sichelförmige Klinge: plan überschliffen - der Länge nach geschäftet

Begonnen von thovalo, 29. April 2010, 13:56:22

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thovalo

 :winke:

Dieses außergewöhnliche Fundstück eröffnet die Frage, ober der zugehörige Fundkomplex noch in das späte Jung- oder doch bereits in das späte oder ausgehende Neolithikum datiert.

Der Fundort ist ein neolithischer Siedlungshügel am Niederrhein (NRW). Die beiden Teilstücke des Artefakts konnten im Abstand von drei Jahren aufgelesen werden.

Der Bruch ist durch die Bewegung des Geräteeinsatzes  durch landwirtschaftliche Tätigkeiten verursacht worden.


Zur Herstellung wurde eine deutlich aus der Axialsymmetrie heraus gebogene Klinge aus Feuerstein der Varietät "Rijkholt" verwendet. Der Schlagpunkt befand sich im Bereich der Spitze des Geräteeinsatzes und ist vollständig beseitigt worden.

Im Bereich der Distalpartie blieb dorsal ein Rest der noch am Kernstein belassenen Kortex erhalten.

Der eingewölbte "innere" Kantenverlauf ist gleichförmig, durchlaufend und deutlich ansteigend retuschiert. Der gegenständige, gebogene, steile "äußere" Kantenverlauf blieb unbearbeitet.


Der Fundbeleg war, dem Gebrauchsspurenbildes folgend, über die gesamte Länge hinweg in einer Handhabe geschäftet.

Wohl zur möglichst bündigen Einpassung in die Handhabe ist die Drosalfläche des Artefakts noch zusätzlich der gesamten Länge nach plan überschliffen worden.


Mit dem so entstandenen "Kompositgerät" ist offensichtlich intensiv gearbeitet worden, denn wohl erst im Verlauf längerer Zeit konnten sich in der unbearbeitet gebliebenen Rückenzone intensive Glanzspuren durch die reibende Bewegung des Geräteeinsatzes in der Schäftung bilden.  :glotz:


Dies ist das bislang einzige bekannte Artefakt aus dem Rheinland das, dem Gebrauchsspurenbild zufolge, wohl in der Art von Grifflösungen der "Pfyner" und "Horgener" Kultur, geschäftet gebraucht worden ist.

http://www.pfahlbauervonpfyn.tg.ch/image.cfm?image=/pictures/Messer.jpg&title=Gesch%E4ftetes%20Messer

Obwohl die mögliche Funktion als "Sichelklinge" durch die Formgebung nahe liegend erscheint, haben sich am Fundbeleg keine "Glanzspuren" durch angelagerte Kieselsäure erhalten.


An diesem Gesräteeinatz wurden in regional charakteristischen Rohgestein eine techologische Innovation umgesetzt, die deutlich auf Traditionen südlicher Kulturgebiete hindeuten.


Länge 9.4 cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

 :kopfkratz:


Zur oben vorgetellten "sichelförmig gekrümmten Klinge" gibt es vom Fundplatz auch neolithische Keramik, die beim LVR allerdings Staunen ausgelöst hat und keiner bekannten regionalen Kultur oder Gruppe des Rhein-Maasgebietes zugeordnet werden konnte.


Dirk Raetzel-Fabian sprach mögliche Beziehungen zur "Pfyner" und "Horgener" Kultur an ......... ggf. vermittelt über die Altheimer und Münchhofener Kultur   :nixweiss:


Vielleicht findet sich ja Jemand, der mit den Fragmenten und ihrer Machart etwas anfangen kann!?


Für das Randstück ist bemerkenswert, dass es keinen Ansatz zu einer Krümmung des Umlaufs aufweist. Die sehr nahe zum Rand stehende Knubbe ist nicht durchbohrt.

:-)


Randstück:  Breite 4.5 cm; Höhe 3.2 cm; Durchmesser mit Knubbe 2.4 cm

Wandungsstück: 4.5 cm x 3.8 cm; Durchmesser 1.1 cm
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

a.k.a. rentner

Diese Keramik Knubben kenne ich zahlreich von einem Fundort in Bayern, der sowohl Altheimer als auch LBK Keramik in rauhen Mengen liefert.
Dort die Knubben allerdings sehr feinkörnig, und vom Gefühl her eher der LBK zuzuordnen.
Grobgemagert kenne ich sie dann noch von einem Fundort der Salzmünder Gruppe in Mitteldeutschland.
Bin sehr gespannt was Klügere zu dem Thema sagen werden.
Dies ist sicher eine schwere, aber keine unlösbare Aufgabe........
Mit der "Sichel" beschehrst Du uns ein weiteres Prachtexemplar.
Danke  :super:
M.

Der Wikinger


Diese "Sichel" ist ein erstaunlicher und ganz hervorragender Fund.  :hilfe3:
Mir sind solche mit Schliff ganz unbekannt !  :staun:

rentner

Lässt sich irgend ein Abnutzungsmuster erkennen, das evtl. die Verwendung eingrenzt?
Danke für dieses Unikum

rolfpeter

Servus,

ein solch außergewöhnliches Gerät habe ich auch noch nie gesehen. Scheint ein wirkliches Unikat zu sein.

Der Arbeitsbereich liegt ja wohl an der konkaven, steil retuschierten Längsseite. Wäre es - wie Du vermutest - der Länge nach geschäftet gewesen, hätte man es kaum wie ein "Pfahlbaumesser" nutzen können. Die haben ja eine konvexe Schneide, die einen ausreichenden Freistand von der Schäftung hat, wie man es auf dem verlinkten Bild auch gut sieht. So ist es möglich, universell mit den Geräten zu arbeiten, als Messer und auch als Schaber, um beispielsweise plan aufliegende Tierhäute zu bearbeiten.

Ich könnte mir aber eine Funktion als Ziehmesser in der Holzbearbeitung vorstellen. Zur Oberflächenbearbeitung und -glättung größerer Radien wäre es doch durchaus geeignet.

Man sollte ein dermaßen einmaliges Stück einem Gebrauchsspurenanalytiker vorlegen - aber die Kriegskassen der Ämter sind leider leer!

Keramik:
Unverzierte, mit groben Quarzkörnern gemagerte Ware ist nach meiner Erfahrung "unbestimmbar". Eins aber zum Trost: die einzige Keramik, die ich auf meinen spätneolithischen Plätzen finde, ist der hier vorgestellten durchaus ähnlich. Im Vergleich zu altneolithischer Keramik von minderer Qualität, dickwandig, dunkelgrau bis schwarz gefärbt und an der Bodenoberfläche äußerst schnell vergänglich. An einem einzigen meiner Fundstücke gibt es eine flache, längliche Knubbe.
In dem Zusammenhang noch eine kurze Anmerkung zum leidigen MK-Thema. Die hatten ja hochqualitative Pötte mit "lederartig" polierter Oberfläche. Bei meinen unendlich langen Begehungen der entsprechenden Fundplätze habe ich erst ein einziges Randstück gefunden, welches man guten Gewissens in die MK stellen könnte. Ansonsten nur bröselige Schrottscherben.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

@ rolfpeter  / Forum      :winke:

Ich habe mich in Bezug auf die Schäftung über die ganze Länge des Artefakts auf "Pfahlbaumesser" als besser bekanntes Beispiel für längs geschäftete Geräteeinsätze bezogen, da im Rheinland solche längs gerichteten Schäftungslösungen (noch) nicht nachgewiesen sind.

In der Funktionsweise hat das sichelförmig gebogene und geschäftete Fundstück zweifelsohne nicht den Möglichkeiten und Anforderungen an die Funktion eines "Pfahlbaumesser" entsprochen.

Ich kann mir eine geschwungene Grifflösung vorstellen. Und da das Stück vergleichsweise schmal ist kann die Arbeitskante tatsächlich auch nicht allzu weit heraus gestanden haben.

Wenn man sich allein auf den retuschierten Kantenverlauf beschränkt, dann hätten etwa 0.4 cm der Gesamtbreite von 1.9 cm aus der Fassung hervor gestanden.

An eine "ziehende" Funktion hatte ich auch schon gedacht und das bearbeitete Material müsste zudem recht weich und organisch gewesen sein, denn makroskopisch sind keine markanten Arbeittspuren zu erkennen.  :glotz:

Für das Stück gibt es zwar Heute noch keinen Vergleichsfund. Doch das schließt mögliche zukünftige Fundbeobachtungen nicht unbedingt aus, auch wenn es sich, nach über einhundert Jahren Forschung im Rheinland, tatsächlich um ein sehr seltenes Objekt handeln wird.


Die Seltenheit hat möglicherweise auch direkt etwas mit der Besonderheit des Standortes der Siedlung zu tun.      
                                        Ich denke an den Fischfang!


Ich kenne mich da überhaupt nicht aus und vielleicht ist das sogar aus praktischen Gründen weniger plausibel:

ich könnte mir vorstellen, dass man, bei hohen Fangraten, das Entschuppen von Fischen mit der in einer Handhabe eingesetzten Klinge besonders schnell und effektiv durchführen könnte. Die Retusche bildet einen stabilen geschwungenen Kantenverlauf der dem Fischkörper ergonomisch folgt und verletzt die Fischhaut nicht, die ggf. ja auch noch weiter verwendet werden kann.


Der jährliche Lachszug wird einer der wirtschaftlichen Höhepunkte für die am Fundort lebenden Menschen gewesen sein.


 :kopfkratz:   Was die Keramik angeht ist es total zum Haare raufen, dass hier zwar umfangreiche Mengen an urgeschichtlicher Keramik vorhanden sind, aber selbst und gerade die in ihrer Machart als neolithisch zu erkennenden Stücke, nicht näher zugeordnet werden können.

LG   :-)
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Ja, andere Länder, andere Sitten!

Fischfang, da wäre ich jetzt als Kind der Lößsteppe überhaupt nicht drauf gekommen.

Warum nicht!
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

 @ rolfpeter  :winke:

Da wir uns über "den großen Fluss" die Hand geben könnten, suchen wir doch im gleichen Land!!!!!!!!!!!!!


Eher: "andere Lage, anderer Bedarf"! Das waren ja sehr gut angepasste Spezialisten, die genau wussten wie sie ein Gerät für eine bestimmte Aufgabe anpassen konnten und formen mussten!


Ich kann mir gut vorstellen, dass Siedlungen, die unmitelbar an großen Flussläufen lagen, auch besondere Möglichkeiten, Bedingungen und besondere Anpassungen des Geräteinventars herausgefordert haben!


Vielleicht erklären sich so auch die überdurchschnittlich zahlreichen Fundbelege von Beil- und Dechselklingen aus Feuerstein und Beilklingen aus Felsgesten in unterschiedlichen Formaten (Einsatzmöglichkeiten im Bootsbau, Bau von Fischfanganlagen, Uferbefestigungen usw.) !?   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.