Spitze. Alt? Neol. unfertig?

Begonnen von Silex, 29. August 2005, 23:11:41

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Silex

Schönen Wocheneinstieg....Ich hab noch ne Woche Urlaub und dann werden meine Beiträge  fast verstummen.....
Unten:Jurahornstein- vermutlich....- Hang-10 m über Flussniveau- Einzelfund.
War und ist das  ein Pfeilspitzenrohling der Neolithiker - oder könnte das in einer älteren Kulturstufe  einrasten?
Gibt es noch ein anderes Forum mit Leuten die vornehmlich Keramik und Steinartefakte behandeln?  Bisher seid "IHR" das Beste was mir diesbezüglich im Netz begegnet ist.  und schaut dass solche Leute wie Khamsin "zur Stange halten". Auch bei den "Münzen" und "Knöpfen"   , "Devotionalien" , "etc" gibts mehr als bei vielen "Gschdudierten"
DANKE
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Khamsin

Moin!
Glücklicherweise haben die Neolithiker gewusst, wie man Pfeilspitzen herstellt. Dafür gibts Tausende von Beispielen. Darunter befinden sich auch Objekte, die aus technologischen Gründen als Halbfertigfabrikate bezeichnet werden können. Die sehen aber grundlegend anders aus als dieses Stück. Rämbowwwwwww hats ja in anderem Zusammenhang schon gesagt: Nicht alles was dreieckig-spitzig ist, muss ´ne Pfeilspitze oder - in entsprechend grösserer Ausführung - ´ne Speerspitze sein.
Älter könnte sein, aber dazu kann ich mich mangels entsprechender Kenntnis der Region etc. nicht äussern.
Beste Grüsse.

ps: Hoffentlich bist Du nur zeitlich begrenzt weg und nicht für immer; Deine Funde sind schon bemerkenswert und Dein daraus erschliessbarer Sammeleifer noch mehr! `Ne echte Belebung fürs Forum.
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Silex

Vielleicht passts hier mit rein das "fremdelnde" ca 4 cm lange Etwas. Hat auch eine unfertige Anmutung und würde umlaufend trefflichst schabkratzernde Wirkung getan haben. Aber die "angedeutete Basis" das schemenhaft Trianguläre mit Drang zur Spitze lässt mich  fragen:
Ob und Was und wiewarumweshalb

Schönen Sonntag noch
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Rambo

Silex warum verstummen deine Beiträge?
Es ist für mich jedesmal eine Freude, wenn ich deine "Steinderl" sehen kann. Ach ja Khamsin ist eine Klasse für sich, da gebe ich dir sofort recht  :engel:
Gruß Rambo
Willst du der Väter Taten kennen
folge ihrem Erdensein,
lern das Gute zu erkennen
und das Schlechte still verzeihn

Khamsin

Moin Jungs!
Also, bei dem unteren Stück und dort vor allem der Ventralansicht und wiederum der Distalpartie kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, als sei dort ein Torsionsbruch erkennbar! Das passiert nicht selten, wenn ein Kerlchen als Bohrer benutzt worden ist. Rambow, RP, agersoe, Hilfe, was meint Ihr?
Beste Grüsse
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger

#5
Halloej Leute !!!

Ich glaube, wir müssen hier ganz anders denken.
Ich habe auf einem Fundort hier bei uns schon hundertfach kleingeräte gefunden, und ich bin bei diesem Stück eigentlich ganz sicher.
Das Gerät ist mit dem paläolitschen Zinken zu vergleichen.
Man muss sich vorstellen, dass das Gerät mit der Ventralseite nach oben benutzt wurde, und das die Retuschen ausschliesslich zum Fingerschutz gemacht wurden.
Am distalende ist ein kleines deutliches Schneidgebiet, diese Theorie wird durch drei deutlichen Benutzungsabsprengungen untermauert.
Das Stück ist dafür besonders geeignet harte gegenstände wie Knochen oder Holz zu spalten, indem man das Gerät ins Material einbohrt/hineindrückt und dann gegen sich selbst zieht.
Die Retuschen sind ganz deutlich in den perfekten Positionen der Finger angebracht, der Mittelfinger liegt länglich am Stück, daher nicht so markiert wie die beiden anderen.







Mit freundlichen Grüssen
Agersoe

Silex

Danke für das Hirnschmalz,
ich bin etwas verwirrt weil mir die eventuellen Nutzungsmöglichkeiten dieses ungewöhnlichen Teils  nicht selbst aufgefallen sind.  Der Bohrer scheint mir von der Handhabung und vor allem wegen des von Khamsin in Erwägung gezogenen Torsionsbruches am wahrscheinlichsten -  Die Ränder könnten vermutlich trotz  Retuschierungen, im ungeschäfteten Usus, keine ausreichende schmerzfreie  Kraftarbeit zugelassen haben.
Die Crux ist dass sich in 2 Jahren nur eine endpaläolithische Klinge  und metallzeitliche Keramik im Umfeld finden ließ.
Aber ich werde Euch auf dem Laufenden halten

edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger

Hallo Silex

Ich muss vielleicht hier mal präzisieren.
Ich spreche hier nicht von Schwerstarbeit, sondern ein Gerät für feinere Arbeit in kleineren Gegenständen.
Die Form der Spitze spricht grundlegend gegen die Bohrertheorie, da die Bohrer um halten zu können auf beiden Seiten retouchiert sein müssen, eventuel mit der sehr effektiven proppeler-retouche.
Eine Spitze wie diese würde nach meinen Erfahrungen bei der ersten Drehung zersplitern, da flach und nicht drei-oder viereckig stabil.

Ich könnte dies vielleicht später, wenn erwünscht, fotographisch dokomentieren.

Ich wünsch gute Nacht und einen schönen Dienstag.

mfg agersoe

Khamsin

Moin!

Habe nur deshalb an Bohrer gedacht, weil das Stück nach links spitz ausläuft und mir - bei aller gebotenen Zurückhaltung nach dem Bild - jenes deutliche distale Negativ möglicherweise als tordiert, d.h. durch seitliche Kräfte entstanden erschien, wie es an Bohrerspitzen naturgemäss entstehen kann. Dass das ein Bohrer war/ist, will ich keinesfalls behaupten. Aber das ist nicht der Hauptgrund für meine Antwort.

Vor einiger Zeit habe ich mich hier im Steinforum schon einmal zur mutmasslichen Handhabung und damit verbunden der sog. accomodation retouch, also der "Handhabungsretuschierung" geäussert. Gut, es ist unbestritten, dass es sowas gibt. Aber, und das ist gleichfalls unbestritten, sind derartige Retuschierspuren äusserst selten. Der Grund dafür ist einfach: Ihre Ansprache ist nur selten möglich, und ergibt sich nur aus allgemein nachvollziebaren und letztlich auch rein technischen Gegebenheiten. Seltene Fälle sind z.B. Verstumpfungsretuschen am Rücken spätmittelpaläolithischer sog. Keilmesser. Die Funktion dieser Geräteform ist offensichtlich und allgemein nachvollziehbar.
Was aber wäre mit einer eventuellen Funktionsansprache z.B. jungpaläolithischer rückengestumpfter Klingen/Lamellen, den sog. Rückenmessern, wenn man durch erhaltene Klebstoffreste am verstumpften Rücken (Lascaux) oder den berühmten russischen Funden von knöchernen Speerspitzen mit in seitlichen Rillen eingeklebten Rückenmessern NICHT deren Funktion als Projektileinsätze kennen würde? Mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit hätte jemand der Altvorderen die Rückenstumpfung als "Schutzretusche" - vielleicht sogar unter Angabe der vermeintlich betroffenen Finger - angesprochen und die Artefakte als simple Schneidegeräte interpretiert.

Genug der langen Vorrede: Ich halte die Interpretation von agersoe für unhaltbar. Denn sie setzt die genaue Kenntnis der Funktion und gleichermassen der Paläohandhabung genau dieses Stückes voraus, was schlicht unmöglich ist!
Tatsächlich kennen wir nur von einem sehr geringen Prozentsatz des gesamten steinzeitlichen Steinartefaktinventares - aufgeteilt nach den jeweiligen Epochen - dessen Funktion mit hinglänglicher Sicherheit. Das ergibt sich zum einen aus der blossen Zweckform, die sich - unter Heranziehung von völkerkundlichen Analogien - zwanglos ergibt, z.B. Pfeilspitzen, Beilklingen. Eine weitere Hilfe zur Funktionsbestimmung ist die Gebrauchsspurenanalyse, und hier wird es schon z.T. bedenklich. So waren z.B. bestimmte belgische altneolithische, rein typologisch als Kratzer ansprechbare Stücke nach ihrer Gebrauchsspurenanalyse als veritable Dechselklingen anzusprechen! Andererseits lassen sich die meisten Kratzer nicht nur nach völkerkundlichen Analogien, sondern auch nach einer Gebrauchsspurenanalyse als "echte" Kratzer ansprechen. Und das sind nur einige Steingeräteformen.
Sehr, sehr viele Steinartefakte entziehen sich a priori einer hinlänglich sicheren Funktionsansprache, und dazu gehört auch das hier interessierende Stück.

Ohne Zweifel ist es ja gerade Sinn dieses Forums, möglichst viele Informationen zu den geposteten Stücken zu erhalten/liefern. Aber das stösst nach meinem Verständnis und nicht selten schnell an natürliche Grenzen.

Sie zu überschreiten bedeutet, den relativ sicheren Grund des Wissens zu verlassen, in die a priori leck geschlagene Barke der Mutmassungen zu steigen und sich den tosenden Wellen, gefährlichen Untiefen und tückischen Strömungen des trügerischen Ozeans der Spekulation auszusetzen. Und das ist doch nicht im Sinn des Forums.

Beste Grüsse   






"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger

Hallo Khamsin

Ich kann, da nicht meine Muttersprache, natürlich nicht eine Antwort auf so formvollendetem Deutsch liefern, immerwieder eine Freude zu lesen.  :-)
Werde aber versuchen meine Theorie zu erleutern!

Erst aber ein paar Überlegungen zu dem, was du schribst.
Du schreibst:
Der Grund dafür ist einfach: Ihre Ansprache ist nur selten möglich, und ergibt sich nur aus allgemein nachvollziebaren und letztlich auch rein technischen Gegebenheiten.

Soll das so verstanden werden, dass was nicht bewiesen werden kann, existiert nicht ??

Mein Ausgangspunkt für die Annahme, es kann ja nie mehr sein, ist meine Erfahrung durch Sammeln, Gespräche mit Archäologen, und von eigener Produktion von Geräten.

Zuerst möchte ich sagen, das ich sehr oft, besonders auf neolithischen Kleingeräte Schutzretuschen sehe.
Es gibt natürlich viele Geräte wo man Fingerschutz nur behaupten kann, es könnte aber auch Anlage einer Befestigung sein usw.
Es gibt jedoch Gerätegruppen, wo Retouchierungen und deren Formen NICHT anders erklärt werden können.
Das handelt sich um Bohrer, Stichel und eben die vielen Kleingeräte mit einer spezialisierten Funktion.
Man muss errinnern, das Retouchierungen in Tiefe und Ausbreitung vom erfarenen Flintschmied haargenau gesteurt werden können.
Ich zeige hier einen neolithischen Bohrer als Bespiel dafür, dass die Retouchen NICHT anderes sein können als Schutz.

Ich werde demnächst einige Beispiele geben.
(Muss jetzt aber meinen Sohn zum Judo-training fahren)  :jump:

Mfg agersoe


Der Wikinger

Hallo wieder Freunde !!  :-)


Es gibt viele Geräte die so angefertigt sind, dass sie "gut in der Hand liegen".
Hier nun die Fotos des Bohrers der eindeutig Fingerschutz-retuschen und "muss gut in der Hand liegen - Retuschen" hat.
Dieses Stück, aus einem neolithischen Fundort, kann nur so wie gezeigt liegen, hält man es anders fühlt sich das falsch an, es stickt usw.

Wie die Fotoserie zeigt, sind die Retuschen genau da wo die Finger um das Stück schliessen.
Dies ist keine Theorie, sondern Praxis !!!  :smoke:





Bemerkt, wie die Finger- / "Muss gut in der Hand liegen" Retuschierungen genau
da liegen, wo die Finger sind.





MfG agersoe

Silex

servus aus dem ,seit Wochen wegen Trockenheit und Staubüberzug unbegehbaren, südlichen Mittelgebirgsraum
Da bleibt nur der "Gang" in Deutschlands bestes Steinesucherforum....
Da gibts Anfänger ,wissbegierige Steinknechte, Fachleute in Ihrem lokalen Fundspektrum, Praktiker mit Hintergrund , professorable (im besten Sinne) Experten.  Darunter sind Leute die zu mehr oder weniger spekulativen Deutungen neigen (Leider muss ich meine Wenigkeit bisher noch in diese Rubrik einordnen)-  und Genossen die aus fundierter Erfahrung  ihre Einordnung  treffen.  Und genau dies ist die  ideale Mischung . Wenn dann noch einer da ist der auch den wissenschaftlich deutbaren  Rahmen angibt--.. dann ist das Sammlerglück komplett.
Wenn man so ein Stück - wie oben- findet- dann nimmt man es in die Hand- reinigt es notdürftig- meistens schaut man dabei gar nicht hin sondern ertastet nur- weil der Ackerausschnitt weiter beäugt werden muss- und dann fühlt man schon die Untiefen der Zeit und die Qualität
des Herstellungsprozesses. Trotz der zunehmenden Erfahrung des Sammlers  (und seines Wissens) steigt die Neigung auch unbedeutenderen Stücken eine besondere Bedeutung zuzumessen. ... Das verwundert mich an mir selbst.
Dass ich euch hier etwas zeigen darf  und ihr  versucht die Untiefen  auszuleuchten hat mir mehr gebracht als alle anderen Versuche die Steinzeit zu verstehen.
Ausser der Begegnung mit dem Acker- der Aussicht- dem Geruch- dem Wind- den Tieren und den Landwirten (den ALTEN)

hoffentlich noch lange in dieser Besetzung und mit neuen "jungen Wilden" Steineverstehenwollenden

Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger


Silex, du sprichst mit grossem Menschenkenntnis und feiner Klarheit !!  :super:

MfG agersoe

Silex

Servus agersoe, leider kann ich Deine letzten  Bildbeiträge nicht öffnen- bzw die Fotos erscheinen auf der Seite nicht. Es wäre schön wenn Du sie nochmal senden würdest. Denn jedes Teil ist ein Teil vom Ganzen.....sphinxhaft Duhuu????

Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Lutze

Edi,

die Bilder sind hier gut zu sehen (Internet Explorer). Da muß irgendwas bei dir faul sein.

Lutz

Der Wikinger

#15
Hmmmm merkwürdig, ich sehe sie gut ??
Ich bringe den Beitrag nocheinmal.

Hallo wieder Freunde !! 


Es gibt viele Geräte die so angefertigt sind, dass sie "gut in der Hand liegen".
Hier nun die Fotos des Bohrers der eindeutig Fingerschutz-retuschen und "muss gut in der Hand liegen - Retuschen" hat.
Dieses Stück, aus einem neolithischen Fundort, kann nur so wie gezeigt liegen, hält man es anders fühlt sich das falsch an, es stickt usw.

Wie die Fotoserie zeigt, sind die Retuschen genau da wo die Finger um das Stück schliessen.
Dies ist keine Theorie, sondern Praxis !!!



Bemerkt, wie die Finger- / "Muss gut in der Hand liegen" Retuschierungen genau
da liegen, wo die Finger sind.





MfG agersoe