Neue Fundbelege aus dem späten Paläolithikum ... in nahen Ansichten

Begonnen von thovalo, 21. Mai 2018, 14:35:42

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thovalo



Hallo zusammen!  :winke:

Gestern habe ich bei besten nervigen Sonnenschein  :staun: über mehr als drei Stunden hinweg die Fundfläche abschließend systematsich begehen können. Dabei kamen insgesamt 16 Fundbelege vor.

Der Fundplatz ist iweit über die Region hinaus singulär und hat in der rechtsrheinischen Lage auch eine nähere Beziehung zu der hoch bedeutenden Bestattung aus der Zeit der "Federmesserkultur" von Bonn-Oberkassel.  


Unter den Funden befindet sich ein Kernstein der erstaunliche Merkmale überliefert und damit sehr konkrete Aussagen über die Bearbeitungstechnologie auf diesem spätpaläolithischen Fundplatz ermöglicht. Auf den Bildern habe ich die entscheidenden Merkmale konzentriert hervorgehoben.


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Ein Kernstein:

ist aus einem unpatinierten Geröll von Bryozoenfeurstein aus glazielen Geschiebablagerungen gewonnen worden. Die durch immer wiederholte Verrollung und Bestoßungen verrundeten urspränglichen Randpartien sind sehr gut zu erkennen.

Wichtig ist: die Verrundungen sind dem natürlichen Verrollungsprozeß geschuldet und das als Kernstein verwendete Geröll ist unpatiniert gewesen und die unbearbieteten Stellen sind das BIS HEUTE auch geblieben.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Die handwerkliche "Ansprache" als Kernstein (max. Länge 3.7 cm) :


In der fachlichen urgeschichtlichen Archäologie kann sich kaum vorgestellt werden, dass auch solche kleinformatigen stark verrundeten Ausgangsgerölle als Kernsteine aktiviert worden sind. Dazu hatte ich erst im letzten Oktober eine fachlich intensive Diskussion, als ich eine sekundäre Rohgesteinlagerstätte glazialer Geschiebe in hervorragender Erhaltung vorstellen konnte.

An dem oben erst einmal nur als verrolltes Geröll erkannbaren Silexstück ist durch eine hohe Schlagwucht schlicht eine der rundlichen "kappen" abgetrennt worden um eine Schlagfläche anzulegen (auf dem erten bild: der Schlag kam von rechts!).

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo


Die Nutzung der Abbaufläche:


Wie es heute noch Steinschläger demonstrieren wurde der Kantenverlauf im Übergang zur Abbaufläche hin mit einem Schlagstein kurz und bündig "angeraut", wobei der Kantenumlauf aussplitterte (erstes Bild).

Dem anschließend wurde an diesem Kern nun die "primäre" Abbaufolge angelegt (weitere Bilder).
Diese Abschläge zeigen ventral eine einduetige Trennfläche und dorsal noch die verrundete originale Oberfläche des Kernsteins.

Wie die extrem ausgeprägten gestaffelten Wallnerlinien erkennen lassen handelte es sich um direkte und hart ausgeführte Schläge mit einem Schlagstein auf den Kantenrand der Schlagfläche.  :glotz:


Was als PHÄNOMEN ins Auge fällt  :staun:  ist die Tatsache, dass das Ausgangsgestein bis heute nicht weiß patiniert ist sondern nur und ausschließlich die gegenüber der Entstehung des Gesteins extrem viel "jüngeren" TRENNFLÄCHEN der erzielten Abschläge.

Das ist an diesem Fundbeleg ein hoch eindrücklich nachvollziehabres "Patinierungsphänomen", dass eine fachlich fundierte Erklärung erfordert. Es kann in dieser Besonderheit kein besonderer neuzeitlicher Einfluß von Kunstdünger oder chemischer Einflüsse von Gülle gewesen sein, denn solche Prozesse hätten das gesamte Gesteinstück beeinflussen müssen.

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo


Die Vorpräparation einer zweiten Schlagfläche:

Von einem sekundären Abschlag quer zur vorhergegangenen Abbaufläche ausgehend wurde wiederum die Kantenvorpräperation angelegt die ebenfalls weiß patiniert ist. Von dieser Schlagkante ausgehend wurden dann aber keine Abschläge mehr ausgeführt (auf dem ersten Bild liegt der vorpräparierte Kantenverlauf linksseitig).
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Die Bearbeitung dieses Kernsteins wird nur wenige Minuten angedauert haben. Warum er verworfen wurde lässt sich nur vermuten. Eventuell gab der Bearbeiter den Kernstein auf, weil er der Ansicht gewesen war, dass er die Negative mit den stark ausgeprägten Wallnerlinien nicht mehr sinnvoll zielgerichtet überprägen und abbauen konnte.

Zufälligerweise überliefert dieser gestern mit aufgelesene Kernstein eine Vielfalt individueller Informationen des Bearbeitungsprozesses aus der Hand eines der spätaltsteinzeitlichen Menschen auf diesem Platz vor ca. 12.800 Jahren und gibt zugleich in Bezug auf die Patinierung tief zu denken.


Vielleicht ein sehr spezieller Beitrag aber hier lohnte es sich aus meiner Perspektive einmal sehr auf die Details einzugehen!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiesenläufer

Moin,

wirklich ein sehr spezieller aber höchst interessanter Beitrag, den man sich mindestens zwei, drei Mal durchlesen sollte um alle Informationen und die Bilder dazu einzuprägen, zumal wenn man sich mit dem Paläolithikum nicht so gut auskennt.  (wie ich  :schaem:)

:super: :super:

Gruß
Gabi
Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

thovalo



Bemerkenswert ist auch ein kleinformatiger Kratzer an einem Abschlag mit einer mit Kortex besetzten Kaverne ..... dem Eindruck nach entstand die Kratzerkappe eher durch intensiven Gebrauch und weniger durch eine vorberitende Retuschierung.


Länge: 2.2 cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiesenläufer

Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

thovalo



Isser ....   :glotz:


Der einzige Beleg einer Mikroklingengrundform von dieser Begehung .... wäre z.B. für die Ausarbeitung zu einem Rückemnmesser gut zu gebrauchen gewesen.

Länge noch 2.1 cm und Breite 1cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Und das Stück einer Abbaukante von einem relativ zu den anderen Restkernsteinen "sehr" großen Kernstein .....   :glotz:


Die ist spannend. Die Merkmale sind wieder die einer direkten harten Schlagtechnik. Da das Material patiniert ist, kann es auf diesem Platz durchaus ebenfalls dem späten Paläolithikum zugeordnet werden. Die spätneolithisch verwendeten Silices aus einem bestimmten begrenzten Bereich in der nord-östlichen Ecke des Fundgeländes sind alle nicht patiniert.

Es ist Kortex vorhanden und es "könnte" sich durchaus um westischen "Maasfeuerstein" vom Rijckholttyp handeln, der in patiniertne Zustand diesem heir sehr nahe kommt. Dann hätte die Menschen doch auch Silices aus der Region weiter westlich über den Rheinlauf hinweg verwendet.


Länge 5 cm



Es gibt auch noch einen Stichelverdacht, aber den sehe ich mir lieber noch länger und genauer an.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.