Feuerschlagstein - ein weiterer Verdächtiger

Begonnen von steinsucher, 03. September 2008, 19:46:47

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steinsucher

Hallo Forum,

nachdem RP kürzlich einen Verdächtigen zur Diskussion gestellt hatte, fiel mir ein schon etwas länger bei mir liegendes Teil auf. Es zeigt eigentlich keine Merkmale auf, die auf einen Abschlag deuten ließen, es wirkt mehr wie ein ehemals abgeplatztes Stück. Es sind aber so gut wie alle Kanten irgendwie voller Retuschen. Eine Seite scheint steil retuschiert worden zu sein, um einen symmetrischen Körper zu bekommen. Das Material dürfte aus den Maas-Schottern kommen (abgerollte Rinde). Das vermutete Funktionsende macht einen verrundeten Eindruck, allerdings kann ich nicht beurteilen von welcher Tätigkeit das stammt. Ich hoffe, man kann die Spuren auf den Fotos erkennen. Das Teil ist 63mm lang und 22mm breit.

Ich bin gespannt, ob der Verdacht sich erhärtet, oder gar bestätigt. Ansonsten kommt das Teil wieder in seine Tüte.

Grüße aus Heinsberg, Fritz.

Der Wikinger


Hallo Steinsucher !  :-)

Ich sehe hier klar ein kleines Kernbeil:belehr: :kopfkratz:

steinsucher

Hallo agersoe,

ich sehe, was du meinst. Gar nicht mal so weit weg. Wäre dann aber nie gegen was Hartes eingesetzt worden. Die Rindenseite zeigt keinen Verschleiß. Es wäre auch ungewöhnlich für die Gegend hier, aber ich habe noch mindestens zwei Teile, wo ich auf Anhieb sagen würde: Kernbeil. Allerdings etwas robuster.

Warten wir mal auf weitere Analysen.

Gruß, Fritz.

Khamsin

Salaam!

Fritz, lass doch bitte bei Gelegenheit einmal die beiden anderen und "robusteren Kernbeile" sehen.

Dank im voraus und herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

steinsucher

Hallo Forum, hallo Khamsin,

klar stelle ich die gerne mal ein. Aber, wohl gemerkt, mein Eindruck war "Kernbeil". Der Eindruck ist immer noch laienhaft. Auf die Schnelle ist beim zweiten Teil das Profil nicht gut geworden. Mit mehr Ruhe bekommt man bestimmt noch eine bessere Qualität heraus. Das erste macht einen symmetrischen Eindruck. Das zweite könnte eine Vorarbeit für einen Dechsel sein - könnte (sieht aus wie Rullen-Flint). Sie stammen beide aus dem gleichen Areal bei Ederen.

Gruß, Fritz.


rolfpeter

Servus Junges,

ich sehe an dem Feuerschläger keine Benutzungsspuren. Bei Kernbeilen kenne ich mich überhaupt nicht aus, gibt es die überhaupt im Rheinland? Surendra K. Arora hat mal 2 vermeitliche Stücke vom Hülsterberg in Krefeld beschrieben. Er vermutet aber letztendlich, daß es sich um neolithische Geräte handelt.
Aber der Trick mit dem gefalteten Karton zur Aufnahme der Seitenansicht ist genial! Werde ich mir merken.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

steinsucher

Hallo Forum, hallo RP,

meines Wissens sind bis jetzt keine echten Kernbeile im Rheinland bekannt. Auf rein mesolithischen Stellen, wie z. B: in der Teverener Heide, habe ich auch noch nicht annähernd so etwas gefunden. Bei den Kernbeilen aus dem Mesolithikum im Norden wurde die Schneide auch anders hergestellt, meist durch einen seitlichen Schlag. Ich hätte oben vielleicht nicht "auf Anhieb" sagen sollen, sondern eher "auf den ersten Blick", oder so.

Grüße, Fritz.

Der Wikinger

Zitat von: Khamsin in 04. September 2008, 18:52:16
Salaam!

Fritz, lass doch bitte bei Gelegenheit einmal die beiden anderen und "robusteren Kernbeile" sehen.

Dank im voraus und herzliche Grüsse KIS


Hallo verehrter Wüstensohn  :-D

Sollen wir dein Kommentar so interprätieren, dass du (auch, wie ich) den oberen Fund als "kernbeil-verdächtig" siehst ??  :kopfkratz:

MfG
agersoe

Khamsin

Chers amis du silex, salaam!

Zuerst grundsätzlich: Ich kann sowohl die spontane Ansprache des 1. Stückes durch Steen als "kleines Kernbeil" und die gleichermaßen spontane Ansprache durch Fritz der beiden später dankenswerterweise von ihm geposteten Exemplare (2. und 3.) als "Kernbeil" problemlos nachvollziehen. Mir ging es bei dem zuerst eingestellten Stück "auf Anhieb", d.h. ja durchaus "auf den ersten Blick", genauso!

Freilich, durch "leidvolle" Erfahrung, auch hier im Forum, weiss ich - und wisst Ihr ja auch bestens - dass dem ersten Blick/Gefühl besser mal weitere - und kritische - Blicke folgen sollen und gefolgt sind. Und natürlich nicht nur auf die Stücke selbst, sondern auch auf die sie begleitenden Kommentare.
Das hat mich schliesslich veranlasst, in die Tiefen meiner Bibliothek abzutauchen, und natürlich wurde ich fündig. Alles zusammen genommen, kam das dabei raus:

Unbeschadet der Hauptfrage müsste es sich strenggenommen bei Nr. 1 und 3 ohnehin um "Scheibenbeile" handeln, denn beide besitzen offensichtliche Ventralflächen, die auf Abschläge als Grundform hinweisen. Bei Kernbeilen - jedenfalls bei den z.B. in "Flint fra Danmarks Oldtid" abgebildeten Exemplaren - fehlen ja Hinweise auf eine solche Grundform. Das ist ja auch der Grund, warum diese Beilklingen "Kern"geräte genannt werden.

Aber selbst die dorsal und ventral von Zurichtungsnegativen bedeckte Nr. 2 ist genauso wenig ein Kernbeil, wie die Nr. 1 und die richtig als aus Rullen-Flint bestehend angesprochene Nr. 3 keine Scheibenbeile sind! Dieses Urteil ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern hängt mit einem in mancherlei Hinsicht bemerkenswerten Phänomen zusammen, das hier ja schon angesprochen worden ist.

Denn RP fragt gewiss nicht umsonst, ob es "Kernbeile überhaupt im Rheinland gibt", und Fritz antwortet, dass seines Wissens nach "bis jetzt keine echten Kernbeile im Rheinland bekannt sind". Glaubt mir, Freunde, selbst "unechte Kernbeile" fehlen im Rheinland, sieht man einmal von Wunschprodukten diverser Sammler ab! Warum ist das so?

Den Rheinländern der Lössregionen (und um die und deren Funde geht es hier ja vornehmlich) empfehle ich hier drei wichtige Artikel:

1. Arora,S.K., Aus Flint von der Maas. Erste mittelsteinzeitliche Grossgeräte im Rheinland? In: Das Rheinische Landesmuseum Bonn. Berichte aus der Arbeit des Museums 4, 1982, 49-51.

Kommentar: Das ist der Artikel, den RP zitiert hat "Surendra K. Arora hat mal 2 vermeintliche Stücke vom Hülserberg in Krefeld beschrieben. Er vermutet aber letztendlich, daß es sich um neolithische Geräte handelt". Vor dem Hintergrund der Grossgerätesituation im mesolithischen Rheinland kann gar keine Frage daran bestehen, dass die Stücke nicht mesolithisch, sondern neolithisch sind.

2. Heinen,M. und Schol,W., Die urgeschichtliche Besiedlung des Mönchengladbacher Raumes". In: Loca Desiderata. Mönchengladbacher Stadtgeschichte Band 1, 1994, 111-232 (Köln).

Kommentar: Dort wird auf Seite 146 ein mesolithisches Kernbeil von der Neuwerker Donk im Maßstab 1:1 abgebildet. Das ist das nach meiner Kenntnis noch immer südlichste Exemplar im Rheinland. Martin Heinen - einer der besten Kenner des dortigen Paläo- und Mesolithikums - schreibt: "Wie diese (Holzarbeiten) in den frühmittelsteinzeitlichen `beillosen´ Gegenden verrichtet wurden, ist bislang noch ungeklärt. Wahrscheinlich benutzte man scharfgeschliffene hackenartige Geräte aus Knochen und Geweih" (ebd. 145). Die Vorsilbe "früh-" vor "mittelsteinzeitlich" kann man vergessen und das "wahrscheinlich" kann man getrost durch "sicher" ersetzen!

3. Fiedler,L., Beile und andere Funde von den steinzeitlichen Jägern in Hessen. Neues zur Mittelsteinzeit. In: Denkmalpflege in Hessen Heft 1, 1997, 26-29.

Kommentar: Lutz Fiedler schreibt, es sei schon sehr lange bekannt, dass es ein Kern- und Scheibenbeil führendes nordisches Mesolithikum und eine beilfreie mesolithische Südregion in Europa gäbe. Und weiter: "Wenn die Steinbeilklinge eine so bedeutende Erfindung gewesen wäre, hätte es eigentlich erstaunen müssen, daß die südlicher lebenden Menschen diese leicht herzustellenden Geräte nicht auch angefertigt haben sollten. Hatten sie etwa kein Holz zu bearbeiten? Sie taten es, aber sie benutzten geschliffene Beilklingen aus hartem Geweih und Knochen, wie sie auch aus dem nordischen Mesolithikum bekannt sind und auch später in der Jungsteinzeit immer noch in dieser Weise verwendet wurden...Moderne Experimente haben gezeigt, wie gut geschäftete Knochenbeile zu benutzen sind." (ebd. 27).

Nun sind mesolithische Geweihäxte (T- und Rosenäxte) bestens bekannt, aber es gibt eben auch veritable Beilklingen aus Großsäugerknochen, z.B. den Metapodien vom Ur. Die finden sich aber noch in der - für jeden an steinzeitlicher Technologie Interessierten unerlässlichen - Arbeit von
R. Feustel, Technik der Steinzeit. Archäolithikum-Mesolithikum. (Weimar 1973)
als "Glätter" beschrieben. Obwohl es sich um fraglose Beilklingen mit einer scharfen naturgemäss aufgewippten Schneide handelt, die mehr als frappierend (und gleichermassen naturgemäss) im Umriss und der gesamten Anmutung breitflachen LBK/MN-Dechselklingen 1:1 an die Seite zu stellen sind!
Mittlerweile gibt es aus mesolithischen Stationen Süddeutschlands (Siebenlinden bei Rottenburg/BaWü) und Luxemburgs auch äusserst prägnante Beilklingen aus Geweihsprossen vom Rothirsch, die vor nicht allzu langer Zeit (Siebenlinden) als "Rindenschäler" interpretiert wurden, die in Wirklichkeit aber - ebenfalls naturgemäss - als Dechselklingen zu interpretieren sind!

Sowohl die Knochen- als auch die Geweihklingen besitzen (deshalb "naturgemäss") immer seitenständige Schneiden, die eine parallele Schäftung ausschliessen. Dies umso mehr, da das Schäftungsprinzip der mesolithischen klassischen Grossgeräte aus Flint (Kern- und Scheibenbeile) a priori quer orientiert war. Das ist durch umfangreiche Gebrauchsspurenanalysen von B. Gramsch aus den 1960er Jahren nachgewiesen worden.

Fazit

Selbstverständlich gab es im Rheinland Grossgeräte zur Holzbearbeitung im Mesolithikum! Dass die aber nicht aus Stein, sondern aus Geweih und/oder Knochen bestanden, kann nicht mit der Rohmaterialsituation zu erklären sein. Denn es gab im Rheinland auch im Mesolithikum eine gute Versorgung mit Flint, auch grösser dimensionierter Stücke. Somit kann diese Gerätetradition nur als soziokulturelles Merkmal verstanden werden.

Ein Feuerschlagstein ist Nr. 1 nicht, denn es fehlen die üblichen Merkmale. Was es sein könnte? Keine Ahnung, ein Artefakt ist es allemal.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

steinsucher

#9
Hallo Forum,

vielen Dank allen Mitwirkenden, besonders Khamsin für seinen ungemein ausführlichen Beitrag zu den Kernbeilen und dem Problem der Holzbearbeitung im Mesolithikum hier im Rheinland.

Dann geht Teil 1 zur Strafe wieder in die Kiste. Irgendwo wird schon noch ein Feuerschläger auftauchen. Insgesamt hat es aber dazu beigetragen, daß ich wieder etwas dazugelernt habe. Dafür bekommt es vorher seine Tüte wieder.

Grüße aus Heinsberg/Rheinland an den Rest der Welt,

Fritz. :schaf:

Der Wikinger

#10
Lieber Khamsin, oh Sohn der trockenen Winde  :-)


Du öffnest und erweiterst hier eine ganz wichtige Diskussion !!

Die Diskussion über den technischen Ursprung der Kernbeile !!

Hier wird nun meine sprachlichen Kenntnisse eines mir fremden und doch etwas exotischen Sprache doch etwas weit strapaziert werden....
... aber ich werde es versuchen.

Ich bin der definitiven Meinung, dass die meisten Kernbeile von ihrem Materialursprung her garnicht als Kernbeile zu bezeichnen sind !
Durch Beobachtungen von vielen Funden meiner nördlichen Fundlandschaft, sowohl von mir als von anderen, kann ich feststellen, dass sehr viele der sogenannten Kernbeile eigentlich von einem sehr grossen Abschlag hergestellt sind.
Man kann es ab und zu, wie du auch sagst, aus den deutlich vorhandenen Ventralflächen erkennen.
Eine vorhandene Ventralfläche macht aber, meiner Meinung nach, nicht unbedingt ein Scheibenbeil.
Aus zahlreichen "Selbstversuchen" habe ich feststellen können, dass das einfachste Rohmaterial sowohl für Scheibenbeile als AUCH für Kernbeile ein grosser Abschlag ist.
Für die Kernbeile funktioniert auch der flache, schwarze "Plattenflint", der bei uns reichlich vorhanden ist. Der ist aber für Scheibenbeile unverwendbar.

Nun, ich behaupte also, dass die meisten "Kern"beile, in Wirklichkeit aus Abschlägen hergestellt sind.

Was aber zu beachten ist, ist die "chaine operatoire"  des Kernbeils in vergleich zu dem gleichen des Scheibenbeil.

Das Scheibenbeil wird mit kräfigen Kantenretuschen / Zurichtungsabschlägen von einer und der gleichen Seite auf beiden Kanten in die richtige Form gebracht (Zeichnung links Nr. 1). Danach wird das Teil 180 Grad gedreht, und von der anderen Seite werden dann grosse Flächenretuschen auf der anderen Seite erzeugt (die Schläge liegen schräg, 2 auf der Zeichnung), die auch die Dicke des Beils vermindert.
Das Scheibenbeil bekommt durch diese "chaine operatoire" eine Profil, mit einer relativ flachen Seite (Ventalseite) und eine mehr oder weniger gewölbte (ehemalige) Lateralseite, ein linsenförmiges Profil.
Das Kernbeil dagegen ist via eine "chaine operatoire" hergestellt, wo der grosse Abschlag (der Kern oder der Plattenflint) auf eine Seite abgeschlagen wird, das Stück wird nun 180 Grad gedreht, und von der anderen Seite zugerichtet. Das heisst in diesem Teilabschnitt der Produktion sind die Seiten von zwei verschiendenen Seiten abgeschlagen.
Das Stück wird nun um die Längenaxe gedreht, und der Prozess wird auf den anderen Seiten in der entgegengesetzen Richtung gemacht.
Dies gibt dem Kernbeil ein rombische Profil.

Ich habe mal versucht mit einer Zeichnung den Unterschied zu illustieren:
(Die dünne Linie illustriert die Schneide des Beils)



Wenn das nun alles gesagt ist, muss ich natürlich (wie fast gewöhlich) unserem Experten Khamsin recht geben, es kann oft schwierig, ja oft fast unmöglich sein, besonders bei nicht perfekt ausgeführten Geräten, zu entscheiden ob nun Scheibenbeil- oder Kernbeiltechnik an dem Gerät verwendet worden ist.

Jedoch ist das Profil meisten hier das wichtigste, und da muss ich natürlich "unserem Wüstensohn" recht geben, das obere Stück ist von der "chaine operatoire" her ein Scheibenbeil, jedoch von der Form her, eindeutig ein Kernbeil.

Liebe Grüsse  :schwitz:
agersoe



steinsucher

Hallo nocheinmal,

um die "Kernbeile" aus meinen Kästen zu vervollständigen hier noch ein Teil, das vielleicht sogar besser gepasst hätte, wenn denn .....

Wäre wohl auch eher ein Scheibenbeil, wenn denn ....  Es stammt aus dem Nahbereich der Teverener Heide, da ist Mesolithikum zu Haus. Die Schneide besteht aus einer Fläche, wohl durch einen Schlag von der Seite erzeugt. Ich habe leider im Moment keine besseren Fotos.  Das wäre der dritte Kandidat gewesen. Wir wissen aber, "Ahrensburger Kultur" war nicht in Heinsberger Landen.

Schönes Wochenende, Fritz.



Khamsin

Salaam und Moin!

Steen, hab herzlichen Dank für die genaue Darlegung des Herstellungsschemas! Und es trifft ohne jeden Zweifel zu, dass zahlreiche Kernbeile aus Abschlägen hergestellt worden sind. Bei entsprechend flächendeckender Überarbeitung ist das dann aber nicht mehr nachweisbar.

Bei dem jetzt dankenswerterweise von Fritz als Nr. 4 eingestelltem Stück erkennt man auch gut eine Ventralfläche. Bei diesem Stück handelt es sich ohne Zweifel um ein sog. Scheibenbeil; Material ist übrigens wieder Rullen-Flint aus Nordost-Belgien. Dass die Schneide ausgerechnet an dem groben Einschluss kollabiert ist, kann nicht weiter verwundern.

Aus dem in meinem letzten Beitrag genannten Grund kann dieser Fund nicht mesolithisch sein. Er ist neolithisch, wobei im Rheinland sowohl fallweise in der LBK, aber auch im MN und schliesslich im jüngeren/späten Neolithikum Scheibenbeile bekannt sind.

Herzliche Grüsse und weiterhin viel Finderglück KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"