Stiel ohne Spitze

Begonnen von steinwanderer, 20. Februar 2017, 19:03:57

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steinwanderer

Moin moin,
ich war am Sonntag mal für ein Stündchen auf einem kleinen spätneolithischem Platz. In 10m Abstand zu dem eigentlichem Platz fand ich dann dies Stück. Oh, das ist aber ein schöner Bohrer, dachte ich.
Zu Hause, im gewaschenen Zustand, erfolgte dann der Schock.
Das ist doch kein Bohrer. Dann wohl eher eine Stiel.... .
Die abgebrochene Klinge ist 110mm lang und die größte Breite beträgt25mm. Der Stiel ist durchweg 9mm stark.
Der Stiel wurde auf am Bulbusende angelegt und dieser von der Seite entfernt.
Die andere Seite wurde nach dem Bruch der Spitze, aus welchem Grund auch immer, ein wenig retuschiert. Rezente Retusche lässt sich schlecht von der ursprünglichen unterscheiden.
Auf Stiel 7 ist rezente Retusche schon deutlicher zu sehen.
Was meint Ihr?
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

Herlitz

Hallo Klaus,

das Artefakt macht auf mich einen wesentlich älteren Eindruck. Der Glanz und die Patina vermitteln mir dieses Gefühl. Bulbus und Wallnerlinien sind aber nicht vorhanden  :kopfkratz: ? Die Retuschen kann ich nicht so richtig deuten. Ob es doch auch ein Geofakt sein könnte, trotz der Länge?  :schaem:

Steinkopf

Moin Klaus,

das ist ja ein beachtlicher Brummer, den Du da gefunden hast.

Wenn meine alten Augen es richtig sehen ist der lange Zapfen alternierend retuschiert
(Propellerretusche).

Die 'Bohrervermutung' würde ich hier nicht ausschließen.

LG

Jan

StoneMan

Moin Klaus,

etwas ratlos...  :kopfkratz: dreieckige Spitzen habe ich einige, aber nicht mit so klaren Retuschen.

Kein wirklich plausible Idee, aber ich lass das Gehirn mal stürmen...

Die Bilder, "Stiel 2 + 3", sehen fast wie Schutzretuschen aus. Könnten die Merkmale eines Feuerschlagsteines
rezent weggebrochen sein? Wobei ich dann das dünne Ende in der Hand wähne.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Herlitz

Zitat von: StoneMan in 21. Februar 2017, 01:04:46
...
Die Bilder, "Stiel 2 + 3", sehen fast wie Schutzretuschen aus. Könnten die Merkmale eines Feuerschlagsteines
rezent weggebrochen sein? Wobei ich dann das dünne Ende in der Hand wähne.

Gruß

Jürgen

  :super: Könnte das auch den Glanz erklären?  :kopfkratz:

Um nochmal meine Zweifel am Artefakt zu erklären, zeigt die Ventralseite nicht (Spitze 6) Anzeichen eines Frostsprungs? Dorsal scheint ja nichts gegen Artefakt zu sprechen, lange Grate von Klingenabschlagbahnen. Ich sehe aber halt keine Wallnerlinien oder Bulbusnegative.

Viele Grüße

thovalo

#5


Zitat von: Herlitz in 20. Februar 2017, 20:56:07
Hallo Klaus,

das Artefakt macht auf mich einen wesentlich älteren Eindruck. Der Glanz und die Patina vermitteln mir dieses Gefühl. Bulbus und Wallnerlinien sind aber nicht vorhanden  :kopfkratz: ? Die Retuschen kann ich nicht so richtig deuten. Ob es doch auch ein Geofakt sein könnte, trotz der Länge?  :schaem:


Ich sehe keine spezifischen Merkmale die ein höheres Alter begründen würden und Klaus ist in Beziehung auf alt oder älter datierende Funde in seinen begangenen Regionen wie auch mit den dort ausgeführten Klingenkonzepten hoch erfahren.

Aus der Fernsicht stellt sich kein typologisch fassbares Artefakt dar. Einen funktional "messerartigen" Charakter könnte man nachvollziehen. Als einen Stiel im Sinne eines Griffes kann ich das nicht erkennen.


Eher ist das eine (per Definition) Klinge die für ihren damals aktuellen Gebrauch entsprechend bedarfsorientiert zugearbeitet worden ist.

Hat in der Retuschierung zum Teil etwas von einer rheinisch-neolithischen "Spitzklinge" (ohne Spitze) und teils von einer sägemesserartigen Zuschärfung ventral.

Ein Kombigerät nach dem Bedarf des Erstellers und Verwenders? Bei so einer Entstehung der Merkmale wäre eine "typologische" Zuordnung "nach Katalog" auch nicht möglich.


Im weiteren Sinne handelt es sich aus meiner Sicht bei dieser für die hiesigen Verhältnisse großformatigen, für Deine Region ja wohl eher mittelgroßen Klinge, um eine Gebrauchsstück mit bedarfsorientierten Bearbeitungsmerkmalen.


Die Abwendung von einer einheitlichen typologischen Normierung erfährt das Neolithikum am Niederrhein mit Beginn des Spätneolithikums und führt zu einer pragmatischen bedarfsorientiert und weniger spezifisch ausgerichteten Zurichtungsweise. Zuletzt sind es noch Projektile und Großklingengerätschaften in Form der Spandolche die in Silex noch typologisch einheitliche Merkmale aufweisen. Der Rest ist zunehmend "freestyle".


So etwas wird auch Dein Stück repräsentieren können. Die Zeitstellung ist von hier aus unergründbar, sofern Du nicht Einheitliches im Oberflächenfundinventar ausmachen und festlegen kannst!


lG Thomas   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

queque

Ich würde mich Thomas anschließen. Ein solches Stück auf einem meiner (spätneolithischen) Fundplätze hier im Rheinland würde ich wohl ohne größeres Zögern als Spitzklinge ansprechen. Solche Fundstücke tauchen hier mitunter auch solitär ohne größeren Kontext auf, häufiger - und das ist in dieser Erhaltungsqualität immer noch sehr selten - auf z.B. michelsberger Komplexen. Aber bei euch im Norden ist ja vieles anders. Nichtsdestotrotz ein ästhetisch ansprechendes und beeindruckendes Fundstück.

Viele Grüße
Bastl

StoneMan

#7
Moin,

ich neige euch, Thomas/Bastl zu folgen.

Heute Nacht war es wohl schon zu spät für mich richtig hinzuschauen.

Der markante Mittelgrat ließ vor meinem umgeisteten Auge :irre: ein viel mehr hoch-dreikantiges
Objekt entstehen.

In der Seitenansicht ist jedoch klar zu sehen, dass die Klinge recht flach ist.

Eine weitere Anregung von mir.
Bei Peter Vang Petersen, "Flint fra Danmarks oldtid", gibt es auf den Seiten 79-81 "Skafttungepile",
deren Länge und Grundform dem hier vorgestellten Fundstück nahe kommen. Ein Vorarbeit dafür?

Gruß

Jürgen

Edit sagt, richtig ist: Skafttungepile (Schaftzungenpfeile /-Spitzen), die waren durchaus 100 mm und länger.
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Furchenhäschen

Hallo,
ein beachtenswertes Fundstück das noch nicht den Krallen der Landwirtschaft zum Opfer gefallen ist.
Ich denke es handelt sich um eine Spitzklinge/Spandolch.
Der Querschnitt, die Länge usw. wären wohl bezeichnend dafür.
Ein kleines Stück der Spitze hat sich wohl irgend wann einmal verabschiedet.

Ein vergleichbares Stück fand ich im Süden in Glockenbecherzeitlichen Fundkontext.
Spätneolithisch passt sehr gut würde ich meinen.
Zu dem Thema hat sich Kamshin  :-) schon einmal trefflich ausgelassen.
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,42222.msg256000.html#msg256000

Gruß
Peter

steinwanderer

Moin moin,
dies ist Artefakt. Es sind Wallnerlinien in schwacher Ausprägung vorhanden. Ebenso ein Bulbus, der weil wegretuschiert nur noch im Ansatz zu sehen ist. Außerdem ist ein Bulbusnegativ im Ansatz auf der  Dorsalseite links oben zu erkennen. Was aussieht wie Anzeichen eines Frostabsprungs ist ein Versatz der durch hohe Schlagenergie beim Abschlagen der Klinge entstanden ist. Hierzu habe ich erneut Bilder gemacht
Ein Feuerschlagstein fällt meiner Meinung nach aus. Das Funktionsende würde dann an der Spitze des Stiels liegen. Dies Ende wurde aber bewusst entfernt.
Zu der Spitzklingen/ Spandolchtheorie passt dies auch nicht weil durch den Bulbus nie eine Spitze vorhanden war.
Trotz der Propellerretusche denke ich auch nicht an einen Bohrer, denn der störende Bulbus wurde nicht spitz auslaufend entfernt.
Die Stielspitzen der Einzelgrabkultur passen mit ihren kürzeren Stielen auch nicht.
All so gehe ich eher von einer Großen Lyngby Spitze aus, die bis zu 14cm lang sind.
Die neuen Bilder folgen nach der Bearbeitung.
Vielleicht wird durch diese sichtbar das ältere Retuschen an der abgebrochenen Spitze durch neuere durchschnitten sind.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

steinwanderer

Moin moin,
anbei die neuen Bilder auf denen Wallnerlinien und die Reste des Schlagbuckels zu sehen sind.
Klaus
Lewer duad üs Slav

steinwanderer

Die Abtrennung des Schlagbuckels.
Lewer duad üs Slav

steinwanderer

Alte Retusche wird von neuer Endretusche durchschnitten.
Lewer duad üs Slav

Furchenhäschen

Hallo Klaus,
die Bilder eröffnen einem ja gänzlich neue Perspektiven und da muss ich doch feststellen,
dass in Foto Stiel 11.jpg und dem nachfolgenden Bild gut erkennbar scheint,
daß die Retuschen ziemlich stark verrundet und abgenudelt sind!
Auf welchen Gebrauch führst Du das zurück?
Fingerdick ist das Artefakt auch noch, da muss ich doch meinen ersten Eindruck revidieren und mich dem Stoneman
und seiner Meinung es handle sich um einen Feuerschlagstein anschließen

Gruß
Peter

steinwanderer

Moin Peter,
aber wo war das Funktionsende. Nicht am Stiel, denn dort wurde der Bulbus entfernt.
Das andere Ende wäre viel zu dünn.
Die Seiten weisen auch keine feuerschlagsteinkarakteristischen  Merkmale auf.
Die Retusche ist dort recht steil angelegt und sind windverschliffen.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

Herlitz

Hallo Klaus,

meine Zweifel am Artefakt sind nun ausgeräumt. Die windverschliffenen ? Verrundungen lassen mich aber immer noch an eine spät-paläolithische Klinge denken.

Viele Grüße

Furchenhäschen

Zitat von: Herlitz in 22. Februar 2017, 22:25:34
Hallo Klaus,

meine Zweifel am Artefakt sind nun ausgeräumt. Die windverschliffenen ? Verrundungen lassen mich aber immer noch an eine spät-paläolithische Klinge denken.

Viele Grüße

Hallo Herlitz,
aber weshalb bringst Du denn die Verrundungen mit Spätpaläolithikum in Verbindung.
Das eine hat doch nicht zwingend mit dem anderen zu tun.
Gruß
Peter

Herlitz

Zitat von: Furchenhäschen in 22. Februar 2017, 22:30:56
Hallo Herlitz,
aber weshalb bringst Du denn die Verrundungen mit Spätpaläolithikum in Verbindung.
Das eine hat doch nicht zwingend mit dem anderen zu tun.
Gruß
Peter

Nein, natürlich nicht!  Es ist eher ein Gefühl  :schaem: . Ich kenne das halt von neolithischen Klingen nicht. Paläolithische Silexartefakte weisen aber in der Regel doch einen gewissenGlanz/Verrundung auf.

Viele Grüße

StoneMan

Zitat von: steinwanderer in 22. Februar 2017, 22:18:39
...
aber wo war das Funktionsende. Nicht am Stiel, denn dort wurde der Bulbus entfernt.
Das andere Ende wäre viel zu dünn.
Die Seiten weisen auch keine feuerschlagsteinkarakteristischen  Merkmale auf.
Die Retusche ist dort recht steil angelegt und sind windverschliffen.
Gruß Klaus

Moin,

ich möchte nicht an einem Feuerschlagstein festhalten.

Wenn es denn einer gewesen wäre, wäre das dickere Ende durchaus das Funktionsende und das
dünnere Ende läge dabei in der Hand.
Steile Retuschen an den Seiten sind doch für Schutzretuschen eher normal. Im Idealfall auch noch
etwas verschliffen/verundet, damit sie eben Schutz bieten - und das nicht erst durch Wind und Sand.

Zu allem Überdruss besitzen Feuerschlagsteine mitunter auch zwei Funktionsenden, auch dünne Enden.

Und die für uns so wichtigen Merkmale brechen nun auch einmal weg - leider.

Im Übrigen, ist es auch bei mir nun so, dass ich durch die neuen Fotos wieder ein anderes "Bild" von dem Teil habe.
Es scheint nun doch so dick, wie ich ursprünglich dachte. Ergänzende Maßangaben sind immer nützlich.

Eine Spitzklinge oder Spandolch fällt m. E. aus, da das Teil keine zugerichtete Spitze besitzt.
Der trianguläre Klingenabschlag verjüngt sich bereits ohne Zurichtung.

Die von mir oben genannten Skafttungepile, PVP Seite 79-81, (nicht Stielspitzen Seite 76/77),
würde ich immer noch nicht ausschließen wollen (unvollendete Vorarbeit).

Man kann mit dem vorgestellten Artefakt sicherlich zustechen oder bohren.


Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

steinwanderer

Moin Jürgen,
Maßangaben habe ich in der Beitragseröffnung gemacht.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

StoneMan

Zitat von: steinwanderer in 20. Februar 2017, 19:03:57
... Der Stiel ist durchweg 9mm stark.
...
Moin,

das habe ich gelesen, für mich war nur fraglich, ob der ganze Klingenabschlag ~ 9 mm dünn ist?

Gruß

Jürgen

Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

steinwanderer

OK Jürgen,
jetzt habe ich es verstanden. Ja, die ganze Klinge ist 9mm dick.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

Steinkopf

Hallo Klaus,

ich hab mal bei Taute (Stielspitzen...) nachgeblättert.
Tafel 97, Nr. 5 zeigt eine Stielpitze vom namensgebenden Platz Bromme
mit 'Propellerretusche'.

Deine Sichtweise kann ich nachvollziehen.

LG

Jan

StoneMan

Moin,

Klick das Bild



Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Furchenhäschen

Zitat von: steinwanderer in 22. Februar 2017, 22:18:39
Moin Peter,
aber wo war das Funktionsende. Nicht am Stiel, denn dort wurde der Bulbus entfernt.
Das andere Ende wäre viel zu dünn.
Die Seiten weisen auch keine feuerschlagsteinkarakteristischen  Merkmale auf.
Die Retusche ist dort recht steil angelegt und sind windverschliffen.
Gruß Klaus

Hallo Klaus,
danke fürs Zeigen!
Man sollte sich halt wirklich daran halten und sich als "Südstaatler" :-) nicht an die Fundbestimmung aus dem Norden heranwagen.
Mit Deiner gewählten Überschrift hattest Du wohl Recht
und für das tolle Fundstück gratuliere ich Dir schon mal herzlich.
Hast Du auf diesem Fundplatz mit solch einem Fundstück gerechnet,
Jan hat dich ja bestätigt. :super:

Gruß
Peter

steinwanderer

Moin Peter,
das mit der Propellerretusche ist mittlerweile widerlegt. Die ventrale Retusche ist nicht nur partiell, siehe die hellen grauen Flecken, sondern auf der gesamten Linie rezent. Ich hab das Stück im Licht mal hin und her gewackelt und diese Retusche unterscheidet sich durch ihre Mattigkeit deutlich von den anderen glänzenden Flächen.
Nee, mit so einem Fund habe ich nicht gerechnet.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav