet, eine Volltextsuche in den aktuellen Fundmeldungen des Bundesdenkmalamtes brachte auch einen "Reibstein", öfters dann aber auch einen Läuferstein

Also was jetzt?
In meinem Vorurteil ist das eben genau das - das Gegenstück zur Reibplatte, mit Flächen mit denen gerieben, und mit (seitlichen) Flächen mit denen geklopft. Der hintere bzw der dritte Stein ist übrigens der Thread-Starter. Nenne ihn Reibstein, nenne ihn Klopfer.
Nein? Was und wie dann?
Versteht ihr mein Kopfkratzen?

Vielen Dank an allen Euren Beiträgen jedenfalls!
Gut Fund,
Clemens


Ja,
hab ich auch gelesen, das ist noch eine Textpassage aus der frühen Schöpfungsphase der Website ...  und könnte an dieser Stelle noch ein wenig "nachgefeilt" werden!   :dumdidum:

Wenn es ein "Reibstein" zum Getreide mahlen gewesen ein soll ist er schlicht und einfach VIEL zu klein um ausreichen Mehl für Brei oder einen Fladen herzustellen und vor allem nicht RAU genug ..... Reiben bedeutet ja "Reibgut" gegen eine Widerstand zu reiben, aber mit
Deinem Fundbeleg hat man NICHT gerieben, sondern Geklopft oder Geschlagen .......

Das Reiben müsste eine zunehmend als Facette abgesetzte glatte Reibfläche abgegeben haben, die dann aber durch SCHLIFF entstanden wäre (unter Druck und Bewegung entstandene Materialabräision), denn das Reiben ist nichts anderes als eine unter Druck durchgeführte langsam schleifende Bewegung. Der Begriff des REIBENS ist in Bezug auf Gebrauchsspuren an Steinen ein UNWORT .... auch wenn so manchen Facharchäologen der praktische Aspekt an seiner Fehlbezeichnung gar nicht klar ist, weil er eben Theoretiker und kein Praktiker wie MANFRED ist.


glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Jaja, mit dem Nachfeilen, das ist so eine Sache...hab wenig Zeit zur Zeit. Mea culpa.  :heul:

Aber nix desto Trotz. Die angesprochenen Felsgesteinartefakte sollte man m.E. durchaus als Mehrzweckwerkzeuge ansehen. Sie eignen sich zum Klopfen in jeglicher Form, aber auch zum Quetschen, nach Art eines Mörsers. Die Schwiegermutter könnte man auch umnieten....
Wenn die Arbeitsflächen allerdings so glatt sind, wie das nach meinen eigenen Beobachtungen meistens der Fall ist, dann taugen sie zum Reiben und Getreidemahlen nicht.

Das hier vorgestellte Artefakt scheint mir, wie auch die Mehrheit der Leute schreiben, ein nicht vollendeter neolithischer Keulenkopf zu sein.

:winke:
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert